- Gottes enge Pforte -


Das Dogma und die Kirche


 



   Die Kirche ist die Lehrerin der göttlichen Offenbarung. Sie hat von Christus den Auftrag erhalten, das Glaubensgut zu bewahren und zu verkündigen (D. 1800).

   

   1. Bei der Lehrverkündigung darf man nicht nur denken an die ordentliche, wie sie in der Predigt und Christenlehre erfolgt, sondern auch an die Entfaltung der Glaubenslehre im Laufe der Geschichte. Von ganz besonderer Bedeutung wird die Kirche dann, wenn Glaubensstreitigkeiten entstehen über das rechte Verständnis der christlichen Lehre; dann findet der Irrtum seine Verurteilung, und die wahre Lehre wird in sorgfältig abgewogenen formelhaften Sätzen vorgetragen. Auf diese Weise entsteht aus den schlichten Sätzen der Offenbarung das Dogma.

   

   Das kirchliche Lehramt ist bei seinen endgültigen Erklärungen der göttlichen Offenbarung unfehlbar. Denn Christus hat seine Kirche zur Säule und Grundfeste der Wahrheit gemacht (1 Tim. 3,15). Sie würde als Reich der Wahrheit untergehen, wenn sie sogar bei ihren endgültigen, alle Christen bindenden Lehrentscheidungen irren könnte. Mögen auch in der gewöhnlichen Lehrverkündigung einzelne Lehrer bis hinauf zu den Päpsten gelegentlich Irrtümer vortragen, das bedroht die Kirche nicht in ihrem Bestande. Nur die höchste Lehrautorität muß bei unwiderruflichen Lehrurteilen vor Irrtum geschützt sein.

   

   2. Träger der Unfehlbarkeit sind die Bischöfe und der Papst, aber in verschiedener Weise. Unfehlbar ist nicht der einzelne Bischof, sondern die Gesamtheit der Bischöfe. Die allgemeine Lehrverkündigung galt zu allen Zeiten als Kennzeichen des wahren Glaubens: Sicher urteilt der Erdkreis. Das ergibt sich auch unmittelbar einleuchtend aus der dreifachen Verheißung Christi: 

   a) daß er bei der Kirche bleiben werde bis zum Ende der Zeiten (Matth. 28,20); 

   b) daß er ihr den Geist der Wahrheit senden werde (Joh. 14,16);

   c) daß die Kirche ein unzerstörbares Reich der Wahrheit sein werde, unüberwindlich für die Mächte der Hölle (Matth. 16,18). 

   Die Bischöfe sind nur unfehlbar als Organe der Gesamtkirche (Weltkirche). Es ist die Aufgabe der dogmatischen Wissenschaft, nachzuforschen, ob im Einzelfall die Allgemeinheit der Glaubensüberzeugung vorliegt.

   

   In besonderer Weise tritt die Unfehlbarkeit der Bischöfe in die Erscheinung auf den allgemeinen Konzilien. Zu diesen Konzilien sind alle Bischöfe eingeladen; ob auch die Weihbischöfe, wurde eine Zeitlang bestritten, wird aber heute allgemein gelehrt. Am wichtigsten ist es, daß der Papst als Haupt der Kirche am Konzil teilnimmt. Im vollsten Sinne ist ein Konzil nur dann allgemein, wenn der Papst es einberuft, den Vorsitz führt und es bestätigt. Doch genügt auch die nachträgliche Bestätigung des Papstes, um den Beschlüssen allgemeine bindende Kraft zu geben. Aus der Stellung des Papstes zum Konzil erklärt sich auch die Frage, die während des letzten Konzils im Vatikan ( p. A. man beachte, dass dieser Artikel 1936 geschrieben wurde) leidenschaftlich erörtert wurde, ob nämlich Einstimmigkeit verlangt werde. Die Frage schien, da ja die Bischöfe auf dem Konzil unfehlbar sind, unlöslich. Auf der anderen Seite wurde auf keinem einzigen Konzil volle Einstimmigkeit erzielt. Eine solche Forderung stellen heißt also die Arbeit des Konzils unmöglich machen. Die Kirche wäre nicht die Säule und Grundfeste der Wahrheit, wenn sie nicht in solchen Zweifelsfällen die Wahrheit feststellen könnte. Die Wahrheit ist eben da, wo der Papst steht, das Haupt der Kirche, der wie Petrus seine Brüder im Glauben stärken soll.

   

   Sind die Bischöfe als Nachfolger der Apostel die Lehrer der Kirche, dann ist es falsch, wenn man die Laien als die eigentlichen Konzilsväter betrachtet (Luther), oder wenn man annimmt, daß im katholischen Volke die Unfehlbarkeit der Kirche ihren Sitz habe, genau wie nach liberaler Anschauung alle staatliche Gewalt im Volke ruht. Diese Anschauung verkennt vollkommen den Charakter der Kirche. Der Heilige Geist wirkt von dem Haupt in die Glieder. Nur dem Papst und den Bischöfen ist die Leitungsgewalt gegeben, die sich auch auf die Glaubens- und Sittenlehre erstreckt. Nicht einmal die Priesterweihe gibt die Berechtigung zur Teilnahme am Konzil und seinen unfehlbaren Lehrentscheidungen, geschweige denn die Taufe und die Firmung.

   

   Christus hat keine Anweisung erteilt, allgemeine Konzilien zu berufen. Auch das sog. Apostelkonzil (Apg. 15,1-35) war kein allgemeines Konzil in unserem Sinne, da nicht alle Bischöfe eingeladen waren und es sich nur um Fragen der Kirchenzucht handelte. Die ersten Konzilien wurden abgehalten nach dem Muster der Reichssynoden. Die Unfehlbarkeit erhalten diese Versammlungen durch den Beistand des Heiligen Geistes, den Christus seiner Kirche verheißen hat. Wann soll denn die Kirche überhaupt unfehlbar sein, wenn sie es nicht auf dem Konzile ist, wo die Gesamtheit der Bischöfe vertreten ist? Es war deshalb immer die Überzeugung der Kirche, daß die Entscheidungen der Konzilien bindende Glaubensvorschriften darstellten. Diese Überzeugung drückt der heilige Papst Gregor I. in den Worten aus: " Wie die vier heiligen Evangelienbücher, so nehme ich die allgemeinen Konzilien auf und verehre sie. Alle Personen, die von ihnen zurückgewiesen werden, weise auch ich ab, die von ihnen geehrt werden, ehre auch ich. Wer daher wagt, zu binden, was sie lösen, zu lösen, was sie binden, der vernichtet sich selbst."

   

   3. Unfehlbare Lehrentscheidungen kann auch der Papst geben, ohne vorher die Bischöfe zu befragen. Wenn das Vatikanische Konzil erklärt, daß der Papst aus sich unfehlbar sei, so heißt das nicht, daß der Papst mit der göttlichen Allwissenheit ausgestattet sei, oder daß er ohne den Beistand des Heiligen Geistes, ohne Rücksicht auf die Offenbarung und die Lehre der Gesamtkirche neue Dogmen verkünden könne; denn er ist nicht der Herr der Wahrheit, sondern ihr Diener. Es heißt nur, daß er nicht an die Zustimmung des gläubigen Volkes gebunden ist in dem Sinne, daß erst durch dessen Zustimmung die Glaubenslehre bindende Kraft erhält.

   

   Die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit ist begründet in der Heiligen Schrift. Petrus erscheint als das Fundament der Kirche, das der Kirche Einheit und Festigkeit verleihen soll (Matth. 16,18), als der oberste Hirt der Kirche (Joh. 21,15), als der Mann des Glaubens, der die Aufgabe hat, seine Brüder zu stärken (Luk. 22,32). Es dauerte lange, bis man in diesen Stellen die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit klar erkannte. Aber schon das 4. Konzil von Konstantinopel (869/70) lehrt, daß der Römische Stuhl die katholische Religion stets unversehrt bewahrt hat, und führt diese Tatsache auf die Verheißung Christi an Petrus zurück. Auf dem 2. Konzil von Lyon (1274), ebenso auf dem Konzil von Florenz (1439) wird von der Kirche des Morgenlandes dem Papste die oberste Lehrgewalt zugesprochen. Aus dieser obersten Lehrgewalt ergibt sich als Schlußfolgerung ihre Unfehlbarkeit; denn nur eine unfehlbare Entscheidung kann alle binden.

   

   4. Die Kirche geht bei ihren Lehrentscheidungen einen zweifachen Weg. Das eine Mal erklärt sie, daß eine Lehre zur göttlichen Offenbarung gehört und deshalb angenommen werden muß im Glauben an den wahrhaftigen Gott, der nicht lügen und irren kann. Wer eine solche Wahrheit leugnet, ist als Irrlehrer aus der Kirche ausgeschlossen. Das andere Mal erklärt sie nur, daß eine Wahrheit unfehlbar ist, ohne zugleich zu sagen, daß sie in der göttlichen Offenbarung enthalten ist. In diesem Falle verpflichtet sie ihre Kinder nicht dazu, die Wahrheit zu gleuben (credere), sondern sie festzuhalten (tenere) im Glauben an die Unfehlbarkeit der Kirche. Wer eine solche Lehre nicht festhält, verdient noch nicht den Namen des Irrlehrers. Es handelt sich in diesem letzten Falle um die sog. katholischen oder auch theologischen Wahrheiten, die nicht ausdrücklich offenbart sind, sondern mit der Vernunft aus der Offenbarung erschlossen werden. Solange die Kirche zu diesen Schlußfolgerungen noch nicht Stellung genommen hat, sind sie freie Lehrmeinungen und haben so viel Wert, wie ihre Beweise Wert haben. Es ist aber vorgekommen, daß Lehren, die lange Jahrhunderte freie Lehrmeinungen waren, von der Kirche definiert, in einigen Fällen sogar als göttliche Offenbarungen zu glauben vorgestellt wurden. Die bekanntesten Beispiele sind die unbefleckte Empfängnis Mariä und die Unfehlbarkeit des Papstes. Nachdem sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich hatten, von den einen als fromme Meinung festgehalten, von den anderen bekämpft, wurden sie schließlich definiert. Der Grund, weshalb die Kirche auch Wahrheiten unfehlbar vorlegt, die aus der Offenbarung erschlossen werden, liegt darin, weil ihr auch der Schutz der Offenbarung anvertraut ist. Wer sichere Schlußfolgerungen aus der Offenbarung leugnen würde, käme dazu, auch die Offenbarung leugnen zu müssen. Es ist schwer, den Kreis jener Wahrheiten, die zum Schutze der Offenbarung definiert werden können, näher zu umschreiben.

   (entnommen aus: Die Lehre der Kirche, von Professor Dr. Johannes Peter Junglas, Imprimatur 1936) 


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