Die Ausbreitung der Kirche in Europa
Der Mittelpunkt der Christenheit ist die Kirche von Rom; und diese entwickelte sich so rasch, dass sie schon im dritten Jahrhunderte, nebst ihrem Oberhaupte, bei 150 Geistlichen zählte. Desgleichen entstanden auch in fast allen anderen italienischen Städten schon damals christliche Gemeinden, so dass Italien, unter allen Völkern der heutigen Christenheit, der unsterbliche Ruhm gebührt, die erste christliche Nation gewesen zu sein.
Auch in Spanien entwickelte sich das Gottesreich, welches sankt Paulus daselbst begründet hatte, auf´s herrlichste: Toledo, Leon, Taragona, Cordova und Elvira waren schon um´s Jahr 250 christliche Bistümer.
Nach Gallien, dem heutigen Frankreich, brachten christliche Auswanderer von Kleinasien, an ihrer Spitze die heiligen Pothinus und Irenäus, schon um´s Jahr 150 die Botschaft des Heils, und gründeten die Kirche von Lyon, von wo aus sie in die übrigen Teile des Landes seeleneifrige Missionäre sandten. Als in den Tagen der großen Völkerwanderung das heidnische Volk der Franken sich über Gallien ergoß, drohte der Kirche Gefahr; der Herr aber schützte seinen Weinberg: in Folge des denkwürdigen Sieges bei Zülpich bekehrte sich der fränkische König Klodwig, und am Weihnachtsfeste 496 wurde er, sammt den Vornehmsten seines Reiches, durch die heilige Taufe in die Gottesgemeinde aufgenommen.
Auch nach England drang das Licht des Evangeliums, und die alte Überlieferung meldet von einem christlichen Könige daselbst (sankt Luzius) um´s Jahr 180. Als die heidnischen Angelsachsen um´s Jahr 450 über England hereinbrachen, drohte der englischen Kirche Untergang und Verderben. Allein Papst Gregor, der Große, sandte um´s Jahr 596 den Abt Augustinus mit 40 Mönchen als Missionäre dahin ab; und siehe, schon 50 Jahre darauf erblicken wir in England zahlreiche Bistümer und Klöster, aus welchen heilige Sendboten des Glaubens nach allen Ländern Europas sich verbreiten. - Irlands Apostel ist der heilige Patrizius, um´s Jahr 430, und seine Bemühungen hatten so gesegneten Erfolg, dass Irland in der Folge die Insel der Heiligen genannt wurde. - Von Irland zog der heilige Mönch Kolumban, der Ältere, um´s Jahr 565 nach Schottland: bei seinem Tode 597 war fast die ganze Nation zum Christentum bekehrt.
In Deutschland erhielten die Rheingegenden zuerst die Kunde vom Reiche Gottes. Schon um´s Jahr 150 bestanden hier kirchlich geordnete Christengemeinden; und als der heilige Bischof Athanasius von Alexandrien im Jahre 336 nach Trier in die Verbannung ging, traf er bereits katholische Bischöfe in Straßburg, Köln, Speier, Worms und Trier. - Auch in Süddeutschland, in den Gegenden am Lech und an der Donau, wurde das Kreuz schon frühzeitig aufgepflanzt, und berühmte Heilige, wie Bischof Maximilian von Lorch, Florian aus dem Lande der Enns, Bischof Dionysius von Augsburg und seine Nichte sankt Afra, Viktorian von Petau, haben um´s Jahr 300 Deutschlands Erde mit ihrem Martyrerblute getränkt und befruchtet. -
Die Schweiz verehrt, zufolge der christlichen Überlieferung, den heiligen Beatus (gestorben im Jahre 112) als ihren ersten Apostel; und schon in der christlichen Urzeit besaß das Land Bischofssitze in Augst, später Basel - in Avenche, später Lausanne - in Windisch, später Constanz - in Martinach, später Sitten - in Genf und Chur.
Die Einbrüche der Hunnen, Allemanen und anderer heidnischer Volksstämme zerstörten die Kirche in Deutschland und in der Schweiz wieder größtenteils, bis heilige Gottesmänner - wie Fridolin, Kolumban der Jüngere, Gallus, Trutpert, Pirmin, Severin, Rupert, Emeran, Corbinian, Kilian u. A. - vom Jahre 500 bis 700 die Kirche Deutschlands und der Schweiz wieder erneuerten.
Der eigentliche Apostel Deutschlands aber ist sankt Bonifazius, ein Mann voll wunderbarer Tatkraft, hoher Einsicht und rührender Kindlichkeit, ein Held des Glaubens, des Gottvertrauens und der Liebe, ja, ein Gefäß der Auserwählung ähnlich dem heiligen Paulus. In England um´s Jahr 680 geboren, erhielt er bei der Taufe den Namen Winfried, und trat frühzeitig in den Orden des heiligen Benediktus. Da erging an ihn die Stimme Gottes: "Trage das Licht des Evangeliums zu den Völkern, die in der Finsternis und in den Schatten des Todes sitzen. Dort will Ich dir zeigen, was du für Mich arbeiten und leiden sollst!" Freudig gehorchte Winfried der innern Gottesstimme, und, begleitet vom Segen seines Abtes und seiner Mitbrüder, begann er sein Missionswerk, zuerst bei den Friesen, dann im Thüringerlande und bei den Hessen. Hier stürzte er die, von den Heiden göttlich verehrte Donnereiche zu Geismar, und erbaute aus deren Holze eine Kapelle zu Ehren des heiligen Petrus: damit war auch das Heidentum in dieser Gegend gestürzt! Später wirkte Winfried in Bayern, in den Rheinlanden, sowie auch im eigentlichen Frankreiche, woselbst er im Jahre 752, im Auftrage des Papstes, Pipin zum Frankenkönig salbte. In seinem hohen Alter ergriff ihn die Sehnsucht seiner Jugendjahre wieder: Missionär unter den Friesen zu werden. Er reiste nordwärts, taufte Viele, und empfing hierfür am 5. Juni 753 - die Marterkrone, indem er zu Dockum von einer Schar heidnischer Friesen erschlagen wurde.
Dreimal hatte der Apostel Deutschlands die beschwerliche Reise nach Rom gemacht, um vom Stellvertreter Christi den Segen und die Vollmacht zu seinem Werke zu holen, und die Kirche Deutschlands mit dem Mittelpunkte der christlichen Einheit recht innig zu verbinden. Vom Papste hatte er den schönen und bedeutungsvollen Namen Bonifazius - der Wohltäter - und die Würde eines Erzbischofes (von Mainz) und päpstlichen Legaten für ganz Deutschland erhalten. Zahllose Klöster und Bistümer verdanken ihm ihre Stiftung oder Erneuerung. Das Gotteswerk aber ward von seinen heiligen Schülern, zum Segen Deutschlands, fortgesetzt.
Als Bonifazius starb, war nur mehr ein großer deutscher Volksstamm heidnisch: die Sachsen in Westphalen, Ostphalen und Engern. Aber auch diese unterwarfen sich, um´s Jahr 800, dem Kreuze, und was Karl, der Große, bei ihnen mit Waffengewalt begonnen, das vollendeten heilige Bischöfe und Äbte mit den Waffen heiliger Wissenschaft und christlicher Liebe.
Auch unter den Völkern gen Mitternacht, d. h. den Skandinaviern in Dänemark, Schweden und Norwegen wollte unser liebe Herr und Erlöser seine Wohnung aufschlagen. Zu diesem Werke erwählte Er, als Apostel der Skandinavier, den heiligen Mönch Ansgar, Erzbischof von Hamburg-Bremen, der von hier aus, um´s Jahr 850, den Schweden und Dänen das Evangelium predigte, und durch Gründung von Bistümern und Klöstern das Christentum unter ihnen befestigte.
Von hier aus trat das Kreuz des Weltheilandes seinen Siegeszug in´s Land der Slaven an, d. h. zu den Völkern in Böhmen, Polen und Rußland. Die eigentlichen Apostel der Slaven waren die griechischen Mönche Methodius und Cyrillus, um´s Jahr 870; und die Bistümer Posen, gegründet 968, Prag, gegründet 973, und Gnesen, gegründet 997, wurden die leuchtenden Mittelpunkte, von denen aus die Strahlen des Himmelslichtes immer klarer und herrlicher in die Slavenländer drangen.Bei den Magyaren in Ungarn treffen wir um´s Jahr 950, als ersten Bischof, den Mönch Hierotheus. Aber erst die heiligen Bischöfe Piligrim von Passau und Adalbert von Prag, und der heilige König Stephan von Ungarn vollendeten um´s Jahr 1000 die Bekehrung dieses kriegerischen Volkes, und das Erzbistum Gran wurde zu dieser Zeit der Mittelpunkt der Kirche in Ungarn.
Das letzte Volk in Europa, welches sich dem Lichte des Evangeliums zuwandte, waren die Preussen. Vergebens hatte um´s Jahr 1000 der heilige Bischof Adalbert von Prag und der heilige Benediktinermönch Bruno ihre Bekehrung versucht: Beide fielen als Martyrer ihres Eifers. Erst nachdem die benachbarten Pommern und Liefländer um´s Jahr 1150 christlich geworden, nachdem der Mönch Christian aus dem Kloster Oliva, als erster Bischof der Preussen, mit rastlosem Eifer an ihrer Bekehrung gearbeitet und im Jahre 1226 die Deutschordensritter, unter ihrem Hochmeister Herman von Salza, zu Hilfe gerufen hatten, faßte die Religion des Kreuzes auch in diesem Lande festen Boden.
Allein nach kaum dreihundertjährigem Bestande fiel die katholische Kirche unter diesem Volke wieder in Trümmer, und - von dem Lande, welches der Segnungen des Christentums zu allerletzt teilhaftig geworden, ging jener furchtbare Sturm der sog. Reformation aus, welcher im sechzehnten Jahrhunderte einen großen Teil Europas der allgemeinen apostolischen Kirche wieder entfremdete.
(Auszug aus: LEBEN JESU, von L. C. Businger, 1874)