Christi Himmelfahrt
Die glückliche Stunde brach endlich an, in der der Eingeborene des ewigen Vaters aus eigener Macht wieder in den Himmel zurückkehren wollte, um zur Rechten des Vaters zu sitzen, wie es ihm als dem Erben des Vaters von Ewigkeit her gebührte. Er stieg so hoch empor, weil er zuvor bis zu den untersten Tiefen der Erde (Ephes. 4,9) hinabgestiegen war und alles erfüllt hatte, was über sein Leben, seinen Tod und die Erlösung der Menschen vorhergesagt und geschrieben war, nachdem er als Herr des Weltalls bis in den Mittelpunkt der Erde hinabgedrungen war. Durch seine Auffahrt in den Himmel besiegelte er nun alle seine Geheimnisse. Denn er versprach, den Heiligen Geist zu senden. Zur Feier dieses so festlichen und geheimnisreichen Tages erwählte unser gütigster Heiland als besondere Zeugen jene 120 Personen, die er im Speisesaal versammelt hatte. Es waren die heiligste Jungfrau Maria, die elf Apostel, die 72 Jünger, Maria Magdalena, Martha und ihr Bruder Lazarus, die anderen hl. Frauen und eine Schar anderer gläubiger Männer und Frauen.
Mit dieser kleinen Schar verließ Jesus den Abendmahlssaal. Sie zogen durch die Straßen Jerusalems, und Jesus beschloß den Zug. Dem Herrn zur Seite ging seine heiligste Mutter. Dann schlugen sie den Weg nach Bethanien ein, das nicht ganz eine halbe Meile von Jerusalem entfernt am Fuße des Ölbergs lag. Die Schar der Engel und Heiligen folgte, neue Loblieder singend, dem glorreichen Siegeshelden nach. Durch ganz Jerusalem, ja durch ganz Palästina hatte sich das Gerücht verbreitet, Jesus, der Nazarener, sei von den Toten auferstanden. Die ungläubigen Hohenpriester hatten sich zwar alle Mühe gegeben, der falschen Aussage, wonach die Jünger ihn gestohlen hätten, Glauben zu verschaffen. Viele schenkten ihr kein Gehör. Trotzdem fügte es die göttliche Vorsehung, dass keiner von den Bewohnern Jerusalems, weder ein Ungläubiger noch ein Zweifler, diese heilige, vom Speisesaale ausziehende Prozession beobachtete oder auf dem Wege störte. Sie entging mit Recht ihrer Aufmerksamkeit; denn sie waren nicht in der Verfassung, dieses wunderbare Geheimnis mitanzusehen. Jesus war nur denen, die er zu Augenzeugen seiner Himmelfahrt auserwählt hatte, sichtbar.
In dieser ihnen vom Herrn verschafften Sicherheit setzten alle den Weg fort bis hinauf zum Gipfel des Ölberges. Dort teilten sie sich in drei Chöre: den einen bildeten die Engel, den anderen die Heiligen und den dritten die Apostel und Gläubigen, welche sich wiederum in zwei Reihen teilten. Den Mittelpunkt bildete unser Heiland Jesus Christus. Dann warf sich die weiseste Mutter zu den Füßen ihres Sohnes nieder, betete ihn mit wunderbarer und demütiger Huldigung als wahren Gott und Erretter der Welt an und bat ihn um seinen letzten Segen. Alle übrigen anwesenden Gläubigen ahmten ihr Beispiel nach. Unter Schluchzen fragten sie den Herrn, ob er wohl in dieser Zeit das Reich Israel wieder herstellen werde. Der Heiland erwiderte hierauf, das sei ein Geheimnis seines ewigen Vaters, ihnen komme es nicht zu, es zu erfahren. Für jetzt sei es notwendig, nach dem Empfang des Heiligen Geistes in Jerusalem, in Samaria und dann auf der ganzen Welt die Geheimnisse der Erlösung zu verkünden (Apostelg. 1,6-8).
Mit einem Antlitz voll Wohlwollen und Würde verabschiedete sich nun der Sohn Gottes von jener heiligen Versammlung. Dann faltete er seine Hände und begann aus eigener Kraft sich zu erheben, wobei er auf dem Boden die Spuren seiner heiligen Füße eingedrückt ließ. In unaussprechlich anmutiger Bewegung setzte er seinen Weg durch die Luft fort, indem er dabei die Augen und Herzen dieser erstgeborenen Kinder nach sich zog, welche mit ihrem Verlangen unter Tränen ihm nachfolgten. Die himmlischen Chöre der Engel, der heiligen Altväter und der übrigen Gerechten zog unser Heiland Jesus Christus nach sich, welche teils mit Leib und Seele, teils bloß als Seelen mit ihm auffuhren. In schönster Ordnung stiegen sie alle miteinander von der Erde empor, um ihren König zu begleiten und ihm zu folgen.
Ganz besonders wunderbar und verborgen war das Geheimnis, dass Jesus seine heiligste Mutter mit sich emporführte, um ihr im Himmel den Besitz der Glorie und jenes Ortes zu übergeben, den er ihr als seiner wahren Mutter bestimmt und den sie sich durch ihre Verdienste erworben hatte. Maria war auf dieses Geheimnis vorbereitet. Ihr heiligster Sohn hatte ihr die Gnadenauszeichnung während der vierzig Tage nach seiner Auferstehung verheißen. Damit aber dies Geheimnis damals niemand bekannt würde und Maria in der Versammlung der Apostel und übrigen Gläubigen auch zugegen sei, um mit ihnen bis zur Ankunft des Heiligen Geistes im Gebete zu verharren, so bewirkte die göttliche Allmacht auf wunderbare Weise, dass U. L. Frau an zwei Orten zugleich war: sie blieb bei den Kindern der Kirche, folgte ihnen zum Abendmahlssaal und verweilte daselbst in ihrer Mitte. Zugleich aber stieg sie mit dem Erlöser der Welt zum Himmel empor. Hier blieb sie drei Tage mit dem vollkommensten Gebrauch ihrer Seelenkräfte und Sinne. Zu gleicher Zeit war sie mit einem weniger vollkommenen Gebrauch der Sinne im Abendmahlssaal.
So wurde Maria mit ihrem Sohn erhoben, damit sich der Ausspruch Davids erfüllt (Ps. 44,10), dass die Königin zu seiner Rechten sein werde in goldenem, von Herrlichkeit strahlendem Gewande, im Angesichte der Engel und Heiligen, welche mit dem Herrn hinaufgestiegen waren. Hier möchte ich die Leser dieses Wunders aufmerksam machen, dass mir der Herr von jenem Augenblick an, als er mir gebot, diese Geschichte zu schreiben, die vielen Jahre hindurch verschiedene Geheimnisse geoffenbart und verborgene Dinge enthüllt hat, denn die Erhabenheit dieser Arbeit erforderte eine solche Vorbereitung und Verfassung. Ich empfing nicht alles auf einmal und miteinander, weil die menschliche Beschränktheit eine solche Überfülle nicht zu fassen imstande ist. Vielmehr erhalte ich für jedes einzelne Geheimnis, das ich zu beschreiben habe, jedesmal wieder neues und besonderes Licht. Ich habe diese Erleuchtungen über alle die einzelnen Geheimnisse für gewöhnlich an den Festen des Herrn und seiner heiligsten Mutter erhalten. Dies war besonders bei dem großen Geheimnis, das ich eben erwähnte, der Fall, dass nämlich Jesus seine reinste Mutter am Tage seiner Himmelfahrt mit sich in den Himmel erhob, während sie auf höchst wunderbare Weise zugleich im Abendmahlssaal zurückblieb. Es ist mir dies mehrere Jahre nacheinander gezeigt worden, und zwar immer am Feste der Himmelfahrt des Herrn.
Die Gewissheit, die dem Geiste verliehen wird, wenn er die göttliche Wahrheit in Gott selbst erkennt und schaut, ist derart, dass er alsdann nicht mehr zweifeln kann. In Gott ist alles Licht, ohne Beimischung von Finsternis (1.Joh. 1,5). In ihm erkennt man die Wahrheit zugleich mit ihrem Grund. Ich hätte Bedenken getragen, das verborgene Geheimnis dieser Aufnahme U.L.Frau in den Himmel zu erwähnen, wenn nicht das Verschweigen einer so wunderbaren Gnadenauszeichnung in diese Lebensgeschichte eine bedeutende Lücke bringen würde. Dieses Bedenken ist mir damls gekommen, als ich zum ersten Mal von diesem Geheimnis Kenntnis erlangte. Jetzt aber, da ich es niederschreibe, habe ich dieses Bedenken nicht mehr, weil ich schon im ersten Teil angeführt habe, wie Maria als Kind alsbald nach ihrer Geburt zum empyreischen Himmel erhoben wurde. Und auch in diesem zweiten Teil habe ich gesagt, dass in den neun der Menschwerdung vorangehenden Tagen dieses Wunder zweimal stattgefunden habe zur würdigen Vorbereitung Mariae auf ein so erhabenes Geheimnis. Wenn nun die göttliche Allmacht der heiligsten Jungfrau Maria schon damals, als sie noch nicht Mutter des Wortes war, so große Gnadenauszeichnungen verliehen hat, um sie eben zu dieser Würde zu befähigen, so ist es noch weit mehr glaubhaft, dass Gott der Herr diese Gnaden erneuerte, nachdem Maria durch die Aufnahme des Wortes in das Heiligtum ihres jungfräulichen Schoßes ganz und gar geheiligt worden war, nachdem sie dem Sohne Gottes aus ihrem reinsten Blute menschliches Fleisch gegeben, nachdem sie ihn genährt, gepflegt und dreiunddreißig Jahre lang bedient hatte, nachdem sie in seinem Leben, Leiden und Sterben seinen Fußstapfen wie seinem Beispiele gefolgt war, und zwar mit einer Liebe und Treue, wie keine Zunge sie zu schildern vermag.
Die Anfangsgründe, warum der Allerhöchste so Großes an ihr gewirkt hat, sind wohl zu unterscheiden von den Gründen, die ihn bestimmten, diese Geheimnisse so viele Jahrhunderte lang in seiner Kirche unenthüllt zu lassen. Für die Auszeichnungen ist die Allmacht Gottes, die unermessliche Liebe des Herrn zu seiner Mutter und die alles Erschaffene überragende Würde, welche er ihr verliehen hat, das Massgebende. Weil aber die Menschen, solange sie auf Erden leben, das alles nicht vollkommen zu erkennen vermögen, so setzen sie in ihrer Unwissenheit der Allmacht Gottes Schranken und wollen nicht glauben, dass der Herr an seiner Mutter alles gewirkt hat, was er wirken konnte, und was er wirken wollte. Wenn er sich ihr in so einzigartiger Weise hingegeben hat, dass er ihr Sohn wurde, so war es ja nur folgerichtig, dass er auch in der Ordnung der Gnade an ihr in einzigartiger Weise wirkte, was er an keinem anderen Geschöpf, ja nicht einmal an der gesamten Menschheit geziemenderweise wirken konnte. Es gilt hier der allgemeine Grundsatz, dass der Herr seiner heiligsten Mutter keine Gnade vorenthielt, die er ihr zur Vermehrung ihrer Herrlichkeit geben konnte, so dass nur seine eigene heiligste Menschheit sie hierin überragt.
Handelt es sich aber um die Offenbarung dieser Wunder an seine Kirche, so sind andere Gründe massgebend. Die göttliche Vorsehung verleiht nämlich der Kirche von Zeit zu Zeit neue Strahlen ihres Lichtes, je nachdem es die Zeitumstände und Bedürfnisse erfordern. Der glückselige Tag der Gnade, der mit der Menschwerdung des Wortes angebrochen ist, hat seinen Morgen und seinen Mittag und wird auch seinen Abend haben. Dieses alles ordnet aber die ewige Weisheit, wie und wann es passend ist. Wohl sind alle Geheimnisse, die sich auf Jesus und seine Mutter beziehen, in der Heiligen Schrift geoffenbart; aber nicht alle werden zu gleicher Zeit und in gleicher Weise bekanntgemacht. Der Herr zieht vielmehr erst nach und nach den Schleier der Bilder und Geheimnisse hinweg, worunter viele Geheimnisse zwar geoffenbart wurden, jedoch so, dass sie gleichsam verschlossen und für die geeignete Zeit aufbewahrt blieben. Selbst die Engel haben zur Zeit ihrer Prüfung das Geheimnis der Menschwerdung nur seinem wesentlichen Inhalt nach erkannt, nämlich soweit es sich auf ihren ganzen Dienst hinsichtlich der Menschen bezog. Die einzelnen Bedingungen, Wirkungen und Umstände dieses Geheimnisses aber wurden ihnen damals offenbart. Diese neue Erkenntnis dessen, was sie im einzelnen noch nicht gewusst hatten, war für sie Anlass zu neuer Verwunderung, Lobeserhebung und Verherrlichung des Urhebers. Dieses möge denjenigen zur Belehrung dienen, die sich etwa verwundern, wenn sie zum ersten Male von den an der seligsten Jungfrau gewirkten Geheimnissen hören.
Als ich von dem Geheimnis, dass Jesus seine heiligste Mutter bei seiner Himmelfahrt mit sich emporführte, das erstemal Kenntnis erhielt und die Gründe desselben noch nicht kannte, war mein Staunen wahrlich nicht gering, nicht so sehr um meiner selbst als vielmehr um der anderen willen, die davon Kenntnis erhalten würden. Doch der Herr zeigte mir damals auch einzelne Gründe; unter anderem erinnerte er mich an den hl. Paulus, der in einem seiner Briefe (2.Korinth. 12,2) von sich selbst berichtet, er sei in den dritten Himmel, d.h. in den Himmel der Seligen gerückt worden. Wenn der Völkerapostel am Anfang seiner Bekehrung, wo von seiner Seite keine Verdienste, sondern Sünden vorausgegangen waren, in den empyreischen Himmel entrückt wurde, und zwar, wie als möglich vorausgesetzt wird, leiblicherweise dieses Wunder in der katholischen Kirche weder bedenklich noch ungereimt erscheint, wie kann man dann bezweifeln, dass der Herr dieses Vorrecht seiner Mutter verliehen hat, und zwar zu einer Zeit, da sie schon unermessliche Verdienste gesammelt und eine solche Höhe der Heiligkeit erreicht hatte? Überdies fügt der Herr bei: Wenn diese Gnade keinem einzigen Sterblichen gewährt worden wäre, hätte sie doch der heiligsten Jungfrau Maria gebührt, weil sie am Leiden des Herrn teilgenommen hatte. Sie sollte dann auch an dem Triumph und an der Siegesfreude teilnehmen. Gleichfalls war es geziemend, dass kein sterblicher Mensch, und wäre es auch der Vater, oder die Mutter, oder der Bräutigam der heiligsten Jungfrau gewesen, den Besitz der ewigen Seligkeit mit Leib und Seele antrete, bevor Maria in den Himmel einging. Alle diese Seligen, ja der Herr selbst, Jesus, der allerheiligste Sohn Mariae, hätten an diesem Tag eines Teiles ihrer ausserwesentlichen Freude entbehren müssen, wenn nicht Maria mit ihnen in das himmlische Vaterland eingezogen wäre, sie, die Mutter des Erlösers der Menschen, die Königin der ganzen Schöpfung, welche in Hinsicht dieser Gnadenauszeichnung keinen ihrer Untertanen nachstehen durfte.
Diese Billigkeitsgründe scheinen mir hinreichend zu sein, dass fromme Katholiken aus der Mitteilung dieser und anderer derartiger Geheimnisse Freude und Trost schöpfen. Dass aber die Apostel und die übrigen Gläubigen von diesem Geheimnis damals nichts erfuhren, hatte seinen guten Grund. Hätten sie nämlich mit Christus auch ihre Mutter und Lehrmeisterin auffahren sehen, so wäre ihr Schmerz und ihre Trostlosigkeit allzu groß gewesen. Ihr einziger und größter Trost war der Gedanke, die heiligste Herrin, ihre Mutter, noch bei sich zu haben. Als die Jünger den Heiland zum Himmel auffahren sahen und ihn aus dem Gesicht verloren, nahm eine sehr glänzende Wolke den Herrn auf. In dieser Wolke stieg der ewige Vater vom Himmel hernieder, um seinen Eingeborenen sowie dessen Mutter zu empfangen. Der himmlische Vater zog Jesus und Maria gleichsam an sich und empfing sie in unzertrennlicher Umarmung, d.h. mit unendlicher Liebe, zur höchsten Freude der Engel, die in unabsehbaren Scharen vom Himmel herabgekommen waren. In kurzer Zeit drang diese himmlische Prozession durch die Himmelskreise und gelangte an den höchsten Ort des empyreischen Himmels. Beim Einzug sangen die Engel, die Jesus und Maria begleiteten, im Wechsel mit denen, die in der Höhe zurückgeblieben waren, wie im Psalm Davids:
"Öffnet, o Fürsten, öffnet eure ewigen Tore! Sie sollen sich erheben und offenstehen, damit einziehe der große König der Herrlichkeit, der Mächtige, der Gewaltige im Streite, der Starke und Siegreiche, der als Überwinder aller seiner Feinde im Triumph einherzieht. Öffnet die Tore des oberen Paradieses; allezeit sollen sie offen und frei sein, damit der neue Adam einziehe, der Wiederhersteller des ganzen Menschengeschlechtes. Er ist reich an Erbarmung (Ephes. 2,4), überfießend von Schätzen durch seine Verdienste und mit Beute beladen, d.h. mit den Erstlingen der Erlösung (Ps. 129,7). Nun hat er das Verderben unserer Natur wieder gutgemacht und die menschliche Natur zur höchsten Würde seiner eigenen unendlichen Wesenheit erhoben. Nun kehrt er zurück mit der Herrschaft, welche ihm sein Vater über die Auserwählten und Erlösten übergeben hat. Zudem führt er zu seiner größeren Verherrlichung und zu unserer Freude an seiner Seite auch die Mutter der Barmherzigkeit, die ihm jene menschliche Gestalt verliehen hat, in der er den Teufel besiegte. Unsere Königin kommt in Liebenswürdigkeit und Schönheit einher, dass sie alle entzückt, die sie erblicken. Kommet darum heraus, ihr Bewohner des himmlischen Hofes! Schauet unseren König in seinem Diadem, das ihm seine Mutter geschenkt hat (Hohel. 3,11)! Schauet seine Mutter, gekrönt mit der Glorie, welche ihr Sohn ihr verliehen hat!"
Unter einem solchen, alle unsere Vorstellungen übertreffenden Jubel, gelangte diese nie gesehene, geordnete Prozession zum Lichthimmel. Hier stellten sich die Engel und Heiligen in zwei Chören auf. Unser Erlöser Jesus Christus und seine allerheiligste Mutter zogen zwischen ihnen hindurch, während alle diese Seligen lobsingend die entsprechende höchste Verehrung erwiesen. Der ewige Vater setzte nun das menschgewordene Wort zu seiner Rechten auf den Thron seiner Gottheit in einer solchen Herrlichkeit und Majestät, dass sämtliche Himmelsbewohner mit höchster Bewunderung und ehrerbietiger Furcht erfüllt wurden. Die Seligen sahen nun in klarer und unverhüllter Anschauung die Gottheit in ihrer unendlichen Glorie und in ihrer Vollkommenheit, wie sie in der heiligsten Menschheit Jesu Christi eingeschlossen und mit ihr durch persönliche Vereinigung wesenhaft verbunden war. Sie sahen, wie kraft dieser untrennbaren Vereinigung die heiligste Menschheit Christi zu einer Schönheit, Würde und Herrlichkeit erhoben war, dergleichen kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und kein erschaffener Verstand zu fassen vermag.
Hier nun zeigte sich die Demut und Weisheit Mariae in ihrer höchsten Vollkommenheit. Bei diesen Gunsterweisen blieb sie, um mich so auszudrücken, am Schemel des göttlichen Thrones wie vernichtet in dem Bewusstsein, ein bloßes Geschöpf zu sein. Niedergeworfen vor dem ewigen Vater, betete sie ihn an und pries ihn mit neuen Lobgesängen für die Herrlichkeit, die er ihrem Sohne verliehen, indem er seine mit der Gottheit vereinigte Menschheit zu so erhabener Größe und solcher Glorie erhoben hatte. Den Engeln und Heiligen aber war der Anblick der weisheitsvollen Demut ihrer Königin ein neuer Beweggrund zur Bewunderung und Freude. Mit heiligem Wetteifer ahmten sie die Akte der Anbetung und Verehrung, die sie Maria verrichten sahen, nach, indem sie auf sie wie auf einen lebendigen Tugendspiegel blickten. Nun ließ sich eine Stimme vernehmen, die vom Vater ausging und zu Maria sprach: "Meine Tochter, steige höher hinauf!" Ebenso rief auch der Sohn ihr zu und sprach: "Meine Mutter, erhebe dich und komme an den Ort, den ich dir schulde, weil du mir nachgefolgt bist und mich nachgeahmt hast." Der Heilige Geist sprach: "Meine Braut, meine Freundin, komme zu meiner ewigen Umarmung!" Dann wurde alle Seligen der Ratschluss der heiligsten Dreieinigkeit bekannt gemacht, wodurch der glücklichsten Mutter der Platz und Sitz zur Rechten ihres Sohnes für alle Ewigkeit angewiesen wurde, weil sie ihm aus ihrem eigenen Blute das menschliche Dasein gegeben, ihn gepflegt, ihm gedient und ihm mit der höchsten Vollkommenheit, die einem bloßen Geschöpf den unverlierbaren Besitz der himmlischen Seligkeit im entsprechenden Grade antreten solle, bevor Maria jenen Thron besitze und darauf erhoben sei. Und dieser Thron wurde ihr aus Gerechtigkeit zuerkannt für die Zeit nach ihrem Leben, als ein Thron, der über alle Sitze der übrigen Heiligen unermesslich erhaben war.
Maria wurde nun auf den Thron der allerheiligsten Dreieinigkeit zur Rechten ihres heiligsten Sohnes erhoben. Dabei ward der heiligsten Jungfrau sowie allen Heiligen zu wissen getan, dass ihr der Besitz dieses Thrones nicht nur für alle Ewigkeit übertragen, sondern dass es auch ihrem freien Willen anheimgegeben sei, von nun an darauf zu bleiben und nicht mehr in die Welt zurückzukehren. Es war nämlich der bedingte Wille der göttlichen Personen, dass Maria in diesem Zustand verbleibe. Damit sie aber ihre Wahl treffe, wurde ihr abermals der Zustand der streitenden Kirche auf Erden sowie die Verlassenheit und Not der Gläubigen gezeigt, und ihr dann überlassen, ob sie zu deren Schutz wieder herabsteigen wolle oder nicht. Der Mutter der Barmherzigkeit sollte Gelegenheit geboten werden, gleichsam durch einen Akt der Barmherzigkeit und Güte sich verbindlich zu machen, der jenem Akte ähnlich wäre, den ihr göttlicher Sohn vollbracht hatte, indem er um unserer Erlösung willen einen leidensfähigen Zustand annahm und jene Herrlichkeit zurückhielt, die er in seinem Leibe hätte empfangen können. Indem Maria ohne Täuschung die ganze Tragweite der ihr anheimgestellten Wahl erkannte, erhob sie sich vom Throne, warf sich ehrfurchtsvoll vor den drei göttlichen Personen nieder und redete sie also an: "Ewiger Gott, mein allmächtiger Herr! Wenn ich schon jetzt den Lohn in Besitz nahme, den deine Huld mir anbietet, so ist mir damit die Ruhe verliehen. Wenn ich aber wieder auf die Welt zurückkehre und im sterblichen Leben bei den Kindern Adams noch länger leide und die Gläubigen deiner heiligen Kirche unterstütze, so dient dies zur Verherrlichung und zum Wohlgefallen deiner Majestät und zum Vorteil meiner Kinder, die noch in dem Elend der irdischen Pilgerschaft verweilen. So wähle ich denn das Leiden und verzichte für jetzt auf die Ruhe und Freude, welche ich in deiner Gegenwart genieße. Wohl weiß ich zu schätzen, was ich besitze und empfange; aber ich opfere es deiner Liebe zu den Menschen. Nimm hin, o Herr und Gebieter meines ganzen Wesens, dieses mein Opfer; möge mir aber auch deine göttliche Kraft bei dem mir anvertrauten Amte beistehen. Möge der Glaube an dich ausgebreitet, dein heiliger Name verherrlicht werden und deine Kirche zunehmen. Ich opfere mich abermals auf, um für deine Ehre zu leiden und, soviel ich kann, Seelen zu gewinnen."
Diese Hingabung wurde von Gott mit solchem Wohlgefallen aufgenommen, dass er sie alsbald mit der intuitiven Anschauung der Gottheit belohnte. Bis dahin hatte sie bei dieser Vision die Gottheit nur in abstrakter Vision geschaut. Nun aber zu diesem Zustand erhoben, wurde ihr die Gottheit mittels der beseligenden Anschauung gezeigt. Dabei wurde sie ganz mit Glorie und himmlischen Gütern erfüllt.
Nun erneuerte der Allerhöchste in Maria alle Gaben, die er ihr bisher mitgeteilt hatte. Er bestätigte und besiegelte diese aufs neue in dem entsprechenden Grade, um sie als Mutter und Lehrmeisterin der heiligen Kirche wieder auf die Erde herabzusenden. Und wie das Siegel in welchem Wachs abgedrückt wird, so drückte sich auch in U.L.Frau durch die Kraft der göttlichen Allmacht abermals das Bild Jesus Christus ab, damit sie, mit dem Siegel versehen, zur streitenden Kirche zurückkehre, wo sie wahrhaft der "verschlossene Garten und die versiegelte Quelle" sein sollte, um die Wasser des Lebens zu bewahren (Hohel 4,12). O Geheimnisse, die ebenso verehrungswürdig als erhaben sind! O verborgene Ratschlüsse der höchsten Majestät, die wir mit aller Ehrfurcht anbeten müssen! O Liebe und Milde der heiligsten Jungfrau, welche die unwissenden Kinder Evas niemals begreifen! Wenn unsere liebevollste Mutter sich der wahren Freude beraubte, um ihren Kindern Hilfe bringen zu können: wer sollte dann beim Anblick einer solchen Liebe das noch für etwas Großes halten, was die Heiligen getan und die Martyrer gelitten haben, indem sie sich ein augenblickliches Vergnügen versagten, um dadurch zur ewigen Ruhe zu gelangen! Wie werden wir uns von dem Vorwurf eines schmählichen Undankes freisprechen können, wenn wir nicht einmal ein kleines, trügerisches Vergnügen, das uns das Missfallen unserer lieben Mutter und sogar den Tod bringen kann, zum Opfer bringen wollen? Gepriesen sei eine solche Frau; die Himmel mögen sie loben, und alle Geschlechter der Erde mögen sie glücklich und selig preisen! (Lk 1,49)
Um all ihre Aufgaben vollbringen zu können, bat Maria, bevor sie vom Himmel herabstieg, den ewigen Vater um die Macht, ihren Sohn um die Weisheit, den Heiligen Geist um das Feuer seiner Liebe, und alle drei Personen miteinander bat sie um ihren Beistand und um ihren Segen zum Herabsteigen. Die göttlichen Personen erteilten ihr den Segen und erfüllten sie mit neuen Gnadeneinflüssen und mit erhöhter Teilanhme an den göttlichen Vollkommenheiten. Dann entließen sie die heiligste Jungfrau, ganz erfüllt mit unaussprechlichen Schätzen der Gnade. Die heiligen Engel und die Gerechten verherrlichten sie durch wunderbare Lobeserhebungen, worauf sie auf die Erde zurückkehrte. Weil sie die Liebe in ihrer Quelle und in ihrem Ursprung, d.h. im ewigen Gott selbst, erkannt hatte, der da "die Liebe ist" (1 Jo 4,16), so war sie ganz von Liebe entzündet. Gleich einer fleissigen, mit Honig beladenen Biene kehrte sie von der triumphierenden Kirche zur streitenden zurück, beladen mit den Blüten der Liebe. Und aus diesen bereitete sie den süßen Honig der Liebe zu Gott und dem Nächsten, speiste damit die noch zarten Kinder der jugendlichen Kirche und zog sie zu starken und in der Vollkommenheit fest begründeten Männern heran, so dass sie stark genug waren, um als Fundamente für das hohe Gebäude der heiligen Kirche zu dienen (Ephes 2,20).
Nun muss ich zur Versammlung der Gläubigen zurückkehren, die wir so tränenvoll auf dem Ölberg gelassen haben. U.L.Frau vergaß derselben auch mitten in ihrer Herrlichkeit nicht. Als sie nämlich ihren Schmerz sah, flehte sie Jesus an, er möge diese armen Kinder, die er als Waisen auf Erden zurücklasse, liebevoll trösten. Durch diese Bitten bewogen, sandte er zwei Engel in weißen, glänzenden Gewändern herab. Diese erschienen allen Jüngern und sagten: "Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und schaut gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen ist, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen." Mit diesen und anderen Gründen trösteten sie die Apostel und Jünger und die übrigen Gläubigen, damit sie nicht den Mut verlieren, sondern in der Zurückgezogenheit die Ankunft und Tröstung des Heiligen Geistes erwarten möchten, welcher ihnen von ihrem göttlichen Meister verheißen worden war.
Durch den Glauben hätten die Jünger Jesus da sehen und finden können, wo er war, und hätten ihn auch gefunden. Die andere Art und Weise, ihn zu suchen, war überflüssig und unvollkommen. Um ihn zu bewegen, dass er ihnen mit seiner Gnade beistehe, war es keineswegs erforderlich, ihn mit leiblicher Augen zu sehen und mit ihm zu sprechen. Dass aber so erleuchtete und vollkommene Männer dies nicht einsahen, war ein tadelnswerter Fehler. Die Apostel und Jünger hatten ja so lange Zeit die Schule unseres gütigsten Erlösers besucht und die Lehre der Vollkommenheit aus ihrer reinen und kristallhellen Quelle geschöpft; sie hätten darum schon ganz vergeistigt und in der höchsten Vollkommenheit bewandert sein sollen.
Allein der geistliche und sinnlich fühlbare Wohlgeschmack, den sie an dem Umgang und Verkehr mit ihrem Meister empfanden, sowie die Sicherheit, womit sie ihm ihre Liebe schenkten, hielt alle Kräfte ihres an das Sinnliche gehefteten Willens noch gefesselt, dass sie aus diesem Zustand nicht herauszukommen wussten. Sie bemerkten nicht einmal, dass sie in diesem geistigen Wohlgeschmack vielfach nur sich selbst suchten und von der Anhänglichkeit an den durch die Sinne vermittelten geistigen Genuss eingenommen waren. Hätte sie ihr Meister nicht durch seine Auffahrt in den Himmel verlassen, so hätten sie sich nur sehr schwer von seinem Umgang trennen können. Dadurch wären sie aber weniger tauglich gewesen, das Evangelium auf der ganzen Welt zu verkünden, ein Amt, das sie nicht nur viel Mühe und Schweiß, sondern sogar das Leben kosten sollte. Dies war ein Amt nicht für Knaben, sondern für Männer voll Kraft und starker Liebe, welche nicht geistige Süßigkeit suchten, sondern bereit waren, Überfluss und Mangel, guten und schlechten Ruf (2 Kor 6,8), Ehre und Schande, Traurigkeit und Freude zu ertragen und in allen diesen Wechselfällen die Liebe und den Eifer für die Ehre Gottes mit einem großmütigen Herzen zu bewahren, das sich über alles Angenehme und Widerwärtige hinwegsetzt.
Nach diesem Tadel der Engel kehrten alle vom Ölberg in den Abendmahlssaal zurück, wo sie mit Maria im Gebet verharrten und die Ankunft des Hl. Geistes erwarteten.
(Geoffenbart der ehrwürdigen Dienerin Gottes, Maria von Jesus, zu Agreda)