Die Gnade des Beistandes oder die wirkliche Gnade

Das Evangelium des heiligen Matthäus 2. Kapitel 25. Vers u. ff. erzählt uns zwei Wunderbegebenheiten, in welchem wir Jesu göttliche Machtvollkommenheiten sehen. Zuerst heilt er eine Frau, welches zwölf Jahre am Blutfluss gelitten hatte, dann weckt er die Tochter eines Synagogenvorstehers vom Tode auf. Beide Wunderwerke sind ein schönes Bild eines jeden Menschen, wie er von der Sünde zur Gerechtigkeit, vom Tode des Seele zum Leben derselben gelangt - nämlich durch die Gnade, die von Jesus als eine wiederbelebende und am Leben erhaltene Kraft ausfliesst.
Diese Frau hatte, wie der heiliger Markus ausführlicher erzählt, Vieles von vielen Ärzten gelitten, und ihr ganzes Vermögen aufgewendet, ohne dass es mit ihr besser geworden wäre. Das ist das gänzliche Unvermögen des Menschen, der weder aus und durch sich, durch sein schwaches Vermögen, noch auch durch menschliche Hilfe, durch Lehren der bloßen Vernunft und Weisheit der Welt, zur Gesundheit des Geistes, zur Befreiung von der Sünde, in den Zustand der Gerechtigkeit kommen kann, er bedarf dazu einer göttlichen Einwirkung. Diese Frau bedurfte auch einer solchen Einwirkung. Wie gelangt sie aber dazu? Vorerst durch die zuvorkommende, dann durch eine hinreichende, endlich durch eine wirksame Gnade. Die zuvorkommende Gnade war es, dass sie von Jesus hörte, wodurch ihr die erste Veranlassung gegeben wurde, sich an ihn zu wenden; die hinreichende Gnade war der Entschluss, der in ihr entstand, sich zu Jesus zu begeben; die wirksame Gnade endlich war jener Antrieb, dem sie nicht mehr widerstand, sondern sich im tiefen Glauben Jesus näherte, und den Saum seines Kleides berührte, worauf ihre Heilung erfolgte.
Dies ist auch der gewöhnliche Gang, wodurch der sündhafte Mensch zum Stande der Gerechtigkeit oder zur heiligmachenden Gnade gelangt. Die Gnade kommt ihm dadurch zuvor, dass er vom Glauben, von der christlichen Gerechtigkeit, von der Unschuld und Tugend hört; nimmt er dieses Wort, diese Rede und Ermahnung auf, so verleiht ihm Gott einen weiteren, inneren Antrieb, der, wenn er ihm folgt, hinreicht, ihn zur Erkenntnis des Glaubens, zur Liebe der Tugend zu bringen, und auf diesen Antrieb erfolgt dann nicht selten eine solche Gnade, die ihn bestimmt, wirklich zu glauben, und die erkannte Tugend und Gerechtigkeit auszuüben, wodurch er von der Sünde geheilt wird.
Wie durch die blutflüssige Frau, so wird auch durch die vom Tode erweckte Tochter des Jairus ein, vielmehr jeder vom Tode der Sünde zum Leben der heiligmachenden Gnade erweckte Mensch darstellt. Jesus begibt sich selbst in das Haus der Toten, nicht als könnte er sie nicht in seiner Abwesenheit erwecken, sondern um recht augenfällig zu zeigen, dass Gott dem Menschen mit seiner Gnade zuvorkommen, dass seine Rechtfertigung von Gott den Anfang nehmen, dieser zuerst sich des Menschen annehmen müsse. Er weist den unnützen, lärmenden Haufen Menschen hinaus, und behält nur die Eltern der Verstorbenen und drei Jünger bei sich. So müssen wir auch den ersten Schritt zu unserer Bekehrung damit machen, dass wir jene unnützen Leute, Freunde und Bekannten entfernen, die unsern geistigen Tod nicht verstehen und nur beibehalten, was zu unserer Wiederbelebung gehört, gut und heilig ist. Jesus ruft der Toten zu. Da kehrte ihr Geist zurück, sagte der heilige Lukas, und sie stand sogleich auf, und wandelte umher. So besteht auch das Wesen der Bekehrung in der Zurückkehr des Geistes Gottes in unserer Seele, d.h. in der Wiedererlangung der heiligmachenden Gnade, die wir durch Jesu Macht empfangen, worauf wir aufstehen und wandeln in christlichen Tugenden. "Und Jesus befahl, ihr zu essen zu geben." So müssen wir, wenn wir einmal aufrecht stehen, auch gestärkt werden durch geistige Nahrung, damit wir aber nicht wieder zurückfallen in die vorigen Todesschwächen, in Sünde und Laster.
Wir sehen somit aus beiden Wunderbegebenheiten, wie uns zu unserer Bekehrung und Hinwendung zu Gott göttliche Hilfe und göttliche Unterstützung notwendig ist, notwendig auch dann, wenn wir die heiligmachende Gnade schon haben, damit wir sie nicht verlieren, sondern fähig sind zu jeglichem guten Werke. Diese göttliche Hilfe und Unterstützung ist aber die wirkliche Gnade.
Die wirkliche Gnade ist eine übernatürliche Hilfe, eine innerliche, von Gott kommende Kraft, wodurch wir in den Stand gesetzt werden, das Gute anzufangen, fortzusetzen und zu vollenden.
Durch die unglücklichen Folgen der Erbsünde hat der Verstand des Menschen sich verfinstert, er erkennt das Gute nicht, wie er es erkennen sollte; der Wille des Menschen ist so verkehrt, dass er am Guten kein standhaftes Wohlgefallen hat; die sittliche Kraft des Menschen ist so geschwächt, dass er für sich allein das Gute nicht vollkommen zustande zu bringen und nicht darin zu beharren vermag. Gehen wir nun einen Schritt weiter. Soll der Mensch seine Bestimmung erreichen, so ist es vor allem notwendig, dass er das Gute erkenne; denn wer sollte das tun können, was er nicht sieht und nicht erkennt? Es ist eben so, als wenn der Blinde ohne Führer einen ihm noch dazu unbekannten Weg gehen soll. Das ist nicht möglich! Es ist aber nicht genug, dass der Mensch bloß das Gute an sich erkenne, er muss auch erkennen, auf welche Art er es am besten zu vollbringen vermöge, wie er den Irrtümern in Ansehung der Wahrheit, den Reizen zur Sünde, den Täuschungen der Verführung und allen Gefahren geschickt entgehen könne. Ist aber dies schon hinreichend? Unsere eigene Erfahrung sagt: nein. Ach! am Wissen, Verstehen und Begreifen fehlt es uns nicht. Gut genug wissen wir, was wir zu tun haben, aber am Tun, an der Ausführung des Guten, an der Vollziehung desselben fehlt es. So seufzt selbst der heilige Paulus: "Ich tue nicht das Gute, das ich will (erkenne), sondern das Böse tue ich, das ich hasse." (Röm. 7, 15. 19.) Die Erkenntnis des Guten allein reicht also noch nicht hin, um es auch wirklich in Vollziehung zu setzen; es wird dazu noch etwas Mehreres erfordert, nämlich die Änderung unseres verkehrten Willens.
Der Wille muss nämlich auch ein Wohlgefallen am erkannten Guten finden, das Gute muss für uns einen gewissen Reiz erhalten, wir müssen es liebgewinnen, und angelockt von diesem Reize des Guten, müssen wir auch ein ernstliches Verlangen erhalten, dieses Gute, so uns wohlgefällt, auszuüben. Auch dafür spricht die Erfahrung. Wir erkennen z.B. diese oder jene Tugend, dieses oder jenes Werk der Frömmigkeit, wir können nicht anders, wir müssen sagen: Das ist gut, recht und schön; aber eine gewisse Gleichgültigkeit dagegen hält uns ab, es selbst zu tun. So gut, so schön diese oder jene Tugend ist, so ist doch etwas Gewisses in uns, welches uns den wahren Wert dieser Tugend vor unseren Augen verbirgt, und uns kein wahres Wohlgefallen daran finden lässt, weswegen wir uns auch keine sonderheitliche Mühe geben, es auszuüben. Es ergeht uns da wie einen Kranken. Er weiss, dass diese oder jene Speise gesund und kräftig sei, für ihn aber hat sie etwas Widerliches, er empfindet Ekel, wenn er sie nur ansieht, und er wird sich nicht eher entschliessen, diese Speise zu sich zu nehmen, bis er den Ekel verloren hat, und wieder Geschmack an ihr findet. So muss der Mensch nebst der Erkenntnis des Guten und seiner Pflichten auch ein Wohlgefallen daran erhalten, das Gute muss auf ihn einen solchen Eindruck machen, dass er von ganzem Herzen wünscht, es auch auszuüben. Ist aber jetzt alles schon hinreichend, dass wir das Gute wirklich tun, und unsere Pflichten erfüllen, wenn wir es erkennen und auch Wohlgefallen daran haben? Ach! dieses alles ist noch nicht genug. Der heilige Prosper sagt: "Darum, dass uns ein guter Wille geschenkt wird, finden wir nicht auch gleich die Kraft in uns, das Gute, das wir wollen, zu vollziehen, wenn nicht Gott, der uns die gute Begierde eingegeben hat, auf unser Suchen und Flehen auch die Vollziehung schenkt."
Die wirkliche Ausübung des Guten ist oft mit vielen Beschwerlichkeiten verbunden, viele Hindernisse stossen uns auf dem Weg der Tugend auf, wir selbst machen uns oft die abschreckensten Vorstellungen von der Schwere eines tugendhaften Lebens, und der Feind unserer Seele ermangelt nicht, uns alle möglichen Schwierigkeiten vorzuspiegeln. Es ergeht uns wie den Israeliten, welche weinten und wehklagten, und wieder umkehren wollten, weil ihnen die Kundschafter, die aus Kanaan zurückkehrten, sagten, es sei ein Land, von lauter Riesen und Menschenfressern bewohnt, von denen sie unfehlbar würden aufgerieben werden. Auch wir stellen uns das Land der Tugend oft voll solcher Riesen vor, voll von Mühseligkeit und Beschwerde. Die Überwindung, welche das Gute kostet, und vieles andere nimmt uns den Mut; wir sind wirklich zu schwach, als dass wir durch eigene Kräfte alles zustande bringen könnten. Da unterlassen wir dann lieber das Gute, als dass wir uns solchen Beschwerlichkeiten unterziehen, so gerne wir es auch vollziehen wollten, und es uns wohlgefällt. Ein Kranker z. B. erkennt, dass er seine Gesundheit nicht anders erlangen kann, als wenn er sich einer langen und schmerzlichen Operation unterwirkt, er sollte sich brennen, er sollte sich ein Glied von seinem Leibe nehmen lassen, er weiss, dass dieses das einzige Mittel sei, ihm das Leben zu retten, er hat sein Leben lieb, er erkennt auch den Wert dieser ärztlichen Kunst, und schätzt sie hoch, aber es kostet unsägliche Schmerzen, es veranlasst einen grossen Aufwand seines Vermögens, er glaubt nicht kräftig genug zu sein, diese Operation auszuhalten; dieses und vieles andere schreckt ihn ab, sie an sich vornehmen zu lassen. Was bedarf dieser Kranke außerdem, dass er sein Leben liebt, und den Wert dieser ärztlichen Kunst erkennt? Mut und Entschlossenheit und Kraft, sich wirklich diesen Beschwerden zu unterwerfen und sie auszuhalten. So bedarf der Mensch nebst der Erkenntnis des Guten und des Wohlgefallens daran auch noch die sittliche Kraft, die Schwierigkeiten des Guten zu überwinden, alle Hindernisse zu übersteigen, alle Beschwerden zu besiegen.
Wenn wir auch das Gute wirklich üben, wirklich die Beschwerlichkeiten der Tugend überwinden, wie leicht können wir wieder in schwere Sünde zurückfallen, wie leicht im Guten ermüden und davon ablassen! Es ist uns also noch etwas notwendig, nämlich - die Beharrlichkeit, denn nur "wer bis zum Ende verharrt, wird selig werden". So bedarf auch der Kranke, wenn er gesund zu werden angefangen hat, stärkender Mittel, damit er nicht wieder in seine Krankheit zurückfalle. Über dieses mannigfaltige Bedürfnis des Menschen seufzt der heilige Paulus: "Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe des Todes?" das ist, von diesem Unvermögen, in welchem ich weder das Gute erkenne, noch, wenn ich es erkannt habe, dasselbe aufrichtig liebgewinnen und wollen, noch, wenn ich es liebgewonnen habe und will, es ausüben, noch, wenn ich es ausübe, darin beharren kann? Und er antwortet sich selbst auf seine Frage: "Die Gnade Gottes durch Jesus Christus, unsern Herrn." (Röm. 7, 24. 25.)
Und diese Gnade ist nun die wirksame Gnade. Sie ist also ein innerliches, übernatürliches Licht von Gott, durch welches unser Verstand erleuchtet wird, das Gute zu erkennen; ein Licht, in welchem wir zugleich die Gefahren erkennen, in welchen wir uns befinden, und jene Täuschungen bemerken, welche die Verführung zum Bösen hat; sie ist ein Licht, welches uns die Irrtümer aufdeckt, uns unsere Vorurteile, unsere bösen Neigungen und Gewohnheiten darstellt, und uns Wahrheiten schauen lässt, die uns Fleisch und Blut nicht schauen lässt. Die wirkliche Gnade ist ferner eine innere, übernatürliche Kraft, vermöge welcher, nach dem Ausdruck des heiligen Augustin, "für uns das Gute reizend und ergötzlich wird, wozu wir bisher keine Lust hatten"; eine Kraft, die unser Herz rührt, und in demselben das Gefühl für himmlische Tugend erweckt. Die wirkliche Gnade ist weiters eine innere, übernatürliche Stärkung, vermöge welcher wir das Gute, so wir erkennen und liebgewinnen, wirklich ausüben; eine Stärkung, durch welche unsere guten Vorsätze Wirksamkeit erhalten, dass sie nicht sogleich wieder vergehen, sobald sie gemacht sind; eine Stärkung, vermöge der wir wirklich dem Laster entsagen und die Tugend ausüben; eine Stärkung, durch die wir die Beschwerden des Guten, alle Hindernisse überwinden, und alle Mühen ertragen, alle Kämpfe bestehen. Die wirkliche Gnade ist endlich ein innerer, übernatürlicher Beistand, wodurch wir bis zum Ende im Guten erhalten, vor dem Rückfalle beschützt, in der Beharrlichkeit bewahrt werden. Schön sagt der heilige Augustin von der wirklichen Gnade: "Wir haben nicht nur die Hilfe nötig, ohne die wir niemals im Guten anfangen könnten, wenn wir schon wollten, sondern auch eine so starke Hilfe, welche macht, dass wir es wirklich wollen, es annehmen und darin beharren; eine Hilfe, die uns gibt, nicht nur zu können, was wir wollen, sondern auch zu wollen, was wir können, und zwar so sehnlich zu wollen, so inbrünstig zu lieben, dass diese Gnade den Willen des Fleisches, dessen Begierlichkeit dem Geiste immer widerstrebt, durch den Willen des Geistes überwinde."
Die wirkliche Gnade ist verschieden, je nachdem die Lage, in welcher sich der Mensch befindet, oder das Bedürfnis seiner Seele verschieden ist. Die wirkliche Gnade ist verschieden
1. der Zeit nach, und
2. ihren Wirkungen nach.
Wenn wir die wirkliche Gnade betrachten 1. der Zeit nach, zu welcher oder wann sie uns erteilt wird, so ist sie:
a) eine zuvorkommende,
b) eine begleitende,
c) eine nachfolgende.
Die wirkliche Gnade, der Zeit nach genommen, ist, wie wir sagen, a) eine zuvorkommende. Diese ist nämlich jene innere Wirkung und Eingebung Gottes, wodurch er einen noch in Unglauben oder Sünden schlafenden Menschen, ehe noch in seinem Herzen selbst ein Wunsch zum Glauben oder zur Besserung erwacht, zuvor erweckt, sei es dann auf was immer für eine Weise, durch irgend einen guten Gedanken, oder durch eine Furcht, die er wegen seines Seelenheiles empfindet, oder durch einen Gewissensbiss, den er über sein sündhaftes Leben fühlt, oder durch einen andern Umstand, der sich ihm ereignet. Durch diese innere Einsprache, oder was es immer sein mag, sucht Gott den Ungläubigen, den Sünder, ohne dass der Ungläubige, der Sünder Gott sucht. Von dieser Gnade redet David, wenn er sagt: "Seine (Gottes) Barmherzigkeit wird mir zuvorkommen" (Ps. 58, 11), wie auch der heilige Paulus, da er an die Epheser (5, 14) schreibt: "Erwache aus dem Schlafe, und stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten;" und an die Kolosser (2, 13): "Da ihr in Sünde tot laget, hat euch Gott mit Christus erweckt." Christus selbst deutet diese zuvorkommende Gnade an, da er in der geheimen Offenbarung (3, 20) sagt: "Siehe, ich stehe vor der Türe und klopfe an, wandle und tue Buße!" Du bist z.B. ein Un- oder Irrgläubiger, auf einmal wird es dir bei dieser oder jener Gelegenheit bange, ob du wohl doch selig werden könnest, wenn du so leichthin allen Glauben abwirfst, ob wohl doch der Glaube der katholischen Kirche nicht der rechte, dein Glaube aber der irrige sei, und wenn dieses, ob du in deinem Irrglauben nicht verloren gehst? Sieh, das ist eine dir wie ein Stich durch das Herz, vielleicht jetzt, da du dies hörst; du kannst es dir selbst nicht mehr verbergen, dass dein Leben einmal kein christliches sei, und du bei einem solchen Leben nicht eingehen kannst in das Reich Gottes. Sieh, das ist eine dir zuvorkommende Gnade.
Was ist nun b) die begleitende Gnade? Sie ist eine innere Wirkung, ein übernatürlicher Einguss Gottes auf uns, auf unserem Willen nämlich, welcher Einfluss, welche göttliche Kraft uns unterstützt, dass wir das Gute, so er uns eingibt, oder wozu er uns innerlich erweckt, auch wirklich tun können, dass wir die Hindernisse zu überwinden, die Beschwerden, die mit unserer Bekehrung und mit der Ausübung der Tugend verbunden sind, zu übertragen und zu besiegen vermögen. David sagt von dieser Gnade: "Seine Barmherzigkeit wird mich alle Tage begleiten." (Ps. 22,6) Der heilige Paulus an die Römer (8,26): "Der Geist kommt unserer Schwachheit zu Hilfe." Das Konzil von Trient sagt davon: "Gott ermahnt durch seinen Befehl, zu tun, was du kannst, und um das zu bitten, was du nicht kannst, und steht dir bei, es zu können." Der heilige Augustin beschreibt nach seiner eigenen Bekehrung die begleitende Gnade also: "Durch die Gnade wächst der gute Wille, der schon seine Entstehung erlangt hat, und wird allmählich so stark, dass er die göttliche Gebote, wie er will, wenn er es doch sehnlich und vollkommen will, erfüllen könnte."
Endlich dann e) die nachfolgende Gnade ist jene innere Wirkung, jener übernatürlicher Einfluss Gottes, wodurch dein schon guter Wille immer mehr im Guten befestigt und in der Ausübung des Guten gestärkt wird; jene göttliche Hilfe, durch welche du immer mehr im Guten zunimmst, ja von Tugend zu Tugend gelangt, also immer einen neuen, übernatürlichen Einfluss erhältst, die Tugend, die du schon ausübst, noch vervollkommnest. Sie ist eine Gnade, die du gleichsam immer für den guten Gebrauch einer andern als Belohnung von Gott empfängst, die auf eine vorhergegangene, wohl angewendete Gnade folgt. Jesus redet von dieser Gnade, wenn er sagt: "Wer hat, dem wird noch gegeben werden." Du hast z.B. bisher deinem Feinde im Herzen verziehen, du folgtest hierin einem inneren Antrieb, du konntest es vermöge der mitwirkenden Gnade; jedoch reden mit ihm, das konntest du noch nicht, wie du sagst, über dein Herz bringen; aber du lässt doch keinen neuen Groll wider ihn in deinem Herzen aufkommen, du wirkst mit der ersten Gnade. Nun begegnet dir dein Feind, du möchtest ihn ausweichen, aber du empfindest einen inneren Antrieb, ihn zu begrüssen; es kostet dich eine Überwindung, aber du bestehst sie, du begrüssest ihn, fortan redest du auch mit ihm; das ist eine zweite Gnade Gottes, die auf den guten Gebrauch der ersten folgte; endlich begibt es sich, dass du von deinem Feinde Böses reden, ihm schaden könntest, du kommst in Versuchung, es zu tun, aber der Gedanke fährt durch deine Seele: Tue es nicht! eine innere Kraft stärkt dich, du redest von deinem Feinde nicht nur nichts Böses, sondern sogar Gutes; du schadest ihm nicht nur nicht, sondern erweisest ihm einen Gefallen, stiftest Nutzen für ihn; das ist nun die dritte, auf die zwei vorigen angewendeten Gnaden folgende Gnade; endlich kannst du deinen Feind sogar lieben. Sieh! das nenne ich die nachfolgende Gnade. Und so könnte ich von jeder Tugend reden, in der man es durch die nachfolgende Gnade zur Vollkommenheit bringen kann.
Nun will ich aber auch von der wirksamen Gnade 2. ihren Wirkungen nach reden, und so betrachtet, ist sie
a) eine hinreichende,
b) eine wirksame,
c) eine beständige.
Die wirkliche Gnade, ihren Wirkungen nach, ist, wie wir sagen, a) eine hinreichende, das heisst, die Gnade, welche uns Gott gibt, ist eine solche, dass sie hinreicht, das Gute zu tun, wenn nur ein Mensch mit dieser Gnade mitwirken wird; aber diese Gnade hat die Eigenschaft, dass sie nicht wirkt, wenn ihr der Mensch widersteht. Z. B. du empfindest in dir einen Antrieb, eine böse Gesellschaft zu verlassen, verderbliche Bücher nicht mehr zu lesen, eine böse Leidenschaft in dir zu unterdrücken, oder in Zukunft das Wort Gottes fleissig anzuhören, diese Tugend dir eigen zu machen, diese Selbstüberwindung zu üben, oder du siehst dieses gute Beispiel, diesen auferbaulichen Wandel an einem anderen; das gefällt dir, du hast einen geheimen Wunsch, eben dies zu tun, so zu leben; es wird nun sonntäglich die christliche Lehre erklärt, du hast Gelegenheit, dich gründlich in der Religion zu unterrichten, du erhältst von Seite deiner Eltern und Lehrer schöne Ermahnungen und Warnungen; sieh, dies alles und tausend ähnliche Dinge sind hinreichende Gnaden; sie sind hinlänglich, dieses Gutes in dir zu wirken, "wenn du nur getreulich willst und mitarbeitest, du kannst es leisten". Aber du kannst diesen Gnaden auch widerstehen, und dann sind sie unwirksam, und, wie der Heilige Geist in den Sprichwörtern (1,24) sagt: "Dein Verderben ist aus dir selbst, Israel!" Von dieser hinreichenden Gnade sagt Gott bei dem Propheten Isaias (5, 1-7), wo er Israel mit einem Weinberge vergleicht: "Urteilet selbst... was müsste ich noch tun, das ich nicht schon getan habe?" und 5. Mos. 30,19 sagt er: "Ich habe euch gerufen, und ihr habt euch geweigert; ich habe meine Hand ausgestreckt, und niemand hat darauf gesehen." Jesus aber sagte von dieser Gnade: "Wehe dir, Chorozaim..." (Matth. 11,21), und wieder: "Jerusalem! wie oft..." (Matth. 23,37); der heilige Paulus aber sagt: "Wir ermahnen euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget! (2. Kor. 6,1); und ferner: "Unterdrücket den Geist nicht in euch!" (1. Thess. 5,9).
Ich muss aber zum Schlusse eilen, daher noch kurz, b) was die wirksame Gnade sei? "Sie ist eine solche übernatürliche, göttliche Kraft, dass sie das Gute, wozu sie Gott dem Menschen erteilt, nachdrücklich und unfehlbar wirkt, so zwar, dass dieser Gnade der freie menschliche Wille nie widersteht; denn, wie Augustinus sagt, "sie wird in der Absicht gegeben, damit alle Härte des Herzens gehoben wird." Dieser Gnade folgt der Mensch augenblicklich. Bei dem Propheten Ezechiel (36,26.27) bezeichnet Gott diese Gnade also: "Ich will euch ein neues Herz geben... und solche Leute auch aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln, und meine Rechte halten, und danach tun." Jesus sagt davon: "Sie werden alle von Gott gelehrt sein. Wer es nun hört vom Vater, der lernt es und kommt." (Joh. 6,37). "Kraft dieser Gnade," sagt Augustin, "lehrt er mit solchem Nachdrucke, dass ein jeder, was er lernt, nicht bloß erkennt und sieht, sondern auch will und verlangt, ja, dass er es wirklich tut und vollbringt." "Der allmächtige Gott besitzt die Gewalt, unser Gemüt, wie er es will, zu lenken; er hat unsern Willen viel vollkommener in seiner Macht, als wir in der unserigen." Eine solche wirksame Gnade war jene, welcher der heilige Matthäus auf den ersten Ruf folgte; jene, auf deren Einfluss Zachäus, der mit Jesus Gekreuzigte, der heilige Paulus folgte.
Endlich noch: c) was ist die beständige Gnade? Sie ist göttliche Wirkung in uns, vermöge der wir entweder von unserer Taufunschuld an, oder von unserer wahren Bekehrung an bis an das Ende unseres Lebens in der Tugend und Gerechtigkeit verharren. Gott drückt sie durch Jeremias (32,40) aus: "Ich will ihnen meine Frucht ins Herz geben, dass sie nicht von mir abweichen;" das ist, sagt Augustin, "meine Frucht, die ich ihnen ins Herz geben werde, soll so wirksam sein, dass sie mir beharrlich anhangen." Jesus selbst bittet für seine Apostel: "Heiliger Vater! erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast." (Joh. 17,11) Der heilige Apostel Petrus sagt von dieser Gnade: "Wir werden von der göttlichen Kraft durch den Glauben zur Seligkeit bewahrt."
Lasset uns ohne Unterlass zu Gott um jede Gnade beten, und in Demut hoffen, dass der, "welcher in uns das Gute angegangen hat, es auch bis an den Tag unseres Herrn Jesu Christi vollbringen werde." (Phil. 1,6) Schliesse diese Betrachtung mit dem Gebet der Kirche:
"O Herr! komm unseren Handlungen durch Deine Eingebung zuvor, und begleite sie mit Deiner Hilfe, damit jedes unserer Werke von Dir allzeit anfange, und nach einem solchen Anfange durch Dich enden werde."
(entnommen aus: Das dreifache Reich Gottes, Joseph Reiter, 1911)