Vollkommene Reue

Es gibt zwei Arten der übernatürlichen Reue, die vollkommene und die unvollkommene; die erstere ist die Reue des liebenden Sohnes, die andere die Reue des zitternden Knechtes; die erstere stammt aus der reinen, uneigennützigen Liebe zu Gott, die andere kommt vorzüglich aus der Furcht Gottes, aus der Furcht vor seiner unendlichen Gerechtigkeit.
In der vollkommenen Reue liebt der Mensch seinen Gott über alles und darum tut es ihm unendlich leid, dass er ihn beleidigt hat; in der unvollkommenen Reue fürchtet der Mensch seinen Gott und Herrn, zittert und bebt vor der schweren Strafe, die die Sünde zur Folge hat.
Betrachten wir nun die vollkommene Reue wegen ihrer Wichtigkeit etwas eingehender.
Die vollkommene Reue ist ein gar kostbarer goldener Himmelsschlüssel. Die schließt dir, wenn du nur willst, jeden Tag und jeden Augenblick den Himmel auf, wenn der Höllennagel der Todsünde ihn dir versperrt hat.
Ja es kann zuletzt beim Scheiden aus diesem Leben so kommen, dass der Priester, der Schlüsselträger der göttlichen Barmherzigkeit, nicht bei dir ist. Alsdann hast du als letzten Himmelsschlüssel einzig und allein die vollkommene Reue; damit kannst du dir dann mit Gottes gnadenhilfe noch den Himmel öffnen, wenn du das im Leben gelernt und geübt hast. Sicher sind durch die vollkommenen Reue unzählige Seelen im Himmel, die ohne sie verloren gewesen wären.
Darum sagte der gelehrte und fromme Kardinal Franzelin: "Könnte ich als Prediger die Lande durchziehen, von nichts würde ich öfters predigen als von der vollkommenen Reue."
Petrus hat den Heiland verleugnet; er ging in die Nacht hinaus "und weinte bitterlich". Warum weint Petrus? Nicht weil er denkt: Ach, wie muss ich mich jetzt schämen vor meinen Mitaposteln (dann wäre seine Reue eine bloß natürliche, wertlose gewesen)! Auch nicht, weil er fürchtet, sein göttlicher Meister werde ihm nun wohl das Apostelamt, gar das Oberhirtenamt, wie er es verdient, nehmen und ihn völlig ausschließen von seinem Reiche (dann wäre seine Reue recht, aber nur unvollkommen gewesen). Aber nein, er bereut und beweint seine Sünde hauptsächlich darum, weil er seinen lieben Meister, der so gut, heilig und liebenswürdig war, beleidigt und ihm seine übergrosse Liebe mit Undank gelohnt hatte; siehe, da hatte er wahre, vollkommene Reue.
Ein preiswürdiges Muster der vollkommenen Reue war auch die Sünderin Maria Magdalena. Siehe, es ist nicht die Furcht, welche sie erschüttert; nein, es ist die Liebe, welche sie antreibt, zu den Füßen Jesu sich niederzuwerfen. Und diese Liebe und Schmerz über die Sünden ist über alles gross. Sie scheut nicht die anwesenden Gäste, sondern ungerufen sucht sie Jesum auf, sie fürchtet nicht den Spott des Pharisäers, sondern voll Demut kniet sie zu den Füßen des Herrn und bekennt sich öffentlich als Sünderin. Sie kümmert sich nicht um die Verachtung, mit der die Anwesenden auf sie blicken, sondern sie seufzt nach Vergebung; sie sieht und hört nichts, sondern hat nur ihre Sünden vor Augen. Mit einem Strom von Tränen benetzt sie die Füße Jesu und trocknet sie ab mit ihren Haaren. Die rieselnden Tränen sind das Blut der trauernden Seele. Das ist eine vollkommene Reue, das ist in Wahrheit eine Liebesreue; darum spricht auch der Heiland das beglückende Wort: "Ihr werden viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat." Diese Reue und Liebe verließ Magdalena nie mehr. Erblicken wir sie nicht unter dem Kreuze Jesu auf Golgatha, wo sie mitten unter den höhnenden Feinden das Kreuz des Herrn umfasst und von dem herabträufelnden Blute sich betauen lässt? Erzählt uns nicht die Legende, dass sie nach der Himmelfahrt des Herrn nach dem südlichen Frankreich gewandert sei, und dass sie daselbst 30 Jahre lang als Einsiedlerin in einer Höhle wohnte, um für ihre bereits vergebenen Sünden zu büßen? Fürwahr, dies war eine vollkommene Reue, es war die Reue aus Liebe, welche nichts anderes mehr kennt und sucht als Jesum, und zwar Jesus den Gekreuzigten. Glücklich die Seele, die sich zu einer solchen Reue erschwingt!
Bereue auch du mein Christ, wie Petrus und Magdalena, deine Sünden. Gott hat dir zahllose Wohltaten erwiesen, mehr als du Haare auf deinem Haupte hast. Er ist die Liebe, erzeige ihm Gegenliebe.
"Lasset uns also Gott lieben, weil er uns zuerst geliebt hat" (1. Joh. 4,19).
Mit ewiger Liebe, spricht der Herr, habe ich dich geliebt und mich deiner erbarmt und dich an mich gezogen (Jer. 31,3). Er hat dir Leben und Gesundheit gegeben und alle natürlichen Wohltaten und hat seinen eingeborenen Sohn dahingegeben, um dir den Himmel wieder zu erschließen. An dich hat er gedacht in inniger Liebe, als er Todesangst litt am Ölberg, und als er blutete unter den Geisselstreichen und der Dornenkrone, und als er das schwere Kreuz den langen bittern Todesweg hinaufschleppte, und als er in namenloser Qual am Kreuz verblutete - da hat er immer an dich gedacht mit ewiger Liebe. Und er hat dich an sich gezogen durch die Taufe, den hl. Glauben und die hl. Sakramente und zahllose Gnaden.
Ja, du schwimmst gleichsam in einem Meer der Güte und Liebe Gottes!
Und du hast ihm Undank entgegengebracht. Aber jetzt willst du den bisherigen Undank durch um so grössere Liebe gegen deinen so grossen und liebevollen Wohltäter ersetzen.
Siehe, da hast du vollkommene Reue, die Reue aus Liebe zu Gott, die Liebesreue.
Eine höhere Art und Weise der Liebesreue hat der Christ dann, wenn er Gott liebt, weil er in sich unendlich schön, herrlich vollkommen und der Liebe würdig ist, ganz abgesehen von seiner erbarmungsreichen Liebe gegen uns.
Die vollkommene Reue bewirkt beim Sünder jedesmal und sofort Verzeihung der Sünden, bevor er noch das Bußsakrament empfängt; er muss dabei aber den Willen haben (dieser Wille ist in der vollkommenen Reue von selber eingeschlossen), die Sünden später zu beichten; und da wirkt die vollkommene Reue nicht etwa bloß in Todesgefahr, sondern jedesmal, wenn man sie im Herzen erweckt. Es wird alsdann dem Sünder die Höllenstrafe erlassen, aus einem Feind wird ein Kind Gottes, erbberechtigt für den Himmel, und die früheren Verdienste leben wieder auf.
Beim Gerechten sichert und vermehrt die vollkommene Reue den Gnadenstand, tilgt die lässlichen Sünden, sie tilgt namentlich die Sündenstrafen, befestigt und kräftigt die Seele in der treuen, beharrlichen Liebe zu Gott.
Nun kannst du sagen: "Wenn die vollkommene Reue schon die Sünden tilgt, wozu sie dann noch beichten?" Es ist wahr, die vollkommene Reue wirkt, was das Bußsakrament wirkt, Vergebung der Sünden; aber das wirkt sie nicht unanbhängig vom Sakrament der Buße. Man muss nämlich den Willen haben, die durch die vollkommene Reue getilgten Sünden später zu beichten; denn alle, wenigstens alle schweren Sünden, müssen gebeichtet werden; das hat Christus nun einmal so angeordnet, daran lässt sich nichts ändern. Würde einer diese durch die vollkommene Reue vergebenen Sünden später nicht beichten wollen, dann lebten zwar diese Sünden nicht mehr auf, aber er würde doch den Gnadenstand wieder verlieren, eben weil es die Beichtpflicht nicht erfüllt.
Doch ist es nicht streng nötig, aber ratsam, sobald als möglich zu beichten, weil du dann sicherer bist, Verzeihung erlangt zu haben und weil das Sakrament der Buße noch andere grosse Gnaden, sakramentale Gnaden des Beistands bringt.
Die vollkommene Reue ist wichtig im Leben und im Sterben. Der Gnadenstand ist für den Christen so ungemein wichtig und notwendig. Die heiligmachende Gnade ist der Zauberstab, der alles in Gold verwandelt, in das Gold der himmlischen Verdienste.
Die Beichte ist nun das eigentliche und ordentliche Mittel zur Erlangung der heiligmachenden Gnade. Aber dieses Mittel ist nicht immer zur Hand, und da hat uns Gottes Güte noch ein anderes ausserordentliches gegeben und das ist eben die vollkommene Reue.
Wenn du zu Bette gehst und hast eine Todsünde, dann erwecke die vollkommene Reue und du kannst dich ruhig niederlegen.
Wie traurig steht es mit einem armen Christen, der die vollkommene Reue nicht kennt und nicht übt! Er legt sich mit der Todsünde nieder und steht mit ihr auf, und lebt so dahin bis zur nächsten Beichte. Ferner, wenn der Christ vor dem Empfang eines Sakramentes, z.B. der Firmung, der Ehe, sich schwerer ungetilgter Schuld bewusst ist, kann er sich noch durch Erweckung der vollkommenen Reue für den Empfang würdig machen. Nur bei der hl. Kommunion wäre das nicht hinreichend, da müsste er zuerst beichten.
Die häufige Übung der vollkommenen Reue ist aber auch wichtig für den Christen im Gnadenstand. Zunächst sind wir nie ganz sicher, ob wir im Zustand der heiligmachenden Gnade sind. Diese Sicherheit wird aber durch jeden Akt wahrer vollkommener Reue vermehrt und erhöht.
Gar oft zweifelt sodann der Christ, ob er in eine Versuchung eingewilligt habe; diese Unsicherheit wirkt lähmend auf das freudige Schaffen im Dienste Gottes. Was tun? Nachgrübeln, ob du eingewilligt hast oder nicht? Das hätte keinen Zweck. Erwecke vollkommene Reue, dann bist du sicher.
Wenn wir aber auch die menschenmögliche Gewissheit haben, dass wir im Stande der Gnade sind, wie kostbar ist auch alsdann die vollkommene Reue!
Durch jeden Akt vollkommener Liebe und Reue wird nämlich der Gnadenstand in der Seele vermehrt, und ein Grad Wachstum an Gnade ist mehr wert als alle Reichtümer der Welt.
Durch jeden Akt vollkommener Liebe und Reue werden lässliche Sünden und Fehler, die Flecken der Seele getilgt, und die Seele wird immer schöner vor Gott.
Durch jeden Akt vollkommener Liebe und Reue werden zeitliche Strafen der Sünden getilgt. Denken wir nur an Magdalena, von ihr sagt der Heiland (Luk. 7,47): "Ihr wird viel verziehen, weil sie viel geliebt hat." Wir schätzen in dieser Hinsicht die Ablässe, guten Werke, Almosen so hoch, und mit Recht; aber hier ist mehr, hier ist die Liebe, die "Königin der Tugenden".
Durch jeden Akt vollkommener Liebe und Reue befestigt sich endlich der Christ immer mehr im Guten, wird standhafter gegen das Böse, so dass er die grosse Endgnade der Beharrlichkeit erhoffen darf.
Ganz besonders aber ist die vollkommene Reue notwendig in Todesgefahr. Vielleicht ist´s zu spät, bis der Priester kommt, oder du kannst überhaupt keinen haben, dann erwecke sofort die vollkommene Reue. Du brauchst keine lange Zeit, sie kann in einem Augenblick die Seele ergreifen und erfüllen.
Dann aber ist in so ausserordentlichen Fällen die Gnade Gottes wirksamer und der Geist regsamer.
Diese Barmherzigkeit aber, die du deiner eigenen Seele in Todesgefahr erweisest, die musst du auch deinem Mitchristen erweisen, wenn´s dem so passiert. Wie geht´s da oft unverständig zu bei so einem Unglücksfall! Die Leute rennen herbei, stehen ratlos und jammernd herum, schreien durcheinander, laufen um den Doktor, um den Pfarrer, um Wasser, um das Hausmittel für alles, während der Sterbende schon die letzten Züge tut, - vielleicht, ach, niemand ist, der sich der armen unsterblichen Seele erbarmt und sie in den wenigen kostbaren Augenblicken durch Vorbeten der vollkommenen Reue vielleicht noch für die Ewigkeit rettet. Geh du in einem solchen Falle ruhig und besonnen an den Kranken, Verunglückten, Sterbenden hin, halte ihm, wenn sich´s machen lässt, das Kruzifix vor Augen, fordere ihn mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme auf, er solle im Herzen mitdenken, mitbeten, was du ihm jetzt vorbetest, und dann sprich ihm langsam und deutlich das Reuegebet vor, auch wenn es scheint, als ob er nichts höre oder verstehe. Da hast du dann ein überaus gutes Werk getan, und der Sterbende wird´s dir im Himmel danken in alle Ewigkeit. - Ja, sogar einem sterbenden Andersgläubigen könntest du auf diese Weise helfen; ohne zu ihm vom Beichten zu sprechen, erwecke mit ihm einen Akt der Liebe Gottes, der Liebe zum gekreuzigten Heiland und dann bete ihm langsam das Reuegebet vor.
Im einzelnen merke dir:
Erwecke jeden Abend beim Abendgebet andächtig die vollkommene Reue. In einigen Minuten ist´s geschehen.
Erwecke sodann Reue jedesmal, wenn du eine schwere Sünde begangen hast.
Erwecke sie in der Todesstunde, auch wenn du schon mit den hl. Sterbesakramenten versehen bist.
Erwecke auch sonst öfter die vollkommene Reue, denn sie ist ein kostbarer, goldener Himmelsschlüssel!
Vollkommene Liebe und Reue.
(Nach dem hl. Franz Xaver)
O Gott, von Herzen lieb ich Dich,
Nicht, dass Du gnädig rettest mich,
Noch weil Du, die nicht lieben Dich,
Mit Feuer strafest ewiglich.
O Jesus, Du hast gänzlich mich
Am Kreuz umschlungen inniglich,
Du trugst die Nägel, trugst den Speer
Und viele Schmach und Leiden schwer.
Und Schmerzen ohne Zahlen
Und blut´gen Schweiss und Qualen
Und Tod. Dies trugst Du all für mich,
Für mich, den Sünder, gnädiglich.
Wie sollt´ ich denn nicht lieben Dich,
Dich, Jesus, der so liebte mich? -
Nicht, dass Du einst beseligst mich
Und ewiger Pein entreißest mich.
Nein, so wie Du geliebet mich,
So lieb und will ich lieben Dich,
Allein, weil Du mein König bist,
Allein, nur weil mein Gott Du bist.
(entnommen aus: Friedensklänge, von Anton Steeger, Priester, Imprimatur, Monachii, 1. V. 1919)