Die Einrichtung der Kirche
(entnommen aus: Die Lehre der Kirche, von Prof. Dr. Johannes Peter Junglas, Imprimatur. Coloniae, die 3. novembris 1936. Dr. David, vic. gen.)
Man kann die Lehre von der Kirche in der Apologetik und in der Dogmatik behandeln. Dabei ergeben sich im einzelnen manche Unterschiede im Beweisverfahren und in den Zielen. Die Apologetik ist eine Vernunftswissenschaft, die mit Hilfe der Vernunft und der Geschichte die drei grundlegenden Wahrheiten für die Vernünftigkeit des katholischen Glaubens nachweist: das Dasein Gottes, die Tatsache der Offenbarung und die Stiftung der Kirche. Die Dogmatik ist eine Wissenschaft des Glaubens. Sie fragt, was der Glaube über die Kirche lehrt, und sucht tiefer in das Geheimnis der Kirche einzudringen.
Beide Wissenschaften verfolgen in der Behandlung der Lehre über die Kirche auch verschiedene Ziele. Die Apologetik untersucht die ältesten Urkunden des Christentums, auch das Neue Testament, genau so, wie man andere geschichtliche Quellen untersucht, und stellt gegenüber dem Freidenkertum fest, daß es nicht der Wille Christi ist, daß jeder Mensch in religiös-sittlichen Dingen nur sich selbst befragt. Christus hat vielmehr eine Kirche gegründet und jeden einzelnen an sie gewiesen, um hier die Wahrheit und die Gnade zu empfangen und zur ewigen Seligkeit geführt zu werden. Gegenüber der konfessionellen Spaltung der Gegenwart beweist sie dann, daß von allen kirchenähnlichen Gebilden in der Welt nur die katholische Kirche die wahre Stiftung Christi ist. Sie weist darauf hin, daß nur sie jene Kennzeichen besitzt, die Christus seiner Kirche geschenkt hat: Sie ist einig, heilig, katholisch und apostolisch. Sie weist ferner darauf hin, daß die Kirche für sich den Beweis des Geistes und der Kraft hat. "Sie ist schon an und für sich, namentlich wegen ihrer wunderbaren Ausbreitung, ihrer vorzüglichen Heiligkeit und unerschöpflichen Fruchtbarkeit an allem Guten, wegen ihrer katholischen Einheit und unüberwindlichen Fortdauer ein großartiger und beständiger Beweisgrund für ihre Glaubwürdigkeit und ein unwiderlegliches Zeugnis ihrer göttlichen Sendung. So geschieht es, daß sie, einem unter den Völkern aufgerichteten Wahrzeichen vergleichbar, einerseits diejenigen, welche noch nicht zum Glauben gelangt sind, zu sich einlädt, andererseits ihren eigenen Kindern die Gewißheit gibt, daß der Glaube, den sie bekennen, auf einem unerschütterlichen Grunde beruht" (D. 1794).
Die Dogmatik aber fragt nach der Stellung der Kirche im Heilsplan Gottes. Die Kirche ist ein Heiligungsmittel, sie ist das große, allgemeine Sakrament, das uns die Wahrheit und die Gnade Christi vermittelt. Hier ist deshalb noch zu handeln von der Kirche als der Vermittlerin der Gnaden.
Die Kirche in ihrem dogmatischen Gehalt ist ein Geheimnis des Glaubens. Doch machen die Erklärer des Apostolischen Glaubensbekenntnisses darauf aufmerksam, daß man nicht im gleichen Sinne an die Kirche glauben kann, wie man an den dreieinigen Gott glauben muß. Unter dem Einfluß von Rufin und Augustin lehrt der Römische Katechismus (1, 10. 20): An die drei göttlichen Personen glauben wir so, daß wir auf sie unser ganzes Vertrauen setzen. Den Glauben an die Kirche bekennen wir aber so, daß wir sagen: Ich glaube, daß es eine heilige Kirche gibt, damit so Gott, der Spender der Gnaden, von den geschaffen Dingen geschieden wird. Wir bekennen also, daß alle herrlichen Güter, die uns die Kirche vermittelt, auf Gottes Güte zurückgeführt werden müssen.
1. Wir besitzen keine Lehrentscheidung über das Wesen der Kirche. Es sind nur einzelne Züge der Kirche durch feierliche Lehrverkündigung festgelegt. Eine umfassende Darlegung des Geheimnisses der Kirche durch das unfehlbare Lehramt fehlt noch. Ein entsprechender Entwurf lag im Vatikanischen Konzil vor, aber nur die Lehren von der obersten Regierungsgewalt und von der unfehlbaren Lehrgewalt des Papstes kamen zur Entscheidung. Die Theologen geben deshalb verschiedene Definitionen der Kirche, die aber meist nur eine einzige Seite des Geheimnisses aufgreifen, andere aber nicht berücksichtigen. Früher gebrauchte man das Wort Kirche oft in sehr weitem Sinne. Thomas nennt sie die Gemeinde der Gläubigen und folgt darin Augustin: "Die Kirche ist das über den ganzen Erdkreis zerstreute gläubige Volk." Das wird vom Römischen Katechismus wiederholt. In dieser Beschreibung fehlt alles, was der neutestamentlichen Kirche eigentümlich ist. Die Gemeinde der Gottgläubigen ist so alt wie die Menschheit. Deshalb sprechen auch viele Theologen, die sich diesen Begriff zu eigen machen, von einer Kirche unter dem Naturgesetz in der Zeit von Adam bis Moses, von einer Kirche unter dem geschriebenen Gesetz, die sich auf das Judenvolk beschränkte, und von einer Kirche unter dem Gesetz der Gnade, das ist die neutestamentliche Kirche.
Die Beschreibung der Kirche, die in unsere Volkskatechismen übergegangen ist, beruht im wesentlichen auf der Lehre des großen Theologen Bellarmin: Die Kirche ist die Gemeinschaft der rechtgläubigen Christen auf Erden unter dem römischen Papst und den ihm untergeordneten Bischöfen. Nach Bellarmin tritt man durch die Taufe in die Kirche ein; darum gehören die Heiden usw. nicht zur Kirche. Auch die Irrlehrer, die von dem kirchlichen Glauben abgefallen sind, gehören nicht zu ihr. Nach Bellarmin genügt es, nach außen hin rechtgläubig zu sein, wenn auch ein innerkirchlicher Abfall erfolgt ist. Die geheimen Irrlehrer, die keinen offenen Bruch mit der Kirche vollzogen haben, bleiben nach dieser Lehre Mitglieder der Kirche. Bellarmin verlangt weiter, daß man das Recht besitzt, die heiligen Sakramente zu empfangen. Deshalb sind jene, die der Kirchenbann getroffen hat, nicht mehr Mitglieder der Kirche. Als letzte Forderung verlangt er Gehorsam gegen das Oberhaupt der Kirche. Deshalb sind die Schismatiker, die dem Papst den Gehorsam kündigen, aber im übrigen den rechten Glauben haben, nicht mehr Mitglieder der Kirche. Wohl aber gehören die Sünder, auch die öffentlichen Sünder, zur Kirche, wenn sie auch tote Glieder am Leibe der Kirche sind.
Gegen diese Lehre hat namentlich Suarez mannigfache Einwendungen erhoben. Entsprechend der Definition, daß die Kirche die Zahl der Gläubigen ist, stellt er als einzige Forderung den Besitz des rechten Glaubens auf. Darum gehören nach ihm schon die Katechumenen, die den wahren Glauben angenommen haben, zur Kirche, wenn sie noch nicht getauft sind. Ferner die Schismatiker, wenn auch der Ungehorsam gegen den Papst vorliegt. Denn selbst der Ungehorsam gegen Gott und Christus, wie er sich in schwerer Sünde offenbart, schließt von der Kirche nicht aus. Warum sollte der Ungehorsam gegen den Papst von der Kirche trennen? Nur jene Schismatiker sind also ausgeschlossen, die auch Irrlehrer sind und den wahren Glauben verloren haben. Erst recht gehören nach Suarez die Gebannten zur Kirche, weil sie ja nur für eine bestimmte Zeit von den heiligen Sakramenten ausgeschlossen werden. Strenger als Bellarmin ist er bezüglich der Irrlehrer. Sie sind keinesfalls Mitglieder der Kirche, auch dann nicht, wenn sie nur innerlich abgefallen sind, weil ihnen der Glaube fehlt.
Die heutige Theologie schließt sich an keinen von beiden vollkommen an. Sie lehrt, daß die Gebannten zur Kirche gehören (CJC. 2258). Der Kirchenbann ist nur eine Besserungsstrafe, die den Betroffenen bestimmter Rechte beraubt, aber auf Besserung abzielt. Sie wird deshalb nur auf Zeit verhängt, bis der Sünder seinen Trotz fallen läßt; dann kann er losgesprochen werden (CJC. 2241, 1). Bezüglich der Häretiker ist man zu der strengen Lehre des Suarez übergegangen. So ist nach der Entscheidung Pius´ IX. vom 8. Dezember 1854 (D. 1641) schon von der Einheit der Kirche abgefallen, wer anders in seinem Herzen zu denken wagt, als der Papst entschieden hat. Häretiker ist jeder, der nach Empfang der Taufe zwar den christlichen Namen behalten hat, aber hartnäckig eine von der Kirche definierte Glaubenswahrheit leugnet oder freiwillig an ihr zweifelt (CJC. 1323). Trotzdem halten die Theologen daran fest, daß ein Katholik, der nur innerlich zweifelt oder innerlich nicht glaubt, Mitglied der Kirche bleibt, bis er die Irrlehre öffentlich vertritt. Erst durch ein öffentliches Auftreten wird die vom Gesetze verlangte Hartnäckigkeit des Irrlehrers bewiesen.
2. Die Mitglieder der Kirche sind nicht alle gleich. Es gibt Vorsteher und Untergebene. Die Vorsteher haben eine doppelte Gewalt, eine durch die Weihe übertragene priesterliche Gewalt, die sie namentlich befähigt, Christi Fleisch und Blut zu verwandeln, zu opfern und die Sünden nachzulassen oder zu behalten. Das wurde schon gegenüber den Reformatoren auf dem Konzil von Trient erklärt (D. 961). Sie hatten gelehrt, daß alle Gläubigen ohne Unterschied Priester seien und mit gleicher geistlicher Gewalt ausgestattet (D. 960). Die Vorsteher der Kirche haben neben der Weihegewalt auch eine Regierungsgewalt. Die Befugnis, die Kirche zu leiten, wurde von Christus nicht dem gläubigen Volke, sondern dem Papst und den Bischöfen übertragen. Das wurde namentlich durch die Entscheidungen des Vatikanischen Konzils endgültig festgelegt. Die Vorsteher haben ihre Gewalt nicht, wie Kalvin und die ihm verwandte Irrlehre des Jansenismus erklärten, von dem christlichen Volke empfangen, so daß sie nur gewählte Vertreter der christlichen Gemeinde sind, sondern von Christus selbst. Auch das wurde schin in Trient (D. 969) und seitdem wiederholt festgestellt, so auch durch Pius VI. (1794): "Die These, die behauptet, daß die von Gott der Kirche zum Seelenheil verliehene Gewalt sich herleite aus der Gemeinschaft der Gläubigen und von den Gläubigen auf die Vorsteher übertragen werde, ist häretisch" (D. 1502).
In der Tat kennt die Urkirche keine demokratische Gleichheit aller Gläubigen, sondern Vorsteher und Untergebene. Das ganze Neue Testament steht und fällt mit dieser Unterscheidung. Es kennt auch keine Übertragung von geistlichen Rechten und Vollmachten von unten her, vom Volk auf die Vorgesetzten. Die Apostel haben ihre Vollmachten nicht von der Gemeinde, sondern von Jesus Christus. Sie sind Stellvertreter Christi, die sein Werk fortsetzen sollen: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh. 20,21). Christus sendet sie in die Welt kraft eigner göttlicher Vollmacht. Weil ihm alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, darum sollen seine Apostel als Missionare in die Welt gehen, lehren, taufen. Gemeinden gründen und leiten (Matth. 28,18). Christus macht ihre Sache zu der seinigen. "Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich" (Luk. 10,16).
Paulus weiß, daß er nicht im auftrag der Gemeinde predigt, sondern im Auftrag Christi. Er hat von Jesus Christus, unserem Herrn, die Gnade des Apostolates empfangen. Petrus erklärt, daß die Apostel von dem Auferstandenen ihren Auftrag erhalten haben (Apg. 10,42).
Diese Vollmachten sind auf die Nachfolger der Apostel übergegangen. Die Apostel haben vor ihrem Tode an ihrer Stelle Bischöfe durch Handauflegung und Gebet eingesetzt. Paulus und Barnabas stellten in jeder Gemeinde, wo sie gepredigt hatten, Vorsteher auf (Apg. 14,23). Paulus ermahnt die Vorsteher zur Wachsamkeit und betont, daß sie ihr Amt nicht von Menschen, sondern vom Heiligen Geist haben: "Habet acht auf euch und die ganze Herde, über die der Heilige Geist euch zu Bischöfen gesetzt hat, die Kirche Gottes zu regieren" (Apg. 20,28). Die Pastoralbriefe sind voll von Belehrungen über das geistliche Amt. Aber ein Amt, das von Volkes Gnade geschenkt wurde, kennen sie nicht; ebenso wenig ein geistliches Amt, das in seinem Wirken abhängig gemacht wäre von der Zustimmung der Gemeinde oder der weltlichen Gewalt. Solche Vorstellungen sind der alten Kirche vollkommen fremd. Das christliche Volk hatte zwar in den alten Zeiten einen bestimmten Einfluß auf die Auswahl der geistlichen Personen. Keiner wurde Bischof, dem nicht das Volk ein gutes Zeugnis bezüglich seines Vorlebens ausstellte. Aber die Vollmacht des Amtes erhielt der vom Volke Auserwählte von oben, von Gott durch Christus im heiligen Sakrament der Weihe.
Als Gehilfen der Bischöfe erscheinen schon in der Urkirche Priester und Diakonen. Die Priester hatten den Bischöf zu vertreten in allen Anliegen. Es fehlte ihnen bloß die Gewalt, Priester zu weihen. Die Diakonen halfen beim Gottesdienst und betreuten die Armen. In der Heiligen Schrift kommt der Unterschied zwischen Bischof und Priestern noch nicht ganz klar zum Ausdruck. Dieselben Männer heißen bald Älteste oder Presbyter, woraus unser Wort Priester wurde, bald Aufseher oder Episkopen, woaus unser Wort Bischof entstand. In der nachapostolischen Zeit, schon in den Briefen des Bischofs Ignatius (+ 107), ist die Entwicklung vollendet. Hier erscheint die Dreiheit der Vorsteher: Bischöfe, Priester und Diakonen.
3. Damit haben wir die Einrichtung der Kirche noch nicht vollkommen beschrieben. Die Kirche hat eine monarchische Spitze, den Bischof von Rom als Nachfolger des heiligen Petrus. Der Papst hat zwar keine höhere Weihegewalt als der Bischof; denn die Bischofsweihe ist die höchste. Aber er besitzt das höchste Lehr- und Hirtenamt über die ganze Kirche. Über seine unfehlbare Lehrgewalt haben wir schon gesprochen (§ 2). Hier behandeln wir seine oberste Regierungsgewalt, die man den Primat nennt. Die oberste Regierungsgewalt des Papstes wurde von Christus gegründet und von dem Vatikanischen Konzil zu glauben vorgelegt. Das Konzil stellt drei Sätze darüber auf, die sich gegenseitig ergänzen und erst in ihrem Zusammenhang ein vollkommenes Bild der päpstlichen Hirtengewalt ergeben: 1. über den Primat des Petrus, 2. über die Fortdauer des Primates im römischen Papste, 3. über den Inhalt der höchsten Hirtengewalt.
Der erste Satz. Die oberste Regierungsgewalt des heiligen Petrus wird von dem Konzil hergeleitet aus den Worten Jesu. Christus hat dem Petrus verheißen, daß er ihn zum Fundament der Kirche machen werde, daß er ihm die Schlüssel der Kirche oder die Binde- und Lösegewalt anvertrauen werde (Matth. 16,18f.). Nach seiner Auferstehung übertrug er ihm das Hirtenamt mit den Worten: "Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!" (Joh. 21,15 ff.). Es ist richtig, daß nicht alle alten Väter die Worte vom Felsenfundament von der Person des Petrus gedeutet haben. Manche sagten, daß der Glaube des Petrus an die Gottheit Christi oder daß Christus selbst das Fundament der Kirche sei. Aber das kommt daher, daß die Väter bei ihrer Schriftauslegung nicht jedesmal den ganzen Sinn einer Bibelstelle ausschöpften, sondern immer nur das hervorhoben, was im Augenblick bestritten wurde. Das waren in unseren Fällen die Gottheit Christi und seine Heilsbedeutung. Aber gegen ein deutliches Bibelwort darf man sich nicht auf die Auslegung einzelner Väter berufen. Es ist wahrlich deutlich genug gesagt, daß Petrus selbst der Felsen ist, der die Kirche Einheit und Unzerstörbarkeit verleiht, wenn auch der Glaube an Christus oder Christus selbst ebenfalls zu dem unerschütterlichen Fundament der Kirche gehört. Petrus ist eben auch in seiner Stellung als Fundament der Kirche nur Christi Stellvertreter. Auch die Apostel werden gelegentlich das Fundament der Kirche genannt (Eph. 2,20); auch ihnen ist die Binde- und Lösegewalt gegeben (Matth. 18,18). Denn auch ihr Amt mit seinen Vollmachten ist eine Einsetzung Christi; aber die Stellung des Petrus verpflichtet sie, mit Petrus in Gemeinschaft zu bleiben.
Der zweite Satz. Nach göttlichem Rechte sollte das oberste Hirtenamt in der Kirche nicht untergehen, da ja die Kirche für ewige Zeiten gegründet wurde. Sie bedarf nicht nur in ihren Anfängen, sondern auch in ihrem Fortgange des einigenden Oberhauptes. Je mehr sie sich ausbreitet, um so stärker tritt diese Notwendigkeit zutage. Nachfolger des heiligen Petrus sind nur die Bischöfe von Rom. Deshalb finden wir schon in der alten Zeit Zeugnisse für den Vorrang der römischen Kirche über die anderen Apostel-Kirchen. Der heilige Irenäus schreibt, daß mit der Kirche von Rom alle anderen Kirchen wegen ihres höheren Vorranges übereinstimmen müssen. Freilich haben die Päpste ihr göttliches Recht, die ganze Kirche zu regieren, nicht zu allen Zeiten in gleicher Weise ausgeübt. Der heilige Ignatius spricht von dem Vorsitze Roms im Lande der Römer. Tertullian erkennt Rom einen Vorrang zu in den anliegenden Provinzen. Für die östlichen Provinzen hatte das Konzil von Nizäa (can. 6) Alexandrien, Antiochien und Jerusalem die Leitungsgewalt zugesprochen. So erscheint der Papst tatsächlich zunächst nur als der Patriarch des Abendlandes. Den entscheidenden Schritt, auch im ganzen Morgenlande seine Rechte durchzuführen, tat Leo der Große. Die Gegenwirkung blieb nicht aus. Das Konzil von Chalzedon (can. 28) erklärt: "Mit Recht haben die Väter dem Stuhle der alten Roma wegen ihres Charakters als Kaiserstadt seine Vorrechte eingeräumt. Durch dieselbe Rücksicht bewogen, haben die 150 Bischöfe die gleichen Vorrechte auch dem Stuhle von Neu-Rom (Konstantinopel) zuerkannt." Der Papst hat diesen Beschluß nicht angenommen. Seine Nachfolger haben ihre Rechte immer wieder auch im Morgenlande geltend gemacht, was dann schließlich zum Schisma führte. Vorübergehend hat sich die morgenländische Kirche mit der römischen Kirche wieder verbunden auf den Unionskonzilien von Lyon und Florenz und dabei den Primat des Papstes anerkannt, um aber von neuem wieder abzufallen und ihre kirchliche Selbständigkeit an die weltliche Macht zu verlieren. Im Abendlande wurde der Vorrang des Papstes heftig bestritten zur Zeit des großen Schismas, als die Christenheit das traurige Schauspiel erleben mußte, daß Lehrstuhl gegen Lehrstuhl errichtet wurde, daß der Papst und der Gegenpapst sich gegenseitig in den Kirchenbann taten. Damals versuchte das Konzil von Konstanz (1415), die Einheit wiederherzustellen, indem es den Papst unter das allgemeine Konzil stellte. Aber auch dieser Beschluß wurde von den rechtmäßigen Päpsten nicht anerkannt.
Der dritte Satz behandelt den Umfang der päpstlichen Gewalt. Sie wird eine bischöfliche genannt. Was der Bischof in seiner Diözese anordnen kann, das kann der Papst in der ganzen Kirche. Sache des Bischofes ist es, alles zu tun, was für das Seelenheil notwendig und nützlich ist, also im einzelnen: die Sakramente spenden, Gesetze erlassen, über ihre Beobachtung wachen, die Diözese visitieren, das Predigtamt ausüben usw. Der Papst hat dieselben Rechte, nicht nur in Notfällen, sondern als ordentliches Recht. Seine Macht beschränkt sich auch nicht nur darauf, die Bischöfe väterlich zu ermahnen, er kann sie auch im Gewissen zum Gehorsam verpflichten. Die Gewalt wird eine ordentliche genannt. Darunter versteht man eine Gewalt, die mit dem Amte als solchem verbunden ist und deshalb im eignen Namen, nicht in fremdem Auftrag ausgeübt wird. Wenn dem Papste eine solche ordentliche Gewalt über die ganze Kirche eingeräumt wird, dann heißt es praktisch, daß der Papst nicht der Erlaubnis des einzelnen Bischofs bedarf, wenn er in dessen Diözese Amtshandlungen vornehmen will.
Die Gewalt heißt eine unmittelbare, weil sie die Gläubigen trifft, ohne daß irgendeine dazwischenstehende Person ihre Einwirkung hindern könnte. Die päpstlichen Gesetze und verordnungen bedürfen also nicht der Zustimmung des Diözesanbischofs oder der weltlichen Obrigkeit, um für eine Diözese Geltung zu erlangen. Der Papst kann die Katholiken der ganzen Welt unmittelbar binden und verpflichten oder auch von ihren Pflichten entbinden. Auch darf keinem Katholiken verwehrt werden, sich unmittelbar an den Papst zu wenden.
Der französische Bischof Dupanloup beklagte es, daß man in so scharfer Weise die Macht des Papstes herausstellte, ohne von der Tatsache etwas zu sagen, daß die Gewalt des Papstes mannigfach eingeschränkt sei, so durch Staatsverträge, Gewohnheitsrecht, Privilegien einzelner Länder und Diözesen oder auf andere Weise. Man scheine nur das eine zu beabsichtigen, die Macht des Papstes in übertriebener Weise zur Darstellung zu bringen. Er erhielt die Antwort: Es handelt sich in einer dogmatischen Entscheidung nur darum, festzustellen, was nach göttlichem Rechte der Papst vermag. Daß er die wohlerworbenen menschlichen Rechte, die an und für sich aufgehoben werden könnten, aus Billigkeit und Klugheit nicht verletzen werde, müsse man vertrauensvoll von ihm erwarten. Ebensowenig sei zu befürchten, daß er alle Gewalt an sich reißen werde.
4. Papst und Bischöfe. Bei der Erörterung der Frage nach dem Rechte des Papstes wiesen einzelne Bischöfe darauf hin, daß man durch solche Erklärungen das Amt der Bischöfe entleere. Sie seien künftig nun mehr die Generalvikare des Papstes. Um diese Befürchtungen zu zerstreuen, wurde in die Lehre über die Rechte des Papstes ein Abschnitt über die Rechte der Bischöfe aufgenommen (D. 1828). Schon vor aller Erörterung stand fest, daß der Papst das bischöfliche Amt und die bischöfliche Gewalt weder erlaubter- noch gültigerweise beseitigen könne. Denn auch das Bischofsamt ist göttlichen Rechtes genau wie der Primat. Gegenüber der Befürchtung, daß die Bischöfe nur mehr Generalvikare des Papstes seien, wurde bestimmt, daß sie die wirklichen Hirten ihrer Diözesen seien, die in ihren Diözesen ein ordentliches und bischöfliches unmittelbares Amt besäßen. Sie regierten nicht im Auftrage des Papstes, sondern kraft eigenen Rechtes, das sich aus ihrem Amte ergebe. Auch sie sind Nachfolger der Apostel. Auch auf ihnen ist die Kirche aufgebaut; auch sie besitzen die Binde- und Lösegewalt. Der Papst sieht einen Teil seiner Aufgaben gerade darin, die bischöfliche Gewalt zu stärken und sicherzustellen. Gregor der Große wird zitiert: "Dann bin ich in Wahrheit geehrt, wenn dem einzelnen Bischof die geschuldete Ehre nicht entzogen wird." Man dürfe auch nicht sagen, zwei Bischöfe in einer Diözese eien unmöglich; denn es handelt sich nicht um eine Gleichordnung, sondern um eine Unterordnung.
Bei den Erörterungen über die päpstliche Vollmacht wurde auch die Frage geklärt, wie sich die oberste Regierungsgewalt des Konzils zur päpstlichen Gewalt verhalte. Schon in Florenz war entschieden worden: Der Papst ist der Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche, der Lehrer und Vater aller Christen. Ihm ist die volle Regierungsgewalt über die Kirche anvertraut (D. 1826). Diese oberste Gewalt verliert er nicht, wenn er die Bischöfe zu einem Konzil beruft. Dagegen wird durch das Konzil die Gewalt der Bischöfe gesteigert; denn auf dem Konzile haben sie über ihre Diözese hinaus Rechte über die ganze Kirche, nicht gegen den Papst, sondern in Verbindung mit ihm. Es gibt also keinen Gegensatz: Hie Konzil, hie Papst! Das Konzil ohne Papst steht nicht über dem Papste, aber das Konzil in Verbindung mit dem Papste ist das oberste Tribunal. Nur so wird die kirchliche Einheit gewahrt. So haben wir also letzten Endes zwei Träger der obersten Gewalt, den Papst allein und das Konzil in Verbindung mit dem Papste. Bei diesem zweiten Träger ist die Macht des Papstes so überwiegend, daß er sich nicht notwendig der Mehrheit auszuschließen braucht. Er kann die letzte Entscheidung geben, wie immer auch die Mehrheitsverhältnisse liegen.
Es war ein weiter Weg von den einfachen Worten des Evangeliums bis zu der mit allen Mitteln theologisch-juristischen Scharfsinnes ausgeprägten Formulierung des Vatikanischen Konzils. Wer aber schlicht seinen Blick auf das Wesenhafte richtet, wird finden, daß hier wie dort nur eine einzige Wahrheit ausgesprochen wird, nämlich die, daß die Einheit mit dem Römischen Stuhle eine Grundforderung des katholischen Glaubens ist. Wer sich von Rom lossagt, trennt sich von der Kirche Christi.