Um die Erneuerung des Priestertums
Maria Sieler (1899-1952) und ihre Sendung

Maria Sieler im Alter von 20 Jahren
VORWORT
"Dem Priesterstand kommen bei der Erneuerung der Kirche höchst bedeutsame und unstreitig immer schwierigere Aufgaben zu", heißt es einleitend im Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils "Über Dienst und Leben der Priester".
Aber gerade der Priesterstand befindet sich heute in einer unverkennbaren Krise.
In Zeiten außergewöhnlicher Not pflegt Gott seiner Kirche auch außergewöhnliche Hilfe zu senden. Eine solche außergewöhnliche Hilfe in der Not der Priester unserer Tage hat Gott - so wille es uns scheinen - der Kirche in einer Mystikerin unserer Zeit, Maria Sieler (1899-1952), geschenkt. Maria hatte besondere mystische Erkenntnisse über das Priestertum. Auch fühlte sie sich berufen, ihr Leben für dessen Erneuerung zum Opfer zu bringen.
Maria Sieler hat ein vollkommen zurückgezogenes Leben geführt. Alle, die sie gekannt haben, sei es in ihrer Jugend, sei es in ihren letzten Lebensjahren in Rom, bezeugen, dass sie sehr fromm gewesen sei. Aber von ihrer mystischen Begnadung hat außer ihren Seelenführern niemand etwas gewusst. Erst ihr Tagebuch gibt Einblick in ihr inneres Leben.
Die Mystik Maria Sielers ist von jener Art, bei der am wenigsten eine Täuschung zu befürchten ist: keine Visionen (Erscheinungen), sondern rein geistige Schauungen und Erkenntnisse. Wenn es daher in ihren Aufzeichnungen heißt: "Jesus sagte mir", so bedeutet das nicht, dass Er in Worten zu ihr gesprochen, die sie mit ihren leiblichen Ohren gehört hätte, sondern es handelt sich um ganz klare innere Erkenntnisse, die sie dann mit eigenen Worten wiedergeben suchte. Daher trägt ihr Stil ihre ganz persönliche Note. Auch spürt man an vielen Stellen ihres Tagesbuches geradezu, wie sie nach Worten ringt und sich nicht selten wiederholt, um ja alles genau auszudrücken, wie sie es innerlich erkannt hatte.
Maria Sieler hatte eine große Angst aufzufallen und betete "oft", wie sie schreibt: "Herr, ich opfere mich dir ganz, aber unter der Bedingung, dass nichts Besonderes mit mir geschehe." Dieses Gebet war ohne Zweifel gut gemeint - alle echten Mystiker haben Angst vor außergewöhnlichen Dingen -, dennoch mussten ihr ihre Seelenführer verbieten, so zu beten, sie solle sich vielmehr rückhaltslos, ohne jede Bedingung dem Herrn opfern.
Von den hinterlassenen Schriften Maria Sielers geht etwas ungemein Tröstliches aus: keine Drohungen mit neuen Strafgerichten Gottes, sondern die immer von neuem wiederholte Ankündigung des Herrn, dass er eine große innere Erneuerung seiner Kirche vorbereite und diese Erneuerung durch die Priester durchführen wolle, denen er "neue Gnaden" schenken werde; ein ganz neues Geschlecht von Priestern solle heranwachsen, die sich Ihm restlos zur Verfügung stellen.
ERWACHEN ZU GOTT
Maria Sieler ist am 3. Februar 1899 in der Gemeinde Winterdorf, Pfarre St. Ruprecht an der Raab/Steiermark geboren. Bereits am folgenden Tag wurde sie getauft. Ihr Vater war der Landwirt Ferdinand Sieler, ihre Mutter Maria geb. Strasser. Das älteste Kind aus dieser Ehe war ein Bub, Hans, das zweite ist unsere Maria, dann folgten noch drei Mädchen. Der Vater starb bereits im Jahre 1905 an einer Lungenentzündung, als Maria erst sechs Jahre alt war.
Rückschauend auf ihre Kinder- und Jugendjahre erkannte Maria später, dass der Herr schon sehr früh den Grund zu den späteren Gnaden gelegt hat. Zwei Erlebnisse ihrer Kindheit sind ihr unvergesslich geblieben. Als sie die erste Klasse der Volksschule besuchte, mahnte die Lehrerin - eine Schulschwester - die Kinder, beim Gebet sehr andächtig zu sein. Maria schaute auf das Kreuz. Da schien ihr Jesus vom Kreuze herab zu sagen: "Schau her zu mir und bete andächtig; von dieser Art des Gebetes wirst du zu jener Art gelangen, dass du mit mir reden kannst, wie Menschen unter sich reden."
Das zweite Erlebnis fällt in die Zeit der Vorbereitung auf die erste heilige Kommunion. Während sie sich eines Tages mit einem Nachbarskind unterhielt, sagte ihr eine deutliche innere Stimme: "Ich werde von den Menschen im heiligen Sakrament so verkannt; sie glaube nicht an mich; sie wollen mich nicht empfangen. Ich möchte doch viele Liebe und ich erwarte sie von dir für andere." Wie Maria berichtet, war in diesem Augenblick ihr Denken ganz nach innen gerichtet; sie musste einfach auf diese Stimme hören. Sie war aber über die innerlich vernommenen Worte so erschrocken, dass sie es nicht wagte, mit dem Nachbarskind darüber zu sprechen. Sie hat diese Worte nie mehr vergessen.
Sobald Maria im Alter von zehn Jahren die erste heilige Kommunion empfangen hatte, ging sie regelmäßig zum Tisch des Herrn, seit ihrem vierzehnten Lebensjahr im Winter jeden Tag und im Sommer, sooft sie nach St. Ruprecht kam. Aber zuvor musste sie die Kühe füttern und dann hatte sie noch eine gute halbe Stunde Weg bis zur Pfarrkirche.
Schon in diesen jungen Jahren wurde Jesus "der Vertraute ihres Herzens", wie sie schreibt: "Wenn alle schliefen, wachte mein Herz bei Ihm. Ich freute mich abends, dass ich wieder bei Ihm sein durfte. Er ließ mich seine unendliche Liebe zu den Menschen und zu mir, seinem kleinsten Kinde, schauen. Meine erste Liebe sollte Ihm allein gehören."
Beachten wir dieses Wort: "Meine erste Liebe sollte Ihm allein gehören." Kurz zuvor schreibt Maria: "Mein Herz sollte Ihm allein gehören." Dieses Wort "Gott allein" begegnet uns oft in den Lebensbeschreibungen der Heiligen. "Gott allein - sonst nichts" war der Wahlspruch der hl. Theresia von Avila. Papst Gregor d.G., der Schüler und Lebensbeschreiber des hl. Benedikt, fasst dessen Leben in die Worte zusammen: "Er suchte Gott allein zu gefallen."
Wenn daher Maria Sieler schreibt: "Meine Liebe sollte Ihm allein gehören", so dürfen wir über dieses Wort nicht einfach hinweglesen. Denn in ihm kommt die entscheidende Hinwendung zu Gott zum Ausdruck, die Maria bereits in jungen Jahren vollzogen hat. Wenn in allgemeinen die Menschen, auch religiöse, "alles und Gott dazu" haben wollen, so wollen jene anderen nichts als "Gott allein". Und das unterscheidet sie vom durchschnittlichen Christen. Mit dieser entscheidenden Hinwendung zu Gott beginnt etwas ganz Neues in einem Menschenleben. Als Maria Sieler diese einfachen Worte niederschrieb: "Meine erste Liebe sollte Ihm allein gehören", ahnte sie nicht, dass sie sich damit selbst "verraten" hat. Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu wundern, dass Gott sie innerlich immer höher geführt hat. Äußerlich hat Maria die Arbeiten im Stall und auf dem Feld verrichtet, wie eben eine Bauerntochter sie verrichten muss. Ihr Herz aber gehörte Gott alein.
Rückschauend auf ihr Leben schrieb Maria unter dem 4. Juni 1942 in ihr Tagebuch: "Ich habe nie etwas anderes gesucht als Dich allein, o Jesus!"
Ruf zum Opfer
Sobald Maria im Jahre 1913 ihre Schulzeit beendet hatte, musste sie daheim in der Landwirtschaft mithelfen. Ausser der Volksschule in St. Ruprecht hat Maria keine Schule besuchen können. Das muss hervorgehoben werden, denn was sie später schreibt, ist vol solcher Tiefe, dass sie es nur aus persönlicher, innerer Erfahrung haben konnte. Zum Gebet blieben ihr nur der Abend und die Nacht. Maria hat später einer Freundin in Rom gestanden, dass sie in jenen Jahren oft viele Stunden in der Nacht gebetet hat, nicht selten mit ausgebreiteten Armen. Sie war so froh, dass sie seit dem Tod der Tante im Jahre 1912 eine eigene Kammer hatte, wo sie ungestört beten konnte. Von all dem aber ahnten ihre Mutter und ihre Schwestern nichts.
Wenn der Herr Maria schon in jungen Jahren so viele Freude beim Gebet schenkte und sie seine Nähe geradezu fühlen ließ, verfolgte er damit ein ganz bestimmtes Ziel: Ihm allein sollte sie ihr Herz und ihre Liebe schenken. Als dieses Ziel erreicht war, wechselte er sein Verhalten ihr gegenüber sozusagen von einem Tag auf den anderen. Lassen wir sie selber erzählen:
"Bisher hatte ich nur Eifer und Liebe im Dienste des Herrn verspürt. Als ich 16 oder 17 Jahre alt war, fühlte ich die spürbare Liebe zu Ihm in mir erkalten. Seine Liebe zu mir, die mir bis dahin so viele Freude bereitet hatte, machte einer gewissen Kälte gegen mich Platz, wenigstens meinte ich, dass es so sei. Ich wusste eben nicht, warum mich Jesus nicht mehr in so reichem Maße seine Gegenwart fühlen ließ. Zugleich war ich von öfteren inneren Vorwürfen geplagt, meine Liebe zu Gott müsse vollkommener werden. Alles, was ich bis dahin getan, schien mir Untreue und Nachlässigkeit. Ich bemühte mich noch mehr, mich allen jugendlichen Zerstreuungen zu entziehen und mehr dem Zug der Gnade zu folgen. Ich litt sehr daunter, dass meine Seele wochenlang in tiefster Finsternis blieb und Jesus sein Kind scheinbar allein ließ."
Plötzlich stand Maria vor der entscheidenden Frage: Was suche ich beim Gebet? Trost? Freude? Fühlbare Andacht? Himmlisches Glück? Oder suchte ich Ihn? Das plötzliche Verschwinden der fühlbaren Andacht bedeutete für Maria eine Prüfung und gleichzeitig eine höhere Stufe des inneren Lebens. Als sie längst die Anfangsstadien des geistlichen Lebens hinter sich hatte, begriff sie, warum ihr Gott damals die fühlbare Freude beim Gebet entzogen hatte:
"Die Seele will noch zu sehr genießen und die Früchte ihrer Hingabe an Gott beziehen und behaupten, und die sinnenhafte Natur der Seele, die immer und überall eigene Befriedigung einheimsen will, leidet sehr unter dem Entzug des göttlichen Trostes, den sie vielleicht gewohnt war."
Dann folgte der geradezu klassische Satz:
"Die Seele muss sich daran gewöhnen und sich damit zufrieden geben, immer nur den Herrn der Gnade zu suchen und nicht die tröstende Gnade als solche."
Es ist ein weiter Weg, bis ein Mensch so weit ist, dass er Gott mit gleicher Treue in Freude und Leid, in Licht und innerer Dunkelheit dient. Das musste Maria in den folgenden Jahren lernen.
Vor dem Fest Maria Himmelfahrt 1917, also im Alter von achtzehn Jahren, machte Maria im Herz-Jesu-Kloster in Graz ihre ersten Exerzitien, die sie als einen "Wendepunkt" in ihrem inneren Leben bezeichnete. Nach den Exerzitien ging sie noch in die Stiegenkirche und opferte sich Christus dem Herrn auf. Sie legte die Astern, die ihr eine Schwester im Herz-Jesu-Kloster geschenkt hatte, zum Zeichen ihrer Aufopferung auf den Altar. Dann verließ sie die Kirche. Der Menschenstrom nahm sie auf und trug sie weiter. Es war ein Tag wie jeder andere - und doch nicht, denn vor wenigen Augenblicken hatte sich ein junges Menschenkind aus innerstem Herzen Gott zum Opfer gebracht, und Er hatte dieses Opfer angenommen. Der Gott der Liebe versteht die Sprache der Liebe.
Während der Exerzitien hatte sich Maria entschlossen, ins Kloster zu gehen. Sie erhielt die Aufnahme bei den Steyler Missionsschwestern. Als Eintrittstag war der 24. Oktober 1918 vorgesehen. Es sollte ganz anders kommen.
Am 6. August fiel ihr einziger Bruder Hans bei Asiago in Südtirol. Das bedeutete für sie, dass sie den Gedanken, ins Kloster zu gehen, aufgeben musste - vorläufig, wie sie glaubte. Kurz vor Weihnachten erkrankte sie schwer. Es begann mit einer Grippe, aber bald stellte der Arzt beiderseitige Lungenentzündung fest. Am letzten Sonntag des Jahres empfing sie die Krankenölung. Es trat dann wohl eine leichte Besserung ein, aber von da ab blieb sie kränklich. Ihre früher so robuste Gesundheit war gebrochen. Maria gesteht, dass das Kreuz ihrer jahrelangen Krankheit und die dadurch aufgezwungene Untätigkeit sie niedergedrückt habe. Die Erfahrung, die sie in diesen Jahren machte, fasst sie in die Worte zusammen: "Im Leiden lernt man, seinen eigenen Willen aufzugeben. Wenn man es auch selbst nicht fühlt, wie es vor sich geht, unmerklich wird man doch für die Gnade bereiter."
Im folgenden können wir nur die einzelnen Phasen andeuten, durch die Maria immer mehr auf ihre eigentliche Lebensaufgabe hingelenkt und auf sie vorbereitet wurde.
Im Laufe des Jahres 1921 wurde ihr immer mehr bewusst, dass der Herr das Opfer ihres Lebens verlange: "Der Herr braucht mein Leben für irgendeinen Zweck, und Er lebt dann mein Leben. Ich muss Ihm mein Leben zur Verfügung stellen, weil Er nicht mehr eine menschliche Natur annehmen kann, wie Er es einmal und nur einmal getan hat. Die Hingabe - so ließ Er mich wissen - muss jedoch so vollkommen und absolut sein, wie wenn ich in diesem Augenblick sterben würde."
Maria scheute vor diesem Opfer zurück. Aber der Herr drängte: "Wann wirst du dich ganz zum Opfer darbringen? Wie lange zögerst du noch?" Endlich war sie dazu bereit: "Jesus hatte all meine Angst, Unsicherheit und Opferscheu überwunden."
Die Absichten, die der Herr mit ihr verfolgte, wurden Maria immer klarer. Er wollte aus ihr eine Opferseele bilden, in der Er seine Leiden erneuern könne. Er wollte sich in ihr noch einmal dem himmlischen Vater zum Opfer bringen, in ihr gleichsam noch einmal leiden und sterben: "Ich will dich zu meiner Kreuzesbraut machen", sagte der Herr. "Du wirst ganz Opfer werden für mich. Mein Leben wird dein Leben werden, voll Leiden, die dir jetzt noch verborgen sind." Am 8. Dezember 1923 machte sie das Gelübde der Jungfräulichkeit und brachte sich dem Herrn als "Schlachtopfer" dar, "so dass Er", schreibt sie, "über mich verfügen könne wie über ein Opfer, das nicht mehr zurückgenommen werden darf und dessen Hingabe besiegelt ist."
Mit diesem 8. Dezember war eine jahrelange innere Entwicklung abgeschlossen. Erst wollte sich der Herr ihrer vollkommenen Hingabe versichern. Jetzt konnte Er sie allmählich mit seinen eigentlichen Absichten vertraut machen.
Am 1. September 1924, einem Herz-Jesu-Freitag, ließ sie der Herr erkennen: "Du musst mir ganz Opfer sein. Ich will in den Seelen wieder leben, und du sollst mir ein Werkzeug dazu sein." Dann ließ der Herr sie schauen, wie Er in der Kirche gleichsam ausgeschaltet wird: Die Menschen lieben Ihn nicht mehr. Es ist eine große Kälte gegen Ihn und eine große Finsternis in der Kirche. Er aber will wieder das Leben der Seelen werden und will wieder ein Feuer in den Seelen entzünden, das Er selber ist: "Ich will meine Liebe neu ausgießen über die Menschen, wie einst zu den Zeiten der Apostel. Du sollst mir das Werkzeug dazu sein."
Am 6. November besuchte Maria ihren Seelenführer in Graz, P. Michael Lenz O.P. und erzählte ihm von der Forderung des Herrn: "Du sollst mir Opfer sein!" P. Michael trug ihr auf, den Herrn zu fragen, zu welchem Zweck sie Opfer sein solle. Darauf ließ sie der Herr in "verschiedener Weise und in verschiedenen Graden der Klarheit" die Antwort verstehen: "Für meine Kirche - für die Erneuerung des Priestertums." Damit ist das Ziel, das der Herr mit Maria verfolgte, zum ersten Mal klar ausgesprochen.
UMWEGE?
Auf Maria Sieler wartete jetzt eine Prüfung, die weit über das hinausging, was der gewöhnliche Wechsel von "Trost" und "Misstrost" - um diese bekannten Ausdrücke des hl. Ignatius zu gebrauchen - an Dunkelheit und innerer Not mit sich zu bringen pflegt. Das kam so. Schon lange litt Maria unter dem Widerspruch zwischen ihrem Innenleben und ihrer äusseren Lage: "Ich meinte immer, es müsse etwas anderes kommen, wo ich mich ganz dem Innenleben hingeben könnte. So war ich eigentlich immer auf der Suche nach einem 'Beruf'. Es fiel mir schwer, in der Welt zu leben; ich konnte nicht jeden Tag zur hl. Kommunion gehen, und es war mir infolge der inneren Beanspruchung schwer, unter den Menschen zu sein. Die Natur suchte daher nach einer Möglichkeit, auch das auferlegte Innenleben vollkommen zur Entfaltung bringen zu können. Ich meinte, im Kloster, in der Abgeschiedenheit könne man es besser machen; denn in der Welt war es ein wirkliches Opferleben, zumal ich immer noch lungenkrank war."
Maria hatte sich nie ganz von ihrer schweren Lungenerkrankung erholt. Aber im Verlauf des Jahres 1925 besserte sich ihr Gesundheitszustand auffallend, besonders nach einer Novene zur Kleinen hl. Theresia. So trat sie am 10. April 1926 bei den Guten Hirtinnen ein. Die Novizenmeisterin empfing sie mit den Worten: "Schwächlich sind Sie schon!" Es zeigte sich sehr bald, dass ihre Gesundheit den Anforderungen des Klosterlebens nicht gewachsen war. Man riet ihr, es in einem anderen Kloster zu versuchen. So übersiedelte sie in das Noviziat der Kreuzschwestern in Graz. Als sie dort an einem Sonntagvormittag rückwärts in der Kirche vor dem Kreuz eines Seitenaltars betete, wurde es ihr klar, dass sie immer noch nicht an dem Platz war, wo Gott sie haben wollte. Es blieb ihren neuen Vorgesetzten nicht lange verborgen, dass sie nur mit äusserster Anstrengung die Übungen des Noviziats mitmachen konnte. Daher riet man ihr, daheim Erholung zu suchen und dann wiederzukommen. Aber Maria wusste sofort, dass sie nie mehr ins Kloster zurückkehren werde. Als sie am 29. Juni 1926 zu Hause ankam, erschraken alle über ihr schlechtes Aussehen. Sie war wieder ernstlich krank. Der zustand ihrer Lunge hatte sich wesentlich verschlechtert. Viel schlimmer war das seelische Leid: "Es war eine grosse Beschämung für mich, in zwei Klöstern gewesen und wieder ausgetreten zu sein."
Es waren sehr bittere Wochen für Maria: "Die Hoffnung meiner Kindheit, Gott im Kloster zu dienen, hatte sich zerschlagen. Praktisch stand ich vor dem Ruin aller meiner Pläne und Hoffnungen."
Aber jetzt, wo sie alle eigenen Pläne aufgegeben hatte, war sie vorbereitet, Werkzeug in der Hand des Herrn zu sein: "Im Herbst 1926 kam wieder eine neue Stufe in meinem Innenleben, wo Jesus anfing, über die Erneuerung des Priestertums zu sprechen: Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor, und dazu sollst du mir Opfer sein!"
TEILNAHME AM LEIDEN DES HERRN
Auf den "Trümmern ihres Nichts", wie Maria schreibt, errichtete der Herr einen neuen Bau. Bisher hatte sie ihr eigenes Kreuz, ihre eigenen körperlichen und seelischen Leiden getragen. Jetzt aber bereitete der Herr sie vor. Sein Leiden mitzuleiden: "Jesu Leiden standen ständig vor meinem geistigen Auge... Oft, wenn ich ein Kreuz ansah, durchzuckte mich ein besonderer Schmerz, und ich fühlte mich in einer leidenden Art mit Jesus vereinigt... Immer wieder schaute ich das äußere und innere Leiden Christi von seiner Menschwerdung bis zu seinem Tode, und das Miterleben dieser seiner Leiden hat mich damals immer begleitet."
Maria durfte teilnehmen an den körperlichen Leiden des Herrn. Sie schreibt:
"Nach der heiligen Kommunion litt ich oft die Wundmale des Heilandes, seine Herzenswunde, die Dornenkrone... In jener Zeit war ich halbe Nächte lang mit Jesus vereinigt und mit Ihm mitleidend, und einmal war ich wirklich mit Ihm gekreuzigt, wie wenn ich sterben würde. Die Wundmale habe ich oft tagelang gespürt... Ich spürte die Dornenkrone und wurde ganz steif. Ich habe mich vor mir selbst geschämt. Wenn das Stübchen zu Hause reden könnte, was sich dort alles vollzogen hat an Leiden, Liebe und Vertrautheit mit Jesus!"
Maria Sieler gehört zu jenen "Stigmatisierten", welche die Wundmale Christi nicht sichtbar getragen, wohl aber die den Wundmalen Christi entsprechenden körperlichen Schmerzen nachempfunden haben. Diese Schmerzen scheint Maria vornehmlich in jenen Jahren der großen Erkenntnisse über die Priester gelitten haben.
Vor allem aber ließ der Herr Maria an seinen inneren Leiden teilnehmen:
"Nach der heiligen Kommunion ließ er mich gleichsam sein Herz fühlen. Es ging ein unaussprechlicher Schmerz von seinem Herzen aus, so dass ich darunter vergehen zu müssen glaubte.
Ich erlebte mit, wie sein Herz vom Augenblick der Menschwerdung an voll Verlangen war, dass die Früchte der Erlösung voll ausgewertet würden und dass sich die Absichten der göttlichen Liebe verwirklichen möchten. Er sah aber voraus, dass die Dinge vielfach gegen die Rechnung der Liebe Gottes gehen würden, insofern Gott so verkannt und missachtet wird. Und doch war die Menschwerdung die grösste Liebestat Gottes...
Ich schaute, wie freigebig der Herr die Gnaden den Menschen mitteilt, wie sie dann aber abgewiesen werden und wie der Herr sozusagen wie ein Enttäuschter, Geschmähter, gleichsam Blamierter vor den Menschen steht, wie vor einem Ruin seines Erlöserlebens, das so wenig Früchte getragen hat, wie er voraussah. Und die Kirche bilde im Vergleich zu dem, was sie sein sollte, gleichsam eine armselige Figur, die 'streitende' Kirche, die in sich zerfallen und zerrissen ist, weil die Gnade Gottes nicht ausgelebt und verwertet wird. Nur in wenigen Seelen kommen die Früchte der Erlösung ganz zur Entfaltung, und doch stellt sich der Herr allen mit dem ganzen Reichtum der erworbenen Gnaden zur Verfügung. Ich schaute den Heiland, wie er in seinem Erdenleben gelitten hat unter dem Vorauswissen, dass es nicht zur Fülle der Verwirklichung seiner Absichten kommen werde. Ich wurde so in dieses innere Leiden Christi hineingezogen, dass ich meinte, selbst ganz von dieser Ohnmacht verzehrt zu werden, indem ich sah, wie Jesus in seinem Erdenleben gelitten hat, weil er die Wirklichkeit der verschiedenen Jahrhunderte vorausgesehen hat: dass nämlich die Mängel in den Seelen der Erlösten und der Kirche weitergehen würden."
Noch ein anderes Leid ließ der Herr Maria mitleiden:
"Er hat mir oft gezeigt, wie er im heiligen Sakrament verlassen sei, nicht geehrt werde, dass man achtlos vorüber gehe und Er wie ein Nichts behandelt werde. Ich hatte so viel Mitleid mit Ihm... Ich bemühte mich, Ihm noch treuer zu sein, und wollte Ihn wirklich für andere herzlich liebhaben. Er zeigte sich mir oft traurig, so dass es mich ganz niederdrückte. Er verlangte dann immer Sühne, erneute Hingabe. So zeigte er mir die Leiden seines Herzens und ließ sie mich mitfühlen und miterleben."
Durch all diese Leiden war Maria nun auf ihre eigentliche Aufgabe vorbereitet: Opfer sein für die Priester.
Von jetzt ab kommt der Herr immer wieder auf sein großes Anliegen zu sprechen: die Erneuerung des Priestertums:
"Ich will die Kirche durch die Priester erneuern und ihr dadurch neue Gnaden geben... Ich will meiner Kirche neue Priester und neue Hirten geben. Ich gebe meiner Kirche zu jeder Zeit jene Gnaden, die sie gerade für die betreffende Zeit braucht."
Was die Kirche heute vor allem nötig hat, sind Priester nach dem Herzen des Herrn.
Maria Sieler schreibt:
"Jesus hat die Priester als wahre Nachfolger seines Lebens bestellt. Sie sollen die Absichten seiner Liebe in der Kirche vollführen. Für so viele Mängel in der Kirche ist das Versagen der Priester verantwortlich...Wenn Er in den Priestern nicht lebt, ist meist auch das Leben in den Seelen tot... Es wurde mir immer wieder erklärt, wie Jesus sich die Priester nach den Absichten seines Herzens wünscht; wie sie losgelöst sein sollen von der Anhänglichkeit an irdische Dinge und Menschen, die ihnen ein Hindernis für ihre Hingabe werden könnten. Die Priester sind für Ihn da, um Sein Leben den Menschen zu vermitteln. Es wurde mir auch erklärt, zu welcher Vertrautheit mit Ihm Er die Priester bestimmt hat und wie Er sie zu sich emporziehen will. Immer wieder sah ich die Sehnsucht des Herzens Jesu nach der Vervollkommnung und nach der Liebe seiner Priester. Er verzehrt sich voll Verlangen, dass die Priester Ihn als ihren Meister anerkennen, von Ihm alles annehmen, für Ihn alles hingeben, Ihn zum Mittelpunkt ihres Lebens machen und Ihn den Menschen geben."
KLAGE DES HERRN ÜBER DIE PRIESTER
Wenn der Herr Maria Sieler gegenüber wiederholt erklärt hat, dass er eine Erneuerung des Priestertums beabsichtige, so ist eine Erneuerung offenbar notwendig. In der Tat hat sich der Herr beklagt, dass viele Priester nicht den Anforderungen entsprechen, die er an sie stellt, und hat das auch im einzelnen begründet. Bei den folgenden Texten aus den beiden Lebensberichten und den Tagebüchern Maria Sielers müssen wir uns vor Augen halten, welch bescheidenes Menschenkind sie war, so dass sie es nie gewagt hätte, aus eigenem eine so starke Kritik an den Priestern zu üben, zumal sie nach dem zweimaligen vergeblichen Versuch, ins Kloster zu gehen, innerlich ganz vernichtet und äusserlich tief gedemütigt war. Auch das ist ein Zeichen, dass es sich um mystische Erkenntnisse handelt, die auf rein natürliche Weise nicht erklärt werden können. Was damals noch weithin verborgen war und nur wie eine heimliche Glut unter der Asche schwelte, ist heute vor aller Welt offenbar geworden und hat sich zu einem Brand entwickelt, der unheimlich um sich greift, so dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die Worte des Herrn seien gar nicht in erster Linie für die damalige Zeit, sondern für unsere Zeit gesprochen worden.
Wir lassen Maria selber berichten:
"Jesus würdigte sich oft, mich schauen zu lassen, wie die Priester dem Geist seines Herzens und seinen Absichten vielfach nicht entsprechen, wie er vor ihnen verleugnet, verraten werde und wie sie ihre persönlichen Interessen an die erste Stelle setzen und die Würde ihres heiligen Standes missbrauchen."
Wir dürfen nicht verallgemeinern. Es gab ohne Zweifel in den dreißiger Jahren Priester und es gibt sie heute noch, die sich ehrlich bemühen, dem Ideal Christi zu entsprechen, wenn es ihnen auch nicht immer gelingt. Denn bis jemand alle eigenen Interessen zurückgestellt hat und nur noch für Gott lebt, braucht es jahrelanges selbstloses Dienen, viel Opfer und Entsagung und vor allem - viel Leid. Um einen anderen Preis kommt es zu keiner inneren Wandlung, auch beim Priester nicht.
Der Herr fuhr fort:
"Wie sehr liebe ich meine Priester! Wie sehr wünsche ich, mein Leben in ihnen wiedergelebt zu sehen. Sie sollen die Freude meines Herzens sein, aber wie sehr werde ich von Ihnen entehrt und beleidigt. Sie werden zu einer Schmach meines Herzens und gereichen meiner Kirche zur Schande."
Es wird nicht behauptet, dass alle Priester so seien. Aber dass es das überhaupt gibt: Priester, die die Freude seines Herzens sein sollten, und statt dessen Ihm zur Schmach und der Kirche zur Schande gereichen! Und dann der bittere Vorwurf: "Seelen, die durch die Priester gerettet werden sollten, gehen durch die Nachlässigkeit von Priestern verloren!"
Ähnlich folgende Stelle:
"Die Seelen sollen durch die Priester wieder den Weg zu meinem Herzen finden. Doch so viele Priester leben in der Selbstsucht und Leidenschaft, und die Seelen können dadurch nicht zu mir gelangen, da der Weg, der über die Priester geht, nicht durchsichtig und klar ist."
Was der Herr an vielen Priestern besonders auszusetzen hat, ist, dass sie nicht mehr an ihr Priestertum "glauben", das heißt wohl, dass sie auf ihr Priestertum mit rein natürlichen Augen schauen und ihren Priesterberuf als einen Beruf wie jeden anderen betrachten:
"Wenn ich Wunder der Gnade wirkte, so tat ich es in meinen Aposteln. Ich lebte in ihnen, sie glaubten an mich, ihren Meister; das war das Geheimnis ihrer Kraft. Der Glaube an ihr Priestertum ist in den Priestern fast erstorben."
Wie ist das möglich?
Die Antwort dürfte in den folgenden Worten des Herrn liegen:
"Was mich beleidigt und betrübt, ist dies: dass die Priester für sich selbst leben, im Beruf ihr zeitliches Fortkommen sehen und so wenig höhere Interessen haben."
Dass diese Gefahr besteht, dessen waren sich offenbar auch die Konzilsväter bewusst. Daher die Mahnung im Dekret "Über Dienst und Leben der Priester": "Die Priester dürfen das kirchliche Amt weder als Erwerbsquelle betrachten noch die Einkünfte daraus für die Vermehrung des Vermögens verwenden. Die Priester sollen daher ihr Herz nicht an Reichtümer hängen, jede Habgier meiden und sich vor aller Art weltlichen Handelns sorgfältig hüten" (Nr. 17).
In einem Brief vom 21. April 1948 an Dr. Rudolf Graber, damals Professor in Eichstätt, schreibt Maria Sieler:
"In unzähligen Gnadenstunden ließ mich der Herr schon vor Jahren eine kommende und sich auswirkende Glaubensverflachung sehen; die Hölle werde alles aufbieten, um der Kirche Gottes Schaden zuzufügen. Der Herr ließ mich auch die Mängel bei den heutigen Priestern schauen, die aus sich nicht die Kraft haben, den Schäden der heutigen Zeit wirksam zu begegnen."
Beachten wir das Datum dieses Briefes: 1948, also bald nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, wo wir den Eindruck hatten, dass es mit dem kirchlichen Leben wieder vorangehe. Damals schon hat der Herr auf eine kommende Glaubensverflachung hingewiesen, der die Priester nicht wirksam genug würden begegnen können. Ein Priester muss den Glauben nicht gleich ganz verlieren. Schon das kann sich verhängnisvoll auswirken, wenn sein Glaube so schwach geworden ist, dass er aussergewöhnlichen Belastungen und Aufgaben nicht mehr gewachsen ist - und um aussergewöhnliche Belastungen und Aufagben handelt es sich heute.
Im gleichen Brief heißt es weiter:
"Der Herr ließ mich verstehen: Es ist eine Kluft entstanden zwischen Lehre und Praxis; der Priester wird selbst nicht mehr warm von dem, was er als Studium in sich aufnimmt."
Der Herr klagt weiter:
"Wer gibt mir die Seelen zurück, die durch die Nachlässigkeit der Priester verwirrt und verirrt sind und so eine Beute der Welt und meines Feindes werden? Wer entschädigt mich für so viele Kinderseelen, die einen Freund suchen, dem sie sich mitteilen können und von dem sie Liebe erwarten - die aber keinen solchen finden, der Verführung anheimfallen und für mich verloren sind?"
Maria Sieler faßt zusammen:
"So und ähnlich sagte Jesus wiederholt, Jahre hindurch. In ineren Bildern ließ er mich schauen das Leid seines Herzens über das Versagen seiner Priester, wie die Hölle und die Feinde seiner Kirche darüber jubeln und sich schon den Sieg versprechen."
Aber eines Tages drohte der Herr ganz offen mit seinen Strafgerichten:
"Und Jesus sagte zu mir: 'Ich bin daran, Strafgerichte über die Priester zu senden. Die guten will ich in meinem Herzen bergen, die bösen werden in ihren Sünden dahinsterben.' "
ERNEUERUNG DER KIRCHE DURCH DIE ERNEUERUNG DES PRIESTERTUMS
Aus den Klagen des Herrn über die Priester dürfen wir aber nicht schließen, dass er sie verworfen habe oder dass es ihn reue, das Priestertum eingesetzt zu haben. Auch dort, wo er klagt, spricht er stets von "seinen" Priestern und davon, wie sehr er sie liebe. Er will die Kirche erneuern durch die Priester. Die Erneuerung soll zuerst die Priester erfassen und dann auf das ganze christliche Volk übergreifen.
Maria Sieler schreibt:
"Bis zum Jahre 1929 war mein Innenleben so weit, dass alles in dem letzten Ziele gipfelte und darin zusammengefasst war. Darum die Schauungen über seine Kirche, über deren Mängel und wie diese behoben werden sollen durch innerliche Priester, die den Geist Christi in sich tragen. Jesus will den Geist seines Herzens nochmals ausgießen über seine Kirche wie einst in den Zeiten der Apostel, die mit seinem Leben hinausgezogen sind und die Welt für ihn gewonnen haben. - Im Jahre 1929/30 hat sich alles zielhaft auf die Priestererneuerung hingeordnet. Von da an hat der Heiland es klar ausgesprochen: Dies ist das Ziel aller Gnaden, die er mir gegeben hat und gibt: eine allgemeine Erneuerung des Priestertums herbeizuführen. - Ich hatte damals viele Erleuchtungen darüber, wie Jesus so bereit ist, alle Priester mit sich selbst auszustatten und ihnen sein Leben zu schenken. Mit diesem seinem Leben gehen sie dann hinaus. Dies liegt in den Absichten seines Herzens."
Und weiter:
"So wurde das Ziel im Jahre 1930 immer wieder zusammengefasst: 'Ich will neue Gnaden über das Priestertum ausgießen. Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor, und diese Erneuerung wird, von den Priestern ausgehend, auch die Gläubigen erfassen.' "
"DAZU SOLLST DU MIR OPFER SEIN"
Jesus war bereit, seinen Priestern neue Gnaden zu schenken, aber unter der Bedingung, dass Maria sich Ihm ganz als Opfer darbringe:
"Bei jedem Vereinigungsleben im Jahre 1929 wurde ich in diese Absichten Jesu für seine Priester hineinversetzt; und immer wieder kam die Forderung: Dazu sollst du mir Opfer sein!"
Ganz ähnlich bei einer anderen Gelegenheit:
"Jesu Führung ließ mich zwei Ziele seiner Gnade sehen: Ich solle ein Opfer sein für die Erneuerung des Priestertums und damit für die Erneuerung der Kirche."
Und weiter:
"Ich hatte in den Jahren 1930-1932 viele Offenbarungen über die Erneuerung des Priestertums, die mir die führende Gnade immer als Ziel vor Augen stellte. Jesus zeigte mir den Kampf der streitenden Kirche mit den Mächten der Hölle und die Not der Seelen, die um Hilfe rufen. Jesus sprach dann zu mir: 'Ich habe Erbarmen mit dem Volke und den Seelen, die mich um Hilfe anflehen. Die Gnaden des Priestertums scheinen nicht mehr zu genügen. Ich will Gnaden der Erneuerung über sie ausgießen. Ich selbst will in den Priestern wieder lebend sein. Du sollst mir ein Opfer sein für die Priester... Durch dich will ich neue Gnaden ausströmen lassen für das Priestertum und somit für die Seelen.' - 'Aber, mein Heiland, ich bin ein schwaches Mädchen, was wirst du mit meiner Armseligkeit erreichen?' - 'Den Kleinen will ich mich offenbaren, dass man daraus erkennen kann, dass es von mir kommt. Ich will dich zu einem Opfer für mein Priestertum.' "
Maria sollte nicht durch eine in die Augen springende äussere Tat Einfluss in der Kirche gewinnen. Sie sollte nicht vom Scheinwerferlicht der Presse und des Fernsehens angestrahlt werden, sondern sie sollte wie das Weizenkorn sein, das Leben zeugt, indem es stirbt. Sie sollte zu jenen Menschen gehören, die sich im verborgenen ganz zum Opfer bringen, von denen aber eine geheimnisvolle Kraft ausgeht.
Christus hilft den Gläubigen durch die Priester und den Priestern durch die Gläubigen. So können die Priester sich nicht über die Gläubigen und die Gläubigen nicht über die Priester erheben, denn beide sind aufeinander angewiesen. Was der Herr von Maria Sieler in aussergewöhnlicher, mystischer Weise verlangt hat, dazu sind alle Gläubigen aufgerufen. Die gegenwärtige Krise, von der die Priester erfasst sind, wird voraussichtlich erst dann überwunden werden können, wenn die Gläubigen viel mehr als bisher für die Priester beten und opfern.
Als der Herr von den Strafgerichten gesprochen hatte, die über die Priester kommen würden, flehte Maria:
"Aber, mein Heiland, das darfst du nicht tun! Das würde der Güte deines Herzens nicht entsprechen! Sei wieder barmherzig!" - "Du sollst dich für meine Absichten opfern und das Werkzeug sein, um den Geist meiner Priester zu erneuern." - "O Jesus, ich bin zu allem bereit, was du von mir willst; aber wer wird mir das glauben, dass du mich erwählt hast?" - "Man soll dein Innenleben prüfen. Ich werde mit dir sein. Dein Innenleben wird der Beweis sein für die Echtheit meines Auftrages. Es werden viele Leiden deshalb über dich kommen; die Hölle wird sich mit schlechten Priestern verbinden und es wird ein grosser Kampf entstehen, aber ich werde mit dir sein."
JESUS TEILT DEM PRIESTER SEIN LEBEN MIT
Wiederholt hat der Herr zu Maria Sieler gesagt, dass er das Priestertum erneuen wolle. Wie er das im einzelnen zu tun gedenkt, darüber hat er sie in vielen gnadenhaften Erkenntnissen belehrt:
"Ich will von den Priestern alles entfernen, was die Seelen hindern könnte, zu mir zu kommen. Ich will die Priester ganz an mein Herz ziehen und sie lehren, was ich für die Seelen von ihnen erwarte." Zum "Dienst am Wort" muss das "Zeugnis des Lebens" kommen, wie es im Dekret "Über Dienst und Leben der Priester" heißt. Dadurch unterscheidet sich ja gerade der Priesterberuf von jedem anderen Beruf. Während sonst Beruf und Privatleben getrennt werden können, bilden beim Priester eine unauflösliche Einheit.
Aus eigener Kraft werden die Priester nicht imstande sein, gewisse Fehlhaltungen zu überwinden. Christus selbst muss mit der Erneuerung beginnen. Er wird sie an sein Herz ziehen. Wenn sie erst wieder ganz innig mit ihm verbunden sind, werden sie erkennen, was der Herr von ihnen erwartet, und werden sie imstande sein, alles zu überwinden, was für die Menschen ein Hindernis sein könnte, zu Christus zu gelangen.
"Ich will wieder groß werden in meinen Priestern", sagte der Herr bei einer anderen Gelegenheit zu Maria. "Mein Leben wird sich in ihnen widerspiegeln und sie werden meine Priester sein. O, dass sie es erkennten, wie ich sie liebe, was ich von ihnen erwarte, welche Schätze der Gnade ich in ihre Hand gelegt habe und wie die Seelen meist nur durch sie zu meinem Herzen finden."
Nicht die Furcht vor Strafgerichten soll den Priester bewegen, sein Leben zu ändern, sondern das Wissen um die Liebe des Herrn und die großen Aufgaben, die Er ihm zugedacht hat.
"Die Priester sind die Vertrauten seines Herzens und sie stehen Ihm am nächsten", schreibt Maria Sieler. "Niemand steht an sich dem Heiland so nahe wie die Priester, weil sie doch bestimmt sind, seine Erlösung in der Kirche gleichsam fortzusetzen und seine Werke in der Kirche sichtbar zu vollführen."
Der Herr will die Erneuerung der Priester bewirken, indem er ihnen sein Leben mitteilt:
"Ich will in meinen Priestern wieder lebend werden. Ich will den ersten Geist in meiner Kirche erneuern. Ich will meiner Kirche neue Priester und neue Hirten geben, in denen sich mein Leben erneuert und gleichsam gelebt wird. Der Priester soll mich den Seelen wieder geben können; wie kann er das aber, wenn er nicht mit mir verbunden ist! Der Priester soll eins sein mit mir in der Gesinnung, in der Absicht, im Seeleneifer, im Opfern und Leiden. Er soll ein zweiter Christus sein. Das war meine Absicht, als ich das Priestertum einsetzte, dass ich in meinen Priestern weiterlebe, da doch der Priester bei den Seelen meine Stelle vertritt. Ich will sie wieder zur vollen Einheit mit mir führen."
"Wie sehr liebe ich meine Priester! Wie sehr wünsche ich, mein Leben in ihnen wiedergelebt zu sehen."
"Der Priester soll, wie mir Jesus oft erklärte, die innersten Gefühle und Gesinnungen im Herzen seines Meisters verstehen und zu den seinigen machen. Mit dem Herzen Jesu soll er den Seelen nachgehen, soll herausgehen aus sich selber, soll sich aufgeben und das Herz Jesu an seiner Stelle leben lassen... Der Priester sei bestimmt, das Leben Jesu den Seelen durch Wort und Beispiel mitzuteilen. Wie könne er es aber, wenn er selbst Jesus nicht lebendig genug in sich trage?"
Immer wieder kommt der Herr darauf zurück:
"Ich will die Priester teilnehmen lassen an mir, will aus ihnen einen zweiten Erlöser und Heiland machen, um die leidende und gedrückte Menschheit wieder an mich zu ziehen."
"Ich will ihr Leben sein, ganz mit ihnen eins werden, mich ihnen mitteilen. Mein Herz soll ihr Herz werden."
"Meine Priester sollen meine Liebe und Barmherzigkeit verkünden, und vor allem selber lebende Abbilder meiner selbst sein. Mein Leben soll in ihnen herrschen."
Was der Herr zu wiederholten Malen gesagt hatte, dass er nämlich den Priestern sein Leben mitteilen wolle, das ließ er Maria eines Tages auch in einer geistigen Vision schauen:
"Der Heiland ausgesetzt in der Monstranz; es war Er, und es gingen unzählige Strahlen von Ihm aus, deren jeder wiederum Er war. Und diese unzähligen Strahlen, die Er waren, trafen die Priester der Kirche. Es war, wie wenn eine Sonne alles bescheint, und in jedem Strahl der Sonne war sein Leben, und die Priester der Kirche wurden von diesen Strahlen getroffen; und jeder, der davon getroffen wird, steht auf und ruht in diesem Leben; so will Er in seinen Priestern leben." - Dann erklärte ihr der Herr selber dieses "innere Bild": "Von meinem Herzen soll die Tätigkeit der Priester ausgehen. Insoweit sie mein Leben in sich tragen, werden sie die Seelen zu mir führen können."
Zugleich mit seinem Leben teilt der Herr den Priestern seine Liebe mit:
"Meine Liebe soll in den Priestern wieder herrschen, um die erkaltete Welt durch die Liebe wieder zu erwärmen. Ich will ihnen gleichsam mein Herz öffnen und sie ganz an mich ziehen. Von ihnen erwarte ich alles."
"Ich will mit ihnen teilen, was der Vater mir an Liebe für die Seelen in mein Herz gelegt hat."
"Die Priester sollen vor allem an meine große Liebe glauben. Mein Herz steht ihnen offen. Ich will meine Liebe gleichsam verströmen lassen auf alle Priester meiner Kirche."
"Mein Herz hat so viel Liebe für die Priester bereit, dass noch wenige dahin gelangt sind, diese Schätze zu entdecken. Aber jetzt will ich sie meinen Priestern zeigen, da die Not meiner Kirche so groß ist. O, dass alle Priester zu mir kämen und dass ich allen mitteilen könnte, was ich so lange in meinem Herzen verschlossen hielt."
Im Dekret "Über Dienst und Leben der Priester" wird derselbe Gedanke ausgesprochen: "Genährt mit dem Leibe Christi, erhalten die Priester wahrhaft Anteil an der Liebe dessen, der sich seinen Gläubigen zur Speise gibt" (Nr. 13).
Der Herr will also seinen Priestern seine Liebe schenken, damit sie imstande sind, so zu lieben, wie Er liebt; oder anders ausgedrückt: Er will ihnen sein Hirtenherz schenken:
"Meine Priester sollen wieder Hirten der Seelen werden; mein Hirtenherz will ich ihnen schenken."
Unter dem 21. Juli 1941 schreibt Maria in ihrem Tagebuch:
"Jesus öffnete mir heute seine Absichten in klarer Form: 'Ich will meinen Priestern mein Hirtenherz schenken. Ich schaute vom Himmel her die gefallene Menschheit in ihrer Not und Sünde und Hilflosigkeit, und mein Herz war voll Mitleid und Trauer darüber. Und ich beschloß: Ich will den Priestern mein Herz öffnen, auf dass meine Gesinnung in sie überströmen kann.' "
Ganz ähnlich heißt es im Dekret "Über Dienst und Leben der Priester":
"Als Lenker der Hirten des Volkes werden die Priester von der Liebe des Guten Hirten angetrieben, ihr Leben für ihre Schafe hinzugeben, auch zum höchsten und letzten Opfer bereit, nach dem Beispiel jener Priester, die auch in unserer Zeit nicht gezögert haben, ihr Leben zu opfern" (Nr. 13).
Die Liebe, die Christus seinen Priestern schenken will, wird so groß sein, dass sie bereit sein werden, sich mit Ihm mitzuopfern.
Der Herr ließ Maria erkennen: "Der Priester sei der Erstberufene, um die inneren Leiden seines Meistern zu teilen, und er solle sein Herz zu einem beständigen Schlachtopfer zu gestalten suchen."
"Der Priester sei nach den Absichten des heiligsten Herzens bestimmt, die Erlösungsgnaden den Seelen zu vermitteln, aber er solle auch das Erlöserleben Jesu in sich fortsetzen, auf dem Altar ein Opfer sein mit Jesus und in seinem priesterlichen Leben Jesus leben. Vor allem soll er eins sein mit Jesus in der Opfergesinnung. Durch die beständige Opfergesinnung des Priesters am Altar, wo er doch in erster Linie die Stelle Jesu vertritt, sollen dem Priester jene Gnaden zufließen, die Jesus im Begriffe sei, auszugießen."
Das Leben Maria Sielers wurde immer mehr zu einem einzigen Opferleben. Das geschah ihr vorbildlich:
"Wenn Jesus mich gleichsam beständig auf dem Altar als Opfer wollte, wenn er mir so oft versprach, durch dieses immerwährende Mitopfern mich immer mehr sein göttliches Leben in mich aufnehmen zu lassen, so wollteer dadurch zeigen, welcher Art das Leben sein werde, das er den Priestern mitteilen wolle."
Priester sein heißt also, mit Christus sich mitopfern. Das kommt noch an vielen Stellen der Schriften Marias zum Ausdruck:
"Der Priester soll das Leben Jesu in sich tragen, die Gesinnung seines Herzens. Er soll ein Opfer sein für die Sünden der Menschheit. Jesus will den Priestern die Leiden seines Herzens offenbaren, sein beständiges Schlachtopfersein vor seinem ewigen Vater."
"Das Leben der Priester soll Abtötung und Entsagung sein... Ihr Leben sollen die Priester auf dem Altare verbringen; sie sollen ein Opfer mit Mir sein in beständiger Hingabe an den Vater, sollen ein Leben der Sühne für die Sünder leben."
"Der Priester soll an Christi Statt und nach seinem Vorbild der große Büßer, der Versöhner der göttlichen Gerechtigkeit sein. Er soll eindringen in Christi Herz, das ein beständiges Schlachtopfer für die Sünder war; in dem Maße, als der Priester vor Gott der Versöhner an Jesu Statt ist, im gleichen Maße wird er den Seelen die Erlösungsgnaden Christi zuwenden und sie fruchtbar sehen in den Seelen. Alle Gnaden der Erlösung und der Heiligung für die Seelen müssen vom Priester sozusagen mitverdient werden durch ein beständiges Mitopfern mit Christus. Nur ein priesterliches Opferleben wird die Erlösungsgnade Jesu für die Seelen zu ihrer vollen Frucht, Kraft und Wirksamkeit gelangen lassen."
"Ausgang und Mittelpunkt der Erneuerung der Priester ist das rechte Mitopfern bei der heiligen Messe. Der Priester soll ein Opfer sein mit dem göttlichen Erlöser und Hohenpriester. Von da werden jene neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und eine neue Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens ausgehen."
"Durch das beständige Mitopfern mit dem Opfer Jesu in der heiligen Messe soll der Priester mit Jesus mitsühnen, täglich mit Ihm gleichsam auf den Kalvarienberg gehen, sich als wirkliches Opfer mit dem unblutigen Opfer Jesu vereinigen, so dass nicht nur Christus wirklich Opfer sei, sondern alle Priester mit Ihm."
Durch dieses Mitopfern mit Christus werden dem Priester die "neuen Gnaden" zugewendet, die der Herr Maria Sieler für die Priester verheißen hat:
"In jedem Priester soll wieder das Opfer Jesu Christi erneuert werden. Dadurch soll der Priester zur Christusähnlichkeit herangebildet werden und sollen neue Gnaden für die Menschheit verdient werden. Das soll keine bloße Gefühls- oder Formsache sein, sondern der Priester wird durch ein wirkliches, volles Bereitschaftsopfer in die Opfergesinnung und das Erlöserleben Jesu hineingezogen, wodurch ihm dann diese 'neuen Gnaden' des wirkliches Lebens mit Jesus mitgeteilt werden."
Der Gedanke des Mitopferns kommt auch im "Schreiben der deutschen Bischöfe über das priesterliche Amt" vom 11. November 1969 zum Ausdruck:
"Der Priester selbst muss wie alle übrigen Gläubigen sich und sein Leben persönlich in das Opfer Jesu Christi hineingeben."
Vor allem aber fordert dieses Mitopfern mit Christus das Konzil in seinem Dekret "Über Dienst und Leben der Priester":
"Die Priester leiten die Gläubigen an, die göttliche Opfergabe in der Messfeier Gott dem Vater darzubringen und mit ihr die Hingabe des eigenen Lebens zu verbinden" (Nr. 5).
"Im Dienst am Heiligen, vor allem beim Messopfer, handeln die Priester in besonderer Weise an Christi Statt, der sich für das Heil der Menschen zum Opfer hingab. Darum sind sie aufgefordert, das nachzuahmen, was sie vollziehen; weil sie das geheimnisvolle Geschehen des Todes unseres Herrn vergegenwärtigen, sollen sie auch ihren Leib mit seinen Fehlern und Begierden zu ertöten trachten" (Nr. 13).
"Das Eucharistische Opfer bildet Mitte und Wurzel des ganzen priesterlichen Lebens, so dass der Priester in seinem Herzen auf sich beziehen muss, was auf dem Altare geschieht" (Nr. 14).
Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, dass die mystischen Erkenntnisse Maria Sieler hinsichtlich des Mitopfern des Priesters in vollkommener Übereinstimmung mit den Aussagen des Konzils und damit der allgemeinen Lehre der Kirche überhaupt stehen.
Das Konzil hatte sich als Ziel gesetzt, die Gläubigen zu "aktiver Teilnahme" an der heiligen Messe zu führen. Diese aktive Teilnahme soll durch den Gebrauch der Muttersprache erleichtert werden, sie soll aber nicht nur im Mitbeten, sondern vor allem im Mitopfern bestehen: jeder Gläubige soll zugleich mit dem Opfer Christi sich selbst dem himmlischen Vater als Opfer darbringen.
In ihrem Tagebuch berichtet Maria Sieler, wie sie einmal einen Blick in die Zukunft tun durfte:
"Ich sehe im kommenden Zeitalter der Kirche in diesem tiefsten Eindringen und wirklichem Beteiligtsein am Opfersein Christi auf dem Altare vor dem ewigen Vater den tiefsten Kern und Mittelpunkt des religiösen Lebens und eine neue Gnadenquelle, das Gegen- und Heilmittel gegen die Selbstsucht der Zeit, ein aufleuchtendes Zeichen und eine charakteristische Eigenheit der kommenden Zeit der Kirche" (21.8.1937).
Maria Sieler sieht also das bereits als Wirklichkeit, was sich das Konzil erst als Ziel gesteckt hat. Noch sind wir von diesem Ziel weit entfernt. Gott stellt seiner Kirche oft Aufgaben, die zu lösen erst späteren Generationen gelingen wird. Für uns gelingt es vielleicht einen Anfang zu machen, und das sollen wir vor allem die Priester bei sich selber tun: sich mit Christus mitopfern.
Der Herr geht in seinen Erwartungen und Forderungen noch weiter:
"Die Priester sollen wieder Vorbilder der Menschheit werden. Habe ich Menschen zu so hoher Würde erhoben, so kann ich sie auch durch meine Gnade zu größtmöglicher sittlicher Höhe bringen, dass sie meiner Gnade Ehre machen. Ich will heilige Priester erwecken. Meine Heiligkeit soll wieder in den Priestern herrschen."
Das Wort "heilig" könnte einen erschrecken, aber es steht auch im Dekret "Über Dienst und Leben der Priester": "Um ihre pastorale Ziele einer inneren Erneuerung der Kirche, der Ausbreitung des Evangeliums über die ganze Erde und des Gespräches mit der heutigen Welt zu verwirklichen, mahnt daher die heilige Synode alle Priester inständig, mit Hilfe der von der Kirche empfohlenen Mittel nach stets größerer Heiligkeit zu streben, um so immer mehr geeignete Werkzeuge für den Dienst am Gottesvolk zu werden" (12).
Noch einige ergänzende Texte:
"Ich will mich zu meinen Priestern herablassen", sagte der Herr, "sie als meine Söhne und Freunde behandeln und sie bilden, dass sie, ganz gefügig in meiner Hand, den Seelen dienen können. Ich will sie bilden, wie ich meine Apostel befähigt habe, eine Welt voll des Heidentums für mich zu gewinnen. Ich will die Priester an mein Herz ziehen, das ihnen so viel Schätze der Liebe und der Auserwählung bereit hält, mit denen ich sie erfüllen will."
Die folgenden Worte sind sicher als Trost für die Priester gedacht, die es heute so schwer haben:
"Alle Gnaden, die ich meinen Aposteln gegeben habe, werde ich neu ausgiessen und werde dadurch neues Leben in den Seelen wirken. Die Schäden meiner Kirche brauchen neues Heilmittel, und das werde Ich sein."
Wenn wir noch einmal alles überdenken, was Christus von seinen Priestern erwartet und fordert, möchte man fast verzagen: Werden sich überhaupt noch junge Männer finden, die zu solchen Leben bereit sind? Diese Frage bedrückt auch Maria Sieler:
"Ich hatte viele Erleuchtungen über die Würde des Priestertums und darüber, wie Jesus seine Priester wünsche. Einmal sagte ich zum Herrn: 'Wenn du von den Priestern etwas menschlich scheinbar Unerreichbares verlangst, eine so große Heiligkeit und Selbstentsagung, da wird niemand wagen, Priester zu werden, da du das Priestertum fast als ein zu hohes geistiges Ziel hinstellst.' - Er antwortete: 'Ich vergesse nicht, dass sie Menschen sind, und weiß, dass sie trotz ihrer hohen Würde immer Menschen bleiben. Aber ich will sie zu Höherem befähigen. Dadurch werden ungleich mehr diesem Ziele zustreben, weil dadurch auch viele, die persönliches und irdisches Fortkommen im Beruf suchen, abgehalten werden.'"
Es würde befremden, wenn bei der Erneuerung des Priestertums und der Kirche nicht auch Maria ihren Anteil haben sollte. Darum lesen wir in den Aufzeichnungen Maria Sielers:
"Maria wird die Führerin sein bei der Erneuerung der Priester nach den Absichten des heiligsten Herzens Jesu. Sie wird sich auch heute noch als starke Frau erweisen, die der Schlange den Kopf zertreten hat, und sie wird ihre Würde und Macht als Miterlöserin dem verderbten Geiste der Jetztzeit entgegenstellen.
Niemand steht dem Herzen Jesu so nahe wie der Priester. Deshalb will Maria ihre ganze Mutterliebe aufwenden, um ihrem göttlichen Sohne würdige Priester zu vermitteln."
Das Priesterwerk
In jenen Jahren ließ der Herr Maria Sieler erkennen, dass er zur Erneuerung des Priestertums ein eigenes Werk gegründet haben wolle, "Das Werk des Hohenpriester" oder kurz "Priesterwerk" genannt.
Der Herr erklärt ihr:
"Ich will meine Liebe gleichsam verströmen lassen auf alle Priester meiner Kirche. Ich will sie aber besonders in einem Werke ausströmen lassen, das ich für meine Priester bilden werde. Das soll gleichsam das Senfkörnlein werden, das sich über die ganze Welt verbreiten soll, da ich alle Priester an mein Herz ziehen will."
"Das Werk soll den Namen haben: Das Werk des Hohenpriesters, weil ich selbst der Gründer des Werkes sein werde; darin werden sich meine Absichten verwirklichen, die ich für die Erneuerung des Priestertums habe. In diesem Werk will ich eine Anzahl Priester bilden, die ganz nach meinem Geiste leben, so wie ich sie dem heutigen Zeitgeist entgegenstellen will."
Vor allem durch das Priesterwerk will der Herr den Priestern jene "neuen Gnaden" zuwenden, die er wiederholt verheissen hat:
"Meiner Gesellschaft will ich den Vorrang geben, diese neuen Gnaden meinen Priestern zu verkünden. Es sollen wirklich neue Gnaden sein. Überall kann man sehen, dass die Priester den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen können und dass der Glaube an ihr Priestertum zu wenig lebendig ist."
Der Herr gibt diese "neuen Gnaden" jetzt, "weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern".
Das "Priesterwerk" ist nicht gedacht als allgemeine Priestervereinigung, sondern als "Zusammenschluss von Priestern, die zuerst auf jene tiefsten Absichten der unendlichen Liebe Gottes eingehen und sich diese neuen Gnaden selbst aneignen wollen. Sie sollen ferner diese Gnaden theologisch begründen und dem gesamten Priestertum zuzuwenden suchen... Sie werden das Zentrum sein, von dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden. Dazu werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr eigenes Beispiel dienen. Nur jene, die die aufgestellten Grundsätze theologisch und praktisch beherrschen, werden sie anderen priesterlichen Mitbrüdern mitteilen können. Daher müssen von Anfang an Theorie und Praxis ohne Halbheit und Kompromiß zusammengehen... Das Priesterwerk soll übernational sein und kann Ordens- und Weltpriester umfassen."
So hat sich Maria Sieler auf Grund ihrer Schauungen das Priesterwerk vorgestellt. Für die praktische Durchführung sah sie von Beginn an zwei Möglichkeiten:
1. Das Werk sollte in enger Anlehnung an den Orden der Gesellschaft Jesu entstehen, indem zuerst einige Mitglieder in den Geist des Priesterwerkes eingeführt und dann für die Arbeit im Rahmen des Priesterwerkes freigestellt würden.
2. Ein selbständiges Institut. Maria Sieler schreibt: "Der Herr ließ mich dabei immer wissen, es bleibe der Entscheidung der zuständigen Persönlichkeiten überlassen, welcher der möglichen Wege schließlich zur Ausführung kommen wird. Auch das Priesterwerk wird einen Anfang, eine Entwicklung und schließlich eine endgültige Gestalt haben. Der praktische Weg muss durch die in Frage kommenden Persönlichkeiten gesucht werden, aber unter Wahrung des Eigenzieles des Werkes. Der Herr sucht Priester, die sich die Sache seines Herzens zum persönlichen Anliegen machen aus der übernatürlichen Überzeugung heraus, dass es Gottes Werk ist. Es möge keine Zeit verloren werden. Wie die Feinde der Seele unablässig tätig sind, sollen auch jene sich tätig zeigen, die Christus als Vorboten seiner Liebe senden will."
Falls der zweite Weg gewählt würde, wäre es denkbar, dass ein Bischof die Gründung des Werkes in die Hand nimmt, so dass es zunächst ein bischöfliches Werk würde. "Es wäre aber dann bei diesem Bischof", schreibt Maria Sieler, "nicht bloß eine ungewöhnlich grosse Energie, Umsicht und Tatkraft, sondern auch eine ganz übernatürliche Einstellung und der ernste Wille vorausgesetzt, die Erziehung und Erneuerung der Priester auf diese Grundlage zu stellen."
Gewiss wird es bei der Gründung des Priesterwerkes nicht an Widerständen fehlen. Aber wir dürfen vertrauen. In einem Brief vom Dezember 1951 - ein halbes Jahr vor ihrem Tod - schreibt Maria Sieler: "Schließlich wird die göttliche Allmacht und die Liebe Jesu zu seiner Kirche und den Priestern über alle Widerstände siegen. An Gottes Gnade fehlt es nicht."
Worauf es jetzt ankommt ist, dass möglichst viele Gläubige mitbeten und mitopfern, dass der Herr uns wieder viele Priester schenke, die Priester sind nach Seinem Herzen. Nur durch eine Erneuerung des Priestertums kann die vom Konzil erstrebte Erneuerung der ganzen Kirche erreicht werden.
* * *
Hier sei nur noch kurz über den Tod Maria Sieler berichtet:
Im Juli 1952 hatte Prälat List, der zweite Seelenführer Maria Sielers, einen Pilgerzug nach Rom geführt. Auf der Rückfahrt nahm er Maria Sieler bis Assisi mit. Von dort kehrte sie sehr müde nach Rom zurück. Es war in jenen Juli-Tagen in der ewigen Stadt furchtbar heiß. Zwei oder drei Tage später fand man Maria in der Frühe in ihrem Zimmer, kniend vor dem Sofa, den Arm auf das Sofa und den Kopf auf den Arm gestützt - tot. Es war der 29. Juli 1952. Offenbar hat sie abends, vielleicht bis tief in die Nacht hinein gebetet, wie sie das seit ihren Mädchenjahren zu tun pflegte, und betend ist sie gestorben, ohne vorher eigentlich krank gewesen zu sein.
Die Gründung des Priesterwerkes ist Maria Sieler zu ihren Lebzeiten nicht gelungen, obwohl sie, wie später noch gezeigt werden wird, unendlich viele Mühen auf sich genommen hat, um dieses Ziel zu erreichen. Der Grund dürfte hauptsächlich der gewesen sein, dass damals kaum jemand die Notwendigkeit eines solchen Werkes eingesehen hat. Heute dagegen ist die Lage ganz anders: man spürt geradezu, dass etwas zur Erneuerung und Verinnerlichung der Priester geschehen muss, und wartet förmlich darauf.
Aus den Schriften Maria Sielers geht hervor, dass die gegenwärtige Krise, die über die Priester der Kirche gekommen ist, wohl für uns, nicht aber für den Herrn überraschend gekommen ist, denn Ihm sind alle kommenden Zeiten genau so gegenwärtig wie der heutige Tag. Ebenso klar ist aber auch, dass der Herr von langer Hand die Erneuerung des Priestertums vorbereitet hat. Er will den Priestern "neue" außergewöhnliche Gnaden schenken, um zuerst die Priester und dann durch die Priester die ganze Kirche erneuern. Worauf es jetzt ankommt, ist, dass die Priester demütig diese "neuen" Gnaden als besonderes Geschenk des Herzens Jesu entgegennehmen. Das ganze christliche Volk aber müsste im Sinne Maria Sielers und nach ihrem Beispiel mitbeten und mitopfern, damit der Herr diese Gnaden, die er verheißen, seinen Priestern jetzt schenke.