Die Urkirche feiert Eucharistie

Taufe und Eucharistie standen im Mittelpunkt des urkirchlichen Gottesdienstes. Wo die Taufe einem Erwachsenen gespendet wurde, führte man ihn sofort auch zum eucharistischen Mahl. Da man in der ältesten Zeit noch keine eigenen Gotteshäuser hatte, versammelte man sich im Haus eines Christen. Einen anschaulichen Bericht über eine solche gottesdienstliche Feier bringt Justin, der Märtyrer. Er war ein gelehrter Christ, der einer griechischen Familie in Palästina entstammte. Unter Kaiser Marc Aurel wurde er im Jahre 165 ein Opfer der Christenverfolgung.
Alle, die sich von der Wahrheit unserer Lehren und Aussagen überzeugen lassen, die glauben und versprechen, daß sie es vermögen, ihr Leben danach einzurichten, werden angeleitet, zu beten und unter Fasten Verzeihung ihrer früheren Vergehen von Gott zu erflehen. Auch wir beten und fasten mit ihnen. Dann werden sie von uns an einen Ort geführt, wo Wasser ist, und werden neu geboren in einer Art von Wiedergeburt, die wir auch selbst an uns erfahren haben; denn im Namen Gottes, des Vaters und Herrn aller Dinge, und im Namen unseres Heilandes Jesus Christus und des Heiligen Geistes nehmen sie alsdann im Wasser ein Bad. Christus sagte nämlich: "Wenn ihr nicht wiedergeboren werdet, werdet ihr in das Himmelreich nicht eingehen." Damit wir also nicht Kinder der Unwissenheit bleiben, sondern Kinder der Einsicht werden, auch der Vergebung unserer früheren Sünden teilhaftig werden, wird im Wasser über dem, der nach der Wiedergeburt Verlangen trägt und seine Vergehen bereut hat, der Name Gottes, des Allvaters und Herrn, ausgesprochen. Es heißt aber dieses Bad Erleuchtung, weil diejenigen, die das an sich erfahren, im Geiste erleuchtet werden. Aber auch im Namen Jesu Christi, des unter Pontius Pilatus Gekreuzigten, und im Namen des Heiligen Geistes wird der, welcher die Erleuchtung empfängt, abgewaschen.
Wir aber führen nach diesem Bad (= der Taufe) den, der gläubig geworden und uns beigetreten ist, zu denen, die wir Brüder nennen, dorthin, wo sie versammelt sind, um geimeinschaftlich für uns, für den, der erleuchtet worden ist, und für alle andern auf der ganzen Welt inbrünstig zu beten, damit wir, nachdem wir die Wahrheit erkannt haben, gewürdigt werden, auch in Werken als tüchtige Mitglieder der Gemeinde und als Beobachter der Gebote befunden zu werden und so die ewige Seligkeit zu erlangen. Haben wir das Gebet beendet, so begrüßen wir einander mit dem Kusse. Darauf werden dem Vorsteher der Brüder Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gebracht; der nimmt es, sendet Lob und Preis dem Allvater durch den Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes empor und spricht eine lange Danksagung dafür, daß wir dieser Gaben von ihm gewürdigt worden sind. Ist er mit den Gebeten und mit der Danksagung zu Ende, so gibt das ganze Volk seine Zustimmung mit dem Wort "Amen". Dieses Amen bedeutet in der hebräischen Sprache soviel wie: Es geschehe! Nach der Danksagung des Vorstehers und der Zustimmung des ganzen Volkes teilen die, welche bei uns Diakone heißen, jedem der Anwesenden von dem verdankten Brot, Wein und Wasser mit und bringen davon auch den Abwesenden. Diese Nahrung heißt bei uns Eucharistie. Niemand darf daran teilnehmen, als wer unsere Lehren für wahr hält, das Bad zur Nachlassung der Sünden und zur Wiedergeburt empfangen hat und nach den Weisungen Christi lebt. Denn nicht als gemeines Brot und als gemeinen Trank nehmen wir sie; sondern wie Jesus Christus, unser Erlöser, Fleisch und Blut um unseres Heiles willen angenommen hat, so sind wir belehrt worden, daß die unter Danksagung geweihte Nahrung Fleisch und Blut jenes fleischgewordenen Jesus sei. Denn die Apostel haben in den von ihnen stammenden Denkwürdigkeiten, welche Evangelien heißen, überliefert, es sei ihnen folgende Anweisung gegeben worden: Jesus habe Brot genommen, Dank gesagt und gesprochen: "Das tut zu meinem Gedächtnis, das ist mein Leib", und ebenso habe er den Becher genommen, Dank gesagt und gesprochen: "Dieses ist mein Blut", und er habe nur ihnen davon mitgeteilt.
Wir aber erinnern einander immer hieran, helfen, wenn wir können, allen, die Mangel haben, und halten einträchtig zusammen. Bei allem aber, was wir zu uns nehmen, preisen wir den Schöpfer des Alls durch seinen Sohn Jesus Christus und durch den Heiligen Geist. An dem Tag, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder auf dem Land wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel (= die Evangelien) oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange es angeht (man las also fortlaufende, nicht wie heute vorher festgelegte Texte der Schrift). Hat der Vorleser aufgehört, so gibt der Vorsteher in einer Ansprache eine Ermahnung und Aufforderung zur Nachahmung all des Guten. Darauf erheben wir uns alle zusammen und senden Gebete empor. Und wenn wir mit dem Gebet zu Ende sind, werden Brot, Wein und Wasser herbeigeholt, der Vorsteher spricht Gebete und Danksagungen mit aller Kraft, und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt. Darauf findet die Ausspendung statt, jeder erhält seinen Teil von dem Konsekrierten; den Abwesenden aber wird es durch die Diakone gebracht. Am Sonntag aber halten wir alle gemeinsam die Zusammenkunft, weil er der erste Tag ist, an welchem Gott durch Umwandlung der Finsternis und des Urstoffes die Welt schuf, und weil Jesus Christus, unser Erlöser, an diesem Tag von den Toten auferstanden ist.
(Justin der Märtyrer)
(entnommen aus: Kirchengeschichte aus erster Hand - Berichte von Augenzeugen und Zeitgenossen)