Das Gericht über Jerusalem und das Weltgericht
Fanden wir schon in den bisherigen Reden des göttlichen Meisters häufige Andeutungen von der Zerstörung des Tempels und von den schrecklichen Strafgerichten, welche über die Stadt Jerusalem hereinbrechen würden, so enthält die Unterredung, welche nun Jesus mit den Seinen anhebt, gleichsam eine Sammlung aller dieser Andeutungen und eine vollständige Schilderung vom Gräuel der Verwüstung. Es war am Abend des Dienstags in der Leidenswoche. Christus hatte den Tempel, wo Er den ganzen Tag über die Bosheit und den Unglauben der Juden bekämpft hatte, und die Stadt Jerusalem verlassen, und saß nun, umgeben von seinen Jüngern, auf dem Ölberg, dem Tempel gegenüber. Hier fand jene erschütternde Weissagung von den Strafgerichten über Jerusalem und vom Weltgericht statt, welche alljährlich am letzten Sonntag des Kirchenjahres, sowie beim Beginn desselben, d. h. am ersten Sonntag des Adventes, dem christgläubigen Volke verkündet wird.
1. Bevor wir jedoch diesem schauerlichen Bild der Zerstörung uns zuwenden, führen uns die zwei heiligen Evangelisten Markus und Lukas ein anderes, gar liebliches Bild zur Betrachtung vor: das Opfer der armen Witwe im Tempel.
"Und Jesus saß dem Opferkasten gegenüber, schaute hin und sah, wie das Volk Geld in den Opferkasten warf. Und viele Reiche warfen ihre Gaben reichlich hinein. Da sah Er aber auch eine arme Witwe kommen, die zwei Heller hineinwarf, das ist ein Pfennig. Und Er rief seine Jünger zusammen, und sprach zu ihnen: Wahrlich sage ich euch, dass diese arme Witwe mehr hineingeworfen hat als Alle, die etwas in den Opferkasten geworfen haben. Denn Alle haben von dem, was sie im Überflusse besaßen, hineingeworfen; diese aber warf von ihrer Armut Alles hinein, was sie hatte, ihren ganzen Lebensunterhalt."
Die Spenden, welche man dem Opferkasten im Tempel anvertraute, waren zum Unterhalt der Priester, des Gottesdienstes und der Armen bestimmt; und wie es noch heutzutage ein frommer uns sehr heilsamer Gebrauch ist, als Zeichen der Dankbarkeit für die Gnade des Gottesdienstes, je nach Vermögen, ein Opfer in den Gotteskasten zu werfen, so pflegten auch die Juden, so oft sie den Tempel in Jerusalem besuchten, ein Geldopfer darzubringen.
Sehr löblich ist es, wenn vornehme Leute in solcher oder ähnlicher Weise Almosen spenden. Denn was zu gottesdienstlichen Zwecken oder zur Unterstützung der Armen geopfert wird, das nimmt Christus in Wahrheit so an, als wenn es Ihm persönlich geopfert würde. Und für alle Menschen aller Zeiten gilt die Versicherung des frommen Tobias, dass "Almosen von Sünde und Tod erlöst, und die Seele nicht in die Finsternis kommen lässt." Wenn demnach der Reiche, um Gotteswillen und in demütiger Bescheidenheit sich eines Teiles seines Vermögens zum Wohl der Kirche oder der Armen entäußert, so ist das immerhin eine löbliche und heilsame Tat. Wir sagen: um Gotteswillen und in demütiger Bescheidenheit! Mancher gibt reichliche Spenden - damit die Welt seine Grossmut bewundere, und seine Freigebigkeit ihm Ansehen und Zutrauen verschaffe. Ach, von all diesen Spenden wird kein Heller ins Buch der ewigen Vergeltung eingetragen, und am Gerichtstag wird der selbstsüchtige Geber das Wort hören: "Du hast deinen Lohn schon empfangen." Andere gibt es, die bereitwillig und gutherzig ihre Liebessteuer entrichten; dabei aber fällt ihnen niemals ein, das Almosen im Hinblick auf Gott, aus Liebe zu Chrstus zu geben: sie spenden und opfern fast gedankenlos, nur weil die Not des Mitmenschen ihr natürliches Mitleid weckt. Wie schade für die Gaben solch gutherziger Menschenfreunde! Allerdings wird der himmlische Vater ihr Werk nicht unbelohnt lassen; aber für die Ewigkeit hat es keinen Wert, weil es nicht für Gott vollbracht worden ist. Drum möge der Reiche, damit sein Opfer kostbar und wohlgefällig sei vor dem Herrn, es im Hinblick auf Ihm und aus Liebe zu Ihm darbringen; dann wird ihm, nebst dem zeitlichen Lohn, auch der ewige nicht entgehen.
Wie viel löblicher und rührender ist aber die Opferspende des Armen selbst! Der Taglöhner, der von seinem kärglichen Lohn wöchentlich noch ein namhaftes Kirchenopfer oder ein Almosen sich erübrigt; die Dienstmagd, welche, der Dürftigkeit ihres eigenen Gewandes nicht achtend, sich freut, aus ihren Ersparnissen die Kirchen zu schmücken und die Armen zu kleiden; das unschuldige Kind, das sich glücklich fühlt, seine Sparpfennige statt für Putz und Naschereien zu verwenden, um Jesu willen in die Hände eines Bettlers zu legen: - wahrlich, ein erhabenes, herzergehendes Schauspiel! Ein Schauspiel, würdig jener glorreichen Tage des Urchristentums, wo ein heiliger Papst Clemens den Armen zurufen durfte: "Und besitzt du kein Vermögen, woraus du Almosen geben könntest, so faste und teile die Speise, welche dir allein bestimmt war, mit den Heiligen." O glückselig solche Armen, denn wahrlich: ihrer ist das Himmelreich!
2. "Und Jesus begab sich aus dem Tempel und ging fort. Da traten seine Jünger zu Ihm, um Ihm die Tempelgebäude zu zeigen. Und als Einige vom Tempel sagten, wie er mit schönen Steinen und Geschenken geziert sei, Einer aber von den Jüngern zu Ihm sprach: Sieh doch, o Meister, welche Steine und welche Gebäude - da antwortete Jesus und sprach zu ihm: Siehst du alle diese großen Gebäude? Wahrlich sage ich euch: Es werden Tage kommen, wo von Allem, was ihr hier sehet, kein Stein auf dem andern gelassen wird, der nicht zerstört wird."
Die Geschichte bezeugt, wie buchstäblich diese Weissagung Christi, bei der Zerstörung Jerusalems, in Erfüllung ging. Der römische Eroberer Titus hätte den Tempel, als ein Pracht- und Wunderwerk ohne Gleichen gerne erhalten; deshalb ließ er an seine Soldaten den ausdrücklichen Befehl ergehen, bei der Plünderung und Verwüstung der Stadt den Tempel zu verschonen. Des ungeachtet warf ein Soldat einen Feuerbrand in denselben, und der Kampf um den Tempel herum war so wütend, dass man nicht löschen konnte. - Dreihundert Jahre später wollte der römische Kaiser Julian, der Abtrünnige, sowohl die Prophezeiung Daniels - dass die Verwüstung des Tempels bis ans Ende der Welt dauern werde, als auch die Weissagung Christi zu Schanden machen, und verkündete den Juden im ganzen römischen Reich: die Zeit der Wiederherstellung ihres Tempels sei gekommen, und es werde der Kaiser selbst, durch Geldmittel und kunstgeübte Werkleute, den Bau unterstützen. Unbeschreiblich war der Jubel der Juden. Von allen Seiten strömten sie herbei, durch reiche Opfergaben das Werk des Kaisers zu fördern. Begeistert gaben die Frauen ihre Schmucksachen und Kostbarkeiten her; ja man sah vornehme Frauen, die mit eigener Hand die Bausteine herbeischleppten. Indessen sah sich die christliche Gemeinde in Jerusalem dem Spott des freudetrunkenen, übermütigen Judenvolk wehrlos preisgegeben. Cyrillus aber, der heilige Bischof dieser Stadt, sah ruhigen Gemütes all den großartigen Vorkehrungen zu, und tröstete die Seinen durch den Hinblick auf die untrügliche Weissagung. Und siehe! Als man bereits die Fundamente gegraben hatte, und den Aufbau der Mauern in Angriff nehmen wollte, da brachen überall Feuerflammen aus der Erde hervor und verzehrten die Bauleute mit sammt ihren Werkzeugen und Zurüstungen; und so oft, auf den Befehl des Kaisers, andere Bauleute sich an die Arbeit wagten, teilten sie alsbald das Schicksal ihrer Vorgänger, so dass die Tempeltrümmer bis auf den heutigen Tag Zeugnis ablegen für die Wahrheit desjenigen, der geweissagt hatte: "Kein Stein wird auf dem andern gelassen werden, der nicht zerstört wird."
3. Die Apostel verbanden in ihrem Geiste die Weissagung, welche sie soeben aus dem Mund des göttlichen Meisters vernommen hatten, mit dessen frühern Aussprüchen über die Zerstörung Jerusalems, über das Weltende und über das jüngste Gericht, und bildeten sich ein, diese drei Ereignisse würden gleichzeitig zusammentreffen. Neugierig fragen sie desahalb den Meister, wann dies Alles stattfinden und welches die Vorboten dieser Ereignisse sein werden? der Herr, in ihre Auffassungsweise eingehend, gibt ihnen zunächst über die Zeichen, welche sowohl der Zerstörung Jerusalems als dem Weltende vorangehen werden, Aufschluss; dann erst bespricht Er im Einzelnen die Strafgerichte über die gottesmörderische Stadt, und schließt mit der Beschreibung des Weltgerichtes. Doch hören wir die evangelische Erzählung.
"Als aber Jesus auf dem Ölberg sich niedergesetzt hatte, dem Tempel gegenüber, da traten die Jünger heimlich zu Ihm, und es fragten Ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas insbesondere und sprachen: Meister, sag uns, wann dies geschehen, und welches das Zeichen von deiner Ankunft und vom Weltende und von der Erfüllung aller dieser Dinge sein wird? Und Jesus antwortete und fing an, zu ihnen zu sprechen: Sehet zu, dass euch Niemand irre führe! Denn es werden Viele unter meinem Namen kommen und sagen: Ich bin Christus, und die Zeit ist gekommen. Und sie werden Viele verführen. Aber ihr, gehet ihnen nicht nach! Wenn ihr aber von Schlachten, von Empörungen und Kriegsgerüchten hören werdet, sehet zu, dass ihr euch nicht verwirren lasset. Dies Alles muss zuvor geschehen; aber noch ist das Ende nicht alsogleich da. Dann - sagte Er ihnen - wird Volk wider Volk und Reich wider Reich aufstehen, und es werden große Erdbeben hier und dort sein, Seuchen und Hungersnot,Schrecken vom Himmel und große Zeichen. Dies Alles ist aber nur der Anfang der Nöten."
"Sehet aber auf euch selbst! Denn vor all diesem werden sie Hand an euch legen und euch verfolgen, indem ihr an die Ratsversammlungen, an die Synagogen und Gefängnisse überliefert, in den Synagogen geschlagen, und vor Statthalter und Könige gestellt werdet um meines Namens willen. Das wird euch und ihnen zum Zeugnisse geschehen. So nehmet nun zu Herzen, wenn sie euch hinschleppen und überliefern, dass ihr euch nicht zuvor besinnet, wie ihr antworten wollt; sondern was euch eingegeben wird in jener Stunde, das redet. Denn Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher eure Widersacher nicht werden widerstehen noch widersprechen können. Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern der heilige Geist. Es wird aber der Bruder den Bruder zum Tode überliefern, und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich erheben wider die Eltern und sie ums Leben bringen. Der Trübsal werdet ihr preisgegeben werden von Eltern und von Brüdern und von Verwandten und von Freunden, und sie werden Einige aus euch töten. Ihr werdet allen Völkern verhasst sein um meines Namens willen; aber kein Haar von euerm Haupte wird verloren gehen. Und dann werden Viele Ärgerniss nehmen, und einander verraten und Hass wider einander tragen. Und es werden Viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhand nimmt, wird die Liebe bei Vielen erkalten. Wer aber ausharret bis ans Ende, der wird selig werden. In euerer Geduld werdet ihr euere Seelen besitzen. Und vorerst muss dieses Evangelium vom Reiche in der ganzen Welt, allen Völkern zum Zeugnisse, gepredigt werden - und alsdann wird das Ende kommen."
Wie schon gesagt, schildert der Herr in diesen Worten Beides zugleich: die Anzeichen der Strafgerichte über Jerusalem sowohl, als die Vorboten des großen Weltgerichtes am Ende der Tage. Solcher Anzeichen und Vorboten werden sechserlei aufgezählt.
Erstens werden Betrüger und Schwärmer aufstehen, die sich für den verheißenen Messias ausgeben, und durch arglistige Reden und Blendwerke Viele verführen werden. Die Apostelgeschichte sowohl als der jüdische Geschichtsschreiber Josephus bestätigen die Weissagung. So erhob sich bald nach dem Tod Christi ein gewisser Theudas an den Ufern des Jordan; hierauf zu Jerusalem selbst ein Jude aus Ägypten, der sich einen Anhang von 4000 Männern erwarb, mit welchen er in die Wüste zog; der Sohn des galiläischen Empörers Judas, Menahem genannt, der sich im Jahre 66 zum König von Jerusalem aufwarf. Der Bekannteste unter diesen Betrügern ist aber Simon, der Magier, der nicht nur im Judenland, sondern sogar in Rom durch seine verruchten Künste Anhänger sammelte, und sich das Wort Gottes und den Verheißenen nannte. - Das waren die Vorboten vom Untergang Jerusalems. Aber auch am Ende der Tage, vor dem großen Weltgericht werden falsche Christi erscheinen, die, in Folge unergründlicher Zulassung Gottes, mit Hilfe Satans, auffallende Wunderzeichen vollbringen werden, so dass selbst die Auserwählten, wenn´s möglich wäre, von ihnen betört werden müßten. Doch alle diese Betrüger werden nur die Vorläufer sein vom Verruchtesten, vom Antichrist selbst, d. h. vom Widerchrist, von welchem der heilige Apostel Paulus im zweiten Brief an die Tessalonicher schrieb: "Zuvor muss kommen der Abfall (d. h. der große, allgemeine Abfall von Gott), und offenbar werden der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, der sich widersetzt und sich erhebt über Alles, was Gott heißt oder göttlich verehrt wird, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich für Gott ausgibt. Diesen Bösewicht wird der Herr Jesus töten mit dem Hauch seines Mundes, und zunichte machen durch den Glanz seiner Ankunft, ihn, dessen Ankunft geschieht gemäss der Wirkung des Satans mit allerlei Kraft, Zeichen und falschen Wundern, und mit allerlei Verführung zur Bosheit für die, welche verloren gehen, darum, weil sie die Liebe der Wahrheit nicht angenommen haben, um selig zu werden. Darum wird Gott den Irrtum auf sie wirksam sein lassen, so dass sie der Lüge glauben."
Zweitens wird in den Tagen vor der Zerstörung Jerusalems viel Redens sein von "Schlachten, Empörungen und Kriegsgerüchten; Volk wird wider Volk und Reich wider Reich aufstehen." Das erfüllte sich buchstäblich nach dem Tod Christi. Allerwärts erhoben sich die Völkerschaften wider die, unter ihnen wohnenden Juden und ermordeten sie - so in Alexandrien, Cäsarea, Ptolomais, Tyrus und andern Ortschaften. Ihrerseits aber empörte sich bald dieser, bald jener jüdische Landesteil wider die Herrschaft der Römer, und die letzten dreißig Jahre vor der Zerstörung Jerusalems waren fortlaufende Kämpfe der Samariter, Syrer und Römer wider die Juden und die Galiläer. - In noch größerem Massstab wird solches stattfinden vor dem Weltgericht, wie schon in den Tagen des Königs Asa, neun Jahrhunderte vor Christus, der Prophet Azarias geweissagt hat: "Es werden aber viele Tage vergehen in Israel ohne den wahren Gott und ohne lehrende Priester und ohne Gesetz. Zu der Zeit wird kein Frieden, sondern es wird Schrecken sein überall bei allen Einwohnern der Länder; denn Volk wird streiten wider Volk, und Stadt wider Stadt, weil der Herr sie verwirren wird mit aller Bedrängnis."
Drittens weissagt der göttliche Lehrmeister Seuchen, Hungersnot und Erdbeben als die Vorboten vom nahen Fall Jerusalems. Seuchen und Hungersnot, als die gewöhnlichen Folgen des Krieges, hängen mit den soeben besprochenen Kriegen auf´s Innigste zusammen. Und wirklich berichtet auch die Apostelgeschichte von "einer großen Hungersnot über dem ganzen Erdkreis, welche zur Zeit des Claudius entstand", d. h. im zwölften Jahr nach Christi Tod, und von welcher insbesondere Palästina heimgesucht wurde. Desgleichen fanden zur Zeit der Kaiser Claudius und Nero viele Erdbeben statt, namentlich in Kleinasien. - Ähnliche, aber viel schrecklichere und allgemeinere Erderschütterungen, Pestseuchen und Hungersnöte werden dem Weltgericht vorangehen. "Heulet - so ruft der Prophet Isaias - denn nahe ist der Tag des Herrn! Krampf und Wehe ergreifen die Menschen, wie eine Gebärende leiden sie, mit Entsetzen sieht Einer den Andern an, glühend sind ihre Gesichter. Siehe, der Tag des Herrn kommt, grausam, zornerfüllt und grimmig, um zu verwandeln das Land in eine Wüste."
Viertens sollen, nach der Weissagung Christi, "Schrecken vom Himmel und große Zeichen" die Zerstörung Jerusalems verkünden. Auch dies erwahrte sich, und der schon erwähnte jüdische Geschichtschreiber Josephus erzählt von einer schwertähnlichen Lichterscheinung, die während eines ganzen Jahres über Jerusalem sichtbar war; dann von einem wundersamen Lichtglanz, welcher am Osterfest, ein Jahr vor dem Ausbruch des großen jüdischen Krieges, Tempel und Altar umschwebte, und eine halbe Stunde lang die Nacht taghell erleuchtete; von Kriegswagen und Schlachtheeren, die man wenige Tage vor diesem Osterfest, in den Lüften erblickte. - Von den Himmelszeichen aber, welche die Vorboten des Weltgerichtes sein werden, weissagte schon der Prophet Ezechiel: "Dann will Ich die Himmel bewegen und die Erde von ihrer Stätte verrücken, weil gekommen ist der Tag des grimmigen Zornes. Die Sterne und die Riesen des Himmels lassen ihr Licht nicht leuchten, die Sonne geht finster auf, und nimmer erglänzt der Schein des Mondes."
Fünftens redet der Heiland von der schrecklichen Christenverfolgung, welche der Zerstörung Jerusalems vorangehen wird. Wie blutig war diese Weissagung bestätigt! Mit teuflischem Hass warf sich Juden- und Heidentum auf die Sendboten und Anhänger des Gekreuzigten; wütende Feinde und falsche Freunde, List und Gewalt, Spott und Folterqual, Feuer und Schwert: Alles hatte sich zum Untergang des Christentums verschworen. Und siehe, zwei Jahre nach dem Tod des Wüterichs Nero sank Jerusalem in Trümmer! - Am Ende der Tage aber, zur Zeit des Antichrists, wird jener ingrimmige Hass, mit welchem dereinst das Heiden- und Judentum gegen die Christen gewütet hatte, in furchtbarer Kraft sich erneuern.
Christus bezeugt, dass Jerusalem erst dann wird zerstört werden, wenn "dieses Evangelium vom Reich in der gsnzen Welt, allen Völkern zum Zeugnis gepredigt worden ist." Vorerst muss das neue Gottesreich in Christo unter Juden und Römern, unter Griechen und Barbaren begründet sein; dann fällt das jüdische Heiligtum in Trümmer. Also geschah es! Denn schon der heilige Paulus konnte, sieben oder acht Jahre vor dem Fall Jerusalems, im Brief an die Colosser bezeugen, dass "das Evangelium in der ganzen Schöpfung unter dem Himmel verkündet worden, und zu der ganzen Welt gekommen ist, Früchte bringt und zunimmt." - Diese Weissagung gilt, und zwar noch viel buchstäblicher und großartiger, von den letzten Zeiten vor dem Weltgericht, wo dann auf dem ganzen Erdboden keine einzige Nation mehr sein wird, welche das Evangelium vom Reich nicht vernommen hätte. (Persönliche Anmerkung: wir erinnern uns - Papst Johannes Paul II. hat verkündet, dass nun das Evangelium der ganzen Welt verkündet worden ist.)
4. Nachdem der Herr solchermaßen die Frage seiner Jünger nach den Vorboten der Zerstörung Jerusalems und des Weltgerichtes beantwortet hatte, begann Er, von der wirklichen Zerstörung Jerusalems zu reden:
"Wenn ihr aber sehen werdet, dass Jerusalem von einem Heer rings belagert ist, dann wisset, dass dessen Verwüstung nahe ist. Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, welcher vom Prophet Daniel vorhergesagt worden, stehen sehet am heiligen Ort, wo er nicht stehen sollte - wer das liest, der verstehe es wohl - dann fliehe, wer in Judäa ist, entweiche, und wer in anderen Gegenden ist, gehe nicht in jene hinein. Und wer auf dem Dach ist, steige nicht ins Haus hinab, und gehe auch nicht hinein, um etwas aus seinem Haus zu holen. Und wer auf dem Felde ist, der kehre nicht zurück, sein Kleid zu holen."
"Denn das sind die Tage der Rache, damit Alles erfüllt werde, was geschrieben steht. Wehe aber den Schwangeren und Säugenden in jenen Tagen. Bittet aber, dass euere Flucht nicht im Winter oder am Sabbat geschehe. Denn in jenen Tagen wird eine große Drangsal im Lande sein, und ein Zorngericht über dieses Volk - Drangsale, dergleichen von Anfang der Schöpfung, die Gott erschaffen hat, nicht gewesen sind bis jetzt, noch fürderhin sein werden. Und sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Völker, und Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden bis die Zeiten der Völker erfüllt sein werden. Und wenn der Herr diese Tage nicht abkürzte, so würde kein Mensch gerettet; aber wegen der Auserkorenen, die Er erwählt hat, werden jene Tage abgekürzt werden."
"Wenn dann Jemand zu euch sagt: Siehe, hier ist Christus, siehe, dort - so glaubt es nicht. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen, und Zeichen und große Wunder tun, so dass auch die Auserwählten, wenn es möglich wäre, in Irrtum geführt würden. Nehmt euch also in Acht! Sehet, Ich habe euch Alles vorhergesagt. Wenn sie euch also sagen: Siehe, Er ist in der Wüste, so gehet nicht hinaus - siehe, Er ist in den Kammern, so glaubt es nicht. Denn gleichwie der Blitz vom Aufgang ausgeht, und bis zum Untergang leuchtet: ebenso wird es auch mit der Ankunft des Menschensohnes sein. Wo immer ein Aas ist, da versammeln sich die Adler."
Die Geschichte der Zerstörung Jerusalems bezeugt, wie buchstäblich die Weissagung Christi in Erfüllung gegangen! Während der Belagerung im Jahre 70 erreichte die Hungersnot, die Pest und die gegenseitige Wut der verschiedenen Parteien in der unglücklichen Stadt einen solchen Grad, dass bei 600 000 Leichen Verhungerter, Erschlagener oder an der pestartigen Krankheiten Verstorbener über die Stadtmauern hinausgeworfen wurden, während über 500 000 teils bei den Ausfällen, teils bei der Erstürmung ums Leben kamen, und gegen 100 000 teils öffentlich versteigert, teils in die Bergwerke oder zur Fütterung der wilden Tiere im Zirkus nach Rom geschleppt wurden.
Der Heiland hatte aber nicht nur die einmalige Zerstörung der Stadt, sondern auch den bleibenden Fluch über dem jüdischen Volk bis zu seiner Bekehrung am Ende der Tage, dass Zerstretenwerden und Zertretenbleiben Jerusalems geweissagt. Auch das erwahrte sich durch alle Jahrhunderte bis auf unsere Tage. Als die Juden in Palästina, 60 Jahre nach dem Untergang ihrer Hauptstadt, sich abermals wider die Römer empörten, wurden ihrer 580 000 hingemordet; und fortan durften die Juden alljährlich nur einmal, und zwar gegen eine Abgabe, die Trümmer Jerusalems betreten, um darauf zu weinen.
So zerstreuten sie sich in alle Welt, wurden und blieben aber unter den verschiedenen Völkern der stete Gegenstand des Misstrauens und der Abneigung, oft des glühensten Hasses. Selbst die Kirchenväter drückten sich mit großer Bitterkeit gegen das gottesmörderische Volk aus; ja der heilige Ambrosius nannte das bloße Reden mit ihnen eine Befleckung des Christen. Nicht ohne Grund! Denn immer und immer wieder regte sich ihr alter, eingewurzelter Ingrimm gegen die Christen, und der gleiche Heilige bezeugt, wie sie zur Zeit Kaiser Julians, des Abtrünnigen, zahlreiche christliche Kirchen in Brand gesteckt hatten. Daher, unter der Herrschaft Theodorichs, des Großen, die schreckliche Volksrache wider die Juden, die Zerstörung ihrer Synagogen, die Judenmetzeleien in Rom, Ravenna und andern italienischen Städten.
Im Mittelalter, wo die Geldleihgeschäfte noch vielfach als Wucher verachtet und verboten waren, brachten die Juden dieses Geschäft und den Handel überhaupt großenteil in ihre Hände, und gelangten hiedurch, sowie als Ärzte, zu Macht und Einfluss. Aber der Fluch, den einst ihre Voreltern über sich und ihre Kinder herabgerufen, offenbarte sich immer und immer wieder. Bald des Kindermordes, bald der Hostienschändung, bald der Brunnenvergiftung angeklagt, wurden sie zu wiederholten Malen die Opfer der Volksrache, so zu Straßburg, Zürich, Bern, Basel, Speier, Köln, Nürnberg, Würzburg usw., wo das Volk sie, Schuldige und Unschuldige, oft zu Hunderttausenden, verbrannte, ersäufte, erschlug.
So sind und bleiben die Juden Fremdlinge unter den Völkern. Den Straßenräuber Barabbas haben sie einst Christo vorgezogen, und darum - o fürchterliches Strafgericht der ewigen Gerechtigkeit! - ist auch das Schicksal eines Straßenräubers das ihrige geworden: in ihrem frühern Wohnsitz der Gräuel der Verwüstung, Verfolgung von allen Seiten, unstete Wanderung durch die weite Welt und das unauslöschliche Kennzeichen auf dem Antlitz.
5. Unmittelbar an die Weissagung vom Untergang Jerusalems knüpft der Heiland, obschon Jahrtausende dazwischen liegen, die Schilderung vom Untergang der Welt. Vor Gott sind ja, nach dem Wort des Psalmisten, tausend Jahre wie ein Tag, und beide Ereignisse gehören insofern zusammen, als im Strafgericht über Jerusalem das schauerlichste Vorbild der göttlichen Strafgerechtigkeit am jüngsten Tage erkannt werden muss.
"Sogleich nach der Trübsal jener Tage werden Zeichen sein an der Sonne, am Mond und an den Sternen. Die Sonne wird verfinstert werden, und der Mond wird seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen. Und auf Erden wird Angst sein unter den Völkern wegen des ungestümen Rauschens des Meeres und der Fluten, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Erwartung der Dinge, die über den ganzen Erdkreis kommen werden. Denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden."
"Und dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, und dann werden alle Geschlechter der Erde wehklagen. Dann werden sie den Menschensohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und dann wird Er aussenden seine Engel mit der Posaune, mit großem Schalle. Und sie werden seine Auserwählten zusammenbringen von den vier Winden, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels, und von einem Ende des Himmels bis zum andern. Wenn nun dies anfängt zu geschehen, dann schaut empor und erhebt euere Häupter. Denn es naht euere Erlösung."
"Und Er sagte zu ihnen ein Gleichnis: Betrachtet den Feigenbaum und alle Bäume, und merkt das Gleichnis: Wenn der Zweig daran schon zart geworden, und die Blätter gewachsen sind, und wenn sie schon Früchte aus sich herausbringen, dann wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles werden geschehen sehen, so wisset, dass das Reich Gottes nahe vor der Tür ist. Wahrlich sage ich euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies Alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Um jenen Tag aber und die Stunde weiß Niemand, weder die Engel der Himmel, noch der Sohn, nur der Vater allein."
"Wie es aber in den Tagen des Noe war, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Denn wie sie in den Tagen vor der Sündflut aßen und tranken, zur Ehe nahmen und zur Ehe gaben, bis zum Tage, da Noe in die Arche ging, und nicht achtsam waren, bis die Sündflut kam, und Alle hinwegnahm: also wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Dann werden zwei auf dem Felde sein: der Eine wird aufgenommen, der Andere verlassen werden. Zwei werden mahlen an der Mühle: der Eine wird aufgenommen, der Andere verlassen werden."
Aus dieser Weissagung, laut welcher das Weltende "sogleich nach der Trübsal jener Tage", d. h. nach der Zerstörung Jerusalems eintreten wird, schlossen Viele, es müsse das geweissagte schreckliche Ereignis schon nach wenigen Jahren stattfinden. Als aber Jahr um Jahr verging, und die Weissagung unerfüllt blieb, da erhoben sich, (wie schon zur Zeit des heiligen Petrus) boshafte Spötter und höhnten: "Wo ist die Verheißung oder seine Wiederkunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt Alles so, wie es vom Anfang der Schöpfung war!" Allein treffend erwiederte auch schon derselbe Apostelfürst den Verführern, dass vor dem Auge desjenigen, der jene Weissagung getan, "ein Tag wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag sind. Der Herr hält seine Verheißung nicht zurück, wie Einige meinen; Er hat nur Geduld mit euch, und will nicht, dass Jemand verloren gehe, sondern dass sich Alle zur Buße wenden. Es wird aber der Tag des Herrn kommen, wie ein Dieb; da werden die Himmel mit großen Krachen vergehen, die Elemente der Hitze zerschmelzen und die Erde sammt den Werken auf ihr verbrennen. Wir aber erwarten, nach seiner Verheißung, neue Himmel und eine neue Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnt!" - Wie Christus das Weltgericht, so haben auch die alten Propheten in ihren Weissagungen die Ankunft des Messias, sein Leiden und seine Verherrlichung als unmittelbar bevorstehend, ja als schon gegenwärtig geschildert, obschon viele Jahrhunderte dazwischen lagen.
Der göttliche Heiland hat jener Ausdrücke sich absichtlich bedient, um seine Jünger und uns Alle zu heiliger Wachsamkeit und ernster Vorbereitung zu ermahnen, zumal das Geschick, welches an jenem Tag des Schreckens uns treffen wird, schon bei unserer Todesstunde sich entscheidet. Darum bleibt uns auch der Tag und die Stunde des Weltgerichtes verborgen. Freilich ist Beides unserm anbetungswürdigen Erlöser, als dem wesensgleichen Sohne des allwissenden Vaters, wohlbekannt, nicht aber in seiner Stellung als Abgesandter des Vaters; denn als solcher hatte Er nur den Auftrag, uns die Heilswahrheit, nicht aber Tag und Stunde des Weltgerichtes zu verkündigen. Wenn nun der himmlische Vater nicht will, dass wir zum Voraus den Tag und die Stunde des Weltgerichtes kennen: handeln dann Jene, welche durch absonderliche Berechnungen und Wortklauberein zu dieser Erkenntnis gelangen wollen, nicht sehr töricht? Und wäre es nicht viel besser, in Demut den Tag des Herrn abzuwarten, und inzwischen, nach der Mahnung des Apostels, unser Heil in Furcht und Zittern zu wirken?
Dem Weltgericht sollen, wie es der Heiland schon früher angedeutet hatte, furchtbare Erscheinungen im ganzen Weltgebäude, an Sonne, Mond und Sternen sowohl als auf dem Erdenboden, vorausgehen. Die ganze Schöpfung, wie sie dereinst im Sechstagewerk harmonisch sich entwickelt, soll nun aus den Fugen weichen und sozusagen in das Chaos, aus dem sie hervorgegangen, zurücksinken. Denn Sonne, Mond und Sterne hat der Mensch durch seine bösen Werke bei Tag und bei Nacht - das Meer durch Raub und Habsucht - alle Elemente durch Sünde jeglicher Art missbraucht: darum muss dieses Weltall in Trümmer gehen, bevor die herrliche Neuschöpfung stattfindet. Wer beschreibt die Seelenangst, welche bei diesem Anblick die Menschen, die kurz vorher noch so unbekümmert und ungläubig in ihren Sünden dahinlebten, erfassen wird? Eine Ahnung dieser schauerlichen Seelenangst mögen wir bekommen am - Todbette eines verzweifelnden Sünders!
Dem Menschensohn, in seiner furchtbaren Majestät als Weltenrichter, wird in strahlender Verklärung das Zeichen des Kreuzes voranleuchten: - wehe dann über Alle, denen dieses Kreuz dereinst eine Torheit oder ein Ärgernis gewesen!
Die Engel des Himmels begleiten ihren König zum Weltgericht. Wie Posaunenklang, der in der ganzen Schöpfung widerhallt, ertönt es aus ihrem Mund. Es sind dieselben Engel, welche der Herr in seiner preiswürdigen Menschenfreundlichkeit, zum Schutze für Leib und Seele, uns an die Seite gegeben hat. Jetzt rufen diese Engel - in der Kraft des allmächtigen Schöpfers - die Leiber ihrer dereinstigen Pflegbefohlenen aus den Gräbern, und werden im Gericht für oder wider sie Zeugnis ablegen, je nachdem sie bei Lebzeit ihre Einsprechungen befolgt haben oder nicht. - "Und das Meer, so schreibt der heilige Johannes in der geheimen Offenbarung, gab die Toten, die darin waren, und der Tod und das Totenreich gaben ihre Toten, die darin waren. Und ich sah die Toten, Groß und Klein, stehend vor dem Throne. Und die Bücher wurden aufgetan, und wieder ein Buch ward aufgetan, das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet aus dem, was geschrieben war in den Büchern, nach ihren Werken." Der heilige Paulus aber schreibt hierüber sehr lehrreich: "Der Herr selbst wird beim Aufgebot, bei der Stimme des Erzengels und bei der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen, und die Toten, die in Christo sind, werden auferstehen. - Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar Alle auferstehen, aber wir werden nicht Alle (in Herrlichkeit) verwandelt werden. Plötzlich, in einem Augenblick, auf den Schall der letzten Posaune! Denn erschallen wird die Posaune, und die Toten werden unverweslich auferstehen, und wir werden verwandelt werden. Dieses Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dieses Sterbliche anziehen die Unsterblichkeit. Gesät wird ein tierischer Leib, auferstehen wird ein geistiger Leib."
Und ist das ganze Menschengeschlecht zum Weltgericht versammelt, dann wird der Herr in Gerechtigkeit und Heiligkeit das Urteil sprechen, und unwiderruflich für alle Ewigkeit trennen die Guten von den Bösen, trennen Gatten und Gattinnen, trennen Eltern und Kinder, trennen Freunde von ihren Freunden, Genossen von ihren Genossen, um die Guten ewig zu belohnen, die Bösen aber ewig zu bestrafen.
Nach dem Weltgericht aber vollendet sich die Neuschaffung von Himmel und Erde. Denn gleichwie der menschliche Leib im Tod wahrhaft stirbt, aber am Ende der Tage aus Staub und Asche zu neuem, verklärtem Leben aufersteht, so wird auch das Weltall am Gerichtstag im Feuer sich auflösen, aber durch die Kraft des Allmächtigen neugestaltet werden in unaussprechlicher Schönheit und Verklärung. Denn schon König Salomon bezeugt: "Ich sah ein, dass alle Werke, die der Herr gemacht hat, ewig dauern;" was der heilige Gregor, der Große, also erklärt: "Die Werke Gottes vergehen zwar, was ihre jetzige Gestalt anbelangt; ihrer Wesenheit nach dauern sie ohne Ende. Nichts Anderes wird der Herr erschaffen, sondern das Bestehende erneuern, ähnlich der Erde zur Frühlingszeit." Deshalb lehrt der heilige Augustinus, dass alsdann "das verklärte Weltall der verklärten Leibesbeschaffenheit des Menschen entsprechend sein werde." - Diese Neuschöpfung des Weltalls ist schon im Buche des Propheten Isaias geweissagt: "Denn siehe, Ich schaffe neue Himmel und eine neue Erde, und dessen, was vorher war, wird man nicht mehr gedenken, noch wird es in den Sinn kommen. Aber freuen und frohlocken sollet ihr ewiglich über das, was Ich schaffe." Auf diese Weissagung beruft sich der heilige Petrus, wenn er schreibt: "Wir aber erwarten, nach seiner Verheißung, neue Himmel und eine neue Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnet;" wozu der heilige Hieronymus sehr treffend bemerkt: "Es heißt nicht andere Himmel und eine andere Erde, sondern die alten, erneuert in verklärter Umwandlung."
Doch all dies sind hohe Geheimnisse des Glaubens, die zu begreifen der Menschliche Verstand vergeblich sich abmüht - Geheimnisse, in welchen die stolze Wissenschaft nur unlösbare Widersprüche erblickt. Die christliche Seele aber schaut mit unsäglichem Troste und überschwenglicher Wonne in diese Geheimnisse; mitten in den Leiden und Trübsalen, die das Leben mit sich bringt, gedenkt sie jener Herrlichkeit, zu welcher Alle, die hienieden "weinen und wehklagen und Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen", berufen sind; und bleibt ihr auch, so lange sie in diesen Banden des Körpers befangen ist, gar Vieles unklar, so weiß sie, dass überhaupt all unsere Erkenntnis hienieden nur Stückwerk ist, und vertieft sich mit anbetender Ehrfurcht in die Betrachtung jener glorreichen Geheimnisse, welche sankt Johannes in der geheimen Offenbarung also beschreibt: "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich Johannes sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, herabsteigen von Gott aus dem Himmel, zubereitet wie eine Braut für ihren Bräutigam geschmückt ist. Und ich hörte eine starke Stimme vom Throne, die sprach: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen; Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Er, Gott selbst mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen; der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Klage, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und es sprach, der auf dem Throne saß: Siehe, Ich mache Alles neu!"
(entnommen aus: LEBEN JESU, von L. C. Businger, 1873)