Was heißt:
Jesus Christus hat uns erlöst?

Erlösung: ein Fremdwort?
Sehr häufig begegnet in den Texten der Liturgie das Wort "Erlösung". So sprechen wir im Advent von der Erwartung des Erlösers, von der Ankunft des Erlösers und in der Fastenzeit vom Geheimnis bzw. vom Fest der Erlösung. Aber die Worte sind durch den häufigen Gebrauch abgenützt: Wir denken uns nicht mehr viel dabei. Es geht ihm wie dem Wort Sünde, das wir oft in der heiligen Messe hören: Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, Jesus hat sein Blut vergossen "zur Vergebung der Sünden". Das Wort ist in seinem religiösen Sinn verschwunden. Man sündigt "gegen die Figur" - wenn man zuviel isst - oder bekommt einen Punkt in der Verkehrssünderkartei, bei zu schnellem Fahren. Sünde ist aber in erster Linie eine Verweigerung Gott gegenüber. Fühlen wir uns noch als erlösungsbedürftig? Sind wir so von der Richtigkeit und Schönheit unseres Lebens überzeugt, dass jeder meint, für mich hätte Jesus nicht sterben müssen - vielleicht höchstens noch für manch andere. So fragen wir uns: Was heißt "Erlösung", muss auch ich erlöst werden?
In der Bibel wird mit verschiedenen Wörtern und vielfältigen Bildern die Unerlöstheit des Menschen geschildert: Seine Unerlöstheit erfährt er als Hunger, Sklaverei, Krankheit und Tod. Noch stärker als diese leibliche Not ist die geistig-seelische: Die Angst, die Satansherrschaft, die Sünde und die geistige Dunkelheit, wenn der Mensch durch eigene Schuld oder Unkenntnis das Wissen um den lebendigen Gott verliert.
In dieser Not ruft der Mensch nach Gott. Sein erlöserisches Handeln wird im Alten Testament umschrieben mit "retten", "beistehen", "herausreißen" oder "loskaufen" (aus der Gefangenschaft und Sklaverei). Im Neuen Testament werden diese Vorstellungen übernommen.
Das Heil kommt von Gott
Der Retter und Erlöser ist immer Gott. Er hat nicht Freude am Untergang, am Elend des Menschen. Gleich nach der Sünde der Stammeltern, die den Tod, Spannungen zwischen Geschlechtern, Brudermord und Rachsucht (vgl. Gen 4,8ff; 3,3.16; 4,24) zur Folge hatte, kündet Gott den Erlöser an, nämlich den, der der Schlange den Kopf zertreten wird (vgl. Gen 3,15). Die Erlösung beginnt dann damit, dass Gott sich denen, die "falschen Göttern dienten" (Jos 24,2), als der wahre Gott offenbarte; bei falschen Göttern gibt es kein echtes Vorwärtskommen und keine Erlösung. Wie oft setzen die Menschen auf solche Götter ihre Hoffnung! Das Musterbeispiel für den befreienden Gott war aber nicht die Berufung Abrahams, sondern die Befreiung Israels vom Sklavendienst in Ägypten. Gott führte das Volk durch die Wüste, schenkte ihm und seinen Königen Macht und Wohlergehen, aber es glaubte immer wieder, fern von Jahwe sein Glück finden zu können. Obwohl es versprochen hatte, den Bund mit Jahwe getreu zu befolgen und "alles zu tun, was der Herr gesagt hatte" (Ex 24,3), wollte es immer wieder wie die übrigen Völker sein und deren Götter verehren. Das Volk Israel musste erkennen, dass sich dann Gott von ihm abwandte, sich das Kriegsglück wendete und die fremden Völker zur Herrschaft kamen. Mit anderen Worten: Der Bruch des Bundes mit Gott ist wie Ehebruch, ist Sünde. Diese ist Beziehungsbruch. So wurde sich Israel immer mehr bewusst, dass die innere Verweigerung Gott gegenüber das eigentliche Übel ist, von dem es erlöst werden musste und von dem die äußeren Nöte wie Krankheit, Not und Tod herrühren.
Die Erwartung auf den Erlöser richtete sich auf den Messias; dieser ist in Jesus Christus erschienen. Er heilte die Kranken, machte Aussätzige rein, speiste Hungrige. Er erweckte Tote und gab durch seine Auferstehung allen die Hoffnung auf ewiges Leben. Jesus erlöste von den leiblichen und den psychischen Beschwerden. "Kommt alle zu mir, die ihr mühselig seid und beladen, ich will euch erquicken" (Mt 11,28).
Doch wäre es ein Irrtum zu meinen, Jesu erlöserisches Wirken beziehe sich vor allem auf die leiblichen Nöte: Als Jesus das Volk lehrte und man einen Gelähmten wegen der Menge nicht vor Jesus hintragen konnte, deckten einige das Dach ab und ließen den Kranken vor Jesus hinab. Als erstes vergibt ihm Jesus die Sünden und erst zum Beweis, dass er Sünden vergeben kann, heilte er auch den Gelähmten (vgl. Mk 2,2-12). Wichtiger als die Befreiung von der Krankheit ist ihm also die Erlösung von der Sünde und von der Macht des Teufels: "Dazu erschien der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels vernichte" (1 Joh 3,8). Gottes Sohn ist Mensch geworden, "um durch den Tod den zu vernichten, der des Todes Gewalt innehat, nämlich den Teufel" (Hebr 2,14). Der Kampf des Erlösers galt also den leiblichen Nöten, aber noch mehr den geistigen Einflüssen des Bösen und der Sünde. Im Herzen, im Innern, liegt die eigentliche Not!
Tod und Auferstehung Christi als Höhepunkt des Erlösungsgeschehens
Im Alten Testament lesen wir immer wieder von den Versuchen Gottes, die Menschen aus der leiblichen Unfreiheit (Hunger, Krankheit, Tod) und der geistigen Not (Irrtum, Sünde) zu befreien. Seinen Höhepunkt erreichte das Erlösungswerk in Jesus Christus. Es begann mit der Menschwerdung des ewigen Sohnes, bei der in Jesus Christus Gott und Mensch eine unlösbare Verbindung eingegangen ist. So heißt es in 1 Joh 1,1f: "Was von Anfang an war,...was wir mit unseren Augen gesehen haben... vom Worte des Lebens - und das Leben erschien, das ewige, das beim Vater war und uns erschien."
Die eigentliche Erlösungstat aber geschah am Kreuz: Christus ist gestorben "für unsere Sünden", mit diesem Bekenntnis begann die Verkündigung in den ersten Jahren nach den Ereignissen in Jerusalem (1 Kor 15,3), und Jesus hat "sein Blut vergossen zur Vergebung der Sünden" (Mt 26,28), wie wir auch in jeder heiligen Messe hören. Warum, so kann man fragen, hat Jesus zur Vergebung der Sünden sein Leben hingeben müssen?
Unsere Erlösung hatte einen Preis: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele" (Mk 10,45; vgl. 1 Tim 2,6). Die Erlösung hat einen Preis, aber nicht "Gold oder Silber", sondern "das kostbare Blut Christi" (1 Petr 1,18f). "Ihr wurdet um einen teuren Preis erkauft", erinnert Paulus die Korinther (1 Kor 6,20; 7,23).
Hier stellt sich aber unüberhörbar die Frage: Warum hat Gott, der doch die Liebe ist, den Menschen die Schuld nicht einfach erlassen, sie nicht in seiner Barmherzigkeit amnestiert, sondern einen Preis für die Versöhnung verlangt, und noch dazu den Tod seines geliebten Sohnes? Ist Gott ein pedantischer Buchhalter, der für jede Sünde unerbittlich Sühne fordert? Muss Gott durch ein Opfer umgestimmt werden?
Vor dem Versuch, diese Anfragen zu klären, ist noch eine Vorbemerkung angebracht: Gottes Wege können nicht restlos eingesehen und gedanklich nachvollzogen werden. So sagt schon Thomas von Aquin, dass ein einziger Blutstropfen die ganze Welt heil machen könnte. Hätte aber Gott so "billig" die Erlösung bewirkt, würden wir weder das "so-Sehr" (Joh 3,16) seiner Liebe noch das Schlimme der Sünde erkennen, deren Vernichtung sich Gott so viel kosten ließ.
Was sollte Gott angesichts oft himmelschreiender Sünden tun? Alle amnestieren und über Henker und Opfer (in Konzentrationslagern und Gulags) gleichermaßen den Mantel der Barmherzigkeit breiten, auch über jene, die jede Bekehrung verweigern? Weil der Mensch selbst sich keine Versöhnung erwirken kann, tritt Gottes Sohn nun selbst an die Stelle des Menschen. Nicht die Schwere seines Leidens ist dabei der entscheidende Moment an der Erlösungstat, sondern die Liebe, die der eine Jesus Christus als Gott und Mensch zu seinem Vater und zu seinen Brüdern aufbringt und so zwischen beiden vermittelnd versöhnt, und der Gehorsam, der sich im Leiden bewährte (vgl.Phil 2,8; Hebr 5,8). Wenn der Mensch das Böse, das er durch Ungehorsam und Gleichgültigkeit in die Welt brachte, auch durch einen Menschen, der Gottes Sohn ist, gut machen kann, so zeigt dies, dass die Erlösung unser Zutun braucht. Der heilige Augustinus formuliert dies so: Der dich ohne dich geschaffen hat, will dich nicht ohne dich erlösen.
Stufen der Erlösung
Amnestie gewähren bedeutet, einem Schuldigen aus angegebenem Anlass die Strafe erlassen. Zum Beispiel wird ein Verurteilter anlässlich des Geburtstags des Königs aus dem Gefängnis entlassen. Aber Amnesie führt noch zu keiner Erlösung und Versöhnung. Ob der Schuldige Gott liebt und ganz liebenswert ist?
Vollendet ist das Erlösungswerk mit der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tag. Nicht nur die Seele, sondern auch der Leib ist zur Teilnahme am ewigen Leben bestimmt. Damit ist auch die Auffassung mancher leibfeindlicher Gruppierungen, vor allem der Gnostiker, abgewiesen, dass die Materie in sich schlecht sei und nicht verklärt werden könne. Dieser Sicht zufolge gäbe es keine Inkarnation und auch keine Auferstehung.
Bevor wir dieses Ziel der vollen Erlösung bei Gott, den Zustand des Schauens, erreicht haben, durchschreiten wir jetzt die Phase des Glaubens. In ihr strecken wir uns schon aus nach der zukünftigen Wirklichkeit, an der wir jetzt schon im Hell-Dunkel des Glaubens Anteil haben.
Jesus ist der "Sieger über Sünde und Tod". Durch die Reinigung von der Sünde geschieht eine innere, geistige Gemeinschaft mit dem Auferstandenen, so dass wir dadurch jetzt schon die Not des Todes durchstehen können, wirklich erlöst im Glauben, obwohl noch nicht im Schauen.
(entnommen aus: "Betendes Gottes Volk")