Die Bergpredigt
Kapitel 5
V. 1 Als er die Scharen sah, stieg er auf den Berg, und nachdem er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm
V. 2 und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
V. 1, 2. Jesus hatte auf dem Berge (wahrscheinlich dem heutigen "Berg der Seligkeiten" in der Nähe von Kapharnaum) die Nacht im Gebete zugebracht. Als er morgens beim Herabsteigen die grossen Scharen Volkes sah, die versammelt waren, um ihn zu hören, stieg er wieder eine Stufe hinauf und setzte sich auf einem ebenen Platze des Berges nieder. Von dieser natürlichen Kanzel aus hält er an die Tausende, die ihn umgeben, Apostel und Jünger, Juden und Heiden, die sogenannte Bergpredigt. Als zweiter Moses verkündigt er die Verfassung des Neuen Bundes. Gegenüber den irrigen Ansichten der Juden vom Reiche des Messias erklärt er feierlich und ausführlich, was sie von ihm zu erwarten haben. Die ganze Rede Jesu ist mild und barmherzig im Gegensatze zu dem Gesetze des Alten Bundes, das unter Blitz und Donner vom Sinai herab verkündigt worden war.
V. 3 Selig, die arm sind in ihrem Geist, denn ihrer ist das Himmelreich.
V. 4 Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
V. 5 Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.
V. 6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.
V. 7 Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden.
V. 8 Selig, die rein sind im Herzen, denn sie werden Gott schauen.
V. 9 Selig die Friedenstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
V. 10 Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.
Vers 3-10. Die Erwerbung des Bürgerrechtes im Messianischen Reiche.
Allgemeine Anforderungen. - Auf Sinai hieß es "Du sollst"; der Heiland beginnt mit dem Ausruf: "Selig, d.h. glückselig". Er knüpft damit an die allgemeine Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Seligkeit an und beantwortet im besonderen die Frage: Wirst Du uns die verheissene Seligkeit bringen? Die Seligkeit des Himmelreiches wird als gegenwärtiger Besitz und zukünftiges Erbe nur denen zuteil, die ihren Sinn ändern. Was Jesus will von seinen Jüngern, ist das Losgeschältsein, nicht nur von allem Äusseren, sondern auch von sich selbst, geduldiges Ertragen des Nächsten, aufrichtiges Leid über die innere Dürftigkeit und ernstliches Ringen nach Gottgefälligkeit. Weiter sollen sich die Früchte dieser Sinnesänderung zeigen durch Mitleid mit dem leiblichen und geistigen Elend des Mitmenschen, dadurch, dass man sich rein hält von den Befleckungen der Welt, durch Trachten nach Einigkeit und Frieden, endlich durch Bereitwilligkeit, um Gottes willen Schmach und Verfolgung zu leiden.
V. 3. Wenn jemand recht tief seine geistige Armut und Hilfsbedürftigkeit fühlt, der ergreift freudig die Gnade von oben. Glaube und Liebe und Hoffnung ziehen dann in sein Herz ein und machen es reich. - Der demütige Schüler Jesu ist auch "im Geiste" überzeugt von der Armseligkeit der irdischen Güter. Ist er bedürftig, so wird er geduldig seine Armut tragen und dem armen Heiland nachfolgen; ist er reich, so wird er gern von seinen Gütern opfern und "sie besitzen, als besäße er sie nicht". Diesen Armen gehört das Himmelreich mit seinen ewigen Gütern.
V. 4. Den Israeliten war als Lohn ihrer Treue gegen Gott der ungestörte Besitz des gelobten Landes und damit eine Fülle des Glückes zugesichert. Das gesegnete Land Kanaan war aber zugleich ein Sinnbild des Messiasreiches im Diesseits und Jenseits. In diesem Sinne verheisst der Herr den Sanftmütigen, sie würden als kostbares Erbe das Land (Erdreich) der Verheissung besitzen. Nicht im Zorne der Waffengewalt wird sich sein Reich verbreiten, sondern durch Sanftmut will Christus die Welt erobern und herrschen von Meer zu Meer.
V. 5. Diese Seligpreisung ruht auf einer alttestamentlichen Verheissung: "Der Geist des Herrn ist über mir, frohe Botschaft zu bringen den Sanften, zu heilen die zerknirschten Herzen, den Gefangenen Befreiung zu verkünden und den Eingeschlossenen Erlösung; auszurufen ein Jahr der Gnade, zu trösten alle Trauernden und zu geben den Trauernden Sions eine Krone statt der Asche, Freudenöl statt der Trauer, Feierkleider statt des Geistes der Trübsal" (Isaias 61,1-3). Im Sinne dieser Stelle versteht der Heiland unter Trauernden alle Leidtragenden, auch die, welchen das Sündenelend zu Herzen geht. Ihre Tränen wird "der Trost Israels" trocknen. Der Trost hat begonnen mit der Geburt Jesu, setzt sich fort in seiner Kirche, welche die Vollzahl der Trostmittel spendet, und findet seine Vollendung im Reiche der himmlischen Freude, "wo Gott abwischen wird jegliche Träne von ihren Augen, und der Tod nicht mehr sein wird, nicht Trauer, noch Klage, noch Pein."
V. 6. Es wird in Erfüllung gehen, was Gott beim Propheten Jeremias für die Zeit des Messias verheissen hat: "Ich labe die ermattete Seele, und jegliche hungernde Seele sättige ich." Nicht bloß das heiße Verlangen des Sünders nach Rechtfertigung, sondern auch die Sehnsucht des Gerechten nach höherer Vollkommenheit wird gestillt. Eine volle Sättigung wird freilich erst im Himmel eintreten, wo die Bürger des Messianischen Reiches, angetan mit dem hochzeitlichen Kleide der Gerechtigkeit, zu Tische sitzen werden bei der Hochzeit des Lammes.
V. 7. Wer leiblich oder geistlich seinem Mitmenschen Erbarmen und Liebe erweist, wird desselben Erbarmens am Tage der Vergeltung teilhaftig werden.
V. 8. Wessen Herz rein ist von jeder sündhaften Neigung, besonders von Fleischessünde, der wird einst Gott von Angesicht zu Angesicht schauen, d.h. in die vertrauteste Gemeinschaft mit Gott treten und auch schon hiernieder seine beseligende Nähe verkosten. Die schönste Blüte dieses lauteren, ungeteilt Gott zugewandten Sinnes entfaltet sich in den keuschen, jungfräulichen Seelen; sie bilden die nächste und seligste Gefolgschaft des göttlichen Lammes.
V. 9. Die Friedfertigen haben in sich Frieden mit Gott und bemühen sich, nicht allein Frieden zu halten mit allen, sondern auch Frieden zu stiften zwischen den Feindseligen. So prägen sie das Bild des Friedensfürsten in sich aus, indem sie sich erniedrigen und demütigen um des Friedens willen, und werden darum in vorzüglichem Sinne Kinder und Erben Gottes sein in der künftigen Verklärung.
V. 10. Erst das macht den Christen wahrhaft gross vor Gott, wenn er für das, was Lohn verdiente, geduldig Verfolgung leidet. Grosses tun ist edel; Grosses leiden um Gottes willen ist vollkommen.
V. 11 Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und lügnerisch alles Böse gegen euch sagen um meinetwillen.
V. 12 Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn ist gross im Himmel. Ebenso nämlich haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch waren.
V. 13 Ihr seid das Salz der Erde. Ist das Salz schal geworden, womit soll man es salzen? Es taugt zu nichts weiter, als dass es hinausgeworfen und zertreten wird von den Menschen.
V. 14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann eine Stadt nicht verborgen bleiben, die droben auf dem Berg liegt.
V. 15. Auch zündet man nicht eine Lampe an und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit sie allen leuchtet, die im Hause sind.
V. 16 So leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie euer gutes Wirken sehen und euren Vater preisen, der im Himmel ist.
Vers 11-16. Das Apostolat.
Von den zukünftigen Vorstehern seines Reiches verlangt der Herr dreierlei: freudige Standhaftigkeit bei religiösen Verfolgungen, unermüdliche Ausspendung der Heilsgnaden und eifrige Verkündung des Evangeliums in der ganzen Welt.
V. 11. Die Verfolgung muss ungerecht sein und die Apostel um Christi (der Gerechtigkeit) willen treffen,
V. 12. dann werden sie den herrlichen Lohn der grossen Propheten des Alten Bundes erhalten.
V. 13. "Salz" sind die Lehrer des Evangeliums für die Welt; sie sind beauftragt und mit himmlischer Kraft dazu ausgerüstet, durch Wort und Beispiel das gesunde, geistige Leben der Menschen zu wecken und kräftig zu durchwirken; sie sollen die Gläubigen vor der Fäulnis der Sünde bewahren und als ein wohlgefälliges Opfer für Gott und die Unsterblichkeit vorbereiten. Wird aber das Salz "schal", d.h. werden die Lehrer feig, taten- und treulos: dann verfallen gerade sie der tiefsten Schmach. "Womit soll es gesalzen werden?" Es gibt kein Salz für Salz und keinen Apostel für Apostel.
V. 14. Ihr seid Sonnen im geistigen Leben der Menschheit.
V. 15. Ohne sich durch Widerspruch mutlos machen zu lassen, müssen die Apostel das von Christus empfangene Licht, die göttliche Wahrheit, den Menschen mitteilen. Derjenige, welcher sein Licht nicht leuchten lässt, sondern aus Menschenfurcht es gleichsam mit einem Scheffel bedeckt, hat zu gewärtigen, dass es zuletzt ganz erlischt.
V. 17 Denkt nicht, ich sei gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen aufzuheben, sondern zu erfüllen.
V. 18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, wird nicht ein einziges Jota oder ein winziges Häkchen vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.
V. 19 Wer daher eines von diesen kleinsten Geboten aufhebt und so die Menschen lehrt, der wird als Kleinster gelten im Himmelreich; wer sich aber im Tun und Lehren an sie hält, wird als Grosser gelten im Himmelreich.
V. 20 Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht viel vollkommener sein wird als die Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht hineinkommen in das Himmelreich.
Vers 17-20. Verhältnis des neuen Gesetzes zum alten.
Jesus verwahrt sich gegen eine mögliche Missdeutung seiner Sendung. Er ist nicht gekommen, das Gesetz und die Propheten, d.h. den ganzen Alten Bund, aufzuheben, sondern ihn zu erfüllen. Was im Alten Bunde als Keim schlummerte, entfaltet sich im Neuen Testament als Blüte und Frucht. Das Sittengesetz reinigte Jesus von Menschensatzungen, beobachtete es in vollkommenster Weise und verdiente seinen Gläubigen die Gnade, es im Geiste und in der Wahrheit zu befolgen. Das bloß vorbildliche Zeremonialgesetz und die Prophezeiungen aber wurden mit dem Erscheinen des Erlösers zur Wahrheit und mussten nun schwinden, wie die Morgenröte schwindet, wenn die strahlende Sonne aufgeht.
V. 18. Das "Strichlein" Jota ist der kleinste Buchstabe des hebräischen Alphabets und der "Punkt" bezeichnet die Häkchen, durch welche gewisse ähnliche Buchstaben unterschieden wurden. Also niemals wird auch das kleinste Tüpfelchen über dem J, niemals auch der geringste Bestandteil des Gesetzes aufhören. Das ganze Gesetz wird in vergeistigter Form im Neuen Bunde fortbestehen, bis mit dem jüngsten Tage seine Erfüllung eintritt.
V. 19. Derjenige Lehrer, welcher auch nur ein Jota bedeutungslos machte und in diesem Sinne lehret, würde der Ehre und Auszeichnung verlustig gehen, welche der treuen apostolischen Tätigkeit im Himmel verheissen ist.
V. 20. Die Schriftgelehrten und Pharisäer hielten zwar das ganze Gesetz, aber nur dem Buchstaben nach.
V. 21 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde zu den Alten: "Du sollst nicht töten!" Wer tötet, wird dem Gericht verfallen sein.
V. 22 Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, wird dem Gericht verfallen sein. Wer zu seinem Bruder sagt: Du Tor! wird dem Hohen Rat verfallen sein; wer sagt: Du Narr! wird der Feuerhölle verfallen sein.
V. 23 Wenn du daher deine Gabe zum Altar bringst und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat,
V. 24. so lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe!
V. 25 Verständige dich mit deinem Gegner ohne Zögern, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist, damit dich nicht der Gegner dem Richter und der Richter dem Gerichtsdiener übergibt und du in den Kerker geworfen wirst.
V. 26 Wahrlich, ich sage dir: Du kommst nicht heraus von dort, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.
Vers 21-48 Die Gerechtigkeit des Neuen Bundes
Gott verbietet nicht bloß Mord und Todschlag, sondern schon Hass und Groll im Herzen.
V. 22. Die Juden hatten zwei Gerichtshöfe: das einfache Gericht (Ortsgericht, Siebenmännergericht) und den Hohen Rat, welcher außerordentliche Fälle behandelte und verschärfte Todesstrafe verhängen konnte. - Gericht und Rat sind hier buchstäblich zu nehmen und bezeichnen nur, dass Gott im Neuen Bunde die Lieblosigkeit strenger bestrafen wird.
V. 23-26. Darum soll der Beleidiger Versöhnung suchen und der Beleidigte sie gewähren. Alles Opfern, jede Religionsübung des Unversöhnlichen ist umsonst und sein Los im Jenseits ein jammervolles. Der Richter ist Gott der Sohn, dem der Vater alles Gericht übertragen hat; die Diener sind die Engel als Vollstrecker des göttlichen Willens; das Gefängnis ist die Hölle, aus der es keine Erlösung gibt. - Die altchristliche Sitte des Friedenskusses bei der hl. Messe steht im Zusammenhange mit V. 24; ebenso auch der schöne Gebrauch, vor Empfang der hl. Sakramente einander um Verzeihung zu bitten.
V. 27 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst nicht ehebrechen!
V. 28 Ich aber sage euch: Ein jeder, der eine Frau anblickt mit begehrlicher Absicht, hat schon die Ehe gebrochen in seinem Herzen.
V. 29 Wenn dir dein rechtes Auge zum Ärgernis wird, so reiß es aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verlorengehe, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde.
V. 30 Wenn dir deine rechte Hand zum Ärgernis wird, so hau sie ab und wirf sie von dir; denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verlorengehe, als dass dein ganzer Leib in die Hölle fahre.
V. 31 Es wurde auch gesagt: "Wer seine Frau entläßt, gebe ihr einen Scheidebrief".
V. 32 Ich aber sage euch: Ein jeder, der seine Frau entläßt - außer achtgelassen, den Grund der Unzucht! -, macht sich zur Ehebrecherin, und wer eine Entlassene heiratet, bricht die Ehe.
V. 28 Wie der Herr soeben den Zorn, den Vater des Mordes, unter schwere Strafe gestellt hat, so hier die Begierde, die Mutter des Ehebruchs.
V. 29 Die Furcht vor der Hölle ist das scharfe Schwert, welches uns Jesus zur Bekämpfung der bösen Begierde in die Hand gibt.
V. 30 Und wenn dir etwas so lieb und unentbehrlich wäre, wie Auge und Hand, so mußt du dich davon trennen, sobald es Dir Anlaß zur Sünde wird.
V. 31, 32 Jesus stellt den Scheidebrief des Mosaischen Gesetzes die ursprünglich von Gott gewollte Unauflöslichkeit der Ehe entgegen. Nur für den Fall des Ehebruchs läßt der Herr eine Trennung zu, allein keine Trennung des Ehebandes selbst, sondern nur eine Entfernung aus der ehelichen Lebensgemeinschaft, d.h. die später sogenannte Scheidung von Tisch und Bett, welche auch vom Apostel ausdrücklich erwähnt wird: "Denen aber, welche ehelich verbunden sind, gebiete nicht ich, sondern der Herr, dass die Frau von dem Manne sich nicht trenne: wenn sie sich aber getrennt hat, bleibe sie unvermählt oder versöhne sich wieder mit dem Manne."
V. 33 Wiederum habt ihr gehört, dass gesagt wurde zu den Alten: "Du sollst nicht falsch schwören"; "Du sollst dem Herrn deine Schwüre halten".
V. 34 Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, auch nicht beim Himmel, denn er ist "der Thron Gottes",
V. 35 auch nicht bei der Erde, denn sie ist "der Schemel seiner Füße", auch nicht bei Jerusalem, denn es ist "die Stadt des großen Königs".
V. 36 Auch nicht bei deinem Haupt sollst du schwören, weil du nicht ein einziges Haar weiß machen kannst oder schwarz.
V. 37 Es sei euer Jawort ein Ja, euer Nein ein Nein. Was darüber hinausgeht, ist vom Bösen.
V. 33-37 Im Reiche Christi soll eine solche Redlichkeit und Wahrhaftigkeit herrschen, dass die einfache Bejahung oder Verneinung genügt. Das Schwören ist wohl an sich nicht böse, vielmehr ein Bekenntnis Gottes als des Allwissenden und Allwahrhaftigen; allein die traurige Notwendigkeit, den Eid zu dulden, kommt vom Bösen, d.h. von der in der Welt noch herrschenden Lüge, und wird dereinst im vollendeten Messiasreiche wegfallen. An Dir, o Christ, am Mangel Deiner Wahrhaftigkeit soll es nie liegen, dass man einen Eid fordert. Ein Mann, ein Wort!
V. 38 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: "Auge um Auge, Zahn um Zahn".
V. 39 Ich aber sage euch: Streitet nicht mit dem Bösen, sondern wer dich auf deine rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin!
V. 40 Und wer dich vor Gericht bringen und deinen Leibrock nehmen will, dem lass auch deinen Mantel!
V. 41 Und wer dich nötigt zu einer einzigen Meile, mit dem gehe zwei!
V. 42 Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab!
V 38-42 Das Wiedervergeltungsrecht, das die Obrigkeit für die Verwaltung der Rechtspflege besitzt, darf nicht auf das Privatleben ausgedehnt werden. Die angeführten Beispiele sind nicht buchstäblich zu verstehen und bedeuten: In einem solchen Grade sollt Ihr von Geduld, Sanftmut und aufopfernder Selbstverleugnung erfüllt sein, dass Ihr, sofern nicht Gottes Ehre, Eures Beleidigers und der Gesamtheit Wohl ein Anderes fordert, lieber doppeltes Unrecht leidet, als Unrecht tut.
V. 43 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: "Du sollst deinen Nächsten lieben" und deinen Feind hassen.
V. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde (tut Gutes denen, die euch hassen,) und betet für sie, die euch verfolgen (und verleumden),
V. 45 auf dass ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.
V. 46 Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner das gleiche?
V. 47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die Heiden das gleiche?
V. 48 Seid also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!
V 43-48 Jesus bestreitet zunächst, dass man, wie die Pharisäer, aus der Stelle 4. Moses 19,18: "Du sollst Dich nicht rächen und nichts nachtragen den Kindern deines Volkes, sondern Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst!" folgern dürfe: Unter dem Nächsten sei nur der Volks- und Religionsgenosse zu verstehen, der Fremde und Nichtjude aber sei zu hassen. Dann befiehlt er uns, keinen Unterschied zu machen zwischen den Menschen, ja als Kinder des allgütigen Gottes selbst unsere Feinde zu lieben. Die Liebe eines Christen soll erhabener und uneigennütziger sein, als die der Zöllner, der verachteten römischen Steuerpächter. Immer wird die Feindesliebe die schönste Blüte des christlichen Geistes bleiben und so weit wird es jemand in der Vollkommenheit überhaupt bringen, als er es in der ungeheuchelten Liebe zu seinen Feinden bringt.
Kapitel 6
V. 1 Gebt acht, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen tut, um euch ihnen zur Schau zu stellen; sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
Vers 1-18. Die wahre Gerechtigkeitsübung
V. 1 All unsere Gerchtigkeit, d.h. alle guten Werke sind nur dann wertvoll vor Gottes Augen und haben einen Lohn im Jenseits zu erwarten, wenn wir sie in guter Meinung, d.h. um Gottes willen, zu seiner Ehre und aus Liebe zu ihm verrichten. Wer bloß Menschenlob sucht, verzichtet damit auf himmlische Anerkennung.
V. 2 Wenn du daher Almosen gibst, so posaune nicht vor dir her, wie die Heuchler in den Synagogen und auf den Straßen tun, damit sie gepriesen werden von den Menschen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn empfangen.
V. 3 Wenn aber du Almosen gibst, so soll deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut,
V. 4 damit dein Almosen im Verborgenen sei; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
V. 2-4 So fern allem Aufsehen, so rein und allein auf Gott gerichtet soll Dein Wille beim Almosengeben sein, dass Du Deine Wohltat auch vor dem verborgen wünschest, der Dir so nahe steht wie die linke Hand der rechten, ja, dass Du sie vor Dir selber verbirgst und Dich in Gedanken nicht selbstgefällig darin bespiegelst. "Tust Du was Gutes, so wirf es ins Meer; sieht es der Fisch nicht, so sieht´s doch der Herr!" Selbstverständlich ist weder das öffentlich gegebene Almosen, noch das öffentliche Gebet an sich Gott mißfällig, sondern nur das Prahlen damit; nicht der Ort und die Art entscheidet für den Wert, sondern die Absicht.
V. 5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler; denn sie stehen gern in den Synagogen und an den Straßenecken und beten, damit sie gesehen werden von den Menschen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn empfangen.
V. 6 Wenn aber du bestest, so "geh in deine Kammer, schließ die Türe zu" und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
V. 7 Wenn ihr aber betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die sich einbilden, dass sie erhört werden, wenn sie viele Worte machen.
V. 8 Werdet daher nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr nötig habt, ehe ihr ihn bittet.
V. 9 So nun sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name.
V. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
V. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute.
V. 12 Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern.
V. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern bewahre uns vor dem Bösen. (Amen)
V. 14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebt, wird auch euch euer himmlischer Vater (eure Vergehen) vergeben.
V. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, wird auch euer Vater eure Verfehlungen nicht vergeben.
Beim Beten vermeide die Schaustellung vor den Menschen und das gedankenlose Wortemachen.
V. 7 Ein vertrauensvoller, innerer Aufblick zu Gott, der von Ewigkeit her mit Wohlwollen auf unsere Bedürfnisse schaut, ist von nun an bereder, als der größte Schall und Schwall heidnischer Gebetsformeln.
V. 8 Trotzdem ist das Gebet notwendig um unseretwillen. Wir gebrauchen Gebetsworte und Formeln nicht, um Gott zu belehren oder zu überreden, sondern um uns selbst recht bewußt zu werden, wie hilfsbedürftig wir sind. Durch Demut und Vertrauen sollen wir uns des erbetenen Gutes erst fähig und würdig machen. Zu diesem Zwecke dürfen wir auch lange und mit Wiederholung der Worte beten. Hiervon sagt der hl. Augustinus: "Ferne sei vom Beten das Vielschwätzen, nicht aber möge fehlen das Vielbitten, wenn der Wille im Eifer verharrt." Der Herr brachte selbst ganze Nächte im Gebet zu und schon die apostolische Kirche verharrte im Gebet.
V. 9-15 Als Muster nun, wie seine Jünger beten sollen, gibt der Heiland eine Gebetsformel an, in welcher Einfalt und Tiefe, Demut und Erhabenheit sich wunderbar durchbringen. Lange Jahre der Übung und Betrachtung erschöpfen nicht diesen Abgrund voller Weisheit und Innigkeit, und jede Gnade der Erleuchtung läßt neue Erkenntnis und neuen Trost darin entdecken. Das "Vater unser" oder "Gebet des Herrn" besteht aus einer Anrede und sieben Bitten, von denen die ersten drei das erflehen, was Gottes Ehre betrifft, die anderen vier, was wir für uns bedürfen.
V. 9 "Vater" nennen wir Gott mit dem Vertrauen und der Ehrfurcht eines Kindes; Vater "unser", um anzudeuten, dass wir als Kinder eines himmlischen Vaters alle untereinander Brüder sind. Bei den Worten "der Du bist im Himmel" erinnern wir uns, dass die Sehnsucht unseres Herzens nach oben gehen soll, wo unser allmächtiger Vater wohnt und wo darum auch unsere Heimat ist. Das erste, um was wir bitten, ist die Verherrlichung Gottes; denn sie ist das höchste und letzte Ziel alles Geschaffenen. "Name Gottes" steht nach alttestamentlichem Ausdruck für das göttliche Wesen mit seinen Vollkommenheiten selbst.
V. 10 Herrsche und siege doch in mir und auf der ganzen Erde! - Im Himmel wird der Wille Gottes vollkommen von den Engeln und Heiligen erfüllt; geschähe das so treu und freudig auch von allen Menschen auf Erden, dann wäre schon die Erde ein Vorhof des Himmels.
V. 11 Wir bitten vertrauensvoll um das zum täglichen Leben Nötige, nicht mehr und nicht weniger, weil Reichtümer sowohl als große Armut ihre eigenen Gefahren für uns haben.
V. 12 Von der leiblichen Hilfsbedürftigkeit soll der Beter übergehen zur geistigen. Wer nicht im Gefühle seiner Sündhaftigkeit vor Gott hintritt, dessen Gebet ist kein demütiges. - Wir dürfen aber keine Nachlassung unserer Schulden von Gott hoffen, wenn wir nicht zuvor unseren Mitmenschen ihre Beleidigungen verziehen haben.
V. 13 Halte alle verführerische Gelegenheit von unserer Schwachheit fern! Wir bitten nicht, dass wir siegen, sondern dass wir nicht einmal in den Kampf kommen, damit wir nicht wieder, wie so oft, besiegt werden. - Wenn die sechste Bitte das Verlangen ausspricht, der Sünde nicht zu unterliegen, so erhebt sich die siebente und letzte Bitte zu der Sehnsucht, von der Macht des Bösen überhaupt, von den Übeln der Seele und des Leibes befreit zu werden. Wir schließen unser Gebet mit dem Wunsche: Amen, d.h. es geschehe, um was wir gebetet haben.
V. 16 Wenn ihr fastet, schaut nicht finster drein wie die Heuchler; denn diese entstellen ihr Gesicht, damit die Menschen sehen, dass sie fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn empfangen.
V. 17 Wenn aber du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht,
V. 18 damit du mit deinem Fasten nicht auffällst vor den Menschen, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
V. 16-18 Durch das Gesetz war Fasten angeordnet als Zeichen der Buße, als Mittel zur Reinigung der Seele und zum Ausdruck tiefer Trauer. Wer freiwillig fastete, kleide sich in Bußgewänder und bestreute Haupt und Antlitz mit Asche. - Christen lassen es sich nicht anmerken, wenn sie fasten; denn Fasten aus Eitelkeit ist Heuchelei.
V. 19 Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie verzehren und wo Diebe einbrechen und stehlen;
V. 20 sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie verzehren und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen.
V. 21 Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.
V. 22 Die Leuchte deines Leibes ist dein Auge; ist nun dein Auge klar, wird dein ganzer Leib im Lichte sein;
V. 23 ist aber dein Auge schlecht, wird dein ganzer Leib im Finstern sein. Wenn darum das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, was mag das für eine Finsternis sein!
V. 24 Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den andern lieben; oder er wird sich dem einen zuneigen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und den Mammon.
V. 25 Darum sage ich euch: Macht euch nicht Sorge für euer Leben, was ihr essen oder trinken, noch für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung?
V. 26 Seht auf die Vögel des Himmels! Sie sähen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Speicher, und euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel wertvoller als sie?
V. 27 Wer unter euch vermag mit seinen Sorgen seinem Lebensweg eine einzige Elle hinzuzufügen?
V. 28 Und was macht ihr euch Sorge um die Kleidung? Betrachtet die Lilien im Felde, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht und spinnen nicht,
V. 29 und doch sage ich euch: Selbst Salomo in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen.
V. 30 Wenn nun Gott das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wieviel mehr euch, ihr Kleingläubigen!
V. 31 Macht euch also nicht Sorge und sagt nicht: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns bekleiden?
V. 32 Denn nach all dem trachten die Heiden. Euer Vater im Himmel, weiß ja, dass ihr all dessen bedürft.
V. 33 Sucht zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch dazugegeben werden.
V. 34 Macht euch daher nicht Sorge für den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Jedem Tag genügt seine Plage.
V. 19-20 Beten, Almosengeben und Fasten in der rechten Absicht sind Schätze für den Himmel und allen irdischen Schätzen vorzuziehen. "Das Gebet mit Fasten und Almosengeben ist besser, als Schätze von Gold aufhäufen."
V. 21 Irdische Schätze heften das Menschenherz mit seinen Neigungen an die Erde, himmlische Schätze erheben es zu Gott; denn das Herz, d.h. das Begehren, Sinnen und Trachten des Menschen ist dahin gerichtet, wo es seinen Schatz, d.h. seine Glückseligkeit weiß.
V. 22-23 Ist dein Auge gesund und einfältig, d.h. klar sehend, so wird dein ganzer Leib erleuchtet sein, dann kann sich der Leib bewegen und arbeiten; wenn aber das Auge schalkhaft, d.h. krank ist, wenn das Augenlicht verlischt, so sind alle Glieder des Leibes im Finstern und in ihrer Tätigkeit gehemmt. Was das Auge für den Körper, ist das Herz für das innere, geistige Leben des Menschen. Das Herz ist die Quelle des geistigen Lebens, aber auch die Ursache des geistigen Todes. Geht schon der leiblich Blinde jämmerlich irre in seiner Finsternis, in welches Elend wird erst der geistig Verblendete fallen!
V. 24 Mammon ist der Götze des Reichtums. Götzendienst und Gottesdienst sind nicht vereinbar. Man darf Geld und Gut besitzen, aber demselben nicht dienen.
V. 25 Wer das Größere (Leib und Leben) gegeben hat, wird auch für das Geringere (Speise und Kleidung) sorgen. Der Heiland verbietet jene kleingläubige Sorge, die beim Ringen um den Lebensunterhalt das Gottvertrauen außer acht lässt. Arbeite, mein Christ, als ob Gott nicht täte, aber vertraue zugleich, als ob Gott alles täte!
V. 26 Wie die Vögel von Gott ernährt werden, indem sie tun, was sie können, im übrigen aber sorglos sind: so tue, was Du kannst, und wirf deine Sorgen auf den Herrn!
V. 27 Das ängstliche Sorgen ist nicht nur unnötig, sondern auch unnütz. Niemand hat mit all seinen Mitteln seiner Leibeslänge (richtiger: seiner Lebenslänge, seinem Lebensfaden) eine Elle zugesetzt oder sein Leben eine Minute länger gefristet als Gott es wollte.
V. 30 Wegen Holzmangels bedienen sich die Morgenländer dürrer Pflanzen zum Heizen der Backöfen.
V. 32 Die Heiden, welche nicht an einen lebendigen und allwissenden Gott glauben, können ängstlich besorgt sein um das Zeitliche, nicht aber der Christ, welcher weiß, dass Gott unser Vater ist.
V. 33 Trachtet vor allem nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, damit Ihr als würdige Bürger in das Reich Gottes eintreten könnt; dann wird der Herr Euch zu dem kostbaren, ewigen Lohn auch sicher den geringeren, zeitlichen als "Zugabe" verleihen.
V. 34 Nicht das weise Sparen und pflichtmäßige Sorgen für die Zukunft mißbilligt der Herr, aber er will vor nutzlosem Vorgreifen und Überbürden des laufenden Tages warnen.
Kapitel 7
V. 1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.
V. 2 Denn mit dem Urteil, mit dem ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit dem Mass, mit dem ihr messt, wird euch gemessen werden.
V. 3 Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, und den Balken in deinem Auge beachtest du nicht?
V. 4 Oder wie kannst du deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge ziehen, und siehe, in deinem Auge ist der Balken?
V. 5 Du Heuchler! Zieh erst den Balken aus deinem Auge, und dann sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!
V. 1-5 Wirf dich nicht unbefugterweise zum Richter auf! Siehe nach den Fehlern anderer erst dann, wenn du die bessernde Hand ans eigene Herz angelegt und die nötige Demut und Weisheit gelernt hast.
V. 6 Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht vor die Schweine, denn sie könnten sie zusammentreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.
V. 6 Der Herr warnt nicht bloß vor einem lieblosen Eifer, sondern auch vor einem unklugen Eifer. - Die im Orient als unrein verachteten Hunde und Schweine sind ein Bild von Menschen, die wegen niedriger, boshafter und schmutziger Gesinnung keinerlei Verständnis und Empfänglichkeit für das Heilige und die Perlen (die erhabenen Glaubens- und Gnadengeheimnisse des Christentums) haben. Diese Menschen als das anzusehen, was sie offenkundig sind, ist kein unerlaubtes Splitterrichten; vielmehr wäre es ebenso gefährlich als töricht, wollten Christi Jünger in großmütiger Liebe ihnen das Heilige und die Perlen anvertrauen. Die verkommenen Empfänger würden die kostbaren geistigen Schätze mit Füßen treten, d.h. daran ihren Mutwillen auslassen und die Spender selber beschimpfen.
V. 7 Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgetan werden!
V. 8 Denn jeder, der bittet, empfängt, und wer sucht, der findet, und wer anklopft, dem wird aufgetan werden.
V. 9 Oder wer ist unter euch, der seinem Sohn, wenn er um Brot ihn bittet, einen Stein gäbe?
V. 10 Oder, wenn er um einen Fisch bittet, ihm eine Schlange gäbe?
V. 11 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wißt, um wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten!
V. 12 Alles nun, was ihr von den Menschen für euch erwartet, sollt auch ihr ihnen tun; denn das ist das Gesetz und die Klare Entscheidung.
V. 7-11 Wenn es dir an Kraft gebricht, um die Gerechtigkeit des Messianischen Reiches zu üben, so halte an mit Bitten. Du stehst ja Gott nicht als Fremder gegenüber, sondern als Kind des Hauses. Gott in seiner Vatergüte wird dir nichts Unnützes, geschweige denn Schädliches schicken. - Jesus stellt Stein und Brot, Schlange und Fisch zusammen, weil der Brotkuchen des Orients mit einem runden Stein und die Schlange mit dem Aal und anderen Fischen des Sees Genesareth eine gewisse Ähnlichkeit hat. Außerdem bildeten Brot und Fisch die tägliche Nahrung vieler seiner Zuhörer.
V. 12 Wollen wir Gutes von oben empfangen, so müssen wir nicht allein in der rechten Weise beten, sondern auch gegen den Nächsten lieblich handeln. Darin besteht die wahre Erfüllung des ganzen Gesetzes.
V. 13 Geht hinein durch das enge Tor! Denn weit ist das Tor, und breit ist der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind es, die hinein gehen auf ihm.
V. 14 Eng aber ist das Tor und schmal ist der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden.
V. 15 Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig sind sie reißende Wölfe.
V. 16 An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Sammelt man denn Trauben von Dornen oder Feigen von Disteln?
V. 17 So bringt jeder gute Baum gute Früchte, der schlechte Baum aber bringt schlechte Früchte.
V. 18 Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, und ein schlechter Baum kann nicht gute Früchte bringen.
V. 19 Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird herausgehauen und ins Feuer geworfen.
V. 20 An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen.
V. 21 Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird eingehen in das Himmelreich, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist, (der wird eingehen in das Himmelreich).
V. 22 Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht geweissagt in deinem Namen? Haben wir nicht Dämonen ausgetrieben in deinem Namen? Haben wir nicht viele Wunder gewirkt in deinem Namen?
V. 23 Alsdann werde ich ihnen offen erklären: Ich habe euch niemals gekannt; weicht von mir, die ihr die Werke des Bösen tut!
V. 24 Jeder nun, der diese meine Worte hört und danach handelt, wird gleich sein einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baute.
V. 25 Es fiel der Platzregen, es kamen die Wasserbäche, es brausten die Winde und stießen an jenes Haus, aber es stürzte nicht ein; denn auf Felsengrund war es gebaut.
V. 26 Jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, wird gleich sein einem törichten Mann, der sein Haus auf den Sand baute.
V. 27 Es fiel der Platzregen, es kamen die Wasserbäche, es brausten die Winde und stießen an jenes Haus, und es stürzte ein, und sein Zusammenbruch war gewaltig.
V. 28 Und es geschah, als Jesus diese Reden beendet hatte, da waren die Scharen außer sich über seine Lehre;
V. 29 denn er lehrte sie wie einer, der Macht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten (und Pharisäer).
Aus den hohen Anforderungen, welche der Herr an die Bürger des Reiches Gottes stellt, folgt von selbst, wie schwierig der Eintritt in dieses Reich sei, dass es großen Ernstes und aufrichtiger Selbstverleugnung bedarf, um nicht abgeschreckt zu werden (V. 13,14), dass man sich auf dem rechten Weg noch hüten muss vor Lügenpropheten (V. 15-20), sowie vor der eigenen falschen Sicherheit, die ins Verderben stürzt (V. 21-23). Wer klug ist, möge das alles wohl beherzigen, damit er einst im Gerichte bestehen könne.
V. 13 Das weite Tor und der breite Weg sinnbilden die verderbte Natur, die böse Begierlichkeit; dieser zu folgen macht dem Menschen keine Mühe; gar viele wandeln auf der offenen Heerstrasse des Verderbens. Das enge Tor bezeichnet die wahre Buße, und der schmale Weg die stete Selbstverleugnung und Abtötung, die genaue Beobachtung der göttlichen Gebote: also alles, was der sinnlichen Natur keinen weiten Spielraum lässt. Wer eifrig das enge Tor gesucht und gefunden hat und nun rüstig und mutig den schmalen Weg fortschreitet, der wird bald inne werden, wie sanft das Joch des Herrn und wie leicht seine Bürde ist!
V. 15-20 Mit Zeichen und Wundern werden falsche Propheten als Diener Gottes auftreten; an ihren Lehren und ihrem Wandel aber werdet Ihr erkennen, dass sie Diener des Teufels sind.
V. 19 Vor allen übrigen Menschen werden die falschen Propheten dereinst den Mangel an guten Werken schwer büßen.
V. 21 Nicht der Glaube allein, sondern der in guten Werken fruchtbringende Glaube kennzeichnet die echten Jünger Jesu. "Der Glaube ohne die Werke ist tot."
V. 22 Auch die großartigste Wirksamkeit zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen kann den Mangel eines heiligen Lebens nicht ersetzen. "Wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und besäße alle Wissenschaft, und wenn ich den ganzen Glauben hätte zum Bergeversetzen, hätte aber die Liebe nicht, so bin ich nichts."
V. 23 Sie gehören nicht zu der Gemeinschaft des Herrn; er hat sie nicht als die Seinigen anerkannt.
V. 24-27 Wer Christi Worte hört und sein Leben danach einrichtet, dessen Glaubensgebäude steht festbegründet auf dem Felsen, welcher ist Christus selbst. Da mögen nun die Schauer der Leiden auf ihn sich ergießen, es mögen die Ströme der Verfolgungen wider ihn rauschen und die Stürme der Versuchungen über ihn dahin brausen: er wankt nicht! Wer hingegen Christi Worte bloß hört, bloß äußerlich annimmt, ohne danach zu leben: der baut sich zwar auch ein Haus des Glaubens, aber er baut es auf den Sand der eigenen Meinung; und wenn die Sturmflut der Prüfung und des Gerichtes hereinbricht, dann wird er im Abgrund des Verderbens begraben werden.
(entnommen aus: Das Heilige Evangelium, von R. Anselm, Imprimatur 22. August 1905)