Warum erschien Maria in Lourdes?
Ohne Zweifel ist Lourdes der meistbesuchte Gnadenort Mariens in Europa und sicher ereignen sich an keinem anderen Ort so viele Gnadenerweise an Leib und Seele wie an diesem Ort. Wenn wir uns fragen, warum hat die Gottesmutter gerade Lourdes dazu ausersehen, so heißt die klare Antwort darauf: weil Lourdes schon mehr als 1000 Jahre Eigentum Mariens ist, und sich die Grafen von Lourdes seit dem 9. Jahrhundert als Lehensherren der Gottesmutter betrachteten.
Zwei alte Schriftstücke seien hier angeführt von den vielen, die diese Tatsache immer wieder bestätigen.
Das erste Schriftstück ist die erste Aufzeichnung der alten Überlieferungen von Lourdes, die ein Mönch wahrscheinlich im 13. Jahrhundert gesammelt hat. Diese Pergamentaufzeichnung befindet sich im Archiv der Stadt Pau und es besteht kein Grund, den geschichtlichen Kern der Erzählung zu bezweifeln, wenn auch einige dichterische Ausschmückungen vielleicht dazugekommen sind.
"Als Karl der Große seine Eroberungen gegen Spanien hin fortsetzte, hatte er schon die ganze Grafschaft Bigorre mit Ausnahme des Schlosses Mirambel, das jetzt Lourdes heißt, eingenommen. Der Herr dieser Festung, namens Mirat, ein Sarazenenfürst, wollte sich keinem sterblichen Menschen ergeben, solange er das Schloß, das von drei Seiten her von Karl belagert war, auch nur noch einen Tag lang halten konnte. Karl, einer so langen Belagerung überdrüssig, wollte sie schon aufgeben, als der Bischof von Le Puy zu nehmen und ihre Hilfe anzurufen.
Da begann Unsere Liebe Frau ihre Wunder zu wirken. Ein Adler brachte einen großen lebenden Fisch auf den höchsten Punkt des Schlosses, den man noch den "Adlerstein" heißt. Mirat nutzte das Ereignis zu seinen Gunsten aus; er sandte den Fisch dem König und ließ ihm sagen, dass die Lebensmittel des Schlosses noch lange nicht erschöpft seien, wie der König glaube, da man im Schlossweiher noch solche Fische fange. Der König war darüber erzürnt, aber der Bischof von Le Puy, dem alles klar war, versicherte ihm, Unsere Liebe Frau fange an, ihre Wunder zu wirken. Er bat den König, ihm eine Unterredung mit Mirat zu gestatten, was der gern gewährte.
"Mirat", begann der Bischof, "wenn du dich dem großen Karl nicht ergeben willst, dem mächtigsten Herrn der Welt, so ergib dich wenigstens der erhabensten und edelsten Frau, die es jemals gab, der Mutter Gottes, die in Le Puy verehrt wird. Wenn du keinen Herrn anerkennen willst, erkenne wenigstens eine Herrin an. Ich bin ihr Diener, werde du ihr Ritter!" Mirat, bereits vom Gnadenstrahl getroffen, erwiderte darauf: "Ja, ich strecke die Waffen und ergebe mich mit allem, was ich habe, der Mutter des Herrn, Unserer Lieben Frau von Le Puy. Zu ihrer Ehre will ich Christ und ihr Ritter werden. Aber ich will es nur aus ganz freien Stücken tun und stelle die Bedingung, dass meine Grafschaft keinem andern Herrn als nur ihr allein unterworfen sei. Das soll gelten für mich und alle meine Nachkommen." Als Pfand seines Wortes gab er dem Bischof eine Handvoll Gras oder Heu von dem Boden, auf dem sie sich gerade befanden.
Der fromme König war hocherfreut, dass ein ungläubiger Fürst sich der Königin der Gläubigen ergeben wolle. Er hob die Belagerung auf, und Mirat zog mit seinen Mannen, die alle ein Heubüschel an der Spitze ihrer Lanze trugen, nach Le Puy. Dort angekommen, bestreute er den Boden der Kirche mit dem mitgebrachten Heu und ließ sich mit seinem ganzen Gefolge taufen. Bei der Taufe nahm er den Namen Lordus an, welcher Name später auf das Schloß überging (Lourdes).
Seit der Zeit des Mirat oder Lordus sind alle Grafen von Bigorre, seine Nachfolger, sobald sie zur Herrschaft gelangten, mit einem Teil ihres Adels zu Unserer Lieben Frau von Le Puy gepilgert, und zwar in der gleichen Weise wie Mirat selbst, nämlich mit Heubüschlein an der Spitze ihrer Lanzen, um damit den Boden der Kirche zu bestreuen. Dieser Brauch bestand bis zum Grafen Centullus, d. h. von ungefähr 800, der Zeit der Regierung Karls des Großen, bis zum Jahre 1118, da Centullus die Heubündel in eine Summe von 60 Sols Morlaas umwandelte, die er und seine Nachfolger jährlich zu entrichten hatten.
Das zweite Schriftstück ist die erste geschichtliche Urkunde aus dem Jahr 1062. In ihr ist festgelegt, dass Graf Bernhard I. nicht nur das Schloß Lourdes, sondern von jetzt ab die ganze Grafschaft Lourdes (auch Bigorre genannt) der Gottesmutter für ewige Zeiten als Lehensgut übergibt.

Die Urkunde
"Da die Welt einem häufigen Ruin unterworfen ist, wie es in der Natur der menschlichen Dinge liegt, welche ihrem Wesen nach vorübergehend und unbeständig sind, so hat mich das Gefühl meiner menschlichen Gebrechlichkeit bewogen, nicht nur über den letzten Tag, der meinen unvermeidlichen Tod schauen wird, sondern auch über die Tage, die ich gegenwärtig zu leben habe, und über meine und der Meinigen Angelegenheiten ernstlich nachzudenken.
Von diesem weisen Gedanken beseelt, habe ich, Graf, nicht durch meine Verdienste, sondern durch die Barmherzigkeit Christi von Gott Selbst - Er verfügt über alle Throne der Welt - mit der Grafschaft Bigorre belehnt, gegenwärtige sehr nützliche Verfügungen getroffen, nämlich die ganze obengenannte Grafschaft Gott dem Allmächtigen anzuvertrauen und mich selbst, wie auch alles, was von mir abhängig ist, dem Schutze und der Fürsorge der allerseligsten Jungfrau Maria zu empfehlen. Darum bin ich, Bernhard, Graf von Bigorre, in diesem Jahre 1062 der Menschwerdung des Herrn, da Petrus Bischof der Kirche von Anis ist, in der gesammten Kirche erschienen, um zu beten und um Gebete für das Heil meiner Seele und meines Leibes zu bitten. In Gegenwart der versammelten Kanoniker habe ich mich also in ihr immerwährendes Gebet empfohlen, und ich habe meine Person und die Gesamtheit meiner Grafschaft der Kirche von Anis, die der unbefleckten Jungfrau Maria geweiht ist, übergeben, damit die gütige Königin des Himmels, die Herrin der ganzen Welt, die Trösterin der Betrübten und Retterin der Sünder mich, ihren Diener, und alles, was mir unterworfen ist, beschirme, verteidige und befestige.
Ich verpflichte mich, während des ganzen Lebens, das mir der allmächtige Gott nach seinem Wohlgefallen schenken wird, der Kirche von Anis für mein Heil und meine Rettung als immerwährenden Vasallenzins sechzig Sols zu entrichten, die ich meinen Brüdern, den Kanonikern, die das Kapitel bilden, entweder selbst aushändigen werde oder werde aushändigen lassen.
Ich verpflichte nicht nur mich selbst, sondern zugleich meine ganze Nachkommenschaft, die verpflichtet sein soll, diese Vasallenschaft zu achten und auf immerwährende Zeiten zu meinem Gedächtnis und als Lehensschuld die genannten sechzig Sols zu entrichten.
Um diese im Geist der Frömmigkeit und Religion vollzogene Schenkung zu einer unwiderruflichen und immerwährenden zu machen, habe ich, Berhard, Graf von Bigorre, mit meiner Gemahlin, der Gräfin Clementia, gebeten, die vorliegende Urkunde auszufertigen zum Beweis der genannten Schenkung, und wir haben sie, damit sie unverletzlich sei, mit unserer eigenen Unterschrift bestätigt und bekräftigt.
Sollte jemand aus uns oder unserer Nachkommenschaft, oder wer auch immer unser Nachfolger in dem Grafentitel sei, mit dem Gott uns beehrt hat, es wagen, diese Schenkung zu mißachten, so sei er verflucht und unserem dauernden Fluche verfallen, bis er seinen Fehler wieder gutgemacht und Gott und der allerseligsten Jungfrau Maria, sowie der Kongregation der Kanoniker Sühne leistet."
Gezeichnet: Bernhard von Bazilliac, Wilhelm von Aster, Arnold Wilhelm (Zeugen).
All die Jahrhunderte wurde von den jeweiligen Grafen und später vom König von Frankreich der Tribut an die Marienkirche von Le Puy entrichtet. Nach der Französischen Revolution wird 1829 von den Bürgern von Lourdes zum letztenmal die ursprüngliche Huldigung durch "Blumen und Gras vom Felde des Grafen" dargebracht. Nach geltendem französischen Recht wären nach 30 Jahren, also 1859, die Rechte der Kirche von Le Puy erloschen. Da erscheint ein Jahr vorher, 1858, Maria als die "Unbefleckte Empfängnis", nimmt gleichsam Besitz von ihrem Eigentum und macht es zu einem Weltheiligtum, noch bedeutender und größer als Le Puy es je gewesen.
"Der Unbefleckten Jungfrau, der Herrin der ganzen Welt" hatte Graf Bernhard I. von Bigorre 1062 die ganze Grafschaft Lourdes geweiht.