- Gottes enge Pforte -

Das Walten Gottes in seiner Kirche

 
"Wo Petrus, da ist die Kirche", sagt der hl. Ambrosius. Und wie Gottes unsichtbare Hand den Stuhl Petri stets wunderbar erhalten und geschützt, so ist die katholische Kirche das grosse Meisterwerk der göttlichen Vorsehung. Ganz auffallend zeigt sich das Walten Gottes bei der Gründung, bei der Ausbreitung und bei der Erhaltung der Kirche.
 
Vor 1900 Jahren (man beachte, dass dieser Artikel 1922 verfasst wurde) wurde die katholische Kirche gegründet. Aber wie ist hier alles ganz anders, als bei eitlem Menschenwerk! Der Stifter der Kirche, Jesus Christus, von den Propheten vorhergesagt, von den Patriarchen ersehnt, von dem Engel des Herrn verkündet, wird von einer Jungfrau geboren. Er, der Besitzer des Weltenthrones, hat eine Krippe zur Wiege, und doch in seiner Armut und Niedrigkeit beten Hirten ihn an, beugen opfernd die Fürsten des Morgenlandes vor ihm ihre Knie, singen himmlische Heerscharen ihm Lob und Ehre. Und da er hervortritt unter die Menschen, sein grosses Werk beginnend, denkt er wie andere? Er sucht nicht das Seine; einen andern, den Höchsten, kennt sein Herz, des Wille überall geschehen, des Ruhm überall verkündet werden soll. Lehrt er wie andere? Ein höherer Geist redet aus ihm, enthüllt die Geheimnisse des Menschenlebens, offenbart, wer wir sind, was wir sollen, wohin unser Weg geht. Handelt er wie andere? Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Aussätzige werden rein, Tote stehen auf. Leidet er wie andere? Wie ein Lamm, das, zur Schlachtbank geführt, den Mund nicht auftut, und wiederum wie ein Held, der fallend siegt, zeigt er sich. Stirbt er wie andere? Der Unschuldige stirbt den Tod der Schuld, der Heilige leidet wie Schmach der Sünde, und doch sein Tod ist Leben, sein Grab Auferstehung, und das Kreuz wird zur Triumphsäule, um welche die Guten aller Zeiten und Geschlechter sich sammeln und anbeten und ihres Heiles sich freuen. Und seine Apostel, die er ausgewählt hat, um nach ihm den Bau fortzuführen, dessen Eckstein er geworden, sind sie wie andere? Die Einfältigen belehren die Weisen; die Armen bekehren die Reichen; die Furchtsamen werden die Sieger der Welt; die Kleingläubigen opfern Blut und Leben für den Glauben des Kreuzes, den sie verkünden. So offenbart sich das Walten der göttlichen Vorsehung in der Gründung der Kirche.
 
Nicht minder zeigt sich die Hand Gottes bei der Ausbreitung. Der hl. Augustin gibt uns in wenigen Worten eine Vorstellung davon, wenn er sagt, "dass das Kreuz die gesamte Welt besiegt und sich unterworfen habe." Um von der Grösse dieses Werkes eine Ahnung zu gewinnen, so bedenket, was es heißt: stolze Weisheitsmenschen, anmaßende Gewaltmenschen, üppige Sinnesmenschen, abergläubige Wahnmenschen zu bewältigen, und darum handelte es sich. Die tausendjährige Weisheit der Weisesten sollte beschämt und zum Glauben an die Lehre Jesu Christi geführt werden. Die Macht der Könige, die, wie der Prophet vorhergesagt, sich erheben, um gegen Christum zu ratschlagen, sollte überwältigt werden. Die tiefeingewurzelte Sinnlichkeit in den Gemütern der Wüstlinge sollte ausgerottet werden. Die abergläubischen Vorurteile der Völker, in denen sie geboren und erzogen, auf die sie stolz, ja eifersüchtig waren, sollten vernichtet werden. Und wodurch? Durch die Torheit des Kreuzes, durch die Demut des Kreuzes, durch die Selbstverleugnung des Kreuzes, durch das Martertum des Kreuzes. Wer anders, als Gott, vermochte solches zu vollbringen durch schwache Menschen? Und er hat es vollbracht. Es waren schöne Zeiten eines Ignatius, eines Policarp, eines Clemens, eines Irenäus; es waren schöne Zeiten, die Zeiten eines Athanasius, eines Ambrosius, eines Chrysostomus, Augustinus, Hieronymus; es waren schöne Zeiten der Gregore. Wer nennt die Kirche nicht eine göttliche, die aus ihrem Schoss solche Geister geboren, und die hinwiederum von solchen Geistern verbreitet wurde? Und hat heute das Walten Gottes in seiner Kirche aufgehört? Zeugt nicht heute noch das Blut der Martyrer für ihre Wahrheit? Sendet die Kirche nicht heute noch ihre Missionäre in die entferntesten Gegenden Asiens und Afrikas, aufzurütteln aus dem Todesschlummer, die noch darin befangen liegen?
 
Betrachten wir die Erhaltung der Kirche, welchen Wundern begegnen wir da! Unzählig und unübersehbar sind die Gefahren, welche die Kirche Christi bestürmt haben vom Anfang an bis auf diesen Tag. Bald war es die Hitze der grausamsten, blutigsten Verfolgungen von aussen, die sie ausgestanden; bald war es das verzehrende Feuer des Wahnes und der Spaltungen von innen, das mit zerstörender Gewalt sie angriff; bald war es die Kälte der Gleichgültigkeit, die Trägheit, des Unglaubens, welche alles lebendige, kräftige Wachstum hinderte. Was hat inmitten dieser zerstörenden Mächte sie erhalten und bewahrt? Hat sie sich mit Wällen umgeben? Sind Schwerter und Waffen für sie erhoben worden? Haben die Fürsten der Welt mit starken Heeren sie geschützt? Einer war´s, der seine mächtige Hand über sie gehalten, er, der da verheißen, mit ihr zu sein bis an das Ende der Welt. Und darum ist sie aus den blutigsten Verfolgungen stets am herrlichsten hervorgegangen; unter inneren Spaltungen und Erschütterungen hat sie ihre Kraft am glorreichsten bewährt; je mehr Gleichgültigkeit und Sittenverderbnis in sie eindrangen, desto klarer trat die göttliche Leitung der Kirche hervor, die trotz allem nicht unterging. Und ist´s nicht ein Wunder, dass bei dem Erziehungs- und Bildungsweg, welchen gar viele in unseren Tagen durchmachen, dass bei der Flut von Schriften, welche den Glauben untergraben, die Sittlichkeit zerstören, die Kirche und ihre Lehre entstellen und das Entstellte verhöhnen, dass bei den Pflanzstätten der empörendsten Laster, welche Unzucht und Unmäßigkeit sich allerorts errichten, ist´s nicht ein Wunder, dass der Kern des Christentums noch in so vieler Herzen verblieben, und noch so viel kirchliches Bewusstsein vorhanden ist? Ist´s nicht ein Wunder, dass immer noch apostolische Männer aufstehen, die als würdige Arbeiter im Weinberg des Herrn auch unter des Tages Last und Hitze sich bewähren? Seht da das Walten Gottes in seiner Kirche, das Walten desjenigen, der seine Kirche nie verlässt und um so mehr sie schützt und hält, je heftiger die Stürme toben. "Völker vergehen, Throne stürzen zusammen, aber die Kirche bleibt", rief Napoleon auf St. Helena, als er, am Gestade der Insel stehend, aus der Ferne das Glockengeläute einer Kirche hörte. "Es ist allein die katholische Kirche", schreibt Tertullian, "die unter Verfolgungen aufrecht geblieben und durch Martyrer gekrönt worden."
Wohl nirgends aber strahlt das Walten Gottes so glänzend, als in der Geschichte der Päpste, der obersten Hirten der Kirche. Es ist eine unleugbare Tatsache, dass Gott jedesmal in schweren, sturmbewegten Zeiten die Leitung seiner Kirche bevorzugten, hochbegabten Männern anvertraute, und wenn es die Verwirrung der Zeit erforderte, deren Pontifikat über das Mass der gewöhnlich kurzen Dauer päpstlicher Regierungszeit verlängerte. So gab die Vorsehung in den Tagen, wo die Kirche den letzten, entscheidenden Kampf mit dem Heidentum im altrömischen Reiche zu bestehen hatte, derselben als Oberhaupt einen Papst Sylvester; als Attila, die Geißel Gottes, Rom erobern und dem Erdboden gleich machen wollte, einen hl. Leo, den Grossen; als das Licht der christlichen Zivilisation in Irrlehre und Barbarei zu erlöschen drohte, einen hl. Gregor den Grossen, als es sich darum handelte, den christlichen Staat auf sichere Grundlagen zu stellen und die ganze Christenheit, unter dem Papst als Schirmvogt, zum heiligen römischen Reich zu vereinigen, einen Hadrian und Leo III.; als die Unsittlichkeit und Feilheit selbst in das Heiligtum der Kirche einzudringen sich erkühnte, als es notwendig wurde, die Freiheit der Kirche zu wahren gegenüber der Anmaßung der Welt, einen Gregor VII.; als der wunderbar grossartige Bau der kirchlichen Gesetzgebung sich vollenden sollte, einen Innocenz III.; als es galt, die Kirche gegen die verderblichen Einflüsse der Zeit zu stellen, einen hl. Pius V. den Mann des Gebetes, und einen Paul V., den Mann der Tat; als beim Beginn unseres Jahrhunderts die Kirche beraubt und vergewaltigt wurde, einen Pius VII., den starken, unbezwinglichen Dulder. Und in unseren Tagen, welche sonder Zweifel den bedrängtesten aller Zeiten kaum etwas nachgeben, setzte die göttliche Vorsehung an das Steuer des Schiffleins Petri einen Pius IX., den grossen Dulder und unerschrockenen Kämpfer für Wahrheit und Recht, einen Leo XIII., den Mann von seltener Klugheit und tiefer Gelehrsamkeit, den "Arbeiterpapst", wie man mit Recht ihn nennt, und einen Pius X., der alles in Christo wieder zu erneuern sucht. In jede Zeit stellt Gott den richtigen Mann, den Papst, der gerade in jene Zeit passt. Also ergibt sich auch für jeden vernünftigen, folgerichtigen Denker der Schluss: Es waltet eine unsichtbare Hand in der heiligen, katholischen Kirche.
Und wenn jemand hier gegenüber diesen grossen Päpsten an einige schlechte erinnern wollte, dann sagen wir mit Papst Leo I.: "Auch in den unwürdigen Nachfolgern zeigt sich die Grösse des heiligen Petrus", da kein einziger derselben in Glaubenssachen je eine irrtümliche Entscheidung gefällt. Ist das nicht der schlagendste Beweis für die Leitung der Kirche durch Gott? -
 
Nun frage ich: Können wir dieses sichtbare Walten Gottes in seiner Kirche betrachten ohne Ehrfurcht und ohne Zuversicht? Heilige Ehrfurcht muss uns erfüllen für eine Kirche, die in ihrem Ursprung so göttlich, in ihrer Beschaffenheit so erhaben, in ihren Wirkungen so segensvoll, die si sichtbar unter der Obhut des Allerhöchsten steht. Es gibt andere Religionen, die weit ausgebreitet sind über die Erde; aber was ist der Aberglaube ganzer Weltteile im Vergleich zu dem himmlischen Licht des Evangeliums? Betrachtet die Kirche in ihrer ganzen Grösse; erfasst die Lehre in ihrer Reinheit, fern von dem, was der Wahn in ihr finden, und die Bosheit ihr beimischen möchte; vergleicht ihre Aussprüche mit den Forderungen eures Gewissens; und den Bedürfnissen eures Herzens; vergegenwärtigt euch die Segnungen, die von ihr ausgegangen und fort und fort von ihr ausgehen; denkt an die glorreiche Schar ihrer Apostel, ihrer Martyrer, ihrer Heiligen, an die hohen Vorbilder der Frömmigkeit, der Weisheit, des Heldenmutes, die sie gebildet hat und noch immer bildet, - und gesteht: Es gibt keine Anstalt, die so sichtbar von Gott ausgegangen, so sichtbar von ihm gehalten, so sichtbar von ihm geleitet ist und darum so wunderbar und segensvoll auf die Menschheit eingewirkt hat und fort und fort einwirkt, als die Kirche; keine, die wir mit höherer Ehrfurcht betrachten könnten als sie.
Zur Ehrfurcht gesellt sich die volle Zuversicht, dass derjenige, welcher die Kirche bis jetzt so sichtbar geleitet, sie leiten werde bis an das Ende der Tage. Wohl ist die Zeit ernst und drohend und will immer ernster und drohender gestalten. Es ist nicht mehr Feuer und Schwert, womit man gegen die Kirche wütet; es ist nicht mehr der Strom wilder, roher Barbaren, der, von Norden daherbrausend, die Kirche zu überschwemmen und zu zerstören droht; es sind selbst die Risse und Spaltungen nicht mehr allein, die verheerend unter der Christenheit wirken: es ist die Fahne des Widerchrist, die mit lautem Feldgeschrei in unsern Tagen erhoben wird, und zahllos sind die Christen, welche um diese Fahne sich scharen und wider ihre eigene Mutter zu Felde ziehen. Es sind die gefährlichsten Waffen, deren man sich bedient, die Waffen einer gleißenden Afterweisheit, die den Sinnen schmeichelt, das Ohr kitzelt, der Selbstsucht fröhnt, durch falsche Verheißungen täuscht, ganz wie der heilige Geist es durch den hl. Paulus (2. Timoth. 4,3) vorausverkündet hat: "Es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren Gelüsten sich Lehrer zusammenhäufen werden, begierig, nur das zu hören, was den Ohren schmeichelt." Soll uns nicht bangen? Es soll uns bange sein um uns um unsere Einsicht, dass sie nicht irre geleitet werde; um unsern Mut, dass er nicht sinke; um unsere Festigkeit, dass sie nicht wanke; um unsere Treue, dass sie sich bewähre; um unsere Krone, dass sie uns nicht geraubt werde. Aber um die Kirche darf es uns nicht bangen. Der sie gegründet in einer Zeit, da alles wider sie ankämpfte; der sie verbreitet unter Verhältnissen, die alle sich wider ihn aufzulehnen schienen; der sie erhalten unter allen Stürmen und allem Wogenschwall der Lüge und Verleumdung durch 19 Jahrhunderte (20!) - er wird sie auch in Zukunft erhalten bis an das Ende der Tage. 
Die Kirche wird stets sein:
"Ein Leuchtturm in dem Weltenmeer,
Den Kämpfenden ein Licht,
Ein Hafen wunderbar und hehr,
An dem die Woge bricht."
 
 
(entnommen aus: Der Weg zum Glück, von Franz Xaver Wetzel, Stadtpfarrer und Dekan, Approbation, Rottenburg, den 27. Juli 1922)

Nach oben