Ein neuer Prophet?
Teilhard de Chardin
Auszug aus: "Ein neuer Prophet?" Teilhard de Chardin. Analyse einer Ideologie, von Prof. Albert Drexel
P. Philippe de la Trinité, einer der Experten beim Zweiten Vatikanischen Konzil, weist darauf hin, dass alle letzten Päpste versucht haben, der Verbreitung der irrigen Lehre Teilhards de Chardin zu begegnen. Teilhard blieb deshalb in der Kirche, weil er, wie er an einen Priester-Apostaten schrieb, glaubte, dass er innerhalb der Kirche seine Ideen besser propagieren könne.
Sein Ziel war eine Umfunktionierung des Christentums. "Manchmal erschrecke ich ein wenig, wenn ich an die Umformung denke, der ich mein Denken unterziehen muss..."
Teilhard war sich bewusst, dass er innerlich mit seiner Kirche gebrochen hatte: "Rom und ich" - eine kühne Parallelstellung - "haben zwei verschiedene Konzeptionen der Welt."
Diese Ideen führten relativ kurzer Zeit zu einer Verflachung, Verwischung und Verfälschung der biblisch-christlichen Grundanschauungen und zu einer Unterhöhlung des Credo. Die Haltung des kirchlichen Lehramtes war somit gerechtfertigt. Dabei fällt auf, wie sehr Gefühlsmomente, Sensation und bis zur Hysterie gesteigerte Schwärmerei zur Ausbreitung des Teilhardismus beitragen. Als Paläontologe hat sich Teilhard einen Namen gemacht, aber als Philosoph ist er einem irrealen Optimismus und einem Phantasie- und Wunschdenken verfallen, das von einer Vergottung der Evolution nicht mehr weit entfernt ist. Damit hat er den Modernismus unserer Tage mitgeprägt: Bruch mit der Vergangenheit, Flucht in die Zukunft.
"Ein Glaube, der sich in Vieldeutigkeit auflöst, vermag nichts zu befruchten"
Teilhard und Teilhardismus
In dem sieben Jahren nach dem Tode Teilhards, am 30. Juni 1962 erschienenen "Monitum" des Heiligen Offiziums lesen wir: "Gewisse Werke des Paters Teilhard de Chardin, darunter auch posthume, werden veröffentlicht und finden eine Anerkennung, die man nicht unbeachtet lassen kann." In den darauf folgenden Jahren, besonders seit dem Abschluss des II. Vatikanischen Konzils, haben die Schriften Teilhards in immer weiteren Kreisen bis in den Klerus, ja bis in geschlossene Klöster von Frauenorden, Eingang gefunden. Dazu hat nicht zuletzt die zum grössten Teil progressistische katholische Tagespresse beigetragen, von den Massenmedien abgesehen.
Einstmals hatte ein heiliger Hieronymus geschrieben: der erwachende katholische Erdkreis erstaunte, arianisch geworden zu sein. Wenn - in einer Parallele - Luc J. Levèvre meint, es könnte sich eines Tages zeigen, dass die Welt teilhardisch geworden sei, liegt darin wohl eine Übertreibung, immerhin aber die Andeutung einer gewissen Gefahr. Dies legt uns die Frage nahe: Welches sind die Erklärungsgründe für das Umsichgreifen teilhardischer Ansichten und eines mehr oder weniger deutlichen Teilhardismus?
Der erste Grund dafür, dass besonders in der katholischen Kirche so viele Kreise mit der Ideologie Teilhards sympathisieren, ist seine Abwertung oder vielmehr Ablehung der Übernatur und damit der Mysterien unseres Glaubens, der Wunder, der Gnade. Die Unverträglichkeit seiner Hypothese der universalen Naturevolution mit der christlichen Lehre und dem Glaubensgut der Kirche war Teilhard irgendwie bewusst, gesteht er doch einmal: "Manchmal erschrecke ich ein wenig, wenn ich an die Umformung (transposition) denke, der ich mein Denken unterziehen muss, was die vulgären Begriffe 'Schöpfung', 'Inspiration', 'Wunder', 'Erbsünde', 'Auferstehung' usw. betrifft, um sie annehmen zu können:" Genau diese Werte und Begriffe werden von den Progressisten und Neomodernisten des nachkonziliaren Katholizismus in Frage gestellt und bekämpft.
Der zweite Grund für die um sich greifende Symathisierung mit dem Teilhardismus ist Teilhards Ablehung des Kreuzes und damit des fundamentalen Mysteriums der Erlösung. Und will nicht der nachkonziliare Progressismus innerhalb der Kirche Roms mit seiner Hinwendung zur Welt nicht mehr viel wissen von der "Religion des Kreuzes"? Da nach katholischer Lehre das sacrificium Missae, das eucharistische Opfer, die geheimnisvolle, sakramentale Wiederholung des Kreuzesopfers auf Golgotha ist, wäre die Frage berechtigt, in welcher Glaubenseinstellung Teilhard als katholischer Priester am Altar gestanden hat.
Der dritte Grund dafür, dass heute so viele Menschen innerhalb des Christentums und der Kirche der Ideologie Teilhards zuneigen oder anhangen, ist seine Abwertung und Verwischung des Begriffes "Sünde". Für Teilhard ist Sünde lediglich entweder ein geringerer Grad von Beitrag zum Evolutionsprozeß oder "Ausschussware". Und gibt es nicht, zumal seit dem II. Vatikanischen Konzil, die vielen Progrssisten und Neomodernisten, die das, was in biblischer und christlich-kirchlicher Sicht Sünde ist, bagatellisieren und als Tugend sozusagen einzig nur die individuelle, vor allem die soziale Liebe gelten lassen wollen? Tätigkeit als Beitrag zum Fortschritt der allgemeinen Evolution steht für Teilhard höher im Wert als alles christliche Streben nach persönlicher Heiligung des Lebens und die Verchristlichung der Gesellschaft.
Damit komme ich zu dem Hauptthema des Teilhardismus, zu dem zentralen Wert und Begriff, von dem aus für Teilhard alles zu beurteilen ist, um den sich ihm alle Probleme gruppieren. Es ist der universale Evolutionismus des Seins und der Natur. Alpha und Omega, Anfang und Abschluss des Prozesses der Entwicklung ist der "kosmische Christus". Dieser Prozeß führt schließlich - nach Teilhard - zur "Neuen Erde", zum "Vollkommenen Menschen" und zum "Ewigen Frieden". Die Evolution ist für Teilhard sein Eins und Alles, und von da aus begeistert er sich für die Welt und die Materie. "Wenn ich infolge einer inneren Revolution meinen Glauben an Christus verlieren würde, meinen Glauben an einen persönlichen Gott, meinen Glauben an den Geist, dann - scheint es mir - würde ich doch meinen Glauben an die Welt (den Wert, die Unfehlbarkeit und Gutheit der Welt) behalten, das ist - endgültig - das erste und einzige Ding, an das ich glaube."
Zum Fortschritt in diesem Panevolutionismus beizutragen auf dem Wege menschlicher Bemühung, ist die Aufgabe des Menschen, Ziel und Sinn seines Lebens, ja die Religion, "die Religion der Evolution". Und hier hüllt Teilhard seine Idee wieder in den Mantel eines christlich-traditionellen Begriffes, wenn er sagt: "Zu den Gipfeln, die vor unserem menschlichen Auge verhüllt sind und zu denen empor wir das Kreuz tragen, erheben wir uns auf dem Weg des universalen Fortschritts, dem königlichen Weg des Kreuzes." Es ist nicht der Weg der biblisch-christlichen Nachfolge Jesu, sondern die Tat und Mühe, die allgemeine Entwicklung voranzutreiben - hin zu den "verhüllten Gipfeln" der "Neuen Erde", des "Vollkommenen Menschen" und des "Ewigen Friedens". Damit stimmt überein, was Teilhard von der Anbetung sagt, die den Inhalt des ersten Gebotes vom Berge Sinai bildet: "Du sollst den Herrn, deinen Gott anbeten!" Dagegen Teilhard: "Anbeten hieß einst, Gott den Dingen vorziehen, indem man sie auf ihn bezog und sie ihm zum Opfer brachte. Anbeten wird heute dazu, Leib und Seele dem schöpferischen Akte zu widmen, indem man sich ihm anschließt, um die Welt zu vollenden durch den Einsatz und die Forschung."
Teilhard war von dem Wahn, der sich selbst eingeredeten Idee beherrscht, dass der Prozeß der Naturevolution am Ende, "im Punkte Omega", zur paradiesischen Vermählung von Materie und Geist, zur "Supermenschheit" führe, und vergaß oder übersah, - dass die "Neue Erde", der "Vollkommene Mensch" und der "Ewige Friede" nur von dem schöpferischen Eingriff des über der Natur stehenden und waltenden transzendenten Gottes der Allmacht, der Weisheit und der Liebe kommen kann.
Und ein Zweites: Der "kosmische Christus" ist eine erfundene Idee Teilhards, die mit dem biblischen und geschichtlichen Christus nichts zu tun hat. Diese Idee hängt wesentlich zusammen mit der Vergottung der Panevolution, ja sie ist geradezu ein Postulat dieser. Panevolution und kosmischer Christus standen für Teilhard Pate für seine "Religion der Evolution". Sein "kosmischer Christus" wird ihm "zur Flamme menschlicher Anstrengungen, er offenbart sich als die Form des Glaubens, die den modernen Bedürfnissen am meisten angepasst ist - eine Religion des Fortschritts, die Religion sogar des irdischen Fortschritts, ja, ich wage es zu sagen: die Religion der Evolution". Damit und darin wird eine dritte Gedankengeburt Teilhards sichtbar: Religion als Anpassung an die "modernen Bedürfnisse", also Relativismus, letztlich Wandelbarkeit der Wahrheit. In der Tat: Redet Teilhard nicht wieder und wieder von einem "neuen Gottesbegriff", von einem "neuen Christentum", von einem "neuen Glauben"? Sie zu prüfen, kritisch zu prüfen, logisch und psychologisch zu analysieren, ist unsere Aufgabe, Inhalt dieser Schrift.
Zunächst nehme ich an und gebe ich zu, dass Teilhard de Chardin persönlich von der Richtigkeit seiner Gedankenkonstruktion, seines Weltbildes, seines Panevolutionismus irgend überzeugt gewesen ist. Ich sage: irgend. Wer nämlich behauptet, er sei von seiner Idee in absolut-vollkommenem Sinne überzeugt, würde unbescheiden werden und ob seiner kühnen Selbstbewusstheit zu tadeln sein. Vollkommene Gewissheit könnte uns in Hinsicht auf eine Aussage oder ein Geschehen nur Gott, der sich offenbarende Gott geben. Wir nennen das Glaubensgewissheit (an der allerdings die übernatürliche Gnade teilhat). Hat Teilhard die restlos ganze, klare und feste Überzeugung von der Richtigkeit seiner Idee, seines Gedankengebäudes, seiner Seins- und Weltdeutung haben können? Ich füge hinzu: haben dürfen?
Anscheinend. Oder doch nicht? Wenn Teilhard 1933 schreibt: "Rom und ich" - eine kühne Parallelstellung - "haben zwei verschiedene Konzeptionen von der Welt", dann müsste ihm doch der Gedanke nahegelegen haben, die Frage, ob die Konzeption Roms, hinter der Paulus, Augustinus, Thomas und Newman stehen, nicht doch auch ihre Begründung, ihre Berechtigung, ihren Anspruch auf Wahrheit haben könnte. Andernfalls hätte sein "Selbstbewusstsein" mit Bescheidenheit, Demut und Selbsterkenntnis kaum etwas zu tun.
Nun berufen sich manche Anhänger des Teilhardismus auf einen gewissen Heroismus im Leben Teilhards. Damit soll näherhin das Folgende gemeint sein: Teilhard hat zweifellos darunter gelitten, dass seine Schriften und Bücher in der Zeit seines Lebens zurückgehalten wurden und von der zuständigen kirchlichen Instanz nicht das "Imprimatur" für die Drucklegung bekommen haben. Dass Teilhard dies ertragen, äusserlich sich im Gehorsam dem Urteil gebeugt und - ohne allen Zweifel - unter dem Zwang der Verhältnisse seelisch gelitten hat, ist verständlich und der Anerkennung wert. Abgesehen jedoch davon, dass sein Gehorsam kein innerer war (was entschuldigt werden kann), ist hier ein Zweifaches zu unterscheiden: die subjektive, persönliche Haltung und Überzeugung und die Frage nach der objektiven Wahrheit der Lehre (Teilhards) einerseits und der kirchlichen und geschichtlichen Auswirkung dieser Lehre andererseits.
Dass Teilhard sich dem Urteile seiner Obern und der Kirche gebeugt hat, ist Tugend und war für ihn seelischer Schmerz, - wobei über die letzte innere Haltung, über die Gedanken und Gefühle, in und mit denen Teilhard jenes Sichbeugen hingenommen und durchgestanden hat, der allwissende Gott allein urteilen kann und - im besonderen Gericht - geurteilt hat. Was Teilhard sich als sein Weltbild zurechtgelegt hatte, war ihm sozusagen sein Eins und Alles geworden, seine Konstruktion, seine Ideologie, sein Traum - er redet von Traum und Träumen, wenn er in seiner Evolution futuristisch denkt, Ideen seines Wunschdenkens in die Zukunft projiziert.
War nun aber das, was Teilhard nicht, wie er wollte und wünschte, in die Öffentlichkeit tragen und der Welt kundtun konnte, Wahrheit oder gar die Wahrheit? Dies zu glauben, im Tiefsten, in allem, mit Absolutheit, oder gar zu behaupten, ohne Einschränkung, ohne Vorbehalte, ohne Hemmungen, wäre nicht das Zeichen, noch weniger der Erweis eines grossen Geistes, vielmehr Anmaßung als Weisheit. Ein Grosser des alten Griechenland, der Philosoph und Lehrer Sokrates, bekannte von sich: "Je mehr ich weiß, desto mehr bin ich mir bewusst, dass ich nichts weiß." Um nur einen von den vielen problematischen Sätzen seiner Ideologie herauszugreifen, ist der Satz von dem Übergang der Tierseele zum Geist des Menschen, zur Menschenseele, eine von der Kirche verworfene Annahme. Dasselbe gilt in erhöhtem Maße von seiner Idee eines "kosmischen Christus". Dasselbe von der Traumidee einer "Religion der Evolution". Das Weltbild Teilhards ist nicht ein System objektiver Wahrheiten, sondern eine im Wesentlichen aus subjektiven Annahmen, Erfahrungen und Deutungen gewonnene Ideologie. Sie nicht veröffentlichen zu können, war sein Opfer, um dessetwillen Teilhard von seinen Verehrern zu einem "Märtyrer der Idee" gestempelt wird. Ist dieses "Martyrium" nicht doch auch nach dem Wert der geopferten Idee zu beurteilen? Damit komme ich zur letztlich entscheidenden Frage in der Beurteilung und Wertung des Teilhardismus.
Es ist die Frage nach der Auswirkung der Lehre Teilhards in weltanschaulicher Hinsicht näherhin für die Existenz des Christlichen, zumal im Hinblick auf den Bereich und Bestand des katholischen Credo, des Credo der Kirche Roms. Hier nun freilich ergibt sich ein anderes Bild. Es vorwegzunehmen, wage ich zu sagen: die Bekenntniskrise innerhalb des Christentums wie insbesondere die zunehmende Unsicherheit und Verwirrung unter den Gläubigen der römisch-katholischen Kirche ist weitgehend dem Einfluss des Teilhardismus zuzuschreiben. Als Beweis dafür können unter anderem die folgenden Lehren und Behauptungen gelten: die Abwertung und Ausschaltung des Übernatürlichen, die offenkundige Leugnung der Erbsünde und im Zusammenhang damit die Infragestellung, ja Ausschaltung des Erlösungswerkes (Epiphanie und Pasion), Verfälschung des Begriffes "Sünde", Verfälschung des Begriffes "Religion", Auflösung der persönlichen jenseitig-ewigen Anschauung Gottes in ein Eintauchen des individuellen Bewusstseins in das allgemeine Bewusstsein der "Übermenschheit", die Abwertung der christlichen Aszese, insbesondere des Heiligenbildes der Vergangenheit, die Ausrichtung des Lebens auf das Diesseits und seine Einordnung in den natürlichen Prozeß einer universalen und vergotteten Evolution, die zum Immanentismus gravierende Umdeutung des Gottesbegriffes ("Weltseele") mit der zwangsläufigen Verschweigung und Übergehung des fundamentalen und umfassenden Geheimnisses der Dreipersönlichkeit Gottes (Trinität).
Dass alle diese Anschauungen, Annahmen und Behauptungen nicht nur vom unabdingbaren Bestand der Glaubenswahrheiten, vom Credo der Katholischen Kirche, abweichen, sondern diesem Credo entgegengesetzt sind, ist klar. Die ganzen für den Modernismus und Neomodernismus kennzeichnenden Verschwommenheiten, Umdeutungen und den Glauben zersetzenden Formulierungen gehen weithin und zum Teil bewusst und ausdrücklich auf Teilhard de Chardin zurück. So wahr es ist, dass zum Beispiel im holländischen Katechismus viele schöne Stellen und ansprechende Gedanken zu finden sind, so wahr ist - leider und unleugbar - die verwischende, umdeutende und zwielichtige Sprache dieses Katechismus dort, wo es sich um wesentliche, ja fundamentale Wahrheiten und Fragen des christlichen, zumal des katholischen Credo handelt.
So gesehen, ist die Ideologie Teilhards, sein sogenanntes "Weltbild", der "Teilhardismus", nicht nur nicht heilbringend, sondern in seinem Fazit, in seiner Auswirkung für das biblisch-geschichtliche Christentum allgemein, für das Glaubensgut und das Glaubensleben der Kirche Roms im besondern zersetzend und verwirrend. Teilhard glaubte anscheinend und nach seinem ausgesprochen selbstbewussten Auftreten ("Rom und ich"!) zu urteilen, die erlösende Wahrheit gefunden zu haben. Hat er geahnt, wie faszinierend seine Hypothesen auf weite Kreise der Halbgebildeten und Glaubensschwachen, aber auch der dogmamüden, glaubensunsicheren und dem Übernatürlichen abgeneigten Theologen und Intellektuellen wirken würden? Hat er gewusst oder sich irgendwie denken können, dass seine Lehren und Ansichten einmal bis in den Katechismus hinein die Gläubigen verwirren und ihnen Wahrheit und Klarheit bedrohen, zerstören, ja vielfach nehmen werden?
Zu einem Brief über Teilhard de Chardin
Vor einigen Monaten erreichte mich der mit Datum vom 9. September geschriebene Brief einer Ordensschwester, worin diese mich über den französischen Jesuiten und Naturforscher Teilhard de Chardin belehren wollte. Da mir bekannt ist, wie gerade in Frauenklöstern die Schriften und Werke Teilhards kursieren, diskutiert werden und gelegentlich sogar Begeisterung wecken, sehe ich mich veranlasst, zu dem Brief Stellung zu nehmen. Ich tue das in der Hoffnung, dass diese Ordensschwester und mit ihr andere gesinnungsverwandte Leserinnen und Lehrerinnen in Klöstern einer nüchternen Klarstellung von Tatsachen zugänglich sind und sich ihrer Verantwortung sich selber und anderen gegenüber bewusst werden. Dazu ist freilich notwendig, den Hauptteil des Briefes hier im Wortlaut wiederzugeben. Die Schwester schreibt:
"Erlauben Sie mir, was nun Teilhard betrifft, die Frage: 'Haben Sie wirklich Leben und Werk dieses grossen Naturwissenschaftlers je gründlich studiert?' Wissen Sie, dass dieser Paläontologe von Weltruf auch ein ganz treuer Sohn unserer Kirche und ein beinahe heroisch treuer Sohn seines Ordens und seiner Obern war, gehorsam bis in die letzten Einzelheiten. Dazu war er von schlichter, liebenswürdiger Menschlichkeit, dass jene, die ihn persönlich kannten, tief davon beeindruckt blieben. Um Ihnen nur einen zu nennen: ich hörte den bekannten Zürcher Philosophen Dr. Corti in öffentlicher Versammlung sagen: 'Pater Teilhard war einer der edelsten Menschen, die ich je kennenlernte, ein Katholik von echtester und tiefster Gläubigkeit, der mit seinem guten Herzen aber auch unsäglich gelitten hat.' Das ungefähr waren Dr. Cortis Worte, und er war dabei zutiefst ergriffen von der Erinnerung an die Begegnung mit Teilhard. Kennen Sie denn nicht auch das Wort Papa Giovannis, des grossen und lieben Papstes, Teilhard werde nie indiziert, wohl aber heiliggesprochen? Ich selber, nur eine einfache Schwester, studiere gemeinsam mit unserer Naturwissenschaftslehrerin, einer feingebildeten und frommen Schwester, schon seit beinahe einem Jahrzehnt Teilhards Werke und muss sagen, dass aus ihnen der Schöpfergott, der kosmische Christus, wie ihn die Heilige Schrift in den Paulusbriefen, den Psalmen und anderswo kündet, wunderbar ausstrahlt. Bedenken Sie auch, dass die grossartige Zusammenschau, wie sie dieser Gelehrte und Mystiker darstellt, die Evolution auf der ganzen Linie, den denkenden Menschen von heute, besonders auch den jungen, viel mehr anspricht als der alte Dualismus, der Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung, Geist und Materie als beinahe gegensätzlich auffasste. Artikel und Predigten in so veraltetem Denken können heute nur abstoßen."
Soweit der Brief, den die Schreiberin mit "Lieber Herr Drexel" einleitet. Sie werden entschuldigen, ehrwürdige Schwester, wenn ich mich im Folgenden bei Beantwortung des Briefes unmittelbar an Sie wende. Sie wissen nicht - so fragen Sie -, ob ich Priester oder Laie sei. Da es für die Antwort irgendwie von Bedeutung ist, dass ich als Priester, nicht bloß als Gelehrter zu Ihnen rede, wollte ich Sie nicht im unklaren lassen. Hätten Sie von meinem zweibändigen Werk "Die Völker der Erde" Kenntnis gehabt und namentlich Band II "Mensch und Rasse in vorgeschichtlicher Zeit" so gründlich studiert wie - anscheinend - die Werke Teilhards, dann hätten Sie wahrscheinlich Ihren Brief nicht geschrieben. Nun aber zur Sache. Sie beschreiben, ehrwürdige Schwester, in langen Sätzen und mit auffallend begeisterten Worten die Persönlichkeit Teilhards. Über sie ein Urteil abzugeben, war nie meine Absicht. Dieses Urteil liegt letztlich bei Gott. Was meine mir vorgenommene Aufgabe war, ist eine Prüfung der von Teilhard in seinen Werken niedergelegten Lehren, soweit sie namentlich theologische Themen und Probleme betreffen. Zu Ihrer Orientierung sei bemerkt, dass ich Teilhards Schriften gut kenne, mich sehr intensiv damit beschäftigt und die ungebührlich um sein Weltbild ausgeweitete Kontroverse verfolgt habe. Eines allerdings möchte ich hinsichtlich Ihrer Erwärmung für die Person Teilhard feststellen: Sie dürfen nicht vor lauter Begeisterung in Unwahrheit verfallen. Was Sie von Papst Johannes XXIII. ("Papa Giovanni") sagen, stimmt nicht. Sie müssten doch von dem "Monitum" wissen, das unter diesem Papst hinsichtlich der Lehren von Teilhard am 30. Juni 1962 erschienen ist. In diesem Monitum heißt es wörtlich: "Gewisse Werke des Paters Teilhard de Chardin, darunter auch posthume, werden veröffentlicht und finden eine Anerkennung, die man nicht unbeachtet lassen kann. Unabhängig von jedem Urteil, das den positiv wissenschaftlichen Teil dieses Werkes angeht, zeigt sich auf dem Gebiet der Philosophie und Theologie klar, dass die oben angeführten Werke derartige Doppeldeutigkeiten enthalten, und darüber hinaus so schwere Irrtümer, dass sie die katholische Lehre verletzen. Die oberste Kongregation des Heiligen Offiziums fordert deshalb alle Ordinarien sowie Obern religiöser Gemeinschaften, Seminarleiter und Universitätsrektoren auf, die Geister - namentlich die jungen Menschen - vor den in den Werken Pater Teilhard De Chardins und seiner Anhänger enthaltenen Gefahren zu schützen."
Sie müssen wissen, dass das Heilige Offizium in Rom sich bei dieser seiner Mahnung auf das Gutachten und Urteil von Fachberatern gestützt hat. Was Sie hinsichtlich einer künftigen Heiligsprechung Teilhards zu berichten wissen, ist wohl einer gewissen Schwärmerei und Ihrer Phantasie oder einer falschen Information zuzuschreiben. Übrigens müssten Sie wissen, dass Teilhard seinem Wort gemäß "an einem persönlichen Fortleben im Jenseits kein Interesse hat", was einen seiner Kommentatoren, Ignace Lepp, veranlasst hat, sich irgendwie über die "requies aeterna, die ewige Ruhe" des katholischen Bestattungsritus lustig zu machen. Merken Sie, Schwester, in welcher Richtung der Wind Teilhards weht?
Nun aber zum eigentlichen und Hauptthema des Teilhardismus. Teilhard redet von dem "kosmischen Christus", den er zum Alpha und Omega eines Natur- und Entwicklungsprozesses macht. Dieser Prozess beginnt im "Punkte Alpha" bei der in der Materie schlummernden Urenergie und endet - nach Durchlaufen aller natürlichen Entwicklungs- und Übergangsstadien - beim "vollendeten Menschen" und der "neuen Erde". Sind Sie sich schon irgendwie klar darüber geworden, dass es sich hier um eine Konstruktion, um eine Hypothese, um ein von reichlich viel Phantasie genährtes individuelles Weltbild handelt? Dass Sie den Apostel Paulus, die Bibel, ungenannte Stellen der Psalmen "und anderswo" als Zeugen für die Richtigkeit des Teilhard´schen Kosmismus anführen, zeugt von einer grossen Oberflächlichkeit oder davon, dass Sie solche Dinge und Behauptungen gewissen Schreibern und Rednern nachgesprochen haben. Wenn Paulus bzw. Johannes von einer "neuen Erde" spricht, dann liegt dem wohl die Auffassung zugrunde, dass Gott der Schöpfer am Ende der Tage nicht bloß den für ein ewiges Glück Auferstandenen bzw. Auferweckten den "neuen Himmel" schenken, sondern auch die Erde nicht untergehen lassen, sondern in neuer Schöpfung gewissermaßen "verklären" wird. Dies könnte allerdings nur durch einen neuen und besonderen Eingriff Gottes, also von der Übernatur her, möglich werden.
Dass sich Mensch und Erde auf dem Wege eines rein natürlichen Prozesses zu einer Vollendung hin entwickeln, ist die Annahme einer Phantasiegläubigkeit, aber niemals ernste Wissenschaft. Erleben wir es nicht in unheimlich steigendem Maße, wie der Mensch und die Menschheit zu einem Grossteil sich auf dem Wege einer moralischen Degenerierung befindet, und die Katastrophen, auch und besonders die Naturkatastrophen, sich mehren? Dass sich Menschen, auch sogenannte Intellektuelle, von dem Zukunftsgerede und der Gehirnkonstruktion eines Teilhard einnehmen lassen, ist dem nüchternen Vernunftdenken schwer fassbar.
Teilhard geht ganz auf in seiner Verliebtheit in die Materie - sie lässt ihn einen "Hymnus auf die Materie" dichten - und in seiner Lieblingsidee eines Panevolutionismus. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Schwester, was es heißt, wenn Ihr Teilhard an einer Stelle bekennt: "Sollte es irgendwann geschehen, dass ich nicht mehr an Gott glaube, würde ich noch an die Entwicklung glauben"? Weil seiner radikalen Entwicklungshypothese gemäß der Mensch einen mehrfachen Ursprung hatte - eine unbewiesene und unbeweisbare Annahme, weiß er mit der Glaubenswahrheit der Erbsünde nichts anzufangen. Weil Teilhard alles auf die Natur setzt, ist ihm Augustinus mit seiner Lehre von der Übernatur - Augustinus ist von der Kirche mit dem vielsagenden Titel eines "Doctor gratiae" ausgezeichnet worden - ein Dorn im Auge. Während sowohl der heilige Augustinus wie Thomas von Aquin von dem transzendenten, über der Natur stehenden, persönlichen Gott und von dem theologischen Fundamentalgeheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit reden, entfernt sich Teilhard in seinem System von diesen beiden Grössten der Gotteswissenschaft. Ja, Teilhard geht so weit, dass er mit dem Gedanken an einen neuen Gottesbegriff sympathisiert! Was wunder, wenn da und dort gewisse Teilhardianer von dem "sich im Menschen vollziehenden Gott" (Immanenz) sprechen und andere sich nicht scheuen, über den ausser und über den Menschen stehenden absoluten Gott zu lächeln! Sind Sie sich, irgendwie wenigstens, bewusst, was dies alles bedeutet? Sind Sie sich bewusst, wie Sie mit Ihrer Abwertung des "Dualismus von Gott und Welt, Schöpfer und Geschöpf, Geist und Materie" in die Sphäre eines Monismus hineinschlittern und in die Bannmeile eines Pantheismus geraten? Der Dualismus besteht, doch weder Paulus, noch Aquinate haben - über den Wesensunterschied hinaus - in diesem Dualismus eine "Gegensätzlichkeit" gesehen oder behauptet.
Sie führen - in einem späteren Teil Ihres Briefes - Autoritäten an, die sich für Teilhard de Chardin ausgesprochen haben. Ihren erstgenannten Karl Rahner hätten Sie nur mit sehr viel Vorbehalt nennen dürfen. Haas, Pfleger und Boros sind theologische Schriftsteller, die sich unter dem Einfluss Teilhard´scher Ideen ihr Weltbild zurechtgelegt haben. Der Franzose Lubac wusste und weiß um die "schwachen Punkte" im Teilhardismus. Overhage und Conrad-Martius, beide wohl kaum überragende Autoritäten, vermochten die Unklarheiten und Ungereimtheiten in Teilhards Weltbild nicht auszuräumen. Aber warum haben Sie denn nicht auf andere, wirkliche Autoritäten in Sachen der Philosophie und Theologie hingewiesen? Auf den Philosophen Dietrich von Hildebrand, den Philosophen Theodor Haecker, einen Hans Urs von Balthasar, einen Kardinal Journet, John Henry Newman? Im übrigen gilt auch da das alte Wort klassischer Weisheit: "Amicus Plato, amicus Sokrates, magis amicus veritas", was auf Deutsch heißt: Plato und Sokrates mögen Freunde sein (und ihre Ansicht haben), wirklicher ganzer, letzter und im Entscheidenden ist Freud nur die Wahrheit. Nun ist freilich bei nicht wenigen modernen Geistern auch dieser Begriff, also die Wahrheit, nicht ohne den Einfluss Teilhards, problematisch geworden - entgegen der von dem Münchner Philosophen Reinhard Lauth unwiderleglich bewiesenen Ungeschichtlichkeit, das will sagen, Unwandelbarkeit der Wahrheit.
Soll ich Sie noch darauf aufmerksam machen, dass Teilhard de Chardin in einem wichtigsten Balange menschlicher Existenz, in der Frage nach dem, was Religion ist, völlig versagt? Teilhard träumte von einer "Gebildetenreligion" - seine Heroen sind die Koryphäen der Wissenschaft. Tugend und Sünde werden danach bemessen, ob und inwieweit eine Handlung, ein äusserer oder innerer Akt des Menschen der Förderung im grossen und allgemeinen Natur- und Entwicklungsprozeß dient. Seine "Märtyrer" sind jene Wissenschaftler und Forscher, die um einer ihrer Ideen, diese Ideen haltbar, also wahr oder nur subjektiv empfundene Wahrheit sind oder waren. Lesen Sie, ehrwürdige Schwester, einmal mit dem wirklichen Willen zur Wahrheit, was Dietrich von Hildebrand in seinem neueren Werk "Das Troyanische Pferd in der Stadt Gottes" über "Teilhard de Chardins neue Religion" geschrieben hat. Tun Sie das, werden Sie vermutlich etwas nachdenklicher. Ich könnte fortfahren, auf Gefahren und Bedenken und Unhaltbarkeiten im Teilhard´schen "Weltbild" hinzuweisen. Das Gesagte mag genügen. Doch etwas anderes liegt mir hier am Herzen. Ist es nicht bedenklich, dass in Klöstern der Frauenorden mit den Schriften von Teilhard ein förmlicher Kult getrieben, Verwirrung angerichtet und der Geist der Heiligen der Kirche untergraben wird? Ist es nicht erschütternd, wie von Nonnen als Lehrschwestern solch verwirrende Ideen ins Leben junger Menschen gebracht werden? Ist es nicht verantwortungslos, wenn in Frauenklöstern an Stelle der gesunden katholischen Lehre und des Geistesgutes der grossen Lehrer der Kirche die mehr als fragwürdige Philosophie einer radikalen Weltevolution und Naturvergötzung zur Seelenkost wird? Ich weiß - aus konkreten Beispielen - davon, dass in Exerzitien für Ordensfrauen und Klosterschwestern nicht die Heilige Schrift, das Büchlein von der "Nachfolge Christi" und die Anweisungen des heiligen Ignatius von Loyola, sondern Teilhardismus vorgetragen und angepriesen wird. Ich weiß, dass in nicht wenigen Frauenklöstern mit oder ohne Wissen der Obern, sei es durch ihre Schwäche oder aus Unkenntnis, Anschauungen Schule machen dürfen, die das katholische Glaubensgut in Frage stellen und letztlich Herz und Verstand einem ganz und gar unchristlichen Bildungsdünkel ausliefern. Es mögen die, die berufen sind und Verantwortung tragen, ehe es zu spät ist, zum Rechten sehen!
Eine grosse Dichterin unserer Zeit, Gertrud von Le Fort, hat einen "Hymnus an die Kirche" geschrieben. Grosse und grösste Mystiker der Kirche haben in Tiefe der Gedanken und in Worten und Versen voll Schönheit das grösste Geheimnis des Glaubens, die Sancta Trinitas, den mystischen Christus im "Sacramentum tremendum", die "Rosa mystica" und die "Chöre der himmlischen Geister" besungen. Papst Paul VI. hat in beschwörenden Worten die Gläubigen, Klerus und Volk, zur Liebe zur Kirche aufgerufen. Johannes XXIII. hat bei der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils angesichts des Weltepiskopates und vor aller Welt feierlich Thomas von Aquin als den Lehrer unserer einen apostolischen und katholischen Kirche bekannt und gepriesen. Wie seltsam nimmt sich da der "Hymnus an die Materie" eines Teilhard de Chardin aus, wie befremdend, wie verloren! Jenes Teilhard, der auf dem II. Vatikanischen Konzil ungenannt blieb, jenes Teilhard, dessen Ideen im höllandischen Neuen Katechismus durchsickern, jenes Teilhard, dessen Schriften und Publizisten eine mitwesentliche Ursache der heutigen innerchristlichen und zumal innerkatholischen Glaubensverwirrung geworden sind.
Teilhardismus - dieser hat die verschiedenen "ismus-Philosophien" um eine vermehrt: Pantheismus, Monismus, Darwinismus, Neodarwinismus, Deismus, Existentialismus und ähnliche mehr. Alle diese ismus-Philosophien und ismus-Systeme beherrschten und beherrschen eine Zeitlang die "Weltbild" - Bühne, um sich zu verbrauchen und neuen, anderen Platz zu machen. Darum mag es nützlich sein, die Worte zu beherzigen, die ich in "Bekenntnis" niederschrieb:
Man redet viel von Theorien
Und konstruiert nach Herzenslust,
Gefällt sich sehr in Phantasien,
Behauptet manches selbstbewusst
Und hört des Lobes Melodien.
Diese Verse legen es mir nahe, etwas noch auf den Menschen Teilhard de Chardin oder vielmehr auf sein Leben und sein Wesen einzugehen, weil Sie, ehrwürdige Schwester, daraus nicht nur Ihre Verehrung für ihn, sondern geradezu ein Argument für die Richtigkeit seines Weltbildes schöpfen.
Ganz allgemein ist zu sagen und müssten Sie wissen, dass das Ethos, die Tugend, das liebenswürdige Wesen eines Menschen, eines Gelehrten oder Wissenschaftlers niemals ein Beweis für die Richtigkeit seiner Ideen und Ansichten ist oder sein muss. Ich nenne hier nur eines von vielen Beispielen. Immanuel Kant war zweifellos ein grosser Philosoph und hat als solcher ein eigenes System, den transzendentalen Idealismus, entwickelt, sein Weltbild. Immanuel Kant war - dies muss ihm zugestanden werden - von einem hohen und reinen Ethos, ein Mann von edlem Charakter und menschlicher Nähe. Niemand aber wird deshalb, aus diesem Grunde seine Ideologie, sein Denken und Weltbild für wahr, für allgemein gültig halten, sondern wissen, dass diese Ideologie (wie ein Dutzend andere "Weltbilder") letztlich die subjektive Ansicht eines Denkers, (wie ich glaube) des grössten unter den deutschen Philosophen, war und bleiben wird, eine Ideologie, die Wahres und Irriges enthält, in ihrem wesentlichen Gehalt aber fragwürdig ist.
Nun eine Frage. Wäre es für die Menschheit und die Welt ein Unglück, ein entscheidender Verlust, wenn es nie einen Kant, wenn es nie eine Kant´sche Ideologie, einen Kantianismus gegeben hätte? Und mit demselben Recht frage ich: Wäre es ein Unglück für die Welt und die Menschheit, wenn es nie einen Teilhard de Chardin oder doch nie seine Ideologie gegeben hätte? Und zu diesen beiden Fragen meine Gegenfrage. Durch den Philosophen Immanuel Kant und seine Ideologie ist in ungezählten Menschen und Christen das gläubige Denken, das theologische und biblische Weltbild erschüttert worden und ins Wanken geraten. Ist der geistige, der religiöse, der göttlich ausgerichtete Gehalt und Bestand des Christenmenschen, der Christenheit nicht zu seinem Schaden, zu ihrem Verlust von den Ideen Kants beeinflusst worden? War der Einbruch des Kantianismus in die Welt des Evangeliums Christi, in seiner Auswirkung gesehen, nicht ein Negativum, ein Schaden, ein Unglück? Und dazu meine zweite Frage: Sind durch den Einbruch der Ideen Teilhards in das christliche Weltbild, zumal in das Credo, in die Glaubenswelt und Moral der Kirche Roms nicht ungezählte Menschen in ihrer Weltanschauung erschüttert, an ihrem Glauben und in ihrem sittlichen Denken, Handeln und Wollen irre geworden? Stehen wir heute nicht mitten in dieser Verwirrung, in dieser Zerstörung von Glauben und Moral? In diesem bedrohlich-unheimlichen Abbruch des Biblisch-Christlichen, den Papst Paul VI. wöchentlich lauter, schmerzlicher, warnender als Zersetzung beklagt?
Doch da kommen Sie, Schwester, und gestehen, wie wunderbare Texte, welche herrlichen Worte sich in den Schriften Teilhards finden. Wer wollte dies, kennt er diese Schriften, leugnen? Aber ist dies das Ganze? Lesen Sie einmal, was Dietrich von Hildebrand, ein grosser Denker und ein von Erfahrung und Weisheit geprägter Mann, dazu bemerkt. "Sicherlich", so schreibt Hildebrand, "liegt etwas Rührendes in Teilhards verzweifeltem Versuch, eine traditionelle, gefühlsmäßige Anhänglichkeit an die Kirche mit einer Theologie zu verbinden, die der kirchlichen Lehre so völlig entgegengesetzt ist. Doch diese Anhänglichkeit an christliche Vorstellungen macht ihn", Teilhard, "zugleich nur noch gefährlicher als einen Voltaire, Rènan oder Nietzsche. Sein Erfolg bei der Verbrämung eines patheistischen, gnostischen Monismus durch christliche Gewänder ist vielleicht nirgends so offenkundig wie im 'Göttlichen Bereich' (,Le milieu divin`) " ("Das Trojanische Pferd in der Stadt Gottes", S.360f.). Und Hildebrand erläutert dieses sein Urteil gleich an einem markanten Beispiel.
"Für viele Leser klingen die Begriffe, die Teilhard hier verwendet, so vertraut, dass sie ausrufen möchten: Wie können Sie ihn anklagen und sagen, er sei kein orthodoxer Christ? Sagt er nicht in 'Milieu divin´: 'Was bedeutet es für eine Person, ein Heiliger zu sein, wenn nicht tatsächlich Gott mit allen Kräften anzuhangen?' Sicherlich - das klingt vollkommen orthodox. In Wirklichkeit aber bedeutet Teilhards Begriff vom Gott-Anhangen eine Verschiebeung von den heroischen Tugenden, die einen Heiligen kennzeichnen, zu einer Mitwirkung an einem Evolutionsprozeß" (ebenda). Denken wir da nur an das, was Teilhard (an Leontine Zanta) über den Gottesbegriff schreibt. "Was Sie schon wissen, sind mein Interesse und meine innere Beschäftigung vom Bemühen beherrscht, in mir selbst eine neue Religion (Sie können es ein besseres Christentum nennen) audzubauen und sie auszubreiten, in der der persönliche Gott aufhört, der grosse monolithische Herr früherer Zeiten zu sein und zur Weltseele wird; unser religiöser und kultureller Stand verlangt danach." In Wirklichkeit die pantheistisch anklingende und relativistische Anpassung des Begriffes Gott an den Menschen unseres wissenschaftlich-technischen Jahrhunderts.
Ich möchte hier den Gedanken Hildebrands noch ein psychologisches Moment hinzufügen. Teilhard mochte manchmal oder vielleicht öfter das Kalte seines erbarmungslosen Panevolutionismus empfunden und zu gewissen, ihm aus dem alten Glauben gebliebenen Relikten, in Augenblicken gleichsam, Zuflucht genommen haben. Wird Ähnliches nicht selbst von einem Nietzsche berichtet?
Ich habe eingangs dieser meiner Antwort bemerkt, dass es nicht Sache dieser Antwort sein kann, über Tugend und Charakter, Wesen und Benehmen Teilhards zu urteilen. Ich würde aber dies auch ganz dringend Ihnen, ehrwürdige Schwester, empfehlen. Mit dem Ausdruck "heilig, Heiliger" müssten Sie jedenfalls vorsichtiger umgehen, dies umsomehr, als Ihr Idol Teilhard sich ganz wesentlich von jenen Gestalten des Christentums und unserer katholischen Kirche unterscheidet, die von dieser Kirche heiliggesprochen worden sind und von den im Glauben diese Kirche Feststehenden als Heilige verehrt werden. Freilich, Neomodernismus und Progressisten reden von einem "neuen Typ" von Heiligen. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, die "Heiligen" dieses Typs werden keine Heiligen der Kirche, nicht einmal des biblischen Christentums sein.