Aufklärung, Revolution und Staatskirchentum
(entnommen aus: "KIRCHENGESCHICHTE AUS ERSTER HAND", Berichte von Augenzeugen und Zeitgenossen, Quellentexte wurden von Josef Pretscher zusammengestellt und eingeleitet. Die kirchliche Druckerlaubnis wurde erteilt, Würzburg, 12. 9. 1964, Wittig, Generalvikar)
Verschiedene Grundideen sind es, die, schon lange in der Geschichte vorhanden, in letzter Ausreifung die Weltgeschichte und die Kirchengeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts prägen. Auf weltanschaulichem Gebiet sind es vor allem die Ideen der Aufklärung, auf politischem Gebiet der Nationalismus.
Die Ideen der Aufklärung lassen sich weit zurückverfolgen. Schon in der Blütezeit mittelalterlicher Wissenschaft, in der Scholastik, war es zeitweise zu Versuchen gekommen, die christliche Offenbarung ganz mit dem Verstand zu begreifen. Als die Reformatoren dann das kirchliche Lehramt leugneten, war der Mensch in der Auslegung der Schrift auf sich allein gestellt. Wie er sie verstand, so sollte sie ihn verpflichten. Das konnte natürlich zu dem Schluss führen: Was er nicht verstand, das konnte ihn nicht verpflichten. Damit aber war eigentlich der menschliche Verstand zum Massstab der Offenbarung Gottes gemacht. Was verständlich war, wurde angenommen, was nicht verständlich war, wurde abgelehnt (Rationalismus). Diese Tendenz wurde noch vestärkt durch das Ideengut der Renaissance, welche die Antike wiederentdeckt hatte. Und sie entdeckte in ihr die übermäßige Betonung des Einzelmenschen, des Individuums, das ohne Bindung an eine allgemeine Ordnung seine individuellen Fähigkeiten ausbilden soll. Das machte nun den Einzelmenschen zum Massstab aller Dinge (Individualismus).
Auch der Nationalismus lässt sich weit zurückverfolgen. Die Zeit, da viele Völker im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation vereinigt waren, war längst vorbei. Schon im Mittelalter hatten sie sich selbstständig gemacht. Die Reformation hatte dazu das einigende Band des gemeinsamen Glaubens zerrissen. Gleichzeitig hatte sie die staatliche Macht überbetont: Da die ordnende Autorität der Kirche durch die Leugnung des kirchlichen Lehramtes nicht mehr anerkannt wurde, blieb als einzige ordnende Macht, um nicht in wildes Schwärmertum zu verfallen, die staatliche Macht. So wurden Macht und Machtanspruch der einzelnen Staaten noch gesteigert.
Der Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts zeigt ein enges Ineinander dieser Ideen. Die Idee von der "Vernünftigkeit" der Religion taucht allenthalben auf. Sie äusserte sich zum Beispiel in der Ablehnung überkommener religiöser Bräuche. Sie äussert sich in dem Versuch, die Bibel als rein geschichtliches Werk zu betrachten und nach rein historischen Gesichtspunkten auf Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit zu prüfen. Sie äussert sich in Versuchen, den Gottesdienst dem Volk verständlicher zu machen. Sie äussert sich aber auch im Unverständnis gegenüber bestimmten christlichen Kernwahrheiten, zum Beispiel der Tatsache der Sühne, der Erlösung. Man steht deshalb dem Opfergedanken weithin fremd gegenüber, etwa wie er sich in den beschaulichen Orden zeigt. Tätige Orden, die der Krankenpflege, der Kindererziehung dienen, lässt man gelten. Das ist ja vernünftig. Aber ein ganzes Leben dem Gebet, der Liturgie, dem Opfer zu weihen, das scheint unvernünftig.
Wo sich solche Gedanken verbinden mit dem Gedanken absoluter Vollmacht des Staates, kommt es zu Erscheinungen strengen Staatskirchentums. Eines der merkwürdigsten Beispiele dafür, das oft zum Lachen und öfter zur Empörung reizt, ist das Staatskirchentum Josephs II. in Österreich. Ähnliche Erscheinungen zeigen sich auch im späteren Verhalten des preußischen Staates gegenüber der Kirche.
Eine Verbindung rationalistischer Ideen mit Ideen von der Allmacht der weltlichen Gewalt und falsch verstandenen Ideen von der Gleichheit aller Menschen ist die Französische Revolution. Was sie richtig erkannte: dass jeder Mensch eigene Würde hat, dass jeder deshalb auch Verantwortung hat, das wandte sie falsch an. So musste sie zur Leugnung jeder Autorität kommen, damit aber auch zur Leugnung der Autorität der Kirche. Sie musste also eine Diktatur geradezu herbeirufen.
Verständlich ist, dass sich bei diesen vielfältigen Angriffen auf Christentum und Kirche die Kirche in eine Abwehr- und Angriffsstellung zugleich begab. Die Katholiken schlossen sich eng zusammen. Gemeinsamkeit macht stark. Gemeinsamkeit braucht aber einen Mittelpunkt. Dieser Mittelpunkt war für die katholischen Christen selbstverständlich der Papst. So kam es, dass das 19. Jahrhundert der Kirche eine starke Zentralisierung brachte, eine starke Betonung der Autorität des Papstes, die schließlich im I. Vatikanischen Konzil und im Satz von der päpstlichen Unfehlbarkeit ihren Höhepunkt erreichte.
Die katholischen Christen mussten sich aber neben dieser mehr ideellen Position auch praktisch-konkrete Positionen im Kampf und Rechte schaffen. Das 19. Jahrhundert wurde so vor allem die Zeit, in der sich die Katholiken, besonders in Deutschland, zu weltanschaulich orientierten Parteien zusammenschlossen. Nicht immer betrachteten die Katholiken dieses Jahrhunderts den modernen demokratischen Staat, der ihnen oft so viele Schwierigkeiten machte, mit grossem Wohlwollen. So sehr die weitsichtigen Männer an ihm mitarbeiteten, so sehr mag bei engerem Horizont eine gewisse Skepsis gegen die Regierungsform der Demokratie vorhanden gewesen sein. Diese Tendenz mag auch dadurch gefördert worden sein, dass der aufkommende italienische Nationalstaat das Zentrum der Kirche angriff: den Kirchenstaat. Jahrhundertelange Gewöhnung konnte sich nicht vorstellen, dass der Papst auch ohne weltliche Gewalt Autorität sein könne. Die Zukunft sollte zeigen, dass er gerade ohne weltliche Macht geistliche Autorität ist.
Erstaunlich bei diesem Abwehrkampf der Kirche so vielfältigen und so hartnäckigen Kräften gegenüber ist die missionarische Kraft der Kirche in diesem Zeitraum. Mag auch manchmal, wenigstens in den Augen der Betroffenen, Missionierung und Kolonialisierung zu eng verbunden gewesen sein: Diese Zeit ist doch der Auftakt aller modernen Missionsarbeit von Asien über Afrika bis nach Amerika. Vor allem entstanden eine Fülle neuer Missionsorden.
Auch in der Seelsorge nach innen versäumte die Kirche nicht ihre Aufgabe. Sie erkannte, dass die Industrialisierung eine Fülle menschlicher und religiöser Probleme aufwies, die die Geschichte auf Jahrhunderte hinaus bestimmen konnten. Namen wie Bischof Ketteler, Präses Kolping und schließlich Papst Leo XIII. zeigen, dass die Kirche sich nicht auf erbauliche Ermahnungen verließ, sondern konkrete Programme unterbreitete und in der Tat umsetzte, Programme, deren Befolgung manche Not späterer Zeit vermieden hätte.
So ist diese Epoche eine Zeit heftiger Abwehrkämpfe der Kirche gegen Vernünftelei, falsch verstandenem Individualismus und Nationalismus. Zugleich aber ist sie eine Zeit neuen Aufbruchs im Willen zur Mitgestaltung der Welt im Missionarisch-Religiösen, im Sozialen, im Politischen. Damit ist diese Zeit zum unmittelbaren Fundament unserer Gegenwart geworden.
Sinn und Unsinn der Aufklärung
Zeitungsmeldungen/ Scripio von Ricci
Seit der Reformation standen viele Glaubensbekenntnisse nebeneinander und versuchten, sich gegenseitig zu widerlegen. Mancher wurde der Auseinandersetzung müde und fragte sich, ob man sich nicht mit ein paar "Grundwahrheiten" begnügen könnte: dass Gott ist; dass man Gutes tun muss; das es ein Jenseits gibt.
Die Reformation hatte das kirchliche Lehramt nicht mehr anerkannt. Jeder einzelne sollte sich vom Geist leiten lassen und das Wort Gottes verstehen. War es ein Wunder, wenn man Eingebung des Heiligen Geistes und eigene, selbstherrliche Schriftauslegung nicht auseinanderhielt und bald nur noch gelten ließ, was man selber verstand?
Diese geistesgeschichtliche Bewegung des 17. und 18. Jahrhunderts nennt man "Aufklärung". Sie versuchte, eine "natürliche" Religion zu gestalten, und wurde damit Feind aller übernatürlichen Offenbarungsreligionen. Sie hatte kein Verständnis für das, was sie "falsche Mystik" nannte: zum Beispiel den Wunderglauben, die Ordensgelübde, bestimmte religiöse Volkstraditionen. Das wirkte sich positiv aus: Mancher Wildwuchs der Frömmigkeit wurde in der Kirche abgestellt. Das wirkte sich negativ aus: Oft wurde echte Frömmigkeit in dünne Vernünftelei verfälscht.
Die Folgenden Texte geben anhand von Zeitungsmeldungen und einer Biographie Einblick in das Wirken sogenannter "Aufklärer": des österreichischen Kaisers Joseph II. (1741-1790), seines Bruders und späteren Nachfolgers Leopold II. (1747-1792) und des Bischofs Scipione de Ricci von Pistoria-Prato (1741 bis 1810).
(Statt der bisherigen Auseinandersetzungen der Konfessionen wollte man Toleranz üben:)
Melnick, den 4.Juni.
In Lobkowitz unweit Melnick ist kürzlich ein Hussit verstorben, den die katholischen Bauern nicht auf ihrem Friedhof begraben lassen wollten. Sie zwangen den Bruder des Verstorbenen unter Androhung des Totschlags, den Leichnam in seinen Acker einzuscharren. Nach einem entsprechenden Bericht wurden zwei Kommissare von hier nach Lobkowitz abgeschickt, um die Beerdigung auf dem katholischen Friedhof vorzunehmen. Aber die Bauern wollten das noch nicht gestatten. Darauf wurden dreißig Mann dahin beordert. Als die beiden Kommissare unter dieser Bedeckung mit dem Toten zum Friedhof kamen, verwehrten etwa sechshundert mit der Sturmglocke zusammengeholte Bauern den Eingang. Die Soldaten wollten durchbrechen, aber die Bauern wehrten sich. Man feuerte blind, schließlich auch scharf, und es gab auf beiden Seiten Verwundete.
Unterdessen nahmen die Frauen den Leichnam und warfen ihn in die Elbe. Er schwamm an einigen Dörfern vorbei, wurde dann bei einem aufgefangen und ohne Weigerung dort beerdigt. Hierauf erging der allerhöchste Befehl: Der Körper des Verstorbenen sollte auf dem katholischen Gottesacker begraben werden. Dazu wurden sechshundert Mann Infanterie und dreißig Dragoner nach Lobkowitz beordert. Nun ließ man den wieder ausgegrabenen Toten ohne Widerstand begraben. Von den Bauern hat man viele eingesperrt und sie zur Stadt gebracht.
Dies mag wohl der erste Bauer gewesen sein, der unter dem Aufmarsch von mehr als sechshundert Soldaten begraben worden ist.
Vossische Zeitung, Berlin 1783, Nr. 72
Bernau, den 18. September.
Einen ruhmwürdigen Beweis der Aufklärung und des Duldungsgeistes in den preußischen Staaten hat kürzlich diese Stadt abgelegt. Sie hat den katholischen Glaubensgenossen, die bisher ihren Gottesdienst in einem Wirtshaus abhalten mussten, erlaubt, in der lutherischen Hauptkirche, wo seit zweihundertfünfzig Jahren allein evangelisch-lutherische Lehre gepredigt worden ist, künftig ihren Gottesdienst zu halten. Ein aufgeklärter und duldsamer Magistrat und ein ebensolches geistliches Ministerium sahen das Unschickliche ein, dass die katholischen Glaubensgenossen ihre Gottesverehrungen in einem Wirtshaus halten sollten, wo oft Liederlichkeit und ausschweifende Sitten ihren Sitz haben. Sie baten deshalb ein lobenswertes Oberkonsistorium, den Katholiken ihre lutherische Kirche öffnen zu dürfen; dies wurde auch sogleich von diesem so weisen Kollegium mit der grössten Bereitwilligkeit gestattet. Nach dieser erteilten Erlaubnis wird daher demnächst der erste römisch-katholische Gottesdienst seit der Reformation in dieser lutherischen Kirche gehalten.
Vossische Zeitung, Berlin 1783, Nr. 114
(Vernünftig schien es ferner, die komplizierten und in fremder Sprache vollzogenen Gottesdienste so zu gestalten, dass sie vom Volk verstanden wurden. Dabei sollte vor allem auch religiöser Wildwuchs beschnitten werden:)
Für den Augenblick begnügte Ricci sich damit, die Vorschriften der geistlichen Funktionen bei der Erklärung des Evangeliums, während der heiligen Messe, beim kleinen und grossen Katechismus, vor und nach den Vespern und bei der Segnung mit dem heiligen Ziborium zu beschränken, um die Zermonien kürzer zu machen. Überdies befahl er, die Litaneien von Jesus in der Volkssprache zu singen und nie mehr als vierzehn Kerzen anzuzünden.
Das Volk, das seines Festes, der Pracht seiner Kirchenzeremonien und der feierlichen Ausstellung des heiligen Sakraments beraubt war, beklagte sich und murrte mehr denn je. Es wurde noch schlimmer, als der Bischof, um alle Gläubigen zu zwingen, ihre Pfarrkirchen zu besuchen, den Ordensgeistlichen befahl, die Kirchen ihrer Klöster an Sonn- und Festtagen zu schließen. Ausserdem verbot er ihnen, gewisse glänzende Zeremonien zu feiern, die das Volk herbeizogen und es entweder von der Arbeit oder vom Besuch des Gottesdienstes in seinen Pfarrkirchen abhielten.
In der Kirche einer Pfarrei, in der zur Jungfrau der Lilie (la Madonna del Giglio), gab es ein Marienbild. Es war in einen kleinen Kasten eingeschlossen, der in der Mauer zwischen Kirche und der Sakristei eingemauert war.
Zu der Zeit, als noch der Bischof Alamanni lebte, an einem Wintertag bei starkem Nebel, bedeckte sich dieses aus einfachem Gips gefertigte Bild, das damals an der Wand einer auf dem grossen Platz gelegenen Bude hing, nach und nach wie seine ganze Umgebung mit der Feuchtigkeit, die sich aus der Atmosphäre niederschlug. Nach einiger Zeit bildeten sich Wassertropfen, die an dem Gips herabliefen und die Farbe, die auf ihrem Weg war, verwischten. Das furchte besonders die Wangen des Bildes, die mit einer dicken Lage von roter Farbe überzogen waren.
Es war ein Markttag. Kaum hatte eine von den Personen, die in der Bude waren, den Vorgang bemerkt, als schon Tausende von Bauern sich herzudrängten und Wunder schrien. Schon machte das Volk öffentlich Entwürfe zu Ehrenbezeichnung, entwarf Pläne zu Festen, Prozessionen und anderen ausserordentlichen Zeremonien, als der bischöfliche Vikar, Laurent Palli, durch die Menge drang und es ihm glückte, sie zu zerstreuen. Er versprach ihnen, um die Erlaubnis, den Eifer des Volkes zu unterstützen, bei der gesetzlichen Behörde, das heißt beim Bischof nachzusuchen, ohne dessen Zustimmung, wie er zu behaupten wagte, jede Neuerung ungesetzlich und unkanonisch sei.
Gegen Abend ließ Palli heimlich das Bild in die Sakristei der Kirche der Lilienjungfrau tragen und verschloss es dort in einem Kasten. Er benachrichtigte den Prälaten von den getroffenen Massregeln und erhielt von ihm das Lob, das seine Klugheit und Aufklärung verdienten. Alamanni, der in Florenz residierte, bat den Grossherzog um die Erlaubnis, das angeblich wundertätige Bild völlig verschwinden lassen zu dürfen. Er erhielt sie. Darauf ließ er die Jungfrau in die dicke Mauer einmauern, welche die Kirche von der Sakristei trennt, während er jedoch den Gliedern seines Sprengels versprach, er wolle das Wunder sorgfältig untersuchen, um ihm in der Folge alle Glaubwürdigkeit und Auszeichnung geben zu können, die er verdiene. Bald vergaß das Volk die Madonna und ihre Wunder, und man sprach nicht mehr davon.
Ricci ließ die Madonna von Prato heimlich aus ihrem Versteck holen und, ehe man sie wieder hinsetzte, ganz neu bemalen, um zu verhinder, dass, wenn der Zufall es einst wieder mit sich brächte, die Spuren auf dem Bild das Volk von neuem in Irrtum stürzen und zu Ausschweifungen verleiten möchte.
Übrigens führte der Prälat in dem Sprengel von Prato dieselben Verordnungen ein, die er schon in dem von Pistoia hatte beobachten lassen. Er wollte, dass jeder Gläubige die Kirche seiner eigenen Pfarrei besuchte; alle Ämter sollten in allen Kirchen gehalten werden, und zwar zur selben durch gemeinschaftliche Übereinkunft festzusetzende Stunde. Endlich sollte man in jeder Kirche nie mehr als eine Messe auf einmal lesen. Er hätte auch gewünscht, dass in allen nur ein Altar gewesen wäre. Auch brachte er es wirklich in einigen Kirchen dahin, dass man nur einen einzigen beibehielt; aber bei den meisten stieß er auf unübersteigbare Schwierigkeiten.
Gerade zu der Zeit wurde in der Versammlung zu Florenz über die Verehrung der Bilder, der Reliquien und des Ablasses gesprochen. Schnell ergriff die Oppositionspartei diese Gelegenheit und verbreitete das Gerücht, dass die Ansichten von Ricci und seinen Anhängern über diese Gegenstände irrig seien. Sie brachte das Gerücht im Umlauf, der Bischof hätte geäussert, er wolle den Altar niederreißen lassen, wo der Gürtel der allerheiligsten Jungfrau Maria aufbewahrt wurde. Gegen die Ansicht des Bischofs von Pistoia behaupteten sie, es wäre besser, das Volk in abergläubischer Unwissenheit zu lassen, als ihm durch Beibringen von Kenntnissen, die ihm zu nichts dienlich wären, seine Gewissensruhe zu rauben.
Am Abend des 20. Mai strömte die Menge des Volkes, viele mit Prügeln und Äxten bewaffnet, der Hauptkirche zu, um - so sagte man - das Abbrechen des Altars der Cintola (= Gürtel) zu verhindern. Man bestieg die Türen, läutete mehrere Stunden lang Sturm, riss das Wappen und den Stuhl des Bischofs vom Chor und rannte mit diesen mitten auf den grossen Platz, um sie dort mit einigen Büchern, die man aus der Sakristei und aus der bischöflichen Wohnung genommen hatte, zu verbrennen. Die Kirche blieb auf Befehl der Aufrührer die ganze Nacht erleuchtet und der heilige Gürtel für die Andächtigen zur Verehrung ausgesetzt.
Vom Tempel weg begaben sich die unruhigen Köpfe auf den Platz, wo allen den nunmehr unterdrückten geistlichen Brüderschaften gehörnden Bildsäulen und Abbildungen niedergelegt waren. Diese wurden von da in einer Prozession in die Hauptkirche getragen. Dabei hielten die Aufrührer in der einen Hand eine brennende Fackel und in der anderen eine Weinflasche. Dieselbe Zeremonie wurde den Heiligen zu Ehren angestellt, deren Feiertage Ricci abgeschafft hatte. Dabei wurden die Blätter derjenigen Heiligen, deren Verehrung Ricci eingeführt hatte, aus dem Messbuch gerissen und mit den Büchern, die der Bischof an seine Geistlichen ausgeteilt hatte, in die Flammen geworfen. Mit Gewalt brach man die Häuser der Geistlichen auf, von denen man wusste, dass sie den Bischof begünstigten. Die Kirchen, in denen sie den Gottesdienst versahen, wurden verwüstet. Ausserdem zwang man alle Prediger, vom Bett aufzustehen, im Hemd in die Kirche zu gehen und dort vor den Bildern die kleinen Vorhänge, die ihnen Ricci hatte abnehmen lassen, wieder an ihre Stellen zu hängen. Bald waren alle Kirchen von Prato ebenso wie die Hauptkirche erleuchtet, und alles rannte dorthin, um zu beten oder zu singen.
Früh am anderen Morgen kamen alle Bauern der Umgebung haufenweise in die Stadt, stürzten von Kirche zu Kirche zur Betrachtung und Anbetung der alten Heiligen, die nun ihrer Verehrung wieder zugänglich waren und deren Bilder, aufs neue mit Schleiern bedeckt, in ihren Augen nur um so ehrwürdiger geworden waren. Schon war die ganze Diözese und die Stadt Pistoia selbst bereit, dem Beispiel von Prato zu folgen, als plötzlich Leopold mit seiner ganzen Kraft gegen die Parteigänger auftrat. Eine von Florenz aus abgeschickte Truppenabteilung brachte in kurzer Zeit alles in die Schranken der Pflicht zurück. Zu Prato schloss man die Stadttore. Die Strassen wurden verrammelt, die Häuser und Buden wurden auf Befehl geschlossen. Viele Personen wurden verhaftet und in die Hauptstadt gebracht.
(Allerdings nahmen die Eingriffe in den Gottesdiensten - besonders durch Joseph II. - oft so kleinliche und lächerliche Formen an, dass Friedrich der Grosse Joseph II. als "Bruder Sakristan" verspottete:)
Aus Österreich, den 8. Oktober.
Als der Befehl wegen des Klingelbeutels - er sollte, um die Andacht nicht zu stören, weder während der Messe noch während der Predigt herumgehen - in Ungarn publiziert wurde, sagte der Pfarrer zu Neusohl, gleich nach dem Lied, folgendes von der Kanzel: "Der kaiserliche Befehl ist zwar da. Weil ihr aber gar zu lose Leute seid und entweder sehr spät in die Kirche kommt oder gleich nach der Messe oder der Predigt fortlauft, so müssen wir ein Mittel finden, dass weder eure Andacht noch unser Beutel leide und doch der Befehl des Monarchen beobachtet werde. Der Messner mag also jetzt gleich mit dem Klingelbeutel herumgehen. Ich aber werde solange ganz still auf der Kanzel stehenbleiben, bis er mit dem Einsammeln fertig sein wird."
Vossische Zeitung, Berlin 1785, Nr. 126
Österreich, vom 9. Juli.
Hin und wieder befolgen die Gestilichen des Kaisers Befehle noch sehr schlecht. Am Himmelfahrtstag erlaubte ein Pfarrer in Österreich eine Vorstellung der Himmelfahrt. Sie bestand darin, dass eine hölzerne Bildsäule an einem Strick in die Höhe gezogen wurde. Zum Unglück riß der Strick, die Bildsäule fiel herunter und der Schulmeister wurde dadurch sehr beschädigt.
Haude-Spenersche Zeitung, Berlin 1786, Nr. 85
Aus Österreich, den 1. September.
Die Leichen unserer Toten sollen künftig in Säcken aus Tuch eingenäht begraben werden. Auch sind die sogenannten Junggesellen- und Jungfernkronen, die man bisher auf die Särge unverehelichter Personen legte, verboten worden.
Vossische Zeitung, Berlin 1784, Nr. 111
Aus Österreich, den 15. September.
Der Kaiser hat wegen der Begräbnisse verordnet: 1. Dass, weil bei Toten der einzige Zweck die Verwesung sei, diese ganz ohne Kleidung nur in ein Tuch eingewickelt werden sollen. 2. Dass man sie zwar in Totenladen leden und darin zu Grabe tragen, aber nicht damit begraben soll. 3. Dass zu diesem Zweck jede Pfarrei verschiedene solcher Laden in Bereitschaft haben und sie unentgeltlich zum Gebrauch abgeben soll; jedoch sei es unverwehrt, eigene Familienladen zu halten. 4. In Zukunft sollen alle Toten auf eigene Freihöfe ausserhalb des Wohnorts getragen werden; doch ist es gestattet, den Toten in die Kirche zu tragen, um über ihn die üblichen Gebete zu sprechen; keinesfalls aber darf ein Toter in irgendeiner Kirche begraben werden. 5. Mehrere Leichenzüge am selben Tag sollen zur selben Zeit gehalten und die Toten, wohl verkalkt, in dieselbe Grube, sechs Schuh tief und vier Schuh breit, vergraben werden. 6. Monumente dürfen nicht mehr auf dem Grab, sondern nur auf der Seite der Mauer errichtet werden.
Vossische Zeitung, Berlin 1784, Nr. 117
Wien, den 20. Oktober.
Auf die Vorstellung der Sanitätskomission ist an die Pfarreien der Befehl ergangen, bis auf weitere Erklärung die Toten wieder wie vorher in ihren Särgen zu begraben.
Vossische Zeitung, Berlin 1784, Nr. 131
Aus Österreich, den 18. Februar.
Die Abschaffung der allgemeinen Särge kam eben zur rechten Zeit. Vielleicht hätte sonst diese Gewohnheit manchen früher in den Sarg gebracht als seine eigene Natur. Zu Starkenbach in Böhmen wollte jeder Bauer mit Gewalt einen eigenen Sarg haben. Da aber der Pfarrer und der Totengräber von dem gegebenen kaiserlichen Befehl nicht abgehen wollten, wurden sie mit Schlägen misshandelt. Zuletzt musste ein Kommando von Soldaten dem Lärm ein Ende machen.
Vossische Zeitung, Berlin 1785, Nr. 27
(Vor allem beschaulichen Klöstern gegenüber herrschte krasses Unverständnis:)
Leopold hatte sich gleich bei seiner Thronbesteigung missfällig über die Menge der Nonnenklöster geäussert. Der Staatsrat Pompejo Neri und der Major Camillo Rosetti schlugen als Mittel dagegen vor, man solle die Kosten der Einkleidung der Nonnen erhöhen und die der Heiraten herabsetzen. So würden die Eltern ihre Töchter nicht aus ökonomischen Gründen zwingen, den Schleier zu nehmen. Man solle auch die Ehen auf alle möglichen Weisen begünstigen, da es bekannt sei, dass Mädchen, die ins Kloster gehen, dies nicht getan haben würden, wenn sie sich hätten verheiraten können. Man solle für die häusliche Erziehung der Töchter sorgen, dass sie mit ihren Müttern die Welt und ihre Vergnügungen sähen, damit sie nicht einen Entschluss aus Unwissenheit fassten, den sie oft ihr ganzes Leben hindurch bereuen, bis sie in der Verzweiflung sterben. Ferner rieten die beiden, die Einkleidung vor dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr zu verbieten, den unnützesten unter den allein in der Stadt Florenz befindlichen zweiundsiebzig Nonnenklöstern die Aufnahme von Novizen zu untersagen und schließlich aus den übrigen Klöstern Erziehungsanstalten zu machen, wo diese müßigen Frauen zum Wohl des Vaterlandes beitragen könnten, und zwar besser als vorher, wo sie sich nur damit beschäftigten, Dinge zu singen, die sie nicht verstanden, und sich den falschen äusseren Schein eines philosophischen Lebens zu geben, dessen sie nicht fähig waren.
In Wien haben Seine Majestät der Kaiser verschiedene Klöster besucht und in einigen Frauenklöstern die Frage an die Nonnen gestellt: Womit sie sich denn eigentlich beschäftigten? Diese haben darauf erwidert, dass in den zu ihrer Beschäftigung erlaubten und von dem Gottesdienst und den übrigen Andachten übrigbleibenden Stunden sie sich mit verschiedenen kleinen Frauenzimmerarbeiten, Bilderausschneiden, Herstellung heilsamer Salben, Konfitüren und so weiter unterhielten. Am Tag darauf haben Seine Majestät in diejenigen Frauenklöster, deren Institut ihnen weder die Wartung der Kranken noch den Unterricht junger Mädchen oder die Erziehung adeliger Töchter auferlegte, einige Stücke Leinwand mit der Nachricht gesandt, es würde ihm gefallen, wenn die Schwestern ihre freien Stunden zur Anfertigung einiger Dutzend Hemden für das Militär benutzen würden.
Vossische Zeitung, Berlin 1771, Nr. 2
Die Anbetung der "Göttin der Vernunft"
F. Dautzenberg
Aus mehreren Gründen wurde die Französische Revolution zur erbitterten Feindin der Kirche. Aus der Aufklärung, aus der sie erwuchs, übernahm sie die offenbarungsfeindliche Haltung. Die Kirche aber versteht sich ausdrücklich als Hüterin der übernatürlichen Offenbarung Gottes. Dazu war das Ziel der Französischen Revolution der Sturz des mittelalterlichen Ständestaates. Auf Grund ihrer geschichtlichen Entwicklung aber war die Kirche eng mit dieser mittelalterlichen Ordnung verquickt (geistliche Fürsten, klösterlicher Grundbesitz, Privilegien des Klerus). So musste die Französische Revolution dem Wesen der Kirche wie ihrer damaligen geschichtlichen Situation feind sein.
Der Kampf begann mit einer Enteignung des Kirchengutes, steigerte sich zur Aufhebung aller "unnützen" (das heißt nichtkaritativen) Orden und erreichte seinen Höhepunkt in der "Zivilkonstitution" 1790 (keine päpstliche Gewalt über die Kirche Frankreichs, Wahl der Bischöfe und Priester durch politische Wahlkörper). Die Priester, die den Eid auf diese Konstitution verweigerten, wurden blutig verfolgt. Zugleich errichtete man eine Ersatzreligion: den Kult der Vernunft.
Unser Zeitungsbericht vermittelt einen Eindruck von der Atmosphäre jener Tage.
Eine der grässlichen Folgen, die der aufmerksame Beobachter der Greuel in Frankreich als Resultat der vorjährigen Revolution vom 10. August längst vorhersah, geht nun in Erfüllung, nämlich die Abschaffung aller Religion in der äusseren Ausübung und die Vertilgung des Priestertums.
Ein Volk, das jeden Grundsatz von Ordnung und Moralität entsagt hatte, sich blindlings durch vier Jahre von hirnlosen, wilden, ausgearteten Unmenschen allmählich zu allem hinreißen ließ, wovor die Welt bisher den tiefsten Abscheu trug, wie sollte diese Rasse nicht endlich auch da sich folgsam zeigen, wo es darauf ankam, dem grossen Werk der Wiedergebärung die Krone aufzusetzen und den letzten Zügel, der die französische Freiheit noch zäumen mochte, nun vollends schießen zu lassen! Als die erste Nationalversammlung die Güter der Geistlichkeit mit Übernahme ihrer Schulden und unter der Verbürgung, für ihren Unterhalt zu sorgen, als Nationalgüter erklärte, sagte man, sie gehe zu weit. Nun ist ganz Frankreich eine Szene von Kirchenplünderungen, von Apostasie (= Abfall). Alles, was von Wert an Kirchengeräten, Heiligenbildern, Reliquien und so weiter in den Gotteshäusern vorhanden ist, wird weggenommen und nach Paris an den Nationalkonvent geschickt. Aus allen Winkeln der Republik wird von den Kirchen das Gold und das Silber zusammengebracht und zum Münzen eingeschmolzen, das Erz in Kanonen, das Blei in Kugeln, das Eisen in Säbeln und Flinten verwandelt. Das Holz von Altären, Bildern und Beichtstühlen wird zum Heizen gebraucht, da von einem Ende der Republik bis zum andern Feueressen errichtet sind, wo Gross und Klein am Schmieden der Waffen arbeitet.
Die Hauptveranlassung zu dem letzten Schritt gegen Religion und Priestertum gaben die nach allen Seiten ausgeschickten Missionaien des Konvents, die den Sanculottismus allenthalben einführen und auf die sogenannten Verdächtigen Jagd machen sollen.
Zu Paris brachte der Gemeindeprokurator Chaumette bei den Jakobinern vor, man sehe die Geistlichen noch ausser der Kirchen in ihrer Maskeradenkleidung öffentlich erscheinen, welchem Unfug durchaus gesteuert werden müsse. Auch bewirkte er bald, dass die Polizei angewiesen wurde, die so gekleideten Bürger durch die Patrouillen einziehen zu lassen. Bald darauf brachte er es dahin, dass der Pariser Gemeinderat den Geistlichen von allen Sekten scharf verbot, ausserhalb ihrer Kirchen und Tempel die mindeste Religionshandlung zu verrichten, und dass alle religiösen Zeichen auf den öffentlichen Plätzen vernichtet wurden.
Nun kamen auch Berichte aus anderen Gegenden, wo man mit dergleichen Reformen vorläufig den Versuch gemacht hatte.
Zu Paris wurden um die nämliche Zeit alle sogenannten Ecce-Homo-Bilder, Agnus-Dei, Hubertusringe, Rosenkränze und alle ähnlichen Bilder und Waren konfisziert. Man taufte die Strassen, die Namen von Heiligen führten, um und grub die Särge aus, um das Metall davon an das Kriegsdepartment zu verweisen.
Von Nevers erschienen sechs Deputierte, die dem Nationalkonvent ankündigten, die Philosophie mache bei ihnen mächtige Fortschritte, in ihrer Stadt gebe es nur noch einen Priester, der Messe lese, da die übrigen alle heirateten und auf die Kirche verzichteten. Aus Moulins kam eine Deputation, welche ankündigte, der Bischof von Allier verrichte den Kirchendienst nicht anders mehr als mit einer roten Kappe und einer Pike anstatt der Bischofsmütze und des Stabes. Aus dem Department der Nieder-Charente schrieben die Kommissäre, ihre apostolische Sendung habe den besten Erfolg. Die Protestanten und Katholiken hätten ihre Priester abgeschafft und statt ihrer Moralprediger genommen. An die Stelle der Bilder in den Kirchen habe man die Tafel der Menschenrechte gesetzt, und die Sansculotten wären damit über die Maßen zufrieden. Von Pontoise schrieb man, man mache dort jetzt Freudenfeuer von den Bibeln und Legenden, und die Revolutionsarmee treibe allenthalben, wohin sie komme, die selbernen und goldenen Heiligen zusammen.
Diese Erscheinungen dauerten in der Folge ohne Unterlass fort, und der Konvent erhielt täglich Kelche, Patenen, Ziborien und dergleichen, die ihm unter höhnischen Vorträgen und Lästerungen auf die Religion dargebracht wurden, bis endlich im Barfüßerklub zu Paris der erste förmliche Versuch geschah, die Einkünfte oder Gehälter aller Priester von sämtlichen Sekten einzuziehen. Das Department von Seine und Oisee stellte durch eine Deputation, deren Glieder eine Menge Scherpen, Messgewänder und Stolen auf den Schultern trugen, dem Nationalkonvent den ersten Antrag dazu, mit dem Verlangen, keinen Bischof noch Pfarrer mehr halten zu dürfen. Der Nationalkonvent schritt zur Tagesordnung, mit dem Bedeuten, dass die Bürger in jenem Punkt nach eigenem Belieben handeln könnten.
Am folgenden Tag erschien darauf der Bischof von Paris, der bekannte Gobel, an der Spitze des sämtlichen Klerus und sagte: "Durch den Willen des Volkes wurde ich Bischof. Jetzt, da die Revolution sich ihrem glücklichen Ende nähert, soll es keine andere Verehrung mehr geben als die der Freiheit. Denn so will es das Volk. Ich erkläre also, dass ich von nun an meinen Verrichtungen als Bischof des katholischen Bekenntnisses entsage und in Gemeinschaft mit meinen Vikarien, die sich zu einer gleichen Erklärung entschlossen haben, meine Priesterwürde niederlege. Möge mein Beispiel überall Nachfolger finden!"
Der Präsident wünschte darauf dem Erzbischof Glück zu seinem Sieg über Irrtum und Vorurteil und gab ihm, unter dem laut tönenden Ausruf: "Es lebe die Republik!" den Bruderkuss.
Der berüchtigte Exkapuziner Chabot erklärte, er sei in der herrlichen Sitzung nicht zugegen gewesen. Aber er habe sein Glaubensbekenntnis schon lange abgelegt und die Apostasie schon im Herzen gehabt, als er noch die Kutte getragen. So auch am folgenden Tag der bekannte Abbé Sieyés, den man den Vater der Menschenrechte nennt und der seit dem Anfang der Revolution immer die geheime Triebfeder aller Hauptschläge war. Dieser wünschte dem Konvent Glück zu dem Triumpf der Vernunft und dem Reich der Philosophie. Er erklärte, dass er keine andere Verehrung erkenne als die der Freiheit, keine Religion als Menschlichkeit und Vaterland. Der Bischof von Beauvais, Massieu, schwur ebenfalls der katholischen Religion ab, um sich zur Religion der Freiheit zu bekennen, und setzte hinzu, er gedenke eine junge Republikanerin, die nur an Schönheit und Tugenden reich sei, zu heiraten.
Die sämtliche Sektionen und Klubs von Paris drangen in dieser Sitzung auf ein Dekret, wodurch die Aufhebung der Gehälter der Priester und aller Religionsausübung zum Gesetz gemacht werde. Aber der Nationalkonvent verwies diesen Antrag wieder an den Finanzausschuss, mit dem Auftrag, seinen Bericht darüber zu beschleunigen. Eine Deputation von der Revolutionsarmee brachte das ganze Silbergerät der Kirchen von Senlis und aller Ornate des dortigen Bischofs. Zwei Soldaten dieser Deputation hatten Bischofsmützen auf und waren in Messgewänder gekleidet.
Allein diese Szene war noch nichts im Vergleich mit der, die darauf folgte. Die sämtlichen Konstituierten Autoritäten von Paris und eine grosse Volksmenge, die eben von einem Fest der Vernunft kamen, das in der grossen Kathedralkirche von Paris (die nun der Tempel der Vernunft heißt) gefeiert worden war, defilierten vor dem Nationalkonvent unter Musik und Freiheitsgesängen. In der Mitte einer Gruppe von Mädchen, die mit Blumenkränzen geziert waren, wurde die Göttin der Vernunft, in der Hand eine Pike und bedeckt mit einer roten Mütze, von vier Sansculotten getragen. Diese Göttin war die Bürgerin Aubry, nach anderen die bekannte Maillard, Schauspielerin bei der Nationaloper.
Als der Zug halt machte, nahm der Pariser Gemeindeprokurator Chaumette das Wort: "Heute haben wir der Welt ein grosses Beispiel gegeben. Wir haben im Tempel der Vernunft der Freiheit geopfert und dieser Göttin für die erhabenen Arbeiten des Berges gedankt. Das Volk von Paris hat geschworen, keinen andern Gott mehr anzubeten als die Freiheit, Gleichheit und Vernunft. Seht hier das Bild unserer Gottheit, es ist kein kaltes Sinnbild, kein Werk der Kunst, sondern ein Meisterstück der Natur!"
Nun führte Chaumette die Göttin an die Seite des Präsidenten, wo sämtliche Konventsmitglieder nacheinander sie umarmten. Die Göttin, vollkommen in ihrer Kunst, lächelte jedem entgegen, und mehrere knieten vor ihr nieder, ehe sie zur Umarmung schritten. Die Göttin stellte sich darauf wieder auf ihre Estrade, und sie wurde in den sogenannten Tempel der Vernunft zurückgetragen, wohin der Konvent ihr folgte. Hier nahm sie Platz auf dem Hochaltar, der ehemals den Mysterien der heiligen Religion gewidmet war.
Wir überheben uns der Mühe, das revoltierende Götzenfest in diesem Tempel näher zu beschreiben. Niemand hörte mehr Messe in Paris. Die Kirchen waren, ausser jenem Götzentempel, alle geschlossen und wurden bis auf die Beichtstühle und Bänke ausgeplündert. Die Gebetbücher wurden verbrannt. In den Kinderschulen wurde statt des Katechismus und Evangeliums die Konstitutionsakte eingeführt. Der Rechtschaffene behielt seine Religion im Herzen, übte sie in der Stille aus und tröstete sich damit, dass eine Staatengesellschaft von Atheisten, ein Volk ohne Gesetze und ohne Moralität, unmöglich lange so bestehen kann.