Gott ist der höchste Herr Himmels und der Erde

"Ego sum Dominus Deus tuus."
"Ich bin der Herr, dein Gott." (2. Mos. 20,2)
Am Fuße des Berges Sinai treffen wir im Alten Testament, unter Anführung des Moses, das versammelte Volk Israel an, die Juden, welche aus Ägypten zurückgekehrt, der Befehle warten, welche Gott gemäß der an Moses ergangenen Weisung von der Höhe herab zu verkünden vorhat. Feierlich, banger Augenblick, da die Geschöpfe harren, die Stimme ihres Schöpfers zu vernehmen! "Es war im dritten Monat nach dem Auszug Israels aus dem Lande Ägypten, " so berichtet die heilige Geschichte, "an demselben Tage kamen sie in die Wüste Sinai, und der Herr sprach zu Moses: Geh´ hin zum Volke und heilige sie heute und morgen und heiße sie ihre Kleider waschen; denn am dritten Tage wird der Herr herabkommen vor allem Volke auf den Berg Sinai. "Da nun der dritte Tag kam", fährt der heilige Bericht fort, " und der Morgen anbrach, siehe, da gewahrte man, wie es anfing zu donnern und zu blitzen, und eine gar dichte Wolke bedeckte den Berg, der Schall der Posaunen ertönte und das Volk, das im Lager war, fürchtete sich. Der ganze Berg Sinai aber rauchte, weil der Herr im Feuer darauf herabkam und es stieg Rauch von ihm auf wie von einem Ofen und der ganze Berg war fürchterlich." (Vgl. 2. Mos. 19)
Hindurch durch Blitze und Donner, heraus aus der dichten Wolke, hervor aus Rauch und Qualm erscholl mit Kraft und Majestät die Stimme des Allerhöchsten; da verkündete und übergab der Herr jene Vorschriften, welche uns als "die zehn Gebote Gottes" bekannt sind, welche das, was im Hauptgebot von der Liebe im Allgemeinen enthalten ist, im Einzelnen kund machen und regeln, welche zwar an und für sich schon in die Herzen der Menschen geschrieben, aber im Laufe der Zeit vielfach in Vergessenheit geraten waren. "Das, was die Menschen in ihren Herzen nicht lesen wollten," sagt der heilige Augustin, "wurde verkündet und auf Tafeln geschrieben. Es stand in ihnen selbst geschrieben, allein sie wollten es nicht lesen. Da wurde es ihnen auch äußerlich vorgehalten, damit sie genötigt wären, dasselbe in ihrem Gewissen zu sehen." Nicht loß laut und feierlich verkündet wurden die göttliche Gebote, sondern auch auf steinerne Tafeln geschrieben dem Moses übergeben. Und zwar geschah Letzteres, wie der hl. Thomas von Aquin darlegt, aus vier Gründen.
Erstens nämlich, weil infolge der Sünde bei Vielen das Licht der Vernunft verdunkelt war;
zweitens, damit die Menschen durch einen gewissen gesetzlichen Zwang zum Guten angehalten würden;
drittens, damit neben der natürlichen Hinneigung zum Guten auch die Ehrfurcht vor dem göttlichen Befehle zur Tugend anhalte;
viertens, damit die Gebote leichter im Gedächtnis behalten und häufiger in Gedanken beherzigt würden.
Das schreckenerregende Bild jener großen Gesetzgebung auf Sinai schwebt uns so lebendig vor Augen; jene gewaltige Stimme hallt noch in den Herzen herauf bis auf unsere Tage; sie trifft, bindet und verpflichtet auch uns mit gleicher Kraft, wie einst die Juden der alten Zeit. "Ich bin der Herr, dein Gott"; so leitet der Ewige seine gesetzgeberische Kundmachung ein, um unter Berufung auf seine alleinige Oberherrschaft, oberste Gewalt und göttliche Majestät Gehorsam und Unterwerfung zu fordern.
1. "Ich bin der Herr, dein Gott." So konnte und kann Gott füglich allezeit der gesammten Schöpfung zurufen; denn er hat durch seine Allmacht alles ins Dasein gerufen. Mit Recht sprach er zu den Juden am Fuße des Berges Sinai; ebenso mag er mit allem Grunde auch der heutigen Welt zurufen. Sie ist ja nicht minder durch seine Güte und Allmacht entstanden. Und des Herrn Worte werden Geltung haben in alle Ewigkeit. Darum preisen ihn seine gläubigen Kinder als den "Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge"; als den, welcher "alles im Worte seiner Kraft trägt", wie die Heilige Schrift sich ausdrückt. Er ist der Anfang und das Ende; er, der Alte der Tage, vor welchem tausend Jahre sind wie ein Tag; er, derjenige, welcher den Adam im Paradiese gerufen, und auf dessen Wort einst die Gräber sich öffnen werden; der von einem Ende bis zum andern mächtig wirkt und alles lieblich ordnet, von dem, durch den, in dem, für den alle Dinge sind, atmen und leben, der einst durch die ganze Ewigkeit sein wird alles in allem. - Er war aber auch alles in allem seit Anbeginn, ist alles in allem in der Gegenwart, Herr und Gebieter des Alls zu jeglicher Zeit. Er ist Herr und Gebieter im Himmel. So lehrt der königliche Sänger: "Der Herr hat seinen Thron aufgeschlagen im Himmel und seine Herrschaft wird sich auf alle erstrecken." (Ps. 102,19) Und wiederum: "Der Herr wohnt in seinem heiligen Tempel; der Herr, im Himmel ist sein Sitz." (Ps. 10,5.) "Vom Himmel schauet der Herr auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob Einer verständig sei oder nach Gott frage." )Ps. 13,2.) Der heilige Paulus bezeugt vom Herrn, "daß er hinaufstieg über alle Himmel, damit er alles erfüllte." (Ephes. 4,10.) Ja, dort in jenen Höhen über dem Sternenzelt übt der Ewige auf unzerstörbarem Throne seine Herrschaft aus; dort von der uneinnehmbaren Burg auf dem himmlischen Sion ergehen seine Befehle an den ganzen Himmel und dessen Bewohner. Dort gebietet er den neun Chören der Engel, welche anbetend vor ihm im Staube liegen; dort ist es, wo die tausendmal Tausend vor ihm stehen, welche Daniel in Verzückung geschaut und die zehntausendmal Hunderttausend ihm dienen; dort ertönt die Stimme der vielen Engel rings um den Thron und um die lebenden Wesen und die Ältesten, wovon der hl. Johannes in der geheimen Offenbarung Meldung macht, "deren Zahl war tausendmal Tausend". (Offb. 5,11.) Dort herrscht er als Herr Zebaoth: Herr der Heerscharen; seine Majestät loben die Engel und Erzengel, ihn beten an die Herrschaften, vor ihm zittern die Mächte. Ihn preisen die Himmel und die Kräfte der Himmel, und die seligen Seraphim mit unaufhörlichem Jubel, indem sie rufen: "Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr, der Allmächtige, der da war, der da ist und der da kommen wird." (Offb. 4,8.) Dort im Himmel harren seines Winkes die Scharen der Geister und vollziehen mit Windeseile die Aufträge ihres Gebieters. "Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen." (Hebr. 1,7.) - Mit ihnen vereint lasset auch uns den allgewaltigen Beherrscher der himmlischen Feste loben, verherrlichen und preisen; wie die seligen Geister wollen auch wir seinen anbetungswürdigen Willen vollziehen, denn Gott ist Herr auch über uns, Gebieter auch über die ganze Erde.
2. "Mir ist alle Gewalt gegeben", spricht Christus der Herr, "im Himmel und auf der Erde." König David, ein irdischer Herrscher, ruft den unumschränkten Gebieter des Weltalls zu: "Im Anfang hast Du, o Gott, die Erde gegründet und das Werk Deiner Hände sind die Himmel." (Ps. 101,26.) Und abermals ein König der Erde, Salomon, spricht in dem von ihm neu erbauten Tempel vor dem Altare zu Gott, dem König des Himmels, dem Herrn der Herrschenden: "Niemand ist Dir gleich, o Gott, weder im Himmel oben noch auf der Erde unten, der Du Bündnisse hältst und Barmherzigkeit spendest Deinen Diener, die vor Dir wandeln mit ihrem ganzen Herzen." (3. Kön. 8,23.) Wieder ist es der königliche Psalmensänger, welcher den Herrn besingt: "Der Name des Herrn sei gebenedeit von nun an bis in Ewigkeit! Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang ist lobwürdig der Name des Herrn. Hoch über alle Völker ist der Herr und über die Himmel seine Herrlichkeit. Wer ist wie der Herr, unser Gott, der in den Höhen wohnt und auf das Niedrige schaut im Himmel und auf Erden? (Ps. 112,2ff.) Ja, die ganze weite Welt: Sonne, Mond, Sterne, Erde gehören zu jenem Reich, das der Ewige regiert. Die Sterne des Himmels predigen laut die Herrschaft Gottes und ihr Funkeln ist der Wiederschein seiner Herrlichkeit. Die Himmel preisen die Herrlichkeit Gottes, und das Firmament verkünden die Werke seiner Hände." (Ps. 18,1.) Die Erde in ihrer ungeheueren Ausdehnung von Pol zu Pol, vom #Aufgang bis zum Niedergang, bezeuget laut, daß Gott ihr Herr und Gebieter ist. Das Brausen der Stürme, das Wehen des Windes, das Tosen der Meere, das Säuseln der Wälder, das Blühen und Duften der Blumen: lerne es recht verstehen, das alles ist nichts anderes, als eine berede Verkündigung der Oberherrschaft des Allerhöchsten. Das Aufsteigen der Nebel und das Fliegen der Wolken, was ist es anders, als ein Werk jener Allmacht, welche alles ins Dasein gerufen hat? Und das fortgesetzte Aufbauen und Zerstören, Einigen und Trennen, das fortwährende Auftauchen und Verschwinden im Ozean der Zeit, das endlose Werden und Sterben ist wieder nur ein Beweis für die Kraft jenes Willens, der alle Dinge hervorgebracht hat, dem alles unterworfen ist. Die Grenzen der Erde begrenzen nicht die Macht des Herrn, die Weite des Himmels umschließt nicht seine Gewalt, des Meeres Tiefen entziehen sich nicht seiner Herrschaft. Geh´ in ferne Lande, suche unbekannte, unwirtliche Gegenden, ziehe dich zurück in die geheimsten, verborgensten Winkel: dem Arm des Herrn wirst du nicht entfliehen. "Wohin soll ich gehen vor Deinem Geiste," ruft David, "oder wohin soll ich fliehen vor Deinem Angesichte? Stiege ich gen Himmel, so bist Du da; stiege ich in die Hölle, so bist Du da. Nähme ich Flügel mir von der Morgenröte und flöge zu den Grenzen des Meeres, so wird dennoch Deine Hand mich einholen und Deine Rechte mich fassen. Und wenn ich sage: Vielleicht wird Finsternis mich verbergen, und Nacht meine Wollust bedecken; aber auch Finsternis ist nicht dunkel vor Dir, und die Nacht ist wie heller Tag. Finsternis und Licht sind gleich vor ihm." (Ps. 138, 7 ff.)
Und wird etwa nicht überall des Herrn Wille vollzogen? Hat je ein Geschöpf in der Welt seiner Macht zu entfliehen vermocht? Die Gestirne, durften sie je ihren Lauf ändern und eigene Bahnen wandeln? Wasser, Luft, Feuer und Erde, durften sie ihre Dienste verweigern? Und der Mensch konnte er je seinem Verhängnisse entgehen? Es gefällt dem Allmächtigen, seine Herrschaft über Leben und Tod zu offenbaren, und er verhängt den Tod über einen Menschen. Des Herrn Wille geschieht. Keine Kunst und Pflege, kein Jammern und Klagen kann seine Absicht vereiteln. Er will die Völker durch Krankheit züchtigen und zum Nachdenken bringen: die Seuche bricht aus, man weiß nicht wie und wodurch, und sie wütet, bis er sie wieder wegnimmt. Er hat gewollt, daß der Himmel geschlossen sei und keinen Regen spende; sein Beschluß bleibt in Kraft; alle Mächtigen und alle Kriegsheere bezwingen den Himmel nicht, daß er regne. Ein anderesmal hat er beschlossen, daß häufiger Regen falle, und keine Gewalt der Erde vermag die leichten Tropfen des Regens aufzuhalten und den leichten Dunst der Wolken zu verscheuchen.
3. Herr ist Gott auch in jenem finsteren Reiche, wo Satan und die Verworfenen wohnen: in der Hölle. Ist der Himmel das Reich der göttlichen Herrlichkeit, die Erde der Wirkungskreis seiner Güte und Erbarmung, so ist die Hölle der schreckliche Schauplatz seiner unbeugsamen Gerechtigkeit. Auch ist sie Gottes Reich, aber das Reich seines Zornes und seiner Strafe. "Stiege ich hinauf gen Himmel", spricht David, "so bist Du da; steige ich hinab in die Hölle, so bist Du da." Weil die Ruchlosen und Widerspenstigen im Leben hartnäckig ihn gelästert, darum hat er sie verbannt "ins finstere Land, das mit Todesschatten bedeckt ist, ins Land des Jammers und der Finsternis, wo Schatten des Todes und keine Ordnung ist, sondern ewiger Schrecken wohnt" (Job 10,21.), wo ewig nichts anderes herrschen soll als sein Grimm und seine Rache. Dort werden die Hartnäckigen ihren Nacken beugen vor der unwiderstehlichen Gewalt des Herrn; dort werden die stolzen, unbeugsamen Kniee gezwungen sich zu senken vor dem heiligen Namen dessen, in dem die Kniee aller sich beugen, die im Himmel, auf und unter der Erde sind; dort werden die Nimmersatten, die Unmäßigen, welche es im Leben für unmöglich hielten, sich einen Abbruch zu tun, hungern und dürsten; und alles Rufen, Schreien und Heulen nach Speise und Trank wird die Strafgewalt Gottes nicht hemmen; dort werden die Ungerechten, Gewalttätigen und Grausamen es inne werden, daß es eine ewige Gerechtigkeit gibt, welche alle, sei es frei oder gezwungen, unter ihr Joch beugt, aber diese Erkenntnis wird zu spät sich einstellen. Dort werden die Unzüchtigen zu der Einsicht gelangen, daß Gottes Gebot nicht ungestraft verletzt wird, aber diese Einsicht wird nur zu größerer Qual dienen. Alle werden dort wider Willen bekennen und gestehen müssen, daß der Ewige ihr Herr und Gott ist: allein dieses durch unwiderstehliche Gewalt erpreßte Geständnis wird nichts nützen. Sie werden den Teufeln gleichen, von welchen der Apostel sagt, daß sie glauben, aber zittern. (Jak. 2,19.) Wie den Schuldbewußten der Gedanke an den beleidigten König schreckt und verwirrt, ebenso und noch weit mehr wird auch die bloße Erinnerung an Gott, den unumschränkten Herrn, die Verdammten ewig schrecken und verwirren. O furchtbarer Beherrscher des Abgrundes! Laß doch nicht zu, daß wir ewig in die Hölle Deine unglücklichen Untertanen seien! Schenke uns deine Gnade und Hilfe, daß wir hier auf Erden Deine treuen Diener und in der Ewigkeit Deine glückseligen Kinder seien!
A morte perpetua, libera nos Domine!
Vom ewigen Tode erlöse uns, o Herr!
Alles hat der Herr seinetwegen gemacht, auch den Gottlosen für den bösen Tag. (2. Mos. 3.)
Wer möchte es wagen, die unermeßliche, unbeschränkte Allgewalt Gottes zu leugnen oder zu bezweifeln? Und doch klagt der Herr: "Wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir?" (Malach. 1,6.) Ach, wohl hat Gott Ursache zu solcher Klage. Es gibt Christen, welche Gott zum beschränkten Maße ihres eigenen Urteils herabdrücken und glauben, dies oder jenes sei nicht genau zu nehmen, oder sei nicht so weit gefehlt, weil sie selber es nicht recht erkennen und sich selber nur wenig daraus machen. Sie sind Aufrührer gegen Gottes Herrschaft und Gewalt, gleich dem Pharao, der ausrief: "Wer ist der Herr, dem ich dienen soll? Ich kenne keinen Herrn." (2. Mos. 5,2.) Ach, Gottes Gedanken sind nicht der Menschen Gedanken, und Gottes Wege nicht ihre Wege. Er hat anderes Maß, um zu messen und andere Wage, um zu wägen. Vor ihm gilt nur das genaue Maß und die seine Wage der Gerechtigkeit. Leider trifft bei den meisten Menschen zu, was in einer alten Inschrift zu Lübeck über dem Portal einer Kirche zu lesen ist, und wo der Herr zu den Menschen spricht:
"Ihr nennet mich Meister und fraget mich nicht;
Ihr nennet mich Licht und sehet mich nicht;
Ihr nennet mich Weg und gehet mich nicht;
Ihr nennet mich Leben und begehret mich nicht;
Ihr heißet mich weise und folget mir nicht;
Ihr heißet mich schön und liebet mich nicht;
Ihr heißet mich reich und bittet mich nicht;
Ihr heißet mich ewig und suchet mich nicht;
Ihr heißet mich barmherzig und trauet mir nicht;
Ihr heißet mich edel und dienet mir nicht;
Ihr heißet mich allmächtig und ehret mich nicht;
Ihr heißet mich gerecht und fürchtet mich nicht;
Werd´ ich euch verdammen, verdenket mir´s nicht."
Zu dieser Klasse von Christen wollen wir nicht gehören. Nachdem der Herr, unser Gott gesprochen, wollen wir nichts anderes tun, als in Demut und Ehrfurcht auf sein Wort hören. Mit Samuel wollen wir in aller Bereitwilligkeit des Herzens sprechen: "Rede, Herr, Dein Diener hört."
(entnommen aus: Das dreifache Reich Gottes, von Pfarrer Joseph Reiter, Inhaber des päpstlichen Kreuzes "Pro Ecclesia et Pontifice", 1911)