- Gottes enge Pforte -

Die Gnade der Aufnahme Mariens in den Himmel

   
   
   

   1. Am 15. August eines jeden Jahres feiert die hl. Kirche, mit einer Prachtentfaltung und Freudigkeit erster Klasse, das Andenken an die Aufnahme der gebenedeiten Gottesmutter Maria in den Himmel. Die Predigt, durch welche der hl. Kirchenlehrer Bernard (+ 1153) dieses Fest verherrlicht hat, ist so schön und weihevoll, daß seine Worte gerade diesen Platz, wo von dem letzten, besonderen Vorzuge, von dieser Aufnahme die Rede ist, würdig zu zieren vermögen. Darin heißt es: "Als die Jungfrau am heutigen Tage zum Himmel glorreich emporstieg, hat sie gewiß die Freude aller Seligen im Himmel mit unzählbaren neuen Freuden vermehrt. Denn sie ist es ja, deren grüßende Stimme die noch Nichtgeborenen im Mutterleibe vor Freude aufhüpfen (Johannes des Täufers). Wenn schon die Seele des ungeborenen Kindes jubelte vor Freude, als dasselbe Maria sprechen hörte, wie groß muß der Jubel der Himmlischen gewesen sein, als sie ihre Stimme zu hören, ihr Angesicht zu schauen und ihrer beseligenden Gegenwart sich zu erfreuen gewürdigt waren! Welchen Anlaß zur festlichen Feier, welche Ursache zum Freuen, welchen Stoff zum Jubeln haben aber wir bei ihrer Himmelfahrt? Durch die Gegenwart Mariens wird die ganze Welt verherrlicht und das himmlische Vaterland sogar schimmert heller, seitdem der Lichtglanz der jungfräulichen La,pe es durchstrahlt. Mit Recht erschallt in den Höhen das Lied des Dankes und der Sang des Lobes. Wir jedoch, so scheint es, haben mehr Ursache zu jammern als zu frohlocken; oder ist es nicht folgerichtig, daß wir auf der dornigen Erde über ihre Abwesenheit in dem Grade trauern, in welchem der Himmel über ihre Gegenwart jubelt? Fort mit jeder Klage! Wir haben ja keine bleibende Stätte hier, sondern müssen jener zueilen, in welche die gebenedeite Maria heute gekommen ist; und es ist höchst geziemend, daß auch wir, obschon verbannt an die Flüsse Babylons, innigen Anteil nehmen an der Festfreude der Himmlischen, in ihren Jubel einstimmen und froh trinken die Wonnetropfen, welche von dem Überfluß in der Stadt Gottes auf unsere Erde herabfallen. Unsere Königin ist vorausgegangen, und ist dortoben glorreich aufgenommen worden; darum wollen wir arme Diener unserer Herrin nachschreien: 'Ziehe uns empor zu dir, dem Wohlgeruch deiner Salben wollen wir in Eile folgen!' Wir Pilger haben unsere Fürsprecherin vorausgesendet; und sie wird als die Mutter des Richters und als die Mutter der Barmherzigkeit, die Angelegenheiten unseres Heiles durch ihre Bitten bestens besorgen. Ein kostbares Geschenk hat unsere Erde heute zum Himmel hinaufgeschickt, damit durch Geben und Empfangen Göttliches und Menschliches, Himmlisches und Irdisches durch ein beglückendes Freundschaftsband enger verbunden werden usw."

   

   2. Welch ausnehmend große Gnade für Maria ihre glorreiche Aufnahme in den Himmel ist, hat der hl. Kirchenlehrer Peter Damian (+ 1072) vortrefflich beleuchtet durch den Vergleich, in welchem er den großen Unterschied zwischen der Auffahrt Jesu in den Himmel und zwischen der Aufnahme Mariä in den Himmel hervorhebt. "Betrachte", bittet er dich, "betrachte mit den Augen des Geistes den auffahrenden Sohn und die aufgenommen Mutter; und du siehst deutlich, daß in der Auffahrt des göttlichen Sohnes etwas herrlicher sich dir darstellt, dagegen in der Aufnahme der jungfräulichen Mutter etwas glorreicher. Jesus, der Erlöser, steigt in den Himmel auf in der Macht und Herrlichkeit seiner Kraft, als der Herr und Schöpfer, begleitet von den Ihm huldigenden Engeln, aber nicht unterstützt von deren Hilfe; Maria wird aufgenommen in den Himmel, aber - zum Zeichen der emporhebenden Gnade - unter dem Geleite und mit Hilfe der Engel; denn die Gnade und nicht die Natur hob sie empor. Darum wird dieser Tag 'Aufnahme', jener 'Auffahrt' genannt. Etwas anderes ist die Macht und etwas anderes ist die Barmherzigkeit. Nur der Schöpfer besitzt das alleinige Privilegium über die Natur der Dinge durch seine eigene Macht hinauszugehen. Dies ist das Herrlichere, die größere Erhabenheit, durch welche der Schöpfer über dem Geschöpfe steht und nach welcher auch die überfließende und ganz einzige Gnade zu streben nicht wagen darf.

   Wenn wir fortfahren, die Auffahrt des Sohnes und die Aufnahme der Mutter aufmerksam zu betrachten, so entdecken wir etwas sehr Erfreuendes. Siehe, dem auffahrenden Herrn kam die ganze glorreiche Gesellschaft der himmlischen Geister entgegen, da Er die niedrigere (die menschliche) Natur über die höhere erhob und durch ein unabänderliches Geheimnis den in sich aufgenommenen Menschensohn in einer und derselben Person seiner Gottheit umschloß. Mit den Ihm entgegenkommenden Engeln vereinigte Er die Seelen der Auserwählten, die Er mit sich führte, und so sitzt Er, von beiden zum Vater im Triumph begleitet, zur Rechten der Majestät.

   Beschaue nun die Aufnahme der Jungfrau und dann wirst du wahrnehmen, daß der ihr entgegenkommende Festzug bedeutend glorreicher ist; denn Ihm, dem Erlöser, konnten nur die Engel entgegenkommen; der Mutter aber kam der Sohn selbst mit dem ganzen himmlischen Hofe der Engel und der Gerechten feierlich entgegen, führte sie in den himmlischen Palast und erhob sie auf den Königlichen Thron der Glorie."

   

   3. Nicht übersehen werden darf die außerordentliche Gnade, daß die Seele und der Leib Mariä gleichzeitig in den Himmel aufgenommen worden sind. Die hl. Schrift schweigt zwar vollständig über die vier letzten, wie für jeden Nachkommen Adams so auch und insbesondere für Maria, die Jungfrau und Gottesmutter, überaus wichtigen Dinge: über den Tod, über das Gericht, und über den Urteilsspruch des Richters, der Lohn oder Strafe, Himmel oder Hölle dem Gerichteten zuerkennt. Sie schreibt uns durch keinen Glaubensartikel vor, was wir bezüglich des Todes, des Gerichtes und des Urteils Jesu über seine und unsere Mutter für wahr halten müssen, weil die eigene Vernunft, das eigene Denken und Empfinden, sowie die Natur der Sache selbst das Wahre und Richtige zeigt. Die hl. Schrift rühmt, daß Jesus Priester sei auf ewig nach der Weise des Melchisedech (vgl. Hebr. 5,6) und berichtet von diesem Melchisedech nur das wenige, daß der König von Salem (Jerusalem) und ein Priester des höchsten Gottes gewesen, Brot und Wein geopfert, und den Abram, den Sieger über den König Chodorlahomor und dessen Bundesgenossen gesegnet habe (vgl. 1. Mos. 14,18 ff.); aber sie sagt kein Wort von den Tugenden, Taten und Werken der Frömmigkeit desselben. Es genügt ja vollkommen zu wissen, daß er das Vorbild Jesu Christi gewesen ist. So rühmt uns die hl. Schrift das Leben Mariens im Alten Bunde und im Evangelium großartig genug, daß wir an ihrem ganz schmerzfreien Tod, und an ihrer höchst glorreichen Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel gar nicht zweifeln können. Die gegenteilige Behauptung, daß Jesus, ihr Sohn, nachdem Er selbst mit Leib und Seele in wunderbarer herrlicher Verklärung in den Himmel aufgefahren, den Leib seiner gnadenvoller Mutter der gemeinsamen Fäulnis und den Zähnen der Würmer preisgegeben habe, wäre eine empörende Lästerung seiner göttlichen Allmacht und seiner kindlichen Ehrfurcht. Nicht auffallend, aber doch bemerkenswert ist die Tatsache, daß kein Land, keine Stadt, keine Familie jemals sich gerühmt hat, eine Reliquie vom Leibe der Mutter Gottes, ihr Haupt oder einen Arm, eine Hand oder einen Finger zu besitzen.

   In einer Rede, welche dem hl. Augustinus zugeschrieben wird, heißt es: Da Jesus seine Mutter in ihrer unversehrten, jungfräulichen Reinheit erhalten hat, warum hätte er sie nicht auch unverweslich vor der Fäulnis bewahren wollen? Wer die Gedanken Gottes kennt und in seine Ratschlüsse eingeweiht ist, mag entscheiden, ob es sich für die Liebe und Güte des göttlichen Sohnes gezieme, die Ehre seiner Mutter zu wahren, da Er sagt: "Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen!" Indem nun das Gesetz die Ehrung der Mutter vorschreibt, verdammt es die Entehrung derselben. Die Fäulnis und die Würmer aber sind eine Schändung des menschlichen Zustandes. Wenn kein Kirchenlehrer an der Macht Jesu zweifelt, seine Mutter für immer unverweslich zu bewahren, wer hat ein Recht, an seiner Güte zu zweifeln, daß Er sie durch die besondere Gnade, auch ihren Leib zugleich mit der Seele in den Himmel aufzunehmen erfreut habe? Gott hat die Jünglinge im Feuerofen zu Babylon durch seine Gnade ausgezeichnet, daß nicht bloß ihre Leiber, sondern auch ihre Kleider von den prasselnden Flammen unversehrt blieben: warum sollte Er dem Leibe der eigenen Mutter versagen, was Er fremden Kleidern getan? Den Propheten Daniel hat Er geschützt wider den rasenden Hunger der Löwen: die Königin der Propheten aber, seine liebeswürdigste Mutter sollte Er nicht geschützt haben wider die Verwesung! Fürwahr - gewiß hat sich an jenem 15. August, dessen Andenken die Christenheit alljährlich mit besonderer Freude feiert unter dem uralten Titel "der hohe Unsererfrauentag" die Weissagung Mariens: "Großes hat an mir getan, der da mächtig ist; die Gewaltigen stürzt er vom Throne und erhöht die Niedrigen!" vollkommen erfüllt bei ihrer gnaden- und glorreichen Aufnahme des Leibes und der Seele in den Himmel. Ja, Maria, o unsere Mutter! Das angefangene Wunder deiner Weissagung im Gebirge Judäa, als du im 15. Frühlinge deines Erdenlebens blühtest, und dann auf dem Berge Sion in Jerusalem durch die Gnade deiner glorreichen "Himmelfahrt" zum vollendeten Wunder geworden. Darüber sind wir, deine Kinder, hocherfreut und wir sprechen dir die Empfindung unseres Herzens und den Inhalt unserer Gratulation aus in dem Frohlocken:

   

   O lieblichstes der Feste
   "Mariä Himmelfahrt!"
   Das uns als Freudengäste
   Um dich, o Mutter schart!
   Wir seh´n von Glanz umgeben
   Dich höher, höher zieh´n!
   Wie unsre Herzen beben!
   Wie unsre Seelen glüh´n!
   
   "Die Mutter ist im Himmel!"
   So klingt´s beim Festgeläut
   Aus deiner Kinder Herzen
   Voll heißen Heimwehs heut.
   Die Engelchöre holten
   Heim ihre Königin
   Und führten sie voll Jubel
   Zum Throne Gottes hin.
   
   Du, Mutter, bist im Himmel;
   Doch in der Glorie Licht
   Vergissest du uns Kinder
   Im Tal der Tränen nicht!
   Es schlägt dein Herz für alle
   So warm, so weich, so wahr
   Und Trägt, daß keines falle,
   So treu uns immerdar!
   (Nach Wöhler)
   
   
   Das Fest Mariä Himmelfahrt

   Es ist dies das Hauptfest unter den Marientagen und wird in der ganzen Kirche am 15. August feierlichst begangen. In der kirchlichen Sprache heißt es eigentlich, nicht wie wir im Deutschen unrichtig sagen, Mariä Himmelfahrt, sondern Mariä Aufnahme (in den Himmel), da ja nur Christus der Gottessohn aus eigener göttlicher Kraft in den Himmel aufgefahren, seine Mutter aber von Ihm dorthin, mit Leib und Seele erhoben, aufgenommen wurde. Auch über den Gegenstand dieses Festes, der eigentlich ein zweifacher, der selige Hinscheid und die himmlische Verherrlichung der Gottesmutter ist. Wir geben hier nur kurz den Bericht, wie ihn Nicephor in seiner Kirchengeschichte 15,14 als die Tradition der Kirche von Jerusalem übermittelt: "Juvenalis, Bischof von Jerusalem, welcher mit den übrigen Bischöfen Palästinas auf der Synode zu Chalcedon (451) war, habe dem Kaiser Marcianus auf die Frage, ob der heilige Leib der Mutter Gottes noch in Palästina in dem Grabe liege, wohin er gelegt worden sei, da er denselben in die neue, von seiner Gemahlin Pulcheria zu Konstantinopel in den Blachernen der hl. Jungfrau Maria zu Ehren gebaute Kirche übertragen wolle, zur Antwort gegeben: 'In der hl. Schrift werde zwar der Tod Marias nicht erwähnt, aber gemäß einer sehr alten und ganz zuverlässigen Tradition seien die Apostel, als der Tod Marias herangenaht, aus den verschiedenen Ländern, in welchen sie das Evangelium predigten, nach Jerusalem gekommen ... und ihr Sohn (Jesus) sei dazu gekommen und habe ihren Geist aufgenommen; ihr heiliger Leib aber sei in Gethsemane unter dem Gesange der Engel und Apostel begraben worden; als aber am dritten Tage das Grab wieder geöffnet worden, habe sich ihr heiliger Leib nicht mehr vorgefunden, sondern nur die Leichentücher, welche einen unbeschreiblichen Wohlgeruch verbreitet hätten; die Apostel hätten alsdann das Grab wieder versiegelt und über dieses große Wunder bloß das gedacht, daß der Herr den unbefleckten Leib Marias vor der allgemeinen Auferstehung mit der Unsterblichkeit geehrt und durch die Engel in den Himmel habe bringen lassen.' Nachdem Juvenalis dies gesagt, hätten Marcianus und Pulcheria von ihm verlangt, daß er dasselbige heilige Grab mit den heiligen Kleidern wohlversiegelt ihnen nach Konstantinopel schicken möge. Juvenalis habe dann das Grab nach Konstantinopel geschickt und es sei in die Blachernä-Kirche neben den heiligen Tisch gestellt worden."

   Die Einführung des Festes selber soll nach einigen Berichten Papst Damasus I. (366-384) vorgenommen haben. Jedenfalls ist dieses Fest eines der ersten Marienfeste auch der Zeit nach und es wurde nach den alten Kalendarien zuerst getrennt gefeiert nach dem doppelten Festinhalt, nämlich am 18. Januar der Todestag und am 15. August die Aufnahme in den Himmel.

   

   (entnommen aus "Maria unsere Mutter" von Weiland P. Otto Bitschnau O.S.B. Kapitular des Stiftes Maria-Einsiedeln, Imprimatur 1909) 

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