Der begnadete Mensch
Die Irrlehren in der Gnadenlehre
In keinem Lehrstück der katholischen Dogmatik ist es so wichtig, die Gegner kennenzulernen, wie in der Gnadenlehre. Denn die katholische Gnadenlehre ist zu glauben vorgelegt in Formulierungen, die aus der Abwehr ganz gefährlicher Irrlehren entstanden sind. Die von der Kirche verurteilten Irrlehren stehen sich schroff untereinander gegenüber. Die einen bekämpfen die Gnade im Namen der Würde des Menschen, die anderen bekämpfen die Natur des Menschen im Namen der Gnade Gottes.
1. Als Augustinus Bischof von Hippo war, einem kleinen nordafrikanischen Provinzstädtchen, trat in Rom ein Mann auf, der mit heiligem Eifer die herrschende Sittenlosigkeit bekämpfte. Überall, wo er hinkam, in Italien, Frankreich, Palästina, fand er begeisterte Anhänger. Nur in Nordafrika vermochte er nicht Fuß zu fassen, wenn auch einzelne Bischöfe eine Zeitlang sich über den wahren Sinn der Bewegung täuschen ließen. Augustinus aber erkannte vom ersten Augenblick an, daß es hier um das Ganze ging, um Sein oder Nichtsein des Christentums. Im Kampfe mit Pelagius und seinen Freunden reifte er heran zum Lehrer der Gnade.
Pelagius leugnete die Erbsünde und das Erbverderben. Der Mensch hat nach ihm in sich selbst die Vollkraft, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Die einzige Gnade Gottes ist der freie Wille; er gleicht einer Waage, die sich vollkommen in der Gleichgewichtslage befindet und sich ebensowohl zum Guten wie zum Bösen neigen kann. Von einem Einwirken Gottes auf den menschlichen Willen könne keine Rede sein; das bedeute einen unerträglichen Zwang. Nur der Satan könne mit Gottes Zulassung in Fällen der Besessenheit den menschlichen Willen bedrängen, knechten und zu Dingen treiben, die er nicht will. Eine solche zwingende Macht übt Gott nicht aus, es gibt keine göttliche Besessenheit. Gott kann nur als Lehrer der Menschen auftreten, so wie er am Sinai den Juden das Gesetz gegeben und wie er uns in Christus das Gesetz des Neuen Bundes geschenkt hat.
Wir verdanken nach Pelagius Gott nur das Dasein. Daß wir aber gut und tigendhaft sind, das verdanken wir uns selbst. Der Mensch verdient sich alles, was die Kirche der Gnade zuschreibt: die Nachlassung der Sünden durch Reue und Bußwerke, das ewige Leben durch die guten Werke. Ja, selbst die Berufung zum Christentum wird durch sittliches Streben verdient. Unter dem Eindruck der kirchlichen Praxis hält Pelagius zwar an der Kindertaufe fest, aber sie befreit das Kind nach ihm nicht vom Tode der Sünde und der ewigen Verdammnis, sondern weiht es nur für eine höhere Seligkeit ein.
Durch diese Lehren zerstört Pelagius die Fundamente der christlichen Religion. An Stelle der Erlösung durch Christus tritt die Selbsterlösung. Der Mensch tritt Gott gegenüber selbständig auf; er tut seine Pflicht, und Gott hat nur bei seinem Tode festzustellen, wie das Soll und Haben sich gegeneinander ausgleichen. In dieser ganzen Lehre ist kein Platz für die Güte des Schöpfers und für den Reichtum der Gnade des Erlösers, für Demut und vertrauensvolle Hingabe, auch nicht für das Gebet. Es ging um das Ganze. Für diesen Kampf hatte Gott seiner Kirche ein wunderbares Werkzeug bereitet in dem heiligen Augustinus. Er hatte in seinem Leben erfahren, daß der freie Wille keine Waage in der Gleichgewichtslage ist, gleich fähig zum Guten wie zum Bösen. Er hatte die Verderbnis des Menschen und das Walten der Gnade an sich selbst gespürt. So führte er den Kampf nicht nur als Philosoph und Theologe, sondern auch als seelenkundiger Mensch.
Die Lehren des Pelagius sind nicht vollkommen neu in der Geschichte der Religionen. Er selbst war angesteckt durch die Philosophie der Stoiker. Auch schon dem heiligen Paulus begegneten in der pharisäischen Religion seiner Zeit, dem sog. Judaismus, ähnliche Anschauungen. Paulus war besonders befähigt zum Herold der Gnade Christi, weil er selbst lange Jahre die grausame Härte der pharisäischen Gesetzesreligion schmerzlich erfahren hatte, jener Religion, die uns Christus im Gleichnis von dem Pharisäer und Zöllner unnachahmlich schön vor Augen stellt (Luk. 18,9-14). Der Pharisäer stellt sich hin und betet: "Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen Menschen, wie die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder wie der Zöllner da." Ich bin ein Mann guter Werke. Trotzdem es im ganzen Jahre nur einen Fasttag gibt, den großen Versöhnungstag, faste ich zweimal in der Woche. Ich gebe nicht nur den vorgeschriebenen Zehnten, der sich auf einzelne Vermögensstücke bezieht, sondern den Zehnten von allem, was ich besitze. Der Pharisäer hält Gott für einen Schuldner. Er kann Forderungen an ihn stellen. Diesem hochmütigen Menschen gegenüber tritt der Zöllner als Vertreter der echten Religion auf, der im Gefühl seiner Abhängigkeit und Sünde zu Gott betet: "Gott, sei mir armen Sünder gnädig."
Auch unsere Zeit ist seit der Aufklärung in steigendem Maße dieser hochmütigen Selbstgerechtigkeit verfallen. Die Prometheusnaturen unserer Tage fragen: Wozu sollen wir Gott ehren? Hat er je die Schmerzen den Beladenen gelindert und die Tränen des Geängstigten gestillt? Hat uns nicht zum Manne geschmiedet die allmächtige Zeit und das ewige Schicksal? Die meisten gehen sogar noch viel weiter als die alten Feinde der Gnade, die sich noch an Gottes Gesetz gebunden wußten. Sie aber fragen nichts mehr danach, was Gott von ihnen verlangt, sondern bestimmen selbst, was ihnen erlaubt oder verboten ist.
Die Kirche hat gegenüber dieser Irrlehre des Naturalismus stets die Notwendigkeit der Gnade betont. Ihre wichtigsten Lehrsätze sind:
a) Ohne die Erlösungsgnade Christi erlangt kein Mensch die Nachlassung der Sünde, die Gotteskindschaft und das ewige Leben. Wie der Tote sich nicht zum Leben erwecken kann, so kann auch der Sünder sich nicht die Verzeihung der Sünden und das göttliche Leben verdienen: "Ihr wart tot durch eure Missetaten und Sünden, in denen ihr einst gewandelt seid nach dem Zeitgeist dieser Welt. Wir waren von Natur Kinder des Zornes gleich den andern. Gott aber, so reich an Erbarmen, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, uns, die wir tot waren durch unsere Sünden, zusammen mit Christus lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr erlöst, kraft des Glaubens. Nicht euer Verdienst ist es, es ist Gottes Geschenk. Nicht den Werken ist es zu verdanken, damit niemand sich rühmen kann; denn seine Gebilde sind wir, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken" (Eph. 2,1 ff.).
b) Ohne die Gnade Gottes ist es dem Menschen unmöglich, zu glauben, zu hoffen, zu lieben oder auch zu bereuen, wie es zur Erlangung der Rechtfertigung notwendig ist (D. 813). Die Kirche lehrt also, daß auch schon die Vorbereitung auf die Gnade von Gott ausgeht und von seiner Hilfe begleitet ist. Christus selbst erklärt ja: "Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht" (Joh. 6,44). Ein andermal: "Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht von meinem Vater gegeben wird" (Joh. 6,65).
c) Auch nach der Erlangung der Gotteskindschaft ist es dem gerechten Menschen nicht möglich, sich das ganze Leben hindurch von allen läßlichen Sünden freizuhalten, es sei denn, daß ihm ein ganz besonderes göttliches Gnadenvorrecht zuteil wird (D. 833). Das Konzil von Trient spricht nur von einer einzigen, der dieses Vorrecht zuteil wurde, der allerseligsten Jungfrau Maria. Alle übrigen Menschen können sich also nicht vollkommen frei halten von läßlichen Sünden. Deshalb sagt der heilige Jakobus: "In vielen Dingen stoßen wir alle an" (3,2). Christus lehrt uns täglich beten: "Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!" (Matth. 6,12). Daraus schließen die Theologen ganz allgemein, daß erst recht der Mensch der Gnade bedarf, um sich längere Zeit von schweren Sünden frei zu halten.
d). Besonders wird von der Kirche die Notwendigkeit der Gnade der Beharrlichkeit betont. Vollkommen ist diese Gnade, wenn der Mensch die Taufunschuld niemals verliert. Aber auch dann besitzt der Mensch die Gnade der Beharrlichkeit, wenn er die heiligmachende Gnade im Augenblick des Todes hat. Das Konzil von Trient lehrt: "Diese Gnade kann der Mensch nur von dem erlangen, der mächtig ist, den, der steht, so zu stellen, daß er dauernd steht, und den, der fällt, wiederaufzurichten" (D. 826). Deshalb die fortgesetzten Mahnungen zum Gebet um Gottes Beistand in den Versuchungen (Matth. 6,13). Wir sollen allzeit beten (Luk. 21,36), wir sollen beten und nicht nachlassen (Luk. 18,1), wir sollen wachen und beten (Matth. 26,41). Papst Innozenz I. erklärt (D. 132): "Wie wir mit Gottes Hilfe siegen, so unterliegen wir notwendig, wenn er uns nicht immer von neuem hilft." Aus diesen Worten zieht sein Nachfolger die Schlußfolgerung: "Täglich ist der Beistand Gottes für jeden Wiedergeborenen notwendig, um die Nachstellungen des Teufels und die Begierden des Fleisches besiegen zu können.
2. Die Feinde der Natur. Während Pelagius der Typ einer einseitigen Gesetzesreligion ist, ist das Luthertum der Typ einer ganz einseitigen mystischen Gnadenreligion. Luther, der an geistiger Bedeutung und religiöser Kraft alle übrigen Reformatoren übertraf, hat ein streng geschlossenes Religionssystem geschaffen; wenn auch nicht auf einmal, so hat er doch nach und nach aus seiner Grundeinstellung auf allen Gebieten des religiösen Lebens die Folgerungen gezogen. Der Grundgedanke Luthers wird in der Regel ausgesprochen mit den Worten: "Der Glaube allein macht selig." Aber diese Formel ist schon eine abgeleitete; denn nach Luther ist auch der Glaube Gottes Werk. Deshalb sagt man besser: Nach Luther ist Gott allein wirksam in Sachen unseres Heiles, oder negativ ausgedrückt: Der Mensch ist in allen religiös-sittlichen Dingen unfrei. "Du kannst Kühe melken, Häuser bauen und dergleichen, sonst aber kannst du nichts." Sein Buch "Von dem geknechteten Willen" (1526) ist deshalb Luthers grundlegende Schrift. Luther gesteht, wenn es einmal über ihn käme, wie über den Gott Kronos, der alle seine Kinder verschlungen hat, so würde er einzig und allein dieses Buch übriglassen.
Die Lehre Luthers von dem geknechteten Willen hat zwei Wurzeln. Sie ergibt sich ihm zunächst aus seiner Erbsündenlehre. Durch die Erbsünde ist die ganze religiös-sittliche Anlage im Menschen vollkommen erloschen. Er wurde radikal böse, tot wie ein Stein, wie ein abgestorbener Baumstumpf; er gleicht Lots Weib, nachdem es in eine Salzsäule verwandelt worden ist. Die zweite Wurzel seiner Lehre kommt aus dem Verlangen nach Heilsgewißheit. Er fand sie im Katholizismus nicht, weil hier die Seligkeit abhängig gemacht wird von der Mitwirkung des Menschen. Luther machte sich bei seiner krankhaft ängstlichen Art stets Sorge darüber, ob er hinreichend mitgewirkt habe. Ruhe und Frieden fand er erst in seiner Irrlehre, die alles auf Gott und nichts auf den Menschen ablädt. Gott allein wirkt im Menschen den Glauben, und dadurch wird der Mensch zum neuen Leben erweckt, zur Hoffnung auf die ewige Seligkeit. Der Mensch selbst ist dabei vollständig untätig.
3. Die Auswüchse dieses Systems als Ganzes wurden verworfen auf dem Konzil von Trient. Hier wurde namentlich in der sechsten Sitzung die wohlabgewogene katholische Lehre von der Erlangung des Heiles vorgetragen, die man kurz zusammenfassen kann in die Worte, daß Gott und Mensch bei unserer Heiligung und Beseligung zusammen wirken. Wir dürfen nicht alles Gott überlassen, wie die Reformatoren lehren. Wir dürfen aber auch nicht uns vollkommen auf unsere Kräfte verlassen, wie der Naturalismus es will. Im einzelnen sind folgende Punkte hervorzuheben:
a) Die Kirche lehrt die Freiheit des menschlichen Willens. Auch nach der Erbsünde ist der Mensch frei geblieben, so daß er Gottes Gnade ablehnen oder annehmen kann (D. 814). Der freie Wille ist kein Wort ohne Inhalt, keine vom Teufel in die Kirche eingeführte Lüge oder Dichtung, wie Luther lehrte (D. 816). Indem die Kirche die Freiheit des Menschen und damit seine Würde verteidigte, schützt sie zugleich die Religion und den Gottesglauben. Denn aus der Unfreiheit des Menschen ergeben sich Folgerungen, die auch schon die Reformatoren gezogen haben, die naturnotwendig zur Auflösung des Gottesglaubens führen müssen. Denn wenn Gott alles allein wirkt, dann wirkt er auch das Böse; so wird er zu einem Willkürgott, der in den einen Gutes wirkt und belohnt, in den anderen Böses wirkt und sie bestraft. Das Konzil von Trient erklärt (D. 816): "Wenn einer sagt, es läge nicht in der Macht des Menschen, seine Wege schlecht zu machen, sondern Gott wirke die bösen Werke genau so wie die guten, er lasse das Böse nicht nur zu, sondern wirke es im eigentlichen Sinne, so daß der Verrat des Judas geradeso Gottes Werk sei wie die Berufung des Paulus, der ist ausgeschlossen."
b) Die Kirche hat auch die sittlichen Folgerungen abgelehnt, die schon die Reformatoren aus dieser Lehre gezogen haben. Der Glaube genügt nicht zur Seligkeit, wie Luther lehrte, der übertreibend sagt, daß tausendmal tausend Todsünden, an einem Tage begangen, den Menschen nicht vom Heile losreißen könnten, wofern er nur glaube. Demgegenüber lehrt die Kirche, daß schon zur Nachlassung der Sünde mehr notwendig ist als der bloße Glaube oder das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit. Namentlich werden auch die Reue und der gute Vorsatz, sein Leben zu bessern, verlangt, dazu der Empfang der heiligen Sakramente der Taufe und der Buße (D. 798). Der große Unterschied zwischen der katholischen und reformatorischen Auffassung tritt aber am grellsten zutage nach der erlangten Rechtfertigung, wenn es sich um die ewige Seligkeit handelt. Hier verlangt die Kirche die Befolgung der Gebote Gottes, während Luther darauf verzichtet und nur den Glauben für heilsnotwendig erklärt.
Es kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß Luther und das Evangelium in einem schroffen Gegensatz stehen; denn das Evangelium ist nicht nur eine Gnadenbotschaft, nicht nur eine Predigt von der sündenvergebenden Liebe Gottes, sondern zugleich ein religiös-sittliches Gesetz. Gerade die Bergpredigt enthält eine ganze Reihe von sittlichen Forderungen. Auch das alttestamentliche Gesetz ist von Christus nicht aufgehoben, sondern vervollkommnet. Immer wieder ermahnt uns Jesus, den Willen des Vaters im Himmel zu erfüllen, und verheißt denen, die Gottes Gebote halten, das ewige Leben.
Auch Paulus ist nicht der Verkünder einer einseitigen Gnadenreligion, so sehr sich auch Luther immer wieder gerade auf ihn beruft. Er zitiert Stellen wie: "Der Gerechte lebt aus dem Glauben" (Röm. 1,17); "Wir sind überzeugt, daß der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde, unabhängig von Gesetzeswerken" (Röm. 3,28). Paulus richtet solche scharf zugespitzten Sätze gegen das Pharisäertum seiner Zeit, das den Glauben an Christus ablehnte und in dem Mosaismus mit seinen Gesetzesforderungen das ewige Heil suchte. Das Christentum nennt er den Glauben gegenüber dem Pharisäertum als der Religion des Gesetzes. Er will nur sagen, daß der Mensch durch das Christentum, nicht durch den Mosaismus gerettet werde. Daß der Christ durch ein bloßes Bekenntnis mit dem Munde ohne Beobachtung des göttlichen Gesetzes selig werden könne, hat Paulus nie gelehrt, und nie hat er im entferntesten daran gedacht. Er verlangt einen Glauben, der in der Liebe wirksam ist. Bei Luther liegt aller Nachdruck auf dem Worte der Verheißung: Deine Sünden sind dir vergeben; bei Paulus auf dem neuen Leben, das durch den Heiligen Geist in dem Getauften gewirkt wird und ihn zu einem sittlichen Leben befähigt. Gerade im Römerbrief, wo sich die mißverstandenen Stellen finden, handeln die vier letzten Kapitel (12-16) von den sittlichen Pflichten des Christen, von deren Erfüllung das ewige Leben abhängig ist. Wie im Römerbrief, so ist es in allen Briefen Pauli.
Auch im Johannesevangelium steht das Wort: "Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben." Aber auch Johannes setzt den Glauben nicht in Gegensatz zum sittlichen Leben. Er kennt kein einseitiges Vertrauen ohne Gehorsam gegen Gottes Gebot. Der Glaube an Christus schenkt uns vielmehr das göttliche Leben und damit die Kraft zu allem Guten. Das neue Leben wird dem Menschen nur deshalb gegeben, daß er viele Früchte hervorbringt, die dauern für das ewige Leben.
Natur und Gnade
Der Katholizismus hat die ganze Bibel und die Lehrverkündigung aller Jahrhunderte auf seiner Seite, wenn er das Heil nicht einzig dem Menschen zuschreibt, wie der Naturalismus es will, sondern Gott, den Erlöser, an die erste Stelle setzt. Mit ihm ist auch die Offenbarung, und die Stimmen aller Jahrhunderte rufen, daß Gott nicht allein wirkt, sondern daß der Mensch mit Gottes Gnade mitwirken muß. Diese Lehre formuliert Augustinus in dem kurzen Satze: "Der dich erschaffen hat ohne dich, macht dich nicht gerecht ohne dich."
1. Es ist schwer, zu sagen, was Gott und was der Mensch im einzelnen wirkt. Von vornherein ist klar, daß Gott so sehr im Vordergrunde stehen muß, daß der Mensch nur als dienendes Werkzeug Gottes wirksam werden kann. Gott steht am Anfang des Heiles; er ruft den Sünder an und erhebt ihn von seinem Falle. Er unterstützt und begleitet mit seiner helfenden Gnade alles, was der Mensch tut, um die Nachlassung der Sünden und die Gotteskindschaft zu erlangen. Auch dem Gotteskinde gibt er die Kraft zu einem heiligen und frommen Leben. Was aber leistet der Mensch?
Die Frage hat nicht zu allen Zeiten die gleiche Antwort erhalten, weil die Gelehrten nicht zu allen Zeiten die Grenze zwischen Natur und Gnade an die gleiche Stelle legten. Augustinus nennt alle Geschenke des Schöpfergottes und alle Geschenke des Erlösers schlechthin Gnade. Das ist ja richtig in dem Sinne, daß alles uns von Gott aus freier Liebe geschenkt wurde, daß der Mensch kein Forderungsrecht Gott gegenüber besitzt. Alles ist Gottes Eigentum und bleibt Gottes Eigentum, das er im Dasein und Leben erhalten muß. Der Mensch ist nur Verwalter der göttlichen Gaben. Auch diese Verwaltung vollzieht sich unter fortgesetzten Lebenseinflüssen, die von Gott her in ihn einströmen. Des Menschen Eigentum ist nur seine geschöpfliche Unvollkommenheit, daß er als Geschöpf begrenzt ist in seinem Verstand und seinem Willen und deshalb der heilige Augustinus gefragt wird: Was kann der Mensch aus sich tun, damit er heilig und selig werde? dann lautet die Antwort: Nichts, er kann nur sündigen, Gottes Geschenke mißbrauchen und seine Gnadeneinflüsse ablehnen. Diesen augustinischen Standpunkt finden wir noch in alten Kirchengebeten, wie z.B. in der Pfingstsequenz: "Ohne deine Kraft ist im Menschen nichts, nichts in ihm als Sünde."
Im Mittelalter aber ging man dazu über, die Gaben des Schöpfers, wie sie auch Nichtchristen, Juden, Heiden und Mohammedaner besitzen, von den Gaben zu unterscheiden, die uns durch Christus verdient worden sind. Man nennt die Shöpfergaben von jetzt an die Natur des Menschen, und nur mehr die Geschenke des Erlösers werden Gnade genannt. Fragt man jetzt nach dem Verhältnis von Natur und Gnade, dann muß die Antwort natürlich eine andere werden. Als deshalb unentwegte Anhänger des heiligen Augustinus den Satz wiederholten, daß der Mensch ohne die Gnade nur sündigen könne, da hat die Kirche ihn verurteilt. Das geschah mit Recht; denn auch der natürliche Mensch ist schon auf Grund seiner Erschaffung ein natürliches Ebenbild Gottes. Die Erbsünde hat dieses Gottesbild nicht so verdüstert, daß der Mensch nur sündigen kann. Gewiß kann er ohne Christi Gnade sich nicht die ewigen Seligkeit verdienen. Deshalb nennt die Kirche die Werke, die ohne die heiligmachende Gnade verrichtet werden, tote Werke, aber nicht sündige oder böse Werke. Es ist ein Unterschied, ob ein Baum giftige Früchte oder nur unvollkommene Früchte hervorbringt. Unter den Vätern waren es besonders die Griechen, die auch den Heiden sittlich wertvolle Handlungen zugeschrieben haben. Gregor von Nazianz schreibt über seinen Vater: "Wie von den Unsrigen sehr viele nicht zu uns gehören, weil eine sträfliche Lebensweise sie von unserer Gemeinschaft trennt, so stehen viele von denen draußen, die gute Sitten vor dem Glauben haben, die nur des christlichen Namens entbehren, während sie die Sache selbst besitzen. Zu ihnen gehörte auch mein Vater, zwar ein fremder Zweig, aber durch Lauterkeit der Sitten hatte er sich über uns geneigt."
2. Die Gnade setzt die Natur voraus. Denn sie ist nicht allein wirksam, betätigt sich vielmehr nur an der Natur und mit Hilfe der Natur. Wo die Natur nicht das Ihrige leistet oder leisten kann, ist auch die Gnade nicht wirksam. Wenn deshalb die körperliche Gesundheit oder die Begabung für einen Beruf fehlt, darf der Mensch den Beruf nicht ergreifen; denn er darf nicht auf das Wunder hoffen, daß Gott durch seine Gnade ersetzt, was der Natur fehlt. Der Mensch muß auch die natürliche Hinternisse entfernen, die dem Wirken der Gnade widerstehen. Schlechte Kameradschaft, schlechte Bücher, überhaupt die nächste Gelegenheit hindern nicht nur das Wirken der Gnade, sondern bringen das ganze Gnadenleben in die Gefahr, daß es verlorengeht. Eine Ehe, die ohne die natürliche Grundlage der Liebe geschlossen wird, hat alle Aussicht, unglücklich zu verlaufen. Gebet ohne Arbeit führt zur Verarmung. Ein Kranker, der die natürlichen Heilkräfte verschmäht, wird für gewöhnlich dem Tode verfallen, wenn er auch noch so viel um seine Gesundheit betet. Die Theologen nennen die Sünde, die Gottes Gnadenwirken überspannt und alle natürlichen Hilfsmittel ausschaltet, die Sünde der Vermessenheit.
Auf der anderen Seite stellt Gott die guten Vorzüge der Natur in den Dienst seines Heilswirken. Wenn er den Menschen zu besonders hohen Aufgaben in seinem Reiche beruft, dann gibt er ihm auch die körperlichen und geistigen Kräfte, die ihn zu Großem befähigen, oft in solchem Maße, daß er für seine Lebensaufgabe wie geboren erscheint. Es ist richtig, daß Gott auch aus den Steinen Kinder Abrahams erwecken kann, meist aber schließt er sich an die Natur an. Die Natur wird in die Gnadenordnung aufgenommen. Die natürlichen Vorzüge werden in den Dienst der Vorsehung gestellt. Es ist merkwürdig, wie der Protestantismus sich scheut, solche Wahrheiten anzuerkennen. Er ist gleich bei der Hand mit dem Vorwurfe des Judaismus oder der Selbstgerechtigkeit. Wenn wir Beweise für das Dasein Gottes führen, dann heißt es, der Glaube werde entwertet, weil wir uns nicht einzig auf Gott und seine Offenbarung stützten. Dabei liegen die Verhältnisse in Wirklichkeit so, daß der Glaube auch nach katholischer Lehre ein freies Geschenk Gottes ist; aber das menschliche Suchen nach Gott macht die Seele bereit, sich der göttlichen Gnade zu öffnen. So kommt der Protestantismus, soweit er am Luthertum festhält, zu einer vollkommen gebrochenen Stellung gegenüber der weltlichen Kultur. Alle Werte der Schöpfung, Ehe, Familie, Staat, Vaterland usw., werden unter dem Fluche und unter dem Gericht Gottes gesehen. Die Beschäftigung mit ihnen bedeutet eine Gefahr für das Heil der Seele.
3. Die Gnade zerstört die Natur nicht, sondern macht sie vollkommener. Auch der Katholik weiß, daß der Mensch und alle menschlichen Ordnungen unter der Erbsünde und ihren schlimmen Folgen stehen. Aber er weiß auch, daß es Christi Wille ist, daß wir diese Dinge nicht schicksalhaft hinnehmen und uns damit trösten, daß Gott uns die Sünde nicht anrechnet, sondern daß wir die Aufgabe haben, der Sünde und ihren Folgen den Krieg zu erklären und das Menschenleben, sowohl das private wie das öffentliche, unter die Gnadeneinflüsse Christi zu stellen. Leidenschaften sollen nicht ausgerottet werden; man darf sich auch nicht zügellos ihrer Herrschaft überlassen, man muß sie vielmehr in den Dienst des Guten stellen. Der Glaube soll als Sauerteig eindringen in alle irdischen Verhältnisse, in das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Käufer und Verkäufer, zwischen Arbeiter und Unternehmer, zwischen Obrigkeit und Untertanen. Er soll all diese Verhältnisse nach dem Gesetze Gottes ordnen. Dadurch werden sie besser und vollkommener. Dabei weiß der Katholik, daß er auf Erden nie ans Ende kommt, daß die Welt im argen liegt, daß aber jedes redliche Bemühen von Gott unterstützt wird. Die Kirche wird immer die streitende Kirche bleiben. Der Kämpfer aber wird nicht nur seine eigene Seele retten, sondern auch vielen anderen Halt und Stütze werden.
Der Grundsatz, daß die Gnadenordnung die Natur nicht zerstört, sondern vervollkommnet, gilt auch für unser Erkenntnisleben. Der Glaube verlangt von uns nicht, daß wir den gesunden Menschenverstand entsagen, er verlangt von uns keine Zustimmung zu widersinnigen Sätzen, wohl aber erweitert er unseren natürlichen Gesichtskreis und zeigt uns die Welt der Ewigkeit. Wer gestützt auf seinen Glauben an die Durchforschung der Welt und der Natur geht, wird vor vielen Irrtümern bewahrt, wenn er beachtet, daß alle Weltanschauungen notwendig falsch sein müssen, die gegen den Glauben verstoßen. Es gibt keine Wahrheit gegen Christus und sein heiliges Evangelium.
Der Inhalt des Gnadenstandes
Im Mittelpunkt der katholischen Gnadenlehre stehen die Rechtfertigung und Heiligung des Menschen. Sie sind von der Kirche feierlich zu glauben vorgelegt worden auf dem Konzil von Trient im Gegensatz zu der Lehre der Reformatoren. Man kann diese klaren und tiefen Gedanken, die das Konzil ausspricht, nicht verstehen, wenn man nicht wenigstens in allgemeinen Zügen die von der Kirche verdammte Anschauung kennt.
1. In der Rechtfertigung begibt sich ein Zweifaches. Der Mensch wird von aller Sünde und Sündenstrafen befreit, er wird ein Kind Gottes und Erbe des Himmels (D. 796). Die Rechtfertigung wird uns zum ersten Male geschenkt in der heiligen Taufe; wenn wir in schwere Sünden zurückfallen, wird sie erneuert im Sakrament der Buße.
Die Nachlassung der Sünde ist eine vollkommene. Nichts, was irgendwie den Charakter der Sünde hat, bleibt im Gerechtfertigten zurück (D. 792). Nach Luther war es freilich nicht so. Nach ihm ist die böse Begierlichkeit die eine große Sünde der Menschheit, die böse Wurzel, aus der alle einzelnen Sünden hervorwachsen. Sie wird nicht ausgerottet und kann nicht zerstört werden. Deshalb bleibt der Mensch auch nach der Taufe ein Sünder, und alles Sinnen und Trachten des Menschen ist gottfeindlich und auf die Sünde gerichtet. Luther gebraucht das Bild, daß die Sünde von Gott nur zugedeckt wird. Der Mensch ist Sünder und bleibt Sünder; nur rechnet Gott dem Getauften die Sünde nicht mehr an; er schenkt ihm die Strafe auf Grund des Glaubens und macht ihn ewig selig trotz aller Sünden. Nur der Ungetaufte, der nicht an Christus glaubt, muß für seine Sünden büßen.
Luther beruft sich für diese Lehre auf das Alte Testament und den heiligen Paulus. In der Tat findet sich im Alten Testament öfters der Ausdruck, daß Gott unsere Sünden zudecke. Dieses Wort ist aber nur verständlich aus den Opfergebräuchen. Beim Opfer wurde das Blut des Opfertieres aufgefangen und auf den Sünder gesprengt. So wurde er äußerlich rein, und seine Sünde wurde gleichsam zugedeckt, die Schuld wurde verhüllt. Das Blut des Opfertieres schützte vor Gottes Zorn und Strafe. Auch Paulus hat gelegentlich den Ausdruck des Zudeckens, namentlich, wenn er alttestamentliche Stellen zitiert (Röm. 4,7). Aber man würde das Alte Testament mißverstehen, wenn man es so äußerlich auffaßte. Namentlich für die messianische Zeit wird eine vollkommene Nachlassung der Sünde verheißen: "Der Herr wird sich unserer erbarmen, unsere Sündenschuld niederstampfen und alle unsere Missetaten in die Tiefe des Meeres werfen" (Mich. 7,19). "Ich werde ihre Sünden verzeihen und ihrer Missetaten nicht mehr gedenken" (Jer. 31,34). "Ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr sollt von all euren Unreinigkeiten rein werden" (Ez. 36,25). Aber auch schon in der alttestamentlichen Gegenwart gibt es eine wirkliche Sündentilgung. "So weit der Aufgang ist vom Untergang, so weit entfernt der Herr von uns unsere Sünden" (Ps. 103,12). Auch schon in der Gegenwart macht er blutrote Sünder schneeweiß (Is. 1,18). Deshalb betet der Psalmist um Vergebung der Sünden in Worten, die der Höhenlage der neutestamentlichen Religion entsprechen und zu den schönsten Reuegebeten gehören, die die religiöse Weltliteratur kennt (Ps. 51,12 f.): "Herr, verwirf mich nicht vor deinem Angesichte, erschaffe in mir ein reines Herz, nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir fort!"
Der heilige Paulus gebraucht für diesen Vorgang auch gelegentlich das Wort "rechtfertigen". Das kann gewiß auch etwas Äußerliches bedeuten, nämlich: den Menschen für einen Gerechten erklären; aber ebensogut kann es heißen: den Sünder gerecht machen. Daß Paulus nur an die T i l g u n g der Schuld denkt, ist so klar, daß es heute von niemand mehr geleugnet wird; denn der Sünder zieht in der Taufe den alten Menschen aus, er wird von dem Geiste Gottes erfüllt, Glied am Leibe Christi. Der Geist Christi, der Christus geheiligt hat, wird auch ihm zuteil, so daß er sprechen kann: "Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2,20). Bei der Taufe stirbt der alte Mensch der Sünde, und der neue Mensch wird geboren. Beide Wirkungen, Vergebung und Gnade, werden von Paulus auch gelegentlich zusammengestellt. Nachdem er die heidnischen Laster aufgezählt hat, sagt er (I Kor. 6,11): "Das waret ihr einst, aber jetzt seid ihr abgewaschen, seid ihr gerechtfertigt im Namen unseres Herrn Jesu Christi und im Geiste unseres Gottes." Der Zustand der Sünde und der Zustand der Gerechtigkeit verhalten sich wie Licht und Finsternis, Tod und Leben. Beide schließen sich gegenseitig aus: "Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit, welche Gemeinschaft zwischen dem Lichte und der Finsternis?" (2 Kor. 6,14).
2. D i e G o t t e s k i n d s c h a f t. Wie schon aus dem Bisherigen hervorgeht, ist die Nachlassung der Sünden nicht das einzige Geschenk, das uns bei der Rechtfertigung zuteil wird. Wir werden auch innerlich geheiligt und erneuert. Es ist sehr schwer, die Herrlichkeit der Seele zu beschreiben, die von Gottes Gnade durchleuchtet wird; denn es handelt sich um etwas, das der sinnlichen Erfahrung vollkommen unzugänglich ist. Auch die Kirche redet im Anschluß an die Heilige Schrift von dem Gnadenerlebnis nur in Bildern, die aber von unvergleichlicher Schönheit sind und uns die Wahrheiten ahnen lassen.
Am häufigsten hören wir, daß der Mensch zum Kinde oder zum Sohne Gottes wird. Die Gotteskindschaft wird in der heiligen Taufe erworben durch eine neue Geburt aus Gott, die Wiedergeburt. Sie erfolgt im Anschluß an den Glauben: "Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben" (Joh. 1,12). Wir dürfen das Kindesverhältnis nicht einseitig in die Gesinnung hineinverlegen und nur an Gottes väterliche Liebe und des Menschen kindliches Vertrauen denken. Neben dieses sittliche Verhältnis tritt ein Verhältnis geheimnisvoller Gottesverwandtschaft: "Wiedergeboren seid ihr, nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem, durch den Logos des lebendigen Gottes, der in Ewigkeit bleib" (1. Petr. 1,23). Danach nehmen wir teil an dem unvergänglichen und ewigen Leben Gottes, das sich in unser vergängliches Leben einsenkt. Der heilige Paulus schreibt: "Alle, die von Gottes Gnade getrieben werden, sind Söhne Gottes. Denn ihr habt nicht empfangen den Geist der Knechtschaft, sondern den Geist der Sohnwerdung, in dem wir rufen: Abba, Vater! Eben dieser Geist bezeugt es im Verein mit unserem Geiste, daß wir Kinder Gottes sind, wenn aber Kinder, dann auch Erben" (Röm. 8,14 ff.). Also werden wir aus dem geschöpflichen Verhältnis des Knechtes befreit und in das vertraute Kindesverhältnis zu Gott gestellt. Wir brauchen ihn nicht mehr zu fürchten als den strengen Richter, sondern wenden uns an ihn mit dem vertrauten Anruf: "Unser Vater!" Gelegentlich wird statt Wiedergeburt auch Annahme an Sohnes Statt gesagt (Gal. 4,5). Man darf dieses Wort, wie es heute vielfach geschieht, nicht entleeren und darin den Ausdruck der semitischen Haltung des heiligen Paulus sehen, der von einem echten Kindesverhältnis zu Gott nichts wisse; denn Paulus gebraucht den Ausdruck "Sohn Gottes" sowohl von Christus als auch von den Christen.
Mit der Sohnschaft ist das A n r e c h t a u f d i e e w i g e S e l i g k e i t gegeben. Oft werden wir Erben des Himmels und Miterben Christi genannt. Wo Christus, unser Haupt, ist, da ist auch unsere Heimat. Gnade und Seligkeit stehen in einem ganz innigen Verhältnis zueinander, wie Anfang und Ende einer Entwicklung, wie Knospe und Blüte, wie Same und Entfaltung. Nach dem heiligen Johannes wird das göttliche Leben, das jetzt schon in uns ist, bei der Wiederkehr Christi offenbar werden (1 Joh. 3,2). Nach Augustin sind wir wie Bäume zur Winterzeit; wenn unser Frühling kommt, die Wiederkehr Christi, dann wird das verborgene Leben in uns sich herrlich entfalten.
Andere Theologen vergleichen das Gottesverhältnis des Wiedergeborenen lieber mit der Freundesliebe oder mit der bräutlichen Liebe. Diese Liebe ist ohne Eigennutz; sie findet Gleiche oder macht die Menschen gleich. Gott findet den Menschen als Sünder, er macht ihn zu seinem Freunde und zu einem Heiligen; er findet ein bloßes Geschöpf, gibt ihm aber Anteil an seinem eignen göttlichen Leben. "Wie ich durch den Vater lebe, so wird der, der mich ißt, durch mich leben" (Joh. 6,57).
Der heilige Paulus gebraucht das Bild der bräutlichen Liebe nur für das Verhältnis Christi zu seiner Kirche oder zur Gemeinschaft der Gläubigen, nicht für das Verhältnis zu den Einzelseelen. Aber er wird mit Recht auf jede Seele gedeutet. Die Braut ohne Flecken und Runzeln, die heilig und makellos ist, ist die mit der heiligmachenden Gnade geschmückte menschliche Seele.
Durch die Wiedergeburt wird der Mensch zum Christusträger oder Geistesträger. Von dem Einwohnen des Heiligen Geistes spricht namentlich der heilige Paulus. Der Heilige Geist wohnt in uns wie in seinem Tempel. Oft gebraucht er das Bild auch umgekehrt: Wir leben im Heiligen Geiste, der uns also gleichsam umgibt und durchdringt wie die Luft unseren Körper. Ähnlich heißt es, daß wir in Christus sind, oder auch, daß Christus in uns ist. Ein anders Mal greift die Bildersprache zurück auf die Verhältnisse im Paradiese. Christus macht uns zu Menschen, d. h. zu solchen, die jenem Menschenbilde entsprechen, das Gott in Adam der Erde geschenkt hat. Der heilige Ignatius sagt: "O, laß mich reines Licht schauen, dort angekommen, werde ich Mensch sein."
Der höchste Namen für das neue Verhältnis ist die Teilnahme an der göttlichen Natur (2 Petr. 1,4). Der heilige Petrus spricht von einer Gottwerdung des Menschen. Der Gedanke wurde von Irrlehrern oft im pantheistischen Sinne übertrieben. Der heilige Irenäus schreibt von den Irrlehrern seiner Zeit: "Ehe sie rechte Menschen sind, wollen sie schon ähnlich sein dem Schöpfer, und sie erkennen keinen Unterschied mehr an zwischen dem ungeschaffenen Gott und dem nun geschaffenen Menschen." Hippolyt schreibt: "Wenn unsterblich der Mensch geworden, dann wird er auch Gott sein." Es ist schwer, zu sagen, was mit der Teilnahme an der göttlichen Natur ausgesprochen werden soll. Nach alten Zeugnissen dachte man wohl zunächst an die Teilnahmen an Gottes Unvergänglichkeit im doppelten Sinne. Der Mensch nimmt teil an dem ewigen und unsterblichen Leben Gottes, außerdem an Gottes Heiligkeit, so daß sein Leben ohne sittlichen Verfall ein Leben der Reinheit und Heiligkeit wird.
3. Die Gotteskindschaft wirkt sich aus in einem neuen christusförmigen Leben. Zu diesem Leben bekommen wir bei der Rechtfertigung die Kräfte, die wir T u g e n d e n nennen. Das Konzil von Trient sagt, daß die drei göttlichen Tugenden dem Menschen bei der Eingliederung in Christus geschenkt werden: Glaube, Hoffnung und Liebe (D. 800). Der Glaube zeigt uns die ewige Heimat und den Weg dahin. Die Hoffnung entzündet in uns die nimmer rastende Sehnsucht nach der ewigen Heimat. Die Liebe spannt alle Kräfte an, um dieses Ziel zu erreichen. Neben den Tugendkräften empfangen wir noch besondere Seelenhaltungen, die d i e s i e b e n G a b e n d e s H e i l i g e n G e i s t e s genannt werden. Durch den Propheten hören wir, daß der Messias mit dem Heiligen Geiste ausgestattet wird: "Auf ihm ruhen wird der Geist des Herrn; der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, der Geist der Furcht des Herrn wird ihn erfüllen (Is. 11,2). Diese Gnadenausstattung des Messias wird nach den heiligen Vätern uns allen zuteil, wenn auch nicht in derselben Fülle. Wir beten um die sieben Gaben des Heiligen Geistes am Pfingstfeste. Es gibt Theologen, die die Gaben des Heiligen Geistes nicht als eine besondere Auszeichnung neben die übrige Gnadenausstattung stellen, sondern darunter nur im allgemeinen Gottes Gnade verstehen, wie sie in Verstand und Willen wirkt. Andere aber sehen darin die höchste Vollendung der heiligmachenden Gnade. Die Seele wird durch die Gaben in ganz besonderer Weise empfänglich gemacht für die Wirkungen des Heiligen Geistes. Der heilige Thomas vergleicht die Seele mit einem wohnausgerüsteten Schiff, das Ruder und Segel besitzt. Die Ruder sind die Tugendkräfte, die wir durch unsere eigene Tätigkeit nutzbar machen müssen; die Segel aber sind die Gaben des Heiligen Geistes. Bei ihnen wirkt Gott ohne unser Zutun. Die Lehre von den Gaben des Heiligen Geistes ist von allergrößter Bedeutung für die Erklärung der mystischen Erlebnisse. Alle Mystik ist ja dadurch charakterisiert, daß der Mensch in der Gnadenstunde nicht tätig ist, sondern seine Seele dem göttlichen Lichte und der göttlichen Liebe öffnet und dadurch Gefühle der göttlichen Nähe erfährt.
4. Aus der inneren Verbindung mit Christus in der heiligmachenden Gnade folgt noch ein Letztes: D i e W e r k e d e s G o t t e s k i n d e s erhalten einen Ewigkeitswert. Der Gerechte kann sich ein hohes Maß von Gnade und Seligkeit verdienen. Durch sein Leben in der Gnade entfaltet sich Gottes Gnade in immer größerer Schönheit. Da Gott einem jeden vergelten wird nach seinen Werken, so wird auch der himmlische Lohn auf Grund des religiös-sittlichen Lebens immer größer. Manche Theologen glauben, daß Gott unsere Werke nur belohnt, weil er es versprochen hat. Andere aber sagen, daß durch die heiligmachende Gnade auch die innere Beschaffenheit unserer Werke so gehoben wird, daß sie in sich schon wertvoll sind und den ewigen Lohn verdienen. Da der Wert unserer Werke abhängig ist von der inneren Verbindung mit Christus in der heiligmachenden Gnade, so ergibt sich daraus, daß jene Werke, durch die wir uns auf die Gotteskindschaft vorbereiten, keinen himmlischen Lohn beanspruchen können. Die guten Werke des Sünders sind zwar sehr nützlich, um von der göttlichen Barmherzigkeit die Gnade der Bekehrung zu erhalten, aber ewigen Lohn verdienen sie nicht. Das Konzil von Trient hat ausdrücklich erklärt, daß nichts von dem, was der Rechtfertigung vorausgeht, verdienstlich ist (D. 801).
5. D e r G n a d e n b e g r i f f d e s P r o t e s t a n t i s m u s. Nach Harnack und der gesamten liberalen Schule ist es ein großes Verdienst der Reformatoren, daß sie den katholischen Gnadenbegriff aufgegeben haben, um einen neuen an seiner Stelle zu setzen. Ihnen ist Gnade nichts anderes als die Liebe Gottes, also keine Kraft im Menschen, sondern nur eine Gesinnung in Gott. Dagegen erklärt das Konzil von Trient: "Wenn einer sagt, daß die Gnade, wodurch wir gerecht werden, nur Gottes Liebe sei, der ist ausgeschlossen" (D. 821). Das Konzil will selbstverständlich nicht leugnen, daß auch Gottes Huld und Liebe eine große Gnade ist, aber die Gnade ist mehr als diese väterliche Liebesgesinnung Gottes gegen seine Kinder. Sie ist auch ein Wirken Gottes in unserer Seele. Sehr beliebt ist bei den Katholiken die Vorstellung, daß die Gnade ein Heilmittel ist, das dem durch die Sünde erkrankten Menschen die Gesundheit bringt. Der Liberalismus entwertet dieses Wirken Gottes durch die merkwürdige Bezeichnung "dingliche" Gnade. Durch diese "dingliche" Gnade werde das religiöse Verhältnis zu Gott empfindlich gestört. Denn der Mensch trete nicht in Beziehung zu Gott uns Christus, sondern nur zu den Heilmitteln der göttlichen Apotheke: "Wenn schon in den irdischen Verältnissen der Mensch nicht auf eine höhere Stufe erhoben werden kann, sei es denn, daß er in einer übergeordneten, reiferen und größeren Persönlichkeit aufgeht, d.h. in eine geistige Gemeinschaft mit ihr tritt und in Ehrfurcht, Liebe und Vertrauen sich ihr anschließt, so gilt dasselbe, aber in unvergleichlich höherer Weise, von der Erhebung des Menschen aus Sünde und Schuld in die Sphäre Gottes. Hier helfen keine dinglichen Mitteilungen, sondern nur eine Gemeinschaft von Person zu Person, daß es der Seele aufgeht, daß der heilige Gott, der Himmel und Erde regiert, der Vater sei, mit dem sie leben kann und darf wie das Kind im Vaterhause. Das ist die Gnade, ja, das ist sie allein."
Die katholische Lehre wird falsch dargestellt. Die Kirche hat nie die sog. "dringliche Gnade" oder die von Gott ausgehenden Kräfte einzig und allein als Gnade bezeichnet. Gott erquickt die Seele auch durch seine persönliche Gegenwart. Vor der Anwesenheit des persönlichen Gottes in der Seele verschwinden alle Gaben Gottes mit ihrer Herrlichkeit. Gott selbst ist es, an dem die Seele mit allen Fasern hängt; alles, was nicht Gott ist, vermag des Menschen Geist nicht zu sättigen. Freilich schenkt Gott der Seele auch Gnadenkräfte. Wie kann man aber diese Kräfte als ein Hindernis auffassen, das sich zwischen Gott und der Seele lagert? Das wäre ähnlich, als wenn man sagte: Wenn eine Mutter ihr schwaches Kind bei der Hand faßt und ihm dabei aus ihrer eigenen Kräften Halt und Festigkeit verleiht, damit es nicht fällt, dann stellen sich diese Kräfte als ein Hindernis zwischen die Liebe der Mutter und das Kind. In Wirklichkeit sind diese Kräfte doch nur ein Ausfluß der Mutterliebe. Genauso ist es in der katholischen Gnadenlehre: Gottes Liebe wirkt sich auch dadurch aus, daß er uns seine Gnade schenkt. Die Ablehnung der inneren Gnade erfolgt erst konsequent durch den liberalen Protestantismus des 19. Jahrhunderts, während Luther noch schwankte und seine Nachfolger sehr viel von der Gnadenmystik sprachen. Der tiefste Grund für die Ablehnung der Gnadenkräfte liegt in der Abneigung des Liberalismus gegenüber den heiligen Sakramenten und in seiner deistischen Weltanschauung, die jedes Einwirken Gottes auf die Seele ablehnt als Verletzung der Würde des Menschen. Er faßt das Verhältnis des Menschen zu Gott einzig und allein als Vertrauensverhältnis, wie es zwischen Vater und Kind besteht. Es ist heute allgemein zugestanden, daß nicht erst im 3. Jahrhundert unter dem Einfluß des Heidentums Sakramente und innere Gnade in das Christentum eingezogen sind. Schon das Johannesevangelium und der heilige Paulus sprechen immer wieder von dem göttlichen Leben, das in uns überfließt und uns heilig und gerecht macht. Der protestantische Einspruch kann freilich auch uns Katholiken eine Warnung dafür sein, daß wir uns davor hüten sollen, die Gnade und die Frömmigkeit mechanisch aufzufassen. Wir sollen nicht durch Häufung von Andachtsübungen Verdienste sammeln und zusammenzählen. Von Wert ist nur die Herzensaussprache mit Gott, der innige Verkehr mit Christus, der uns ein Unterpfand dafür ist, daß Gott uns mit seiner Liebe auch alles das schenkt, was wir nötig haben. Wir sollen nicht lohnsüchtige Knechte sein, sondern Kinder im Hause des Vaters, die das Vertrauen haben, daß ihnen nichts mangeln wird.
Die Gotteskindschaft wird uns zum erstenmal mitgeteilt in der heiligen Taufe. Der Tauftag der Kirche war in alter Zeit der Karsamstag. Bei der Weihe des Taufwassers werden noch heute zwölf Lesungen gesprochen, die uns die Herrlichkeit der Gotteskindschaft ahnen lassen. Die Taufe hat nach diesen Lesungen ihr Vorbild in der Umgestaltung der Urstoffe bei der Erschaffung zur herrlichen Gotteswelt, in der rettenden Arche, in den rettenden Fluten des Roten Meeres, die Israel aus der Knechtschaft befreit haben. Auch des Ezechiel gewaltiges Gemälde von der Auferstehung der Toten, die durch einen Hauch Gottes erfolgt, dient als Vorbild der Taufwirkung. Jeder Sonntag ist wie eine Erinnerung an die Auferstehung Christi und damit eine Erinnerung an unsere eigne Auferstehung in der Taufe. Die Austeilung des Weihwassers vor dem Hochamt, die seit den Zeiten der Karolinger üblich ist, soll uns immer wieder daran erinnern, daß in dem heiligen Taufwasser uns die Sünden nachgelassen wurden, und daß wir aus dem Taufbade als neue Menschen hervorgingen. In der Osterzeit wird diese Symbolik noch besonders verdeutlicht durch das Gebet: "Ich sah Wasser hervorgehen von dem Tempel auf seiner rechten Seite, und alle, zu welchen dieses Wasser kam, wurden gesund, und sprachen: Alleluja, Alleluja!" Dieses Wasser ist die heilige Taufe.
Die Heilsgewißheit
Die Heilsgewißheit, und zwar die persönliche Heilsgewißheit des einzelnen Menschen, gilt als die Haupterrungenschaft der Reformation Luthers. Sie ist nach Harnack das Höchste und Letzte in der Beschreibung des Gnadenstandes. Das Konzil von Trient hat sich mit dieser Frage befaßt und eine wichtige Punkte als Gottes Offenbarung zu glauben vorgestellt, wenn auch nicht die ganze Frage zur letzten Klarheit und zu entgültiger Entscheidung gebracht wurde.
1. Das Konzil von Trient behandelt am ausführlichsten die Frage nach der Sicherheit der e w i g e n S e l i g k e i t. Es lehrt: "Niemand kann ohne eine besondere Offenbarung Gottes die unumstößliche und untrügliche Gewißheit haben, daß er das große Geschenk der Beharrlichkeit bis zum Ende des Lebens haben wird" (D. 826). Kein Mensch weiß also darüber Bescheid, ob er in der Gnade Gottes sterben oder ob er mit einer schweren Sünde aus diesem Leben scheiden wird, es müßte denn sein, daß er darüber von Gott eine Privatoffenbarung erhalten hat. Der Grund für diese Lehre ist klar: Wir können die Gnade verlieren. Der heilige Paulus erklärt kurz und bündig: "Wir tragen unseren Schatz in einem gebrechlichen Gefäß" (2 Kor. 4,7). Jesus sagt in dem Gleichnis von dem Weinstock: "Wenn einer nicht in mir bleibt, dann wird er weggeworfen wie die Rebe und wird verdorren; man hebt ihn auf und wirft ihn in das Feuer zum Verbrennen" (Joh. 15,6).
Als deshalb Kalvin die Lehre aufstellte, daß die Gnade Gottes niemals verlorengehen könne, und Luther lehrte, daß der Mensch sie nur durch den Unglauben verlieren könne, hat die Kirche zu glauben vorgelegt, daß die heiligmachende Gnade durch jede Todsünde verlorengeht (D. 837).
Wir haben allerdings eine Stelle beim heiligen Johannes (1 Joh. 3,9), die das Gegenteil zu besagen scheint: "Jeder, der aus Gott geboren (also getauft) ist, sündigt nicht, weil Gottes Same in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist." Diese Stelle kann aber nach dem Zusammenhang nur folgendes besagen: Die Sünde verträgt sich nicht mit dem Christenstand; denn der Christ erhält in der heiligen Taufe einen göttlichen Lebenskeim, der sich nur in heiligen Werken äußern kann. Dabei bleibt aber bestehen, daß im Christen auch noch der alte Adam oder die böse Begierlichkeit lebt, die ihn zur Sünde treibt. Wenn der Christ also sündigt, dann tut er das nicht als Christ und neuer Mensch, sondern weil er von der in ihm noch lebenden bösen Lust überwältigt wird. Es ist richtig, daß manche Sekten diese Stelle mißbraucht haben zu schwärmerischer Selbstbespiegelung und zu Selbstzufriedenheit. Sie sagten, daß der Christ auf Grund dieser Lehre gleichgültig werden müsse gegenüber allen Sünden, weil des Christen Sünden ja doch nicht zur Verdammnis führen könnten. Aber schon der folgende Vers zerstört jedes Pochen auf den Besitz der Taufe: "Daran erkennt man die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Jeder, der nicht Gerechtigkeit übt, ist nicht aus Gott, auch wer seine Brüder nicht liebt."
Der innere Grund für unsere Unsicherheit bezüglich der ewigen Seligkeit liegt in der Wurzel der katholischen Gnadenlehre. Unser Heil entsteht ja aus dem Zusammenwirken des Menschen mit Gott. Auf Gott können wir uns verlassen, auf uns können wir uns nicht verlassen. Auch wenn wir Fortschritte im Guten gemacht haben, wissen wir nicht, ob wir ausharren werden.
Es ist nach katholischer Lehre nicht möglich, die Gnade der Beharrlichkeit sich zu verdienen; denn das hieße seinem Willen eine solche Festigkeit geben, daß er nicht mehr sündigen kann. Und doch ist unser Wille von so viel äußeren Gefahren umringt und von so viel inneren Versuchungen gequält. Alles, was dem Willen Festigkeit verleiht, wirkt deshalb im Sinne der Heilssicherheit. Wer feste religiöse Grundsätze in seine Seele aufnimmt und sie trotz aller Schwierigkeiten durchführt, wer durch treue und wohlgeordnete Arbeit den Gefahren des Müßigganges entgeht und seinen Willen stählt, wirkt an der Sicherheit des Heiles. Das größte Vertrauen aber müssen wir auf das Gebet setzen, dem so wunderbare Verheißungen gegeben sind (Luk. 11,5 ff.). Es hat diese Verheißungen erhalten, weil es seinem Wesen nach eine vollkommene Hingabe der Seele an Gott ist. Wer nicht betet, hebt die bewußte Lebensverbindung mit Gott auf. Er ist wie ein Fisch außerhalb des Wassers, wie eine Blume, die aus der Erde heruasgerissen wurde, wie ein Mensch, den man die Nahrung entzieht. Wer aber in lebendiger, vertrauensvoller Verbindung mit Gott bleibt, für den ist das Gebet eine Arznei gegen Ohnmacht und Schwäche. Deshalb sollen wir täglich um die Gnade der Beharrlichkeit oder um eine glückselige Sterbestunde beten. Der heilige Cyprian und nach ihm der heilige Augustinus zeigen, daß jede Bitte des Vaterunsers letzten Endes ein Gebet um die Gnade der Beharrlichkeit ist. "Geheiligt werde dein Name" ist ein Gebet um Bewahrung der Taufgnade, ähnlich wie die beiden folgenden Bitten "Dein Reich komme zu uns" und "Dein Wille geschehe". Die Brotbitte erfleht uns die heilige Kommunion als Heilmittel der Unsterblichkeit. Die Bitten um Befreiung von der Sünde, den Versuchungen und allen Übeln des Lebens haben als wichtigstes Anliegen die glückselige Sterbestunde.
Fortsetzung folgt...
(entnommen aus: Die Lehre der Kirche von Prof. Dr. Johannes Peter Junglas, Imprimatur 1936)