Weihe an das Herz Jesu

Am 11. Juni 1899 weihte sich die ganze katholische Welt dem göttlichen Herzen Jesu. Jedes Jahr, am Herz Jesu Fest, soll diese Weihe erneuert werden. Was bedeutet sie, und was nützt sie?
I.
Sich selbst jemanden weihen, heißt: sich dem andern hingeben, sich ihm unterwerfen, ihm dienen. Sich dem göttlichen Herzen weihen, bedeutet also: dem Herzen Jesu sich ganz und gar schenken. Darum schließt die Weihe an das heiligste Herz Jesu zwei Dinge ein: das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Anerkennung seines Königtums.
Schon die Propheten, deren Vorhersagungen sich alle in Christus erfüllten, nannten ihn: Gott, Gott mit uns, den Allerheiligsten, den Wunderbaren. Als das Volk Israels niedergeschlagen war, versprach ihnen der Prophet Isaias (35, 4-6) den Messias mit den Worten: "Saget den Kleingläubigen: seid getrost und fürchtet nicht! Gott selber kommt und erlöst euch. Dann öffnen sich die Augen der Blinden, und die Ohren der Tauben tun sich auf; dann springt wie ein Hirsch der Lahme, und die Zunge der Stummen löst sich."
Die Gottheit Christi bezeugt ferner der himmlische Vater. Zweimal, bei der Taufe Jesu am Jordan und wieder bei dessen Verklärung auf Tabor, erscholl vom Himmel die Stimme: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe" (Matth. 3 und 17).
Christus selbst beteuert, daß er Gottes Sohn und wahrer Gott sei wie der Vater, und er bekräftigt sein Zeugnis durch die Heiligkeit seines Lebens, durch Wundertaten und Weissagungen.
Nicht weniger klar ist das Zeugnis der Apostel. Sie lehren, daß Jesus Christus die ganze Fülle der Gottheit besitzt, daß ihm von allen Geschöpfen Anbetung Anbetung gebühre. - Darum hat denn auch die katholische Kirche von jeher geglaubt und gelehrt, daß Christus wahrhaft Gott und eines Wesens ist mit dem Vater, und sie hat zur Verteidigung dieser christlichen Grundlehre auf dem Konzil von Nicäa ein eigenes Glaubensbekenntnis verfaßt.
Wahrlich, wenn eine Wahrheit feststeht, so ist es die von der Gottheit Jesu Christi. Und doch gibt es Tausende und Abertausende, welche diese Wahrheit leugnen. Es gibt Tausende von Predigern, die jeden Sonntag ganz salbungsvoll von Christus und dem Christentum sprechen und sich die Lehrer des Volkes nennen, zugleich aber offen oder versteckt die Gottheit Christi wegleugnen. Bei der Jahresversammlung des "religiös-liberalen Vereines des Kantons St. Gallen" vom Jahre 1901 sprach der "evangelische" Reform-Pfarrer Altwegg: "Euer Christus ist nicht der Gottessohn, ruft man von vielen Seiten der Reform entgegen. Allerdings, es ist wahr, es ist nach unserer Auffassung nicht der Gottessohn im übernatürlichen Sinne; Christus ist uns Mensch, nicht allgegenwärtiger, allwissender, allmächtiger Gott. Und er ist auch nicht der Erlöser."
Warum soll er es nicht sein? Wie niemand vor uns niemand nach ihm hat er der Menschheit gezeigt, daß er der Allgütige und Allerbarmer ist; das ist unsere Überzeugung, unser Glaube. Von diesem Standpunkt aus müssen wir protestieren dagegen, daß die Erlösung immer noch gleichbedeutend sein soll mit all´ den dogmatischen Blut- und Sühnetheorien. Aber ihr glaubt nicht an den auferstandenen Christus! So heißt es noch.
Ist es da nicht notwendig, daß alle Christusgläubigen zusammenstehen, daß sie laut und feierlich das Bekenntnis ablegen: Wir glauben, daß Jesus Christus wahrhaft Gott ist, gleicher Gott wie der Vater und der heilige Geist; diesem Glauben bleiben wir treu bis zum letzten Atemzug; in diesem Glauben wollen wir leben und sterben.
Ist aber Christus Gott, dann ist er auch unser Herr; dann müssen wir an ihn glauben, auf ihn hoffen und ihn lieben; dann müssen wir ganz und gar uns ihm hingeben, ihm weihen, seine Grundsätze und Anschauungen auch zu den unsrigen machen. Ist Christus Gott, dann ist er auch König, König nicht bloß innerhalb der Kirchenmauern, sondern auch im privaten und öffentlichen Leben. Die Weihe an das göttliche Herz Jesu ist daher 2) eine Anerkennung seines Königtums.
Aber wieviele kümmern sich nicht mehr um dieses Königtum: sie wollen sich der Herrschaft Christi entziehen; sie geben nichts auf Christi Lehre, auf Christi Gebot und Gnade; sie leben gleichgültig in den Tag hinein; ihr Gott ist das eigene Ich oder der Geldsack oder das Fleisch.
"Wer war Christus? Ich weiß es nicht." So schrieb im Jahre 1901 "Die christliche Welt", das "evangelische Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände", in Nr. 35. Tausende und Millionen, die sich noch Christen nennen, sind von Christus abgefallen; sie schneidern sich selbst eine Religion zurecht, wie sie ihnen behagt; Christus und das Christentum gelten ihnen gleichviel wie Muhamed und seine Lehre.
Ist es da nicht notwendig, daß alle Christusgläubigen zusammenstehen, daß sie dem Welterlöser ihre Huldigung darbringen, daß sie Christus als Herr, als König anerkennen, daß sie ihm treu dienen und seinen heiligsten Willen in allem zu erfüllen suchen, daß sie mit Papst Leo XIII. sprechen: "Tui sumus, Tui esse volumus." "Dein sind wir, dein wollen wir sein."
Das ist die Weihe an das göttliche Herz Jesu: sie ist ein öffentliches, feierliches Bekenntnis der Gottheit Christi und eine Anerkennung seines Königtums. Und darum kann diese Weihe nur große und herrliche Früchte tragen.
II.
In den 70er Jahren (p. A. es ist gemeint 1870) wurde in Bonn von einem Professor der Arzneikunde ein Bauer an der Zunge operiert. Es war ein seltener Krankheitsfall und eine schwierige Operation deshalb mußten alle Studenten der Medizin dabei anwesend sein. Der Professor machte den Kranken auf alles aufmerksam und teilte ihm mit, daß die Operation im günstigsten Falle völlige Sprachunfähigkeit zur Folge habe; wenn er daher seinen Angehörigen noch etwas mitteilen wolle, so möge er es jetzt sagen. "Denken Sie", bemerkte der Professor, "das wird ihr letztes Wort sein in diesem Leben; nachher sind Sie stumm." Alle waren gespannt. Einen Augenblick senkte der Bauer das Haupt, und dann klang es fest und laut von seinen Lippen: "Gelobt sei Jesus Christus!" Das war sein letztes Wort. Eine tiefe Bewegung ging durch die Reihen der leichtlebigen Studenten, und selbst dem Professor traten Tränen in die Augen. Die Operation geschah. Der Mann war und blieb stumm.
Welch´ lebendiger Glaube und welch´ innige Liebe zu Christus muß das Herz dieses Mannes erfüllt haben, dessen letztes Wort auf Erden lautete: "Gelobt sei Jesus Christus!"
Die Weihe an das Herz Jesu ist 2) ein Segen für die Familie. Was fehlt der Familie? Das Herz, die Liebe. Das Familienleben löst immer mehr sich auf: man betet nicht mehr miteinander; man legt das Geld nicht mehr in die gleiche Kasse; man freut sich nicht mehr gemeinsam; das eine geht dahin, das andere dorthin; höchstens beim Essen findet man sich noch zusammen, wenn´s gut geht. Wo ist da das Familienleben? Darum muß die Liebe zu Christus die Familie wieder einigen: alle, Vater, Mutter und Kinder müssen jeden Morgen und Abend vor dem Bilde des Herzens Jesu niederknien und gemeinsam mit einander beten. Dann wird auch das Glück und der Friede und der Segen des göttlichen Herzens wieder in die Familie einziehen.
Die Weihe an das Herz Jesu ist 3) ein Segen für den Staat. Was fehlt den Völkern, den Staaten? Das Herz, die Liebe. Ein künstlicher Mechanismus hält das Räderwerk des Staates zusammen. Die Vorgesetzten werden nicht als Regenten von Gottes Gnaden betrachtet, die Untertanen gehorchen nicht um Gottes Willen. Die Polizei regiert die Bürger und schreckt ab von Ungerechtigkeit, Aufruhr und Empörung. Aber auf wie lange? Auf so lange, bis die Ungläubigen die Mehrheit haben. Dann werden sie alles über den Haufen werfen. Darum muß Christus und seine Lehre wieder die Grundlage des Staates, das Gesetzbuch der Völker sein; der Glaube an Christus und die Liebe zu Christus müssen alle Herzen erfüllen und beherrschen; das Christentum muß der Sauerteig sein, der die ganze Welt durchdringt. Dann nur ist das Wohl der Staaten und Völker gesichert. "Man bringe", sagt Papst Leo XIII. in seinem herrlichen Sendschreiben, das er als Kardinal und Erzbischof von Perugia am 25. Juli 1872 an seine Diözese richtete, "man bringe es nur dahin, daß alle Glieder der bürgerlichen Gesellschaft ihre religiösen Pflichten ordentlich kennen lernen und dieselben gewissenhaft erfüllen, und wir werden unter den Nationen wieder aufblühen sehen den Gehorsam gegen die Vorgesetzten, die wechselseitige Liebe, die Berücksichtigung der Rechte des Nächsten, die Ruhe und den Frieden. Gott hat es den Völkern möglich gemacht, ihre Schäden zu heilen, allein nur unter der Bedingung, daß sie zu ihm zurückkehren und sich ihm unterwerfen. Wenn sie aber hartnäckig in ihrer Empörung gegen ihn verharren, dann läßt er sie eine Beute der staatlichen Umwälzungen und Verwirrungen sein. Durch derartige Erwägungen wird es einem jeden klar, von welch´ unberechenbarem Vorteile für das allgemeine Wohl alle jene Handlungen seien, wodurch die Völker zu ihren religiösen Pflichten und zum Gehorsame gegen Gott und zu seinem göttlichen Dienste zurückgeführt werden. Dieses alles geschieht aber in ganz ausgezeichneter Weise in der öffentlichen Weihe an das heiligste Herz Jesu. Wo werden wir eine Quelle finden, von der wir in reichlicherem Maße alle Tugenden schöpfen könnten, deren wir im Umgange mit anderen bedürfen? Ist doch dieses Herz das vollkommenste Muster aller Tugenden. Woher anders, als von diesem Herzen können wir uns aneignen jenen Geist der gewissenhaften Unterwerfung, des gegenseitigen Wohlwollens, der öffentlichen Ehrbarkeit, der unverbrüchlichen Treue?"
Das ist die Bedeutung der Weihe an das göttliche Herz Jesu; sie ist das Bekenntnis der Gottheit Christi und eine Anerkennung seines Königtums, seiner unbeschränkten Herrschaft über uns; sie ist ein Segen für den Einzelnen, für die Familie und für den Staat. "Die Kirche und die Gesellschaft," sagte Pius IX., "haben keine Hoffnung mehr im heiligsten Herzen Jesu. Dasselbe wird alle unsere Übel heilen. Breitet nach allen Seiten hin diese Andacht aus. Sie wird die Rettung der Welt sein." (Worte Pius IX. an P. Chevalier, Obern der Missionäre vom heiligsten Herzen in Issodun). Leo XIII. bezeichnete am 11. Oktober 1893 die Rettung der Gesellschaft als "die Frucht der christlichen Liebe, deren Quelle im göttlichen Herzen des Erlösers ist, aus dem sie zum Heil der Welt hervorströmt." Darum haben sich ganze Länder dem göttlichen Herzen Jesu geweiht. Darum stellen die Bischöfe ihre Diözesen unter die Obhut des göttlichen Herzens. Darum gibt es bald keine Pfarrei, keine Gemeinde mehr, die nicht dem Herzen Jesu sich geweiht hätte. Möge diese Weihe jedes Jahr erneuert werden! Möge jeder einzelne dem liebevollsten Herzen sich schenken! Denn "es ist in keinem anderen Heil; es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, wodurch wir selig werden sollen, als der Name unseres Herrn Jesu Christi" (Apostelg. 4,12).
"O Herz des Erlösers, ich weihe mich dir!
Dein Bild ist die Fahne, die wähle ich mir,
Mit Dornen und Wunden, mit strömendem Blut,
Mit ragendem Kreuze, mit flammender Glut!
O Herz, von der Gottheit zum Tempel erwählt,
Den Herzen der Menschen geschenkt und vermählt,
Ich schenke mein Herz dir für ewige Zeit,
Dein ist es, dein bleib´ es in Freude und Leid!"
(entnommen aus: Der Weg zum Glück, von Franz Xaver Wetzel, Stadtpfarrer und Dekan, Approbation 1922)