- Gottes enge Pforte -


Durch das Tor des Todes


 


Seit der Sünde Adams im Paradies gibt es kein anderes Tor mehr hinüber zum Leben, als das hässliche Tor des Todes.
 
Nur Verzweiflung uns umschlinget
bei des Menschen leiblich Sterben.
Nur ein Grab und die Verwesung
kannst du von der Erde erben.
 
Wenn es keine Hoffnung gäbe,
dass wir neu vom Tod erstehen,
müssten alle ohne Hoffnung
und Verzweiflung wir vergehen.
 

 

Ein Verwundeter, der gerade noch aus Stalingrad ausgeflogen worden ist, hat mir berichtet:

"Es gibt keine Beschreibung für das Grauen, das wir dort erlebt haben. Zu Tausenden lagen sie in ihren Wunden und halb erfroren auf dem eisigen Boden und flehten um Hilfe. Es gab keine Rettung. Die einzige Rettung war der barmherzige Tod, der sie im Frost erstarren ließ."

Aber auch daheim oder in den Krankenhäusern ist es grausam, wenn ein Mensch hilflos sein Leben aushaucht. Und dann ist es aus mit seinem Leben. Nur noch Erde hüllt ihn ein und verschlingt ihn, dass er wieder Erde werde.

Gott hatte den Menschen nicht sterblich erschaffen. Der Mensch sollte leben, nur leben. Nach einer Zeit der Prüfung, wie jede wahre Liebe sich in der Prüfung zeigen und bewähren muss, sollte der Mensch vollkommen in die herrliche Lebensfülle Gottes eingehen.

Aber der Mensch hat die Prüfung nicht bestanden. Gott hatte ihn gewarnt: "Wenn ihr davon esst, müsst ihr sterben."

Der Versucher, der Lügner und Mörder von Anbeginn, hat den Menschen erklärt: "Keineswegs werdet ihr sterben. Ihr werdet sein wie Gott." Ihr werdet sogar aus eigener Schöpfermacht Menschen erschaffen. Aber nur sterbliche Menschen, dem Tode geweiht, wie sie.

Wir wollen uns den Tod einmal näher ansehen. Denn der Tod ist unser Begleiter geworden seit dem Sündenfall. "Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen", schreibt der Apostel.

Jeder, der gewissenlos weitersündigt, macht sich schuldig am Tode. Mit dem Tod weckt er auch alle Begleiter des Todes, die Krankheiten an Leib und Seele. Ja, auch seelisch werden viele krank, besonders durch Schwermut. Gar nicht zu reden von der Glaubenslosigkeit, die das ganze Leben in hoffnungslose Niederungen reisst, oder gar in das ewige Verderben.

Mag der Glaubenslose sich betäuben mit Wichtigkeit und Genüssen der Welt. Er betrügt sich damit selbst, indem er sich stolz an der Wirklichkeit des Lebens und Sterbens vorbeidrückt.

Fast zahllos sind die Sterbefälle, die ich schon erlebt habe. Besonders im Lazarett und in den Krankenhäusern. Der Mensch stirbt weg, so schnell, dass wir es oft übersehen. Viele Kranke sind froh, wenn sie durch den Tod endlich erlöst werden von ihren Plagen. Ein Sprichwort sagt: "Der Tod richtet sich die Menschen schon, dass sie ihm gerne folgen.

Auf meinen vielen und weiten Reisen habe ich manche Unfälle auf der Strasse erlebt. Ich konnte öfters Sterbenden noch die Absolution und die hl. Krankensalbung spenden. Ein Feuerwehrmann sagte dabei einmal: "Da brauchen wir keinen Pfarrer. Der kann da auch nicht mehr helfen."

Einen besonders interessanten Fall habe ich einmal erlebt:

Ich war mit einer Ministrantengruppe unterwegs in die Berge. Da passierte vor uns auf der Strasse ein schwerer Unfall. Ein PKW war unter einen Lastwagen geraten. Vorne im Auto waren ein Mann und eine Frau, hinten drei Kinder. Die Frau schwamm förmlich im eigenen Blute. Sie war in der Mitte abgequetscht. Sie wimmerte nur noch. Ich spendete ihr sofort die Generalabsolution und die hl. Ölung. Der Mann war nur am Fuss verletzt. Die Kinder hinten waren gar nicht verletzt. Nur konnten sie nicht heraus.

Als dann die Polizei kam mit dem Rettungswagen, konnten sie alle befreit werden, die Frau aber starb in ihren Händen. Es wurde auch festgestellt, die Leute waren Türken, Moslem im Glauben. So hatte ich in der Eile einer Mohamedanerin die Sterbehilfe gespendet. Gott weiss, wozu es gut war, dachte ich.

Gegen Abend gelangten wir müde auf die Berghütte. Wir waren froh, unser Ziel erreicht zu haben. Die Berge ringsum waren herrlich. Wir dachten kaum mehr an den Unfall am Vormittag. Nach einer guten Mahlzeit und froher Unterhaltung, verrichteten wir draussen vor der Hütte das Abendgebet und sangen ein Marienlied. An die Armen Seelen dachten wir auch und haben dabei die verstorbene Türkin eingeschlossen.

Wir waren alle müde genug und sanken im Lager bald in einen tiefen und gesunden Schlaf.

Aber, es muss nach Mitternacht gewesen sein, da kam ein wilder Traum über mich. Es war mir, als stünde die verstorbene Türkin vor mir mit schwarzen Haaren und brennenden Augen. Ich hörte ihre Stimme flehend und weinend: "Du hast mich nach deinem Glauben gesegnet und gesalbt und hast mich gerettet. Ich danke dir. Aber nun hilf mir weiter, ich bin in einem schmerzlichen Fegfeuer."

Damit wurde ich hellwach. Ich richtete mich im Lager auf. Alle ringsum schliefen fest und schnarchend. Mir aber wurde bewusst, das war ein Wahrtraum, den ich ernst nehmen muss. Die Türkin braucht Hilfe. Ich fieselte den Rosenkranz aus meiner Hosentasche und betete ihn. Da konnte nur die liebe Gottesmutter vermitteln und helfen. Ich betete mit besonderer Innigkeit den ganzen schmerzhaften Rosenkranz und versprach der Türkin, dass ich sie auch gerne in das hl. Messopfer einschliessen werde. Dann kam der Schlaf wieder über mich und es war mir, als drückte mir die Türkin die Augen zu in froher Dankbarkeit.

Ich habe damals niemand etwas erzählt von dem nächtlichen Traum. Es sollten sich die lieben Ministranten nicht aufregen. Sie sollten sich freuen an der herrlichen Bergtour, die für diesen Tag vor uns lag.

Später habe ich von dem aufrüttenden Traum erzählt. Es kann nun jeder darüber denken, wie er will. Mir war er eine ernste Mahnung. Da wir hier über den Tod nachdenken, der unser ständiger Begleiter ist, will ich etwas erzählen aus meiner Erfahrung als Lazarettpfarrer. In den letzten Kriegswochen wurden täglich Schwerverwundete eingeliefert. Die Kampffront verlief ja bereits am Bodensee entlang. Wie solche verwundeten Kameraden oft aussahen, darüber will ich nicht viel sagen. Man brachte sie oft nur in Zeltplanen daher. Die Armen schwammen manchmal in der eigenen Blutlache. Ich gab ihnen sofort die Generalabsolution und die hl. Ölung. Das musste schnell gehen, bevor sie in den Operationssaal kamen. Von dort trug man oftmals nur einen Toten heraus.

Ich erinnere mich an einen besonderen Fall:

Nach einer schwierigen Operation lag ein Kamerad auf der Matratze. Er erwachte langsam aus der Narkose. Aber wie sah er aus. Er hatte beide Beine weg und einen Arm. Alles Übrige war voller verpflasterter Schrammen. Als er mich sah, tastete er mit der einen Hand nach mir: "Herr Pfarrer, Kamerad Pfarrer, bin froh, dass du da bist. Bin katholisch, bin von Köln, habe grosse Familie, viele Kinder. Die freuen sich, wenn sie den Papa wieder sehen dürfen. Pfarrer, meinst, dass ich wieder so halbwegs hergestellt werde, dass ich noch einmal heimkommen kann?"

"Ja, lieber Kamerad. Wir wollen es hoffen und darum beten."

Er beichtete, empfing mit wirklicher Andacht die hl. Kommunion. Dann musste ich zu Andern. Später kam ich wieder zu ihm. Er drückte mir immer die Hand so innig, obwohl er ihn schmerzte, weil er daran auch voller Wunden war. Er sagte:

"Pfarrer, weisst, vor dem Sterben hab ich keine Angst. Ich liebe Jesus. Ich habe ihm alles aufgeopfert als ich an die Front musste. Er wird schon ein gutes Plätzchen für mich haben, drüben. Aber ich möchte halt noch einmal heim zu meiner lieben Familie."

Dann sagte er mir genau die Adresse von seiner Familie in Köln. Ich soll auskundschaften, wie es ihnen geht, wo sie sind. Er will Verbindung mit ihnen, baldige Verbindung.

Das war leider unmöglich. Köln war ein Trümmerhaufen. Die Überlebenden waren geflüchtet. Irgendwohin auf das Land. Vielleicht in die Eifel. Ich konnte es nicht erkunden. Meinem lieben Kameraden konnte ich nur sagen: "Geduld! Die Verbindung ist schwierig."

Es gab leider in den letzten Kriegswochen keine Verbindung mehr. Es war alles von den Feinden besetzt. Mein armer Kamerad hoffte immer noch, seine Familie wieder zu sehen. Dabei wurde er zusehens schwächer. Er hatte auch inner Verletzungen. Es war keine Hoffnung mehr auf Heilung. Ich versuchte ihn auf den Tod vorzubereiten.

"Den Tod fürchte ich nicht", versicherte er mir wieder. "Ich habe mein Leben Jesu übergeben. Nur meine Familie möchte ich noch einmal sehen. Diese Bitte kann mir Jesus doch gewähren?"

Da sagte ich ihm: "Johny, deine Familie wirst du auf alle Fälle sehen, auch wenn Jesus dich heimholt. Von "drüben" geht das viel leichter als du denkst. Du kannst sie wahrscheinlich immer sehen und kannst ihnen viel erbitten und helfen, dass sie auch einmal gut heimgehen zu Jesus. Nur darfst halt du dich nicht bei deinen Lieben sehen lassen. Das will Jesus nicht. Die Prüfung des Glaubens, die so verdienstvoll ist, soll damit bei ihnen nicht gestört werden. Einmal werdet ihr euch ja alle wieder sehen im Himmel. Besonders da du ihnen vom Himmel aus so viel helfen kannst, weil du Jesus so treu bist. Lieber Kamerad Johny, glaubst du das, dass es so sein wird?"

Er drückte meine Hand fest, obwohl es ihn schmerzte: "Kamerad Pfarrer, ich glaube das, weil du es sagst. Du musst das wissen als Priester. Du kennst Jesus besser als ich. Aber, weisst, meinst, dass es mir Jesus nicht erlaubt, meiner Familie wenigstens ein kleines Zeichen zu geben, dass ich "drüben" bin und dass es mir gut geht? Ich würde mein Bild, das sicher bei ihnen an der Wand hängt, heimlich mitten auf den Tisch stellen. Meinst du, dass Jesus mir das erlaubt?"

Ich nickte: "Ich glaube schon."

Seine Augen waren nass. Der Druck seiner Hand wurde schwächer. Er fragte unerwartet: "Hast du ihn dabei?" - Ich wusste, er meinte den Heiland in der heiligen Eucharistie. Ich nickte:

Er schwach, aber dringend: "Bitte, Pfarrer, ich brauche ihn! Ich liebe ihn!"

Unter stiller Vorbereitung reichte ich ihm die hl. Kommunion. Ich war ergriffen von seiner hingebenden Andacht, obwohl er ganz matt war. Er schlief dann bald ein. Ich segnete ihn und ging zu anderen Verwundeten.

Nach ungefähr zwei Stunden wollte ich wieder zu ihm in seine Stube. Da sah ich, dass ihn Lazarettgehilfen schon auf der Totenbahre hinaustrugen.

Es war im Sommer 1951. Ich war vor einem Jahr von Österreich wieder nach Bayern in meine Heimatdiözese Passau zurückgekehrt. Da wollte mich eines Tages in der Pfarrei, die ich betreute, eine nette Frau mittleren Alters aus Köln besuchen. Sie fragte mich, ob ich im Frühjahr 1945 Lazarettpfarrer in Bregenz war. Ich bejahte. Dann fragte sie mich weiter, ob ich im Lazarett einen Verwundeten Johny Schmitz, Bäckermeister aus Köln, betreut habe. Da konnte ich mich sofort erinnern an den lieben und frommen Kameraden Johny. Er hatte mir ja erzählt, dass er Bäckermeister ist. Aber besonders habe ich ihn schätzen gelernt als einen aussengewöhnlichen frommen Christen.

Ich musste das alles dieser guten Dame berichten. Sie hatte sich vorgestellt als seine Frau, Emmy Schmitz. Sie hatte lange nach mir geforscht und es war ihr endlich gelungen, mich zu finden. Sie wusste, ihr Mann war sehr fromm. Darum wollte sie wissen, wie er gestorben ist. Man hat seine Leiche nach Köln überführt und dort im zuständigen Friedhof beerdigt. Die Familie war in die Eifel geflüchtet.

Erst ein Jahr nach dem Krieg war es ihnen gelungen, das Haus in Köln, die ehemalige Bäckerei, wieder aufzubauen. Von ihrem Mann hatte sie keine Nachricht mehr. Sie wusste nur, dass er gefallen sei. Die frühere Pfarrkirche wurde später auch wieder aufgebaut. Da kam eines Tages der tüchtige "Pastor" (Pfarrer sagen wir) zu ihr und versicherte ihr, ist Mann ist auf dem hiesigen Friedhof beerdigt. Er ist im Totenbuch eingetragen. Er zeigt ihr sogar das Grab. Er ist noch in den letzten Tagen des Krieges überführt und hier beerdigt worden. Vor einem Toten hatten auch die Feinde Ehrfurcht, dass das alles möglich war. Der Pfarrer konnte ihr auch berichten, in welchem Lazarett ihr Mann verstorben war.

Darum ging die Frau Schmitz mehrere Jahre später, weil es früher nicht möglich war, auf die Suche nach dem damaligen Lazarettpfarrer. Nun ist es ihr gelungen, mich zu finden. Das war ihr möglich, weil ihr älterster Sohn bereits die Bäckerei übernommen hat und sie tadellos betreut. Die anderen Kinder sind teils auch schon gut verheiratet oder noch zuhause im ehemaligen Elternhaus. Es geht allen gut.

Dann wandte sich die Frau mir ernst zu: "Wissen, Herr Pfarrer, es geht uns allen wieder gut. Meine Kinder sind alle anständig und fromm. Das verdanke ich unserem lieben Papa. Ich kann mir das nicht anders erklären."

Dann vertraute sie mir: "Sehen Sie, Herr Pfarrer, wir haben sein Bild, ein Foto aus dem Krieg, immer in Ehren gehalten. Ich hatte es im Herrgottswinkel hingehängt. Schon in der Eifel und auch wieder in dem neuen Haus, hatte sein Bild diesen Ehrenplatz."

"Da aber ist es geschehen: Das Bild stand plötzlich auf dem Tisch. Schon in der Eifel. Das habe ich nur allein gesehen, und ich habe es niemanden gesagt. Ich stand ja immer als Erste auf. Wie ich in die Wohnküche komme, noch in den letzten Kriegstagen, da stand sein Bild mitten auf dem Tisch. Ganz frei. War nicht angelenht. Ich wusste sofort, jetzt ist er gefallen. Ich sagte noch: Ja, mein Lieber, ich weiss, du bist jetzt drüben. Wenn ich für dich beten soll, wenn du noch etwas brauchst, dann tu es mir kund auf diese Weise. Dann stell dein Bild wieder morgen früh auf den Tisch."

"Es stand nicht auf dem Tisch am nächsten Morgen. Ich sagte meinem Mann, denn mit den Verstorbenen, besonders mit den lieben Verstorbenen, kann man doch so reden, ich sagte ihm, wenn sonst etwas Wichtiges ist, dann sag es mir auf diese Weise."

"Ein Jahr nach dem Krieg stand an einem Morgen das Bild wieder auf dem Tisch. Ich habe es wieder an die Wand gehängt. Aber ich sagte meinem Mann: Ich verstehe dich. Mit dem Jakob, dem ältesten Sohn, fuhr ich nach Köln und wir schauten nach den Ruinen unseres Hauses. Da kam ein Mann auf uns zu, stellte sich vor als der Sekretär der Gemeinde und sagte uns, wir sollen jetzt anfangen, das Haus wieder aufzubauen. Es gibt viel Hilfe und Zuschuss."

So waren wir in den nächsten Tagen in Köln und haben alle fest zugegriffen. In wenigen Monaten konnten wir schon wieder backen."

Die Frau erzählte weiter: "Das ist noch einigemale so geschehen, wenn ich nicht wusste, wie ich dies oder jenes machen soll mit den Kindern. Ich sagte meinem Mann: Wenn es so sein soll, dann stell das Bild hin. Wenn nicht, dann stell es nicht hin. So wusste ich, wie es geschehen soll."

"Seit über zwei Jahre schon, gibt mir das Bild kein Zeichen mehr. Können Sie mir sagen, Herr Pfarrer, was das bedeutet?"

Ich antwortete: "Das bedeutet, dass Sie selber nach Ihrem Gewissen und ihrem Verstand alles tun und entscheiden sollen. Denn das ist normal bei einer guten christlichen Lebensführung."

Sie fragte: "Können Sie mir noch kurz berichten, wie mein Mann gestorben ist?"

Ich sagte ihr, er hat vertrauensvoll sein Leben und alles in die Hände Gottes gelegt. "Plötzlich verlangte er nach der hl. Kommunion: 'Kamerad Pfarrer, ich brauche Jesus! Ich liebe Jesus!' Er ist gestorben mit Jesus im Herzen. Als Heiliger ist er gestorben, ganz ergeben in den Willen Jesu."

Da weinte sie und sagte schliesslich: "Herr Pfarrer, es hat sich gelohnt, dass ich nach Ihnen solange gesucht habe. Nun durfte ich das hören über meinen lieben Mann. Ja, er war ein Heiliger, da haben Sie recht. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Bericht."

In einem Gasthaus habe ich sie einquartiert, weil ich selber keinen Platz hatte. Sie kam am nächsten Tag nach der hl. Messe nochmals zu mir und sagte: "Jetzt ist mein Leben so reich und so froh, weil ich weiss, ich war mit einem Heiligen verheirtet. Wie werde ich mich erst freuen, wenn ich ihn wieder sehe im Himmel."

In einer Bude im Lazarett lagen neun Mann an infektiösem Bauchtyphus. Alle hatten schon blutigen Stuhl. Unter besonderer Desinfektion durfte ich zu den Kranken hinein. Sechs davon waren katholisch. Denen erklärte ich: Die hl. Krankensalbung könne ihnen Heilung bringen, wenn sie vertrauen. Einige Tage nach der hl. Ölung trat bei fünf Besserung ein. Da sagte einer der evangelischen Kameraden, ich solle ihm auch diese Ölung geben.

Ich erklärte ihm, das könne ich nicht. Da müsste er katholisch sein. Er bat innig: "Dann tauf mich halt katholisch!" Ich legte ihm dar: "Da musst du dich später bei deinem Heimatpfarrer melden. Der muss dir Unterricht geben und dich dann offiziell in die katholische Kirche aufnehmen. Du musst auch den Willen haben, künftig wirklich katholisch zu leben."

Er versprach mir das alles. So taufte ich ihn. Nachdem ich ihm das Busssakrament erklärt hatte, beichtete er auch und kommunizierte. Und dann spendete ich ihm die hl. Ölung.

Und nun das Sonderbare: Er ist gesund geworden mit den fünf anderen. Nach einigen Wochen wurden sie als gesund entlassen. Die drei anderen jedoch sind alle gestorben. Sie lagen wie Skelette auf der Matratze. Der eine, der Katholik, ist nachts ausgebrochen aus der strengen Isolierung, ist durchs Lazarett gerannt und blieb am Eingang des Lazaretts tot liegen.

Einige Jahre nach dem Krieg bekam ich von dem Heimatpfarrer des einen getauften Kameraden einen geharnischten Brief, worin es hiess: Wie konnten Sie sich unterstehen, einen Menschen einfach katholisch zu taufen. Der hatte weder einen Taufschein noch sonst einen Beweis, dass er katholisch sei. Von der evangelischen Kirche ist er ausgetreten. Ich habe ihn darum als glaubenslos behandelt."

Eines Tages kam jener ehemalige Kamerad aus dem Lazarett mit seiner Frau zu mir. In seinem Ausweis stand tatsächlich religionslos. Ich habe dann in kurzer Zeit alles amtlich geregelt, zumal er wirklich, wie seine Frau mir erklärte, ein guter Katholik geworden war.

In den letzten Wochen eines Krieges wurde von fanatischen SS-Truppen das Gebirge als Alpenfestung erklärt mit der Behauptung: Diese Alpenfestung ist uneinnehmbar.

Da ich am Fusse der Alpen eine Pfarrei betreute, liess es mir keine Ruhe, den Verwundeten in den Bergen zu helfen. Ich kannte die Alpen in Vorarlberg gut, weil ich begeisterter Bergsteiger war. Ich sah, immer wieder schickten die Franzosen marokkanische Truppen in die Berge. Die waren tapfer und haben der SS schwer zugesetzt. Auch Flugzeuge durchkämmten die Berge mit schweren Maschinengewehren.

So machte ich mich immer wieder auf den Weg, um die Verwundeten zu sammeln und sie möglichst ins Lazarett herunter zu bringen. Das war nicht leicht. Denn Männer gingen nicht mit, weil die SS auf alle Feuer gaben. Ministranten-Buben gingen mit. Ich ging im Talar und eine Rotkreuzbinde um den Arm. Auch meine Ministranten hatten die Rotkreuzbinde.

Wir hatten gegen ein Dutzend Verwundete heruntergeschleppt und ins Lazarett gebracht. Tote mussten wir vorläufig liegen lassen, weil wir sie nicht schleppen konnten. Ich habe die Marokkaner gebeten, sie ins Tal zu bringen. Sie taten es teilweise. Aber nur "gute Soldaten Aleman", wie sie sagten. Niemals "SS-Verfluchte". Die warfen sie in ein Loch und Steine darauf. Die SS konnten sie nicht leiden, weil sie die Marokkaner grausam hinmordeten als seien sie wilde Tiere.

Auf einen Felsen sahen meine Buben eine graue Gestalt. Ich kletterte hin. Es war ein Soldat. Sein linkes Knie war zerschmettert. Zuerst meinte ich er sei tot. Da öffnete er die Augen. Er war fast ausgeblutet. Er erkannte mich: "Pfarrer, gut, hilf mir!" Wenn sofort ärztliche Hilfe gewesen wäre mit Bluttransfusion, wäre er gerettet worden. So aber unmöglich. Ich erklärte ihm das. Da sagte er: "Bin katholisch, hilf, Pfarrer! Beichte!"

Ich schickte die Ministranten ein bißchen weg. Er beichtete. Ich gab ihm die Lossprechung und Generalabsolution. In meinen Armen hauchte er sein Leben aus.

Einen anderen Verwundeten haben die Ministranten in einem Dickicht entdeckt. Eine SMG Garbe hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt. Seine Gedärme hingen heraus. Der Mann wusste, dass er nicht zu retten war. Er sagte: "Bin evangelisch. Könnte ich beichten wie katholische Kameraden? Bitte!" Er beichtete. Ich gab ihm die Lossprechung und die Generalabsolution. Glücklich in meinen Armen ist er verschieden.

In einem Granatloch lag ein anderer Kamerad. Ein Arm war weg. Der hing noch an einigen Sehnen an seiner Schulter. Gestocktes Blut bedeckte den Boden. Ich dachte erst, er sei tot. Da öffnete er die Augen. Sein Mund bewegte sich. Ich konnte ihn nicht mehr verstehen. Ich gab ihm die Absolution. Dann erlöschte sein Leben.

Die Marokkaner hatten endlich eine Fanatische SS-Einheit auf einer Felsenburg überwunden. Es waren ca. 2 Dutzend. Die Marokkaner warfen die Toten vom Felsen herunter und hingen sie an Bäume auf. "Die sollen nicht Grab haben, sind Verdammte", sagten sie. Erst als es wieder ruhig war in den Bergen, haben Holzarbeiter sie gefunden. Die Leichen waren grauenhaft, teils von Raubvögeln angefressen. Die Holzarbeiter, die vorher auch normale Soldaten waren, haben mit den SS-Leichen kurzen Prozess gemacht. Haben sie in eine Grube geworfen und zugeschaufelt. Sie haben unter sich ausgemacht: Niemand braucht den Platz wissen, wo sie verscharrt sind. Denn die SS waren Mörder, keine Krieger, sagten sie.

Während meiner Tätigkeit in einem grossen Krankenhaus starben jeden Tag einige Patienten. Der Leichenwärter, sonst ein braver Mann, war mir ein Freund geworden, hat die Leichen noch halbwegs zurecht gemacht, bevor sie abtransportiert wurden. Für die weiblichen Leichen war eine Leichenfrau da. Der Leichenwärter hat mich oft mitgenommen in die Leichenwäsche. "Sollst auch sehen", sagte er, "was ein Mensch ist. Ein Stückchen Abfall, sonst nichts".

Eines Tages erklärte ich ihm: "Der liebe Gott hatte die Menschen unsterblich erschaffen. Aber der Mensch hat sich durch die Sünde sterblich gemacht." Da sagte er: "Dann müssen wir als gute Christen die Sünde nicht nur meiden, sondern fürchten wie die Pest."

Ich gab ihm recht. Wir dürfen überzeugt sein, wenn die Menschen oder wenigstens die Christenmenschen die Sünde hassen und fürchten würden wie die Pest oder wie die Hölle, wäre das Dahinsterben nicht mehr so grausam und hässlich. Ich denke an das Sterben mancher Heiliger, die im Frieden entschlafen sind. 

Denken wir an das Sterben des hl. Benedikt.

Da waren zwei fromme Theologiestudenten innig befreundet. Eines Tages sprachen sie miteinander über das Sterben. Da sagte der Eine: "Freund, könnten wir uns versprechen, wer von uns beiden zuerst stirbt, der kommt kurz zurück und sagt, wie es drüben ist." Sie gaben sich die Hand und versprachen: Wenn Gott es erlaubt, dann soll es so geschehen.

Nach dem ersten Weltkrieg kam eine gefährliche Grippewelle, die Tausende dahinraffte. Darunter war auch einer der beiden Freunde. Aber das Leben des anderen ging weiter. Eines Tages studierte er in einem Manuskript, denn schwere Prüfungen standen bevor. Da stand einer neben ihm. Er dachte, was will der, ich habe keine Zeit zum Plaudern.

Da hörte er die Stimme: "Freund, der liebe Gott hat mir erlaubt, mein Versprechen einzulösen. Ich darf dir sagen: Es ist sehr ernst um den Himmel, dass wir sicher hineinkommen. Darum nimm es nicht leicht. Auf Wiedersehen!"

Als der Student verwundert sich umdrehte, war die Erscheinung verschwunden. Da wusste er, es war sein verstorbener Freund, der ihm versprochen hatte, zu kommen und ihm zu sagen, wie es drüben ist.

 

Wer mit Jesus ganz vereinigt,
treu an seine Lieb sich bindet,
der ihn einst in seiner Schönheit
und in Herrlichkeit ihn findet.

 

Ein berühmter Heiliger hat oft aus seinem Leben erzählt. Es war der bekannte Jesuit Franz Borja. Er lebte 1510 bis 1572. Er war verwandt mit dem damaligen Kaiser Karl V. von Spanien und war sein bester Freund.

Als der junge Kaiser sich mit der schönsten Braut vermählt hatte, gebot er seinem Freund Borja: "Beschütze meine treue Gemahlin wie deinen Augapfel auf allen ihren Reisen!"

Die schöne junge Kaiserin reiste gerne. Sie wollte die wundervollen Landschaften und Paläste Spaniens kennen lernen. Natürlich fand sie auch Freude daran, dass sie ob ihrer ausserordentlichen Schönheit im ganzen Reiche bewundert und umjubelt wurde. Ihr Gemahl konnte sie wegen seiner ernsten Regierungspflichten selten begleiten.

Der Kaiser wusste, unter dem Schutz seines Freundes Borja war seine Gemahlin in besten Händen. Und der Graf Borja war selbst mit der adeligen und schönen Eleonore de Castro glücklich vermählt. Das war gut in den Augen des Volkes, damit nicht der Argwohn wuchern konnte: Er sei in die Kaiserin verliebt.

Da geschah etwas Furchtbares am 30. April 1539. Sie hatten einen Tag herrlicher Erlebnisse hinter sich. Borja sass mit seiner Gemahlin auf der Veranda eines grossen Herrenschlosses. Während im Park die Kaiserin mit dem Grande, dem adeligen Gastgeber, im Gespräch war, sagte Borja zu seiner Frau:

"Wie wunderbar muss Gott sein, der solche Anmut und Schönheit wie unsere Kaiserin erschaffen konnte!"

Als am nächsten Morgen sich alle zum Frühstück zusammenfanden, wurde die Kaiserin plötzlich von einer Überkeit befallen. Sie sank ohnmächtig zusammen. Der Arzt, der auch bei ihrer Begleitung war, konnte nur den Tod feststellen.

Die Leiche der Kaiserin wurde in einen Zinksarg gebettet. Der Herzog Borja musste die Leiche bei der vierzehn Tage langen Reise nach Granada begleiten. Vor der Beisetzung musste Borja die Leiche identifizieren. Als er die Leiche schaute sah er nur noch das von der Verwesung grauenvoll entstellte Antlitz.

Eines nur tröstete Borja: Die Kaiserin war eine fromme Christin. Darum wird der Himmel, so hoffte er, ihr die Schönheit wieder geben bei der Auferstehung. Trotzdem, Borja konnte das entstellte Totenantlitz der Kaiserin nie vergessen. Er sagte öfters zu seiner Gemahlin:

"Alle Schönheit auf dieser Welt ist Lug und Trug. Könnten wir nicht hoffen auf die ewige Schönheit im Himmel, dann müssten wir verzweifeln."

Als auch seine geliebte Gattin Eleonora allzufrüh verstorben war und seine Kinder versorgt waren, wurde er Ordenspriester bei den jungen Orden der Jesuiten. Er sagte oft in seinen Predigten: "Verlasst euch nicht auf vergängliche Schönheit! Sorget, dass in eurer Seele eine unvergängliche Schönheit heranblüht, die Jesus euch für ewig schenkt, wenn ihr ihn liebt."

Wir können auch an das Wort des Apostels Jakobus denken:

"Die Sonne geht auf mit ihrer Glut und versengt das Gras. Und die Blüten fallen ab. Die Schönheit ihres Anblickes ist dahin. So wird auch der Reiche auf seinen Wegen dahinwelken." (Jak 1,11)

Als ich im Heiligen Land war, hat mich Bethanien besonders ergriffen. Dort war das herrliche Landhaus der Geschwister Lazarus, Martha und Maria Magdalena. Die Geschwister verfügten über eine hervorragende griechische Bildung. Natürlich waren sie auch gutgläubige Israeliten. Aber Maria von Magdala hatte sich eine zeitlang allzusehr mit hohen römischen Offizieren eingelassen. Sie war eine aussergewöhnliche Schönheit. Die Offiziere bewunderten sie wie eine Göttin.

Aber das war vorbei als Maria Magdalena Jesus und seine Botschaft vom wahren Leben kennenlernte. Sie wurde die treueste Jüngerin des Herrn.

Jesus hat Lazarus als seinen besten Freund geliebt. Immer wenn Jesus mit seinen Jüngern in Jerusalem weilte, war er willkommener Gast in Bethanien.

Aber Lazarus wurde schwer krank. Unheilbar krank. Sein ganzer Körper war voll eitriger Geschwüre. Und Jesus heilte ihn nicht. Er hat Tausende geheilt. Warum ihn nicht, seinen besten Freund? Jesus hat ihn öfters besucht und getröstet: Deine Krankheit wird zum Zeichen für viele sein, die nicht glauben wollen. Lazarus vertraute Jesus, obwohl er immer mehr dahinsiechte.

Dann ist es geschehen: Während Jesus abwesend war, ist Lazarus gestorben. Als Jesus wieder nach Bethanien kam, lag Lazarus schon vier Tage im Grab, wirklich in hässlicher Verwesung. Keine Hoffnung mehr.

Und doch, Jesus gebietet: "Wälzt den Stein weg vom Grab!" "Unmöglich", ruft Martha, "Herr, er riecht schon!"

Er hatte es ja gesagt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er gestorben ist."

Und zum Zeugnis, dass sein Wort ewige Wahrheit ist, ruft er den verwesenden Lazarus aus dem Grabe.

Als Lazarus dann in frischer Lebensfreude und mit neuen Kleidern angetan vor Jesus niedersinkt, hebt er ihn auf und sagt wohl: "Lazarus, weil du an mich geglaubt hast, habe ich das Unglaubliche an dir vollzogen, damit alle glauben können, die glauben wollen. So wie du aus dem Grabe und aus der Verwesung auferstanden bist, werden alle auferstehen zum ewigen Leben, die an mich glauben.

Bedenken wir: Es sterben täglich auf der Welt bei 30.000 Menschen. Wo kommen die hin? - Wo kommen wir hin? - Oder ist mit dem Tod wirklich alles aus? -

Wir wissen, was uns Jesus sagt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er gestorben ist. Und jeder, der im Leben an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben." (Joh 11,25)

Damit hat uns Jesus zum Sterben die herrlichste Hoffnung gegeben.

Ich habe viele Sterbende aufgezeigt, die teilweise einen grauenvollen Weg gegangen sind. Unser Sterben kann in der Hoffnung, die uns Jesus gibt, voll Licht und Frieden sein. Jesus ruft uns im Sterben heim zum wahren Leben. Zum Leben in unendlicher Herrlichkeit.

Ich erinnere mich an einen frommen Bauern, von dem erzählt wurde: Als er zum Sterben kam, liess er seine sieben erwachsenen Kinder zusammenrufen. Die Mutter war schon zwei Jahre vorher wie eine Heilige verschieden. Der Vater sagte, wenn auch mit matter Stimme:

"Meine lieben Kinder, ihr wisst, ich habe mein Leben auf dieser Welt zum Sterben hin ausgerichtet. Ich habe euch immer gesagt: Das Leben auf dieser Welt ist nur der Weg zum wahren Leben in der Herrlichkeit des Himmels. Ich hoffe, dass Jesus mir gnädig ist und mein hochzeitliches Kleid für den Himmel nicht mehr viel Reinigung braucht.

Ich habe euch, wie es meine Vaterpflicht war, immer darauf hingewiesen, getreu den Weg nach dem Willen Gottes zu gehen. So brauche ich um Euch keine Sorge haben. Trauert nicht zu sehr um mich. Denn es ist nur eine kleine Weile, dann werden wir uns wiedersehen in der Herrlichkeit des ewigen Lebens, von dem der Apostel sagt: "Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und in keines Menschen Herz ist es je gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben." - Nun kniet nieder, damit ich euch noch meinen väterlichen Segen erteilen kann! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!

Und nun betet den glorreichen Rosenkranz, damit ich unter dem Schutz der himmlischen Mutter heimgehe."

(von Pfarrer Hermann Wagner)


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