- Gottes enge Pforte -

Quelle der Freude

   
   
   Die Geschöpfe verursachen uns Freude. Manche Freuden, z. B. die der Freundschaft, sind auserlesen. Es ist nicht verboten, sie zu genießen, denn sie kommen von Gott. Aber achten wir darauf, sie zu Gott zurückzuführen. Lieben wir nichts ohne ihn! Lieben wir nichts außer ihm! Lieben wir alle Wesen, wie er sie liebt! Lieben wir sie in ihm! Die Vereinigung mit Gott macht unsere Freuden rein, sicher und unumschränkt frei.
   Aber diese Freuden sind bloß untergeordnet. Für den Christen ist die Hauptfreude, zu wissen, daß Gott ist. Gott existiert! Der Unendliche, das wesentliche und notwendige Sein, das absolute Sein, Ursache vor allem, die Wahrheit, die Schönheit, die Güte, die Macht, die Heiligkeit, die höchste Reinheit, Gerechtigkeit und Liebe. -
   Gott existiert und nicht bloß das. Er ist ewig, unwandelbar, unendlich. -
   Gott existiert und erkennt sich und liebt sich. Er ist ein Einziger und dreipersönlich: er ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Als Vater ergießt er sein unendliches Wesen in den Sohn, der sein Erkennen und sein Abglanz ist, und beide vollenden sich in der Einheit ihrer gemeinsamen Liebe, dem Hl. Geist, dem wesentlichen und ewigen Ausdruck ihres geheimnisvollen Sichumfangens, ihrer Freude und unendlichen Seligkeit. Vater, Sohn und Heiliger Geist lieben sich mit einer Liebe ohne Maß: sie sind unendlich glücklich, ewig glücklich, unwandelbar glücklich... Und sie laden uns ein, an ihrem Leben ewig teilzunehmen!
   Dies zu wissen, ist für die liebende Seele die Quelle höchster, endloser Freude. Sich darüber freuen, daß Gott Gott ist, sich über die Seligkeit Gottes freuen, ist ein erhabener und heiliger Akt: das ist reine Liebe. Diese Freude reißt die Seele von den Erbärmlichkeiten des armseligen menschlichen Lebens los, um sie über alles hinaus zu erheben und sie in das innere Leben der hhl. Dreifaltigkeit einzuführen, das der hl. Paulus "die Tiefen der Gottheit" nennt. Diese Freude ließ David singen: "Herr, wer dich erschaut, strömt über vor Lust". Sie ist eine der göttlichen Früchte der Gegenwart und des Wirkens des Heiligen Geistes in dem erlösten Geschöpfe. Sie vergöttlicht die Seele.
   Auf diese Freude müssen wir alle andern Freuden zurückführen. Das wird leicht sein, wenn wir uns erinnern, daß alle unsere Freuden nichts anderes sein können als ein Ausstrahlen der unendlichen Freude des Hl. Geistes, "der uns verliehen wurde".
   Die Quelle aller Freude ist in uns: "Wer an mich glaubt, aus dem werden... Ströme lebendigen Wassers fließen. Und der Evangelist fügt hinzu: "Damit meinte er (Jesus) den Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten". Die hl. Taufe hat diese innere Quelle erschlossen. Jede Kommunion erweitert sie. "Eines Stromes Wogendrang erfreut die Stadt Gottes; sein Zelt heiligt der Allerhöchste".
   Die geringste Glaubenswahrheit ist eine Welt der Freude, wo unsere Seele sich stündlich ergötzen kann: "Ihn liebt ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt; an ihn glaubt ihr, obgleich ihr ihn jetzt nicht schaut. Darum werdet ihr mit unaussprechlicher und herrlicher Wonne frohlocken", sagt der Fürst der Apostel. "Du wirst sein wie ein bewässerter Garten, wie eine Wasserquelle, deren Wasser nicht versiegt".
   Es hängt also von uns ab, in der Freude zu leben. Und in welcher Freude! Es gibt wahre reine menschliche Freuden, aber sie berühren nur die Oberfläche der Seele; die göttlichen Freuden aber dringen bis ins Allerinnerste. Ja, die wahre, wesenhafte Freude, jene, die uns wie nichts sonst ergötzen kann, entspringt der Gegenwart des dreieinigen Gottes in uns. Was könnte den Frieden und die Harmonie einer Seele stören, die sich ganz von Göttlichem umgeben und durchdrungen weiß?
   
                                                                                       
   
   Als Abbild Gottes - zart und fein,
   wird geboren jedes Kindelein.
   Benetze uns mit Himmelstau,
   dass wir nicht werden hart und rau.
   Trotz vieler, vieler Erdensorgen,
   lass uns harren auf den Morgen,
   bis wir einst kehren heim zu Dir,
   brauchen wir Deine Gnade hier.
   Zu Deinen heil´gen Sakramenten,
   werden wir uns glücklich wenden.
   Das Abbild erstrahlt in neuen Glanz,
   somit gehören wir Dir wieder ganz.
   
   In der Freude leben
   "Freut euch im Herrn immerdar! Ich wiederhole es: Freut euch!" Gott hat seine Kinder für die Freude erschaffen. Was ist die Erschaffung, was ist die Heiligung anderes als die Hinordnung auf die natürlichen und übernatürliche Glückseligkeit, eine Ausgießung der göttlichen Freude? Was ist die Eucharistie anderes als eine in der Kirche und in jeder Seele fließende, unerschöpfliche Freudenquelle? - Gott will, daß wir in der Freude leben. In seinem hohenpriesterlichen Gebet hat Jesus gefleht: "Nun komme ich zu dir, und dies rede ich, damit meine Freude ihnen in der Welt vollkommen zuteil werde".
   Selbst der Schmerz soll sich in Freude umwandeln und auflösen. Die heilige Seele Christi umfaßte gleichzeitig unendliche Freuden und unendliche Leiden. Mit ihrem untersten Teil war sie in die äußerste Todesnot versenkt; mit ihrem Gipfel ragte sie hinein in den göttlichen Jubel. Aber die Freude überwog jede andere Empfindung; in ihr lösten sich alle seine Leiden und Opfer auf; denn Jesus wußte: je härter diese waren, desto mehr beförderten sie die Ehre Gottes und eine um so größere Erhöhung bereiteten sie seiner hl. Menschheit vor.
   Unsere Seele kann also zu gleicher Zeit traurig und fröhlich sein: traurig in jenem niederen Teil, der sich den Sinnen nähert; fröhlich in jenen Höhen, die allein vom Willen gelenkt werden. Selbst in den grausamsten Stunden herrscht der Schmerz nicht allein in uns: wir besitzen ja denjenigen, der uns tröstet: "Ich will den Vater bitten, daß er euch einen andern Beistand gebe, der in Ewigkeit in euch bleibe: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann... er wird in euch walten".
   In der Freude bleiben, heißt im Heiligen Geist bleiben. Erinnern wir uns daran, daß uns die Kommunion in denjenigen versenkt hat, den die heilige Katharina von Siena "den Ozean des Friedens" zu nennen liebt. "O ewiger Gott," rief sie aus, "du bist ein friedvoller Ozean, worin die Seelen leben und ihren Durst stillen. Sie finden daselbst ihre Ruhe in der Vereinigung der Liebe."
   Die Freude ist ein Gott zu erweisender Kult. Sie ist ein Meßinstrument der Seele: sie zeigt den Grad ihrer Liebe an. In beständiger Prüfung und Verfolgung hört die Kirche, das erhabene Vorbild der Seele, nicht auf, sich zu freuen. Ihre Liturgie ist an jedem neu erstehenden Tag ein Fest. Sie zählt ihre Tage nach Festen; sie schreitet durch Schmerz, aber mit zum Himmel erhobenem Auge und indem sie die Vollkommenheit und die Liebe des Bräutigams besingt. Sie lebt in der Freude, in freier, starker, heiterer Freude, der Frucht der Liebe.
   Der Christ ist ein Sämann der Freude. Deshalb vollbringt er große Dinge. Die Freude ist eine der unwiderstehlichsten Mächte der Welt. Sie beruhigt, sie entwaffnet, sie erobert, sie reißt mit sich fort. Die frohe Seele ist ein Apostel: sie zieht die Menschen zu Gott, indem sie den Menschen zeigt, was die Gegenwart Gottes in ihr vermag. Deshalb gibt uns der Hl. Geist den Rat: "Seid nicht traurig, denn die Freude im Herrn ist eure Stärke".
   
   Vervollkommnung der Vereinigung
   Die auf den Stand der heiligmachenden Gnade gegründete Vereinigung mit Gott hat sehr verschiedene Grade. Auf der Leiter der Vollkommenheit sind diese Grade geradezu unübersehbar. Die Kommunion am Morgen versetzt uns in jene Liebesvereinigung, deren Beschreibung im Vorstehenden versucht wurde. Doch ach! Diese Vereinigung kann gelockert werden. Aber ebenso kann sie auch unaufhörlich vollkommener werden. Die Anstrengung des Christen ist sehr wohl imstande, die eucharistische Vereinigung inniger zu gestalten und zu vervollkommnen. Ein wirksames Mittel ist die Wiederholung der Akte des Verlangens und der Liebe.
   
                                                                                           
   
   Wiederholung der Akte des Verlangens
   Daniel erhielt Kenntnis vom Geheimnis Christi, weil er ein Mann des Verlangens war. Eine Seele, die nach Jesus verlangt, muß notwendig in die Kenntnis und in das Verkosten seiner Geheimnisse eindringen.
   Das Verlangen entfernt die Hindernisse; es öffnet die Pforten der Seele, für die das herrliche Wort der Geheimen Offenbarung Wirklichkeit wird: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemenad meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem gehe ich hinein und halte mit ihm Mahl und er mit mir".
   Das Verlangen erweitert die Seele und paßt sie dem ersehnten Gegenstande an; es paßt sie also sozusagen Gott an. Der himmlische Vater geruhte, der heiligen Katharina von Siena zu versichern: "Keine Tugend kann dir das ewige Leben verdienen, wenn du mir auf eine endliche Art Art dienst, denn ich, der unendliche Gott will, daß man mir auf unendlicher Art dient; doch du hast nichts Unendliches als das Verlangen und den Schwung deiner Seele. Aber dieses Verlangen hat wie alle anderen Tugenden nur Wert durch den Gekreuzigten, meinen einzigen Sohn."
   Es ist sehr nützlich, in der Seele das Verlangen nach der heiligen Kommunion zu erwecken. "Die vollkommene Übung der Liebe", sagt Bossuet, "ist der unaufhörliche Wunsch, Jesus Christus zu empfangen. Der Tisch ist bereit: die Gäste fehlen; doch du, o Jesus rufest sie."
   
                                                                                                
   
   Das Leben vieler Heiligen ist ein großes und glühendes Streben ihrer Seele nach der eucharistischen Vereinigung gewesen. Der heilige Ignatius der Martyrer schrieb an die Römer: "Ich wünsche nicht die Freuden dieser Welt; sondern ich verlange nach dem Brot Gottes, dem Brot des Himmels, dem Brot des Lebens, dem Fleische Jesu Christi, des Sohnes des lebendigen Gottes. Ich verlange heiß danach, mich mit jenem Trank zu berauschen, der sein Blut ist und der in uns eine unwandelbare Liebe anfacht, da er uns das Unterpfand des ewigen Lebens gibt."
   Die hl. Katharina von Siena seufzte Tag und Nacht nach der hl. Kommunion. In der Morgendämmerung eilte sie zur Kirche, von ihrem Verlangen förmlich getragen, dessen Glut ihren zerrütteten Körper bewegte. "Mein Vater, mich hungert", sagte sie zu dem sel. Raimund, um ihm ihr Verlangen nach der heiligen Kommunion auszudrücken; "um der Liebe Gottes willen gebt meiner Seele ihre Nahrung!"
   Die heilige Margareta Maria sagte: "Mein Herz fühlt sich von dem Verlangen verzehrt, Gott zu lieben, und dies gibt mir ein unersättliches Verlangen nach der heiligen Kommunion und nach Leiden... An einem Karfreitag war ich von dem glühenden Wunsch erfüllt, unseren Herrn zu empfangen, ich sagte zu ihm unter Tränen: 'Ich will mich verzehren dadurch, daß ich nach dir verlange und dich an diesem Tag nich besitzen kann; ich höre nicht auf, nach dir zu verlangen.' Er tröstete mich mit seiner süßen Gegenwart und sagte zu mir: 'Meine Tochter, dein Wunsch ist mir so zu Herzen gegangen, daß wenn ich das Sakrament der Liebe nicht eingesetzt hätte, ich es jetzt tun würde, um deine Speise zu sein. Ich habe eine solche Freude daran, so ersehnt zu werden, daß ich, sooft ein Herz diesen Wunsch hegt, es ebensooft voll Liebe ansehe, um es an mich zu ziehen.' "
   Im Tabernakel scheint sich Jesus aufzuhalten, wie er ehedem unter der Säulenvorhalle des Tempels stand und der Menge zurief: "Wenn einen dürstet, so kommt er zu mir und trinke!", oder er scheint die Einladung der göttlichen Weisheit zu erneuern: "Kommt her zu mir alle, die ihr meiner begehrt, und sättigt euch!"
   Erwecken wir also in uns immer häufiger, immer glühender werdendes Verlangen! Unsere Seele sei immer nach der Eucharistie gerichtet! Leben wir im Zustande des Verlangens wie der Psalmist: "Ich tue meinen Mund auf und atme lechzend". Dieser Durst nach dem Göttlichen ist eine der kostbarsten Gnaden, die Gott durch seinen Propheten versprechen ließ: "Siehe, es kommen die Tage..., da ich Hunger über das Land senden werde; nicht Hunger nach Brot, noch Durst nach Wasser, sondern Hunger, das Wort des Herrn zu hören".
   Bis wie weit darf sich unser Verlangen erschwingen? Können wir nach den verborgenen Geheimnissen der göttlichen Vereinigung streben?
   Ja, vorausgesetzt, daß unser Wunsch demütig und dem göttlichen Willen freudig unterworfen bleibe.
   Ohne Zweifel wäre es ein dummer Stolz und es hieße, sich schlimmen Täuschungen hingeben, außergewöhnliche Gunstbezeugungen zu wünschen, wie Offenbarungen, Visionen u.s.w. Aber die möglichst enge Vereinigung unserer Seele mit Gott zu wünschen, ist recht und heiligend. "Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes", ruft die Braut im Hohen Liede aus. Und sie spricht im Namen aller erlösten und durch die Gnade geheiligten Seelen, die sich nach jenem glücklichen Zustande sehnen, wo die Seele, die "dem Herrn anhängt, ein Geist mit ihm ist". 
   Wer wird aus dem armen Erdreich unserer Seele solch heilige und kühne Wünsche hervorsprossen lassen?
   Der Heilige Geist. Er lenkt unsere Seele zu Gott. "Denn wir wissen nicht, um was wir bitten sollen... Da tritt der Geist selbst für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern". Auch ist es ein ausgezeichnetes Mittel zur Belebung unserer Wünsche, die Worte der Heiligen Schrift zu Hilfe zu nehmen, durch die sooft das Seufzen nach Gott ausgedrückt worden ist: "Wie der Hirsch verlangt nach Wasserquellen, so verlangt meine Seele nach dir, o Gott.
   Meine Seele dürstet nach Gott, dem starken, dem lebendigen...
   Nach dir dürstet meine Seele.
   Wie sehr schmachtet nach dir mein Leib im wüsten, weg- und wasserlosen Lande!"
   
   
   
   Wiederholung der Akte der Liebe
   Der heilige Johannes schrieb: "Gott ist die Liebe". Man kann ebenfalls sagen: "Jesus ist die Liebe", und man könnte hinzufügen: der Christ ist die Liebe.
   Das Leben des Wortes im Schoße der hhl. Dreifaltigkeit besteht darin, den Vater zu lieben, und alles, was es von ihm empfängt, zu ihm, dem Ursprung, zurückströmen zu lassen.
   Und auch hienieden war sein Leben die Liebe. Das Wort ist aus Liebe zum Vater Fleisch geworden, um ihn uns zu offenbaren und uns für ihn zu gewinnen. Die Liebe hat ihn Mensch werden lassen, die Liebe hat ihn ans Kreuz genagelt. Der letzte Grund seiner Geheimnisse, seiner Arbeiten, seiner Leiden ist die Liebe zum Vater.
   Dieselbe Liebe ließ Jesus die Gestalt des Brotes annehmen und hält ihn in der Verborgenheit des Tabernakels. Was tut er in dem undurchdringlichen Schweigen der Hostie? Vor allem liebt er den Vater.
   Der Kommunizierende wird sich bestreben, wie Jesus zu leben: er wird also Gott lieben. Er wird ihn so lieben, wie es das erste Gebot verlangt, das alle anderen in sich schließt: von ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus allen seinen Kräften.
   Natürlich ist es der menschlichen Schwäche nicht möglich, beständig formelle Liebesakte zu erwecken. Aber wenigstens können wir sie mit der Gnade Gottes derart vervielfältigen, daß sie die Akte der anderen Tugenden beherrschen und einen immer bestimmenderen und durchgreifenderen Einfluß auf unser Leben gewinnen
   Es ist also leicht, einen Liebesakt zu erwecken! Ein Aufschwung des Herzens genügt. Die demütigste Handlung, das keinste Opfer können sich in Liebe verwandeln. "Alles, was aus Liebe geschieht, ist Liebe", sagt der heilige Franz von Sales, "die Arbeit, die Ermüdung, ja der Tod ist Liebe, wenn man ihn aus Liebe erduldet." Und dennoch sagt P. Lacordaire, "ist die Liebe Gottes der höchste Akt der Seele und das Meisterwerk des Menschen."
   "Der kleinste Akt reiner Liebe", bemerkt der heilige Johannes von Kreuz, "hat in den Augen Gottes mehr Wert und ist der Kirche nützlicher als alle anderen Werke zusammengenommen." "Nichts in der Welt ist so wirklich und wesenhaft als die Liebe Gottes. Im Vergleich mit dieser großen Wirklichkeit ist alles übrige nur ein Trugbild; alles ist leer und ohne Sinn und vergeht bald. Ein Akt der Liebe ist vollkommen: ihre Wirkungen sind mächtiger, ihre Folgen wichtiger als die Wirkung und Folgen jedes anderen Aktes. Selbst der Tod kann ihr an Größe nicht gleichkommen. Und doch, was braucht es, um einen Akt der Liebe zustande zu bringen? Einen Blick des Herzens, der mit der Schnelligkeit des Blitzes zum Himmel gelangt. Solche Akte lassen sich zahllos inmitten der scheinbar zerstreuendsten Beschäftigungen machen. Nicht schwächer werden sie durch die Wiederholung; vielmehr schöpfen sie daraus neue Stärke, unbekannte Kraft. Und dabei erfordern sie keine Anstrengung; es wird uns sogar eine Freude, sie hervorzubringen" (Faber)
   "Derjenige, der glühend nach der Liebe verlangt," sagt der heilige Franz von Sales, "wird bald mit Glut lieben." Hören wir also niemals zu lieben auf. "Hätte ich tausend Herzen, um zu lieben," rief die hl. Margareta Maria aus, "sie würden nicht zuviel sein." Der heilige Paulus sagt uns, daß "die Liebe die Erfüllung des Gesetzes ist". Wie die Liebe Gottes vermocht hat, sich für das Geschöpf hinzugeben, so läßt sie das Geschöpf sich Gott hingeben und vollendet ihre Vereinigung. "Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm".
   "Es ist von großer Wichtigkeit", sagt der hl. Johannes von Kreuz, "daß die Seele sich viel in der Liebe übt, damit sie, da sie sich rasch vollendet, hienieden nicht aufhält, sondern bald dazu kommt, Gott zu schauen. Die anhaltende Übung der Liebe ist eine große Sache. Die zur Vollkommenheit und zur Vollendung der Liebe gelangte Seele kann weder in diesem noch im anderen Leben lange sein, ohne Gott zu schauen."
   
   Die unsichtbaren göttlichen Sendungen
   Das ist eine Wahrheit, die die Seele zu endlosem Verlangen befähigen und zur unersättlichsten Liebe veranlassen kann.
   Die Theologie spricht von unsichtbaren göttlichen Sendungen, einem der tiefsten Geheimnisse der Religion. Es sind neue Ausgießungen Gottes: neues Licht, das das Wort unserer Erkenntnis mitteilt und wachsende Liebeseindrücke, womit der Hl. Geist unseren Willen formt. Sie sind ein Widerschein und gleichsam eine Fortsetzung der ewigen Ausgänge des Sohnes und des Hl. Geistes.
   Jedesmal, wenn eine Seele durch ihren Eifer und ihre Großmut einen neuen Fortschritt in der Liebe Gottes macht und eine neue Gnade verdient, sendet der Vater in diese Seele das Wort und den Heiligen Geist, die ihr ein neues Anrecht auf die innige, göttliche Vertraulichkeit geben. Und da die drei göttlichen Personen unzertrennlich sind, kommt der Vater, ohne gesandt zu sein. Sie überfluten die Seele mit einer neuen Lebensausströmung; eine neue, persönlichere, stärkere, innigere Berührung findet statt als im vorhergehenden Augenblick.
   Dieses anbetungswürdige Geheimnis kann sich in jedem Augenblick neu vollziehen. Jedem Wachsen der Liebe entspricht die unsichtbare Einkehr der drei göttlichen Personen. Und wenn die Seele in jeder Minute einen Akt vollbringt, der die Liebe vermehrt, strömt die allerheiligste Dreifaltigkeit von neuem in sie mit neuen Fluten des Lichtes und der Liebe. 
   O christliche Seele, wenn du die Gabe Gottes erkenntest!
   (entnommen aus: Durch die Eucharistie zur Dreifaltigkeit, von M. Vincent Bernadot O.P. Imprimatur 15. März 1927)
     

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