Meditation zum Vater unser

Vater unser.
Die Katholiken in Amerika nennen ihre Priester "Father", "Vater" dürfen wir Gott selber nennen. Ist das nicht die grösste Ehre für uns?
Wer ist denn derjenige, den wir "Vater" nennen? Es ist der grosse Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde; es ist der Unendliche, Ewige, Allmächtige. Sein ist die Sonne mit ihrem Flammenmeer, sein der Mond mit seinem milden Licht, sein das Firmament mit seinen Millionen und Millionen Sternen. Sein ist die Erde mit ihren Bergen und Tälern, Flüssen und Seen, Feldern und Wiesen. Sein ist alles; alles trägt er in seiner Hand; er ist der unumschränkte Herr des Weltalls. Und dieser grosse Gott, der König aller Könige erlaubt, den niedrigen Geschöpfen, ihn "Vater" zu nennen!
Wer ist derjenige, den wir "Vater" nennen? Es ist der Allerheiligste und Allerreinste, er ist reiner als des Lichtes Glanz, heiliger als alle Engel und Heiligen. Die menschliche Sprache findet keine Worte, der menschliche Geist kein Bild, um die Heiligkeit Gottes gebührend auszudrücken. Und der Heiligste der Heiligen, der Reinste der Reinen erlaubt, den sündigen Menschen, ihn "Vater" zu nennen!
Wer ist derjenige, den wir "Vater" nennen? Es ist der gerechte Gott, der einstens wiederkommen wird am Ende der Tage, um Gericht zu halten über die Lebenden und die Toten. Und dieser furchtbare Gott, "der ohne Ansehen der Person jeden richtet nach seinen Werken", er gestattet, den armen Menschenkindern, ihn "Vater" zu nennen. O wie unendlich gut ist Gott der Herr!
Aber wenn wir Gott "Vater" nennen, so ist das nicht bloß eine schöne Redensart. Gott ist in Wahrheit unser Vater: 1. weil er uns nach seinem Bilde erschaffen, 2. weil er mit väterlicher Liebe für uns sorgt, und 3. weil er uns in der hl. Taufe zu seinen Kindern gemacht hat.
Gott hat uns erschaffen. "Ipse fecit nos, non ipsi nos." "Er hat uns gemacht, nicht wir haben uns gemacht." Er hat uns erschaffen, nach seinem Bilde, er hat unsere Seele ausgestattet mit Verstand und freiem Willen; alles, was wir haben und sind, es ist sein Geschenk. Also ist er unser Herr und Gebieter, wir sind von ihm abhängig wie die Kinder vom Vater.
Noch mehr: Gott sorgt auch mit väterlicher Liebe für uns. Gegen keine Verletzung ist der Mensch so empfindlich, wie gegen die des Augapfels. Aber gerade der Augapfel ist das Bild, womit Gott seine Vaterliebe vergleicht: Er beschützt den Menschen wie seinen Augapfel; wer ihn angreift, greift seinen Augapfel an. Kein Tier sorgt besser für seine Jungen als der Adler; er lockt sie zum Flug und weilt schützend über ihnen, um den ermattenden sogleich helfen zu können. Aber gerade der Adler ist das Bild, womit Gott seine Vaterliebe vergleicht: Er breitet die Flügel seiner göttlichen Vorsehung über die Menschen aus und trägt alle auf den Schultern seiner Allmacht und Güte. Keine Liebe ist grösser als die Mutterliebe; sie tut alles, sie wagt alles für das Wohl des Kindes. Aber gerade die Mutterliebe ist das Bild, womit Gott seine Vaterliebe vergleicht: "Kann denn eine Mutter ihres Kindes vergessen, dass sie sich seiner nicht erbarmte? Und wenn sie es vergäße, so will doch ich deiner nie vergessen; denn siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet."
"Geschrieben stand in seiner Hand
Mein Name, eh´ ich ihn gekannt,
An seinem Arm geh´ ich einher,
Und er ist Gott - was will ich mehr?"
Gott hat uns in der hl. Taufe zu seinen Kindern gemacht. Dort wurde die Erbsünde von uns genommen und die heiligmachende Gnade unserer Seele eingegossen, und so sind wir alle Kinder Gottes geworden. "Seht doch," schreibt der hl. Johannes, "welche Liebe uns Gott gegeben, dass wir Kinder Gottes heißen und sind!" Mac Carthy, ein berühmter französischer Prediger, sprach einst von den Wirkungen der hl. Taufe. Da hielt er auf einmal inne, blickte seine Zuhörer mit dem Ausdruck der höchsten Verwunderung an und fuhr dann, wie aus einem Traum erwachend, in seiner Rede fort: "Ach Gott, wo bin ich, und was seh ich? Mein leibliches Auge sagt mir: Das sind Dienstboten, Handwerker, Bauern, Geschäftsleute, Beamte, einige ärmer, andere reicher, die einen niedriger, andere etwas höher. Aber mein Geistesauge schaut durch die Hülle des Leibes hindurch, es schaut eure Seele, strahlend im Glanz der heiligmachenden Gnade. Darum seid mir - da verneigte sich der Prediger vor seinen Zuhörern, - im Namen des himmlischen Vaters ehrfurchtsvoll gegrüßt, ihr hochgebornen Kinder meines Gottes. Gott ist unser Vater. Leben wir aber auch so, wie es sich für Gotteskinder geziemt? "Ihr sollt also vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist," spricht der hl. Geist. Streben wir aufrichtig nach der christlichen Vollkommenheit? Beten wir fleißig und andächtig, hören wir regelmäßig das Wort Gottes an und empfangen oft und würdig die hl. Sakramente? Verrichten wir unsere täglichen Handlungen im Stande der Gnade und mit guter Meinung? Sind wir bemüht, uns selbst zu verleugnen und alles zu meiden, was das Vaterherz Gottes betrüben könnte?
Der Polenkönig Boleslaus trug stets das Bildnis seines Vaters auf der Brust. So oft er etwas unternahm, schaute er auf das Bild und sprach: "Ferne sei von mir, dass ich etwas tue, was deiner unwürdig wäre!" Auch wir tragen das Bild Gottes, unseres himmlischen Vaters, in unserer Seele. Blicken wir auf dasselbe bei jedem Unternehmen, und sprechen wir mit Boleslaus: Ferner sei von mir, dass ich etwas tue, was deiner, o mein Vater, unwürdig wäre!"
Wir sind Kinder Gottes: also müssen wir auch für die Ehre unseres Vaters eintreten. Tun wir das immer? Oder sind wir zu feige, ein Wort zu sagen, wenn der Name Gottes in unserer Gegenwart verunehrt wird? Sind wir zu feige, die Kirche und ihre Vorsteher, den Papst, die Bischöfe und Priester, zu verteidigen, wenn sie beschimpft und verleumdet und in ihren Rechten gekränkt werden? "Der Papst ist mein Vater, sein geheiligtes Haupt ist gefährdet; wann hätte je ein Sohn seinen Vater im Stich gelassen?" So sprach im Jahre 1860 der edle General Lamoricière, als man ihn abhalten wollte, sein Schwert der Verteidigung des päpstlichen Stuhles zu widmen.
Wir sind Kinder Gottes; also müssen wir mit dem vollsten Vertrauen zu ihm gehen. "Wer kein Vertrauen hat," sagt der hl. Apostel Jakobus, "gleichst der Meereswoge, die vom Winde hin- und hergeworfen wird. Darum denke ein solcher Mensch nur nicht, dass er etwas vom Herrn erlangen werde." Wie sollten wir aber nicht das vollste Vertrauen haben, da derjenige, zu dem wir beten, unser Vater ist?
"Sei´s noch so trüb am Horizont,
Das Herz mir noch so schwer;
Ein Blick auf den, der droben wohnt,
Stellt meine Ruhe her.
Die Hilfe kommt zuletzt gewiss,
Die ich von ihm erwart´,
Ich hab, wie oft erfuhr ich dies, -
Vergeblich nie geharrt.
Gott ist mein Vater, ihm ergeb´
Ich alles sorgenlos,
Ich schütt mein Leid, so lang ich leb´,
Als Kind in seinen Schoß."
Wir fügen aber zu der Anrede "Vater" noch das Wörtchen "unser", warum wohl? Kein Wort ist überflüssig im Gebet des Herrn, und so haben auch die zwei Silben "unser" ihre tiefe Bedeutung. Einmal will der Herr damit sagen, dass wir als Brüder einander lieben sollen. Unser, nicht mein Vater. Gott ist der Vater aller Menschen, also sind alle untereinander Brüder, und weil Brüder, müssen sie einander herzlich lieben.
Als Brüder müssen wir einander auch ehren und achten und für einander beten. "Haben wir nicht alle einen Vater?" So fragt der Prophet Malachias. "Hat uns nicht ein Gott erschaffen? Warum also verachtet einer den andern?" "Vater unser" so betet der Kaiser, und wenn er sagt "unser" so denkt er an den Bettler, der hungernd an seiner Türe kauert; "Vater unser" so spricht der Bettler und wenn er so betet, so weiß er, dass er ohne Groll und Missgunst zum Kaiser aufblicken muss; "Vater unser" so betet der Gelehrte wie der Ungelehrte, der Reiche wie der Arme, das Kind wie der Greis, der Lappländer wie der Europäer; denn Gott ist unser Vater, und wir alle sind Brüder. Darum müssen wir einander ehren und für einander beten. -
Lonis Veuillot, der berühmte französische Schriftsteller, hatte eines Tages eine Audienz beim Papst Gregor XVI. "Ich stand", so erzählt er selbst, "vor dem Papst; ich vergaß den Greis, den Gelehrten, den Fürsten, den Statthalter Christi; ich sah nur den Vater der Christenheit und sprach mit zitternder Stimme: Santo Padre! Heiliger Vater! Und der Papst neigte sich, um mir den Segen zu geben, und nannte mich: Figliuolo! Mein Kind!" "Vater", so nennen wir das Oberhaupt der Kirche, "Vater", so dürfen wir Gott selber nennen, dessen Stelle der Papst auf Erden vertritt. Welch ein Trost, welch eine Ehre, welch ein Glück! Seien wir in Wahrheit Kinder Gottes, würdig eines solchen Vaters, damit keinem von uns gelte jenes schreckliche Wort, das vor einigen Jahren ein Vater in Schleswig-Holstein zu seiner undankbaren und tiefgefallenen Tochter sprach: "Fort, du bist mein Kind nicht mehr!" Das war selbst dem ungeratenen Kind zu viel; es stürzte einige Schritte vom Vaterhaus, von einem Herzschlag getroffen zu Boden. Seien wir in Wahrheit Kinder Gottes, würdig eines solchen Vaters, dann können wir stets voll Zuversicht beten:
"Vater unser!"
Der du bist in dem Himmel.
Gott ist überall zugegen, im Himmel und auf Erden. "Wo soll ich hingehen vor deinem Geiste und wohin fliehen vor deinem Angesichte? Stieg´ ich gen Himmel empor, so wärest du da, stieg ich in die Hölle, so wärest du da; nähm ich mir Flügel von der Morgenröte und wohnte ich am äussersten Ende des Meeres, so würde auch deine Hand mich führen und deine Rechte mich leiten." So sang einst König David. Wie können wir also beten: "Der du bist in dem Himmel?"
Wohl ist Gott überall zugegen, aber auf ganz besonderer Weise wohnt er im Himmel: Da offenbart er vor den Engeln und Heiligen seine Herrlichkeit, da ist Jesus Christus unser Mittler und Fürsprecher beim Vater. Darum müssen wir stets voll Ehrfurcht vor Gott erscheinen. Er ist uns Vater, gewiss; aber er ist nicht ein Vater, wie gewisse sentimentale Gebet- und Erbauungsbücher ihn so gerne schildern. Sie stellen ihn dar als einen morgenländischen Emir, aus dessen Bart beständig Tränen der Rührung träufeln, mit einem Schäferstock von grünem Schilfrohr in den Händen, damit er ja niemanden wehe tun kann; sie stellen ihn dar als einen schwachen Alten, der bei allen Sünden der Menschen durch die Finger schaut und unmöglich jemanden zur ewigen Hölle verdammen kann, als einen gutmütigen Großpapa, der bequem in seinem Lehnstuhl sitzt und die Welt gehen lässt, wie sie geht. Nein, nicht ein solcher Vater wohnt im Himmel, sondern dieser Vater ist Gott, der grosse und unendliche Gott; er ist die Güte und Liebe, aber zugleich die Allmacht, Gerechtigkeit und Heiligkeit; er ist die Freude der Seligen, aber zugleich der Schrecken des Bösen. Daher müssen wir stets mit heiliger Ehrfurcht vor ihm erscheinen. Es schickt sich nicht, dass wir stehend oder gar sitzend ihm unsere Bitten vortragen. Wie der Untertan sein Knie beugt vor dem König und der Christ vor dem Statthalter Christi sich auf die Erde niederwirft, wie die Chöre der Engel vor dem Throne Gottes anbetend auf dem Angesichte liegen, so sollen auch wir kniend mit Gott dem Herrn reden, denn er ist der König aller Könige, der Herr aller Herrscher, unendlich erhaben über alle Geschöpfe.
Die Kaiserin Eleonore von Österreich pflegte beim Gebet demütig hinzuknien. Darüber wunderte sich ein fremder Gesandter und sprach: "Mäjestät, wollen Sie denn nicht lieber sitzen?" "Wie," erwiderte die Kaiserin, "niemand von meinen Hofleuten wagt in meiner Gegenwart zu sitzen, da ich doch nur eine arme Sünderin bin, und ich sollte sitzen vor meinem Herrn und Gott!"
Es schickt sich auch nicht, dass wir mit Gott reden und dabei an weltliche Dinge denken. wie würde es einem Bittsteller bei einem irdischen Monarchen ergehen, wenn er während des Gespräches seinen Augen und Gedanken freien Lauf ließe, alles im Königssaal betrachtete und auf die königlichen Fragen gar nicht achtete? Der König würde ihm entrüstet die Türe weisen. Aber ist der Mensch nicht oft viel zerstreuter noch, wenn er mit Gott redet? Lässt er nicht seine Blicke und Gedanken überall umherspazieren? Kann ein solches Gebet auf Erhörung rechnen, oder gilt von ihm jenes furchtbare Wort des Herrn: "Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir!"
Zu der Ehrfurcht muss sich Vertrauen gesellen. Wir wissen ja, dass Jesus Christus unser Mittler und Fürsprecher beim Vater im Himmel ist. Wie könnte aber der himmlische Vater seinem eingebornen Sohn eine Bitte abschlagen? Hat doch Christus selber uns versichert: "Alles um was ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben." Also werden wir noch weit eher erhört, wenn der Heiland selbst für uns bittet. Richten wir deshalb unser Auge empor, empor über alles Irdische, empor über alle Geschöpfe, empor über die ganze Welt, empor zum Himmel: dort thront in göttlicher Majestät der himmlische Vater, und vor ihm steht der eingeborne Sohn, bittend für seine Kinder auf Erden, die er vor 2000 Jahren auf Kalvaria durch seinen blutigen Kreuzestod erlöste; er weist hin auf seine Wunden, die nun wie fünf goldene Sonnen an seinem gottmenschlichen Leibe strahlen, und im Angesicht derselben kann der Vater seine Bitten nicht weigern. Wie sollten wir daher jemals zagen, da wir in Jesus Christus einen Mittler und Fürsprecher beim Vater im Himmel haben? "Der du bist in dem Himmel": diese Worte müssen uns mit der grössten Ehrfurcht und dem vollsten Vertrauen erfüllen, uns aber zugleich hinweisen auf unser wahres Vaterland, den Himmel.
Wenn unser Vater im Himmel ist, wenn er dort die Beseligung aller Engel und Heiligen ausmacht, dann ist die Erde nur ein Ort der Wanderschaft. Wir sind alle Fremdlinge hienieden, unsere Heimat ist dort oben. "Wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern wir suchen die zukünftige." Der Himmel ist unser Ziel, unsere Bestimmung, unser Königreich. Dort liegen alle Verheißungen für uns, dort sollen wir einst in der Anschauung und im Besitz Gottes ewig glücklich sein.
Wer sollte daher das Ziel je aus dem Auge verlieren? Wer wollte nicht alles tun, um seine Bestimmung zu erreichen? Und doch wie viele leben gedankenlos in den Tag hinein, und es fällt ihnen nicht ein, an den Himmel zu denken! Wie viele gehen gänzlich auf in irdischen Wünschen und Bestrebungen, sie haben nur einen Gedanken: Geld und Gut, Reichtum und Besitz, für alles Höhere sind sie erstorben! Wie viele träumen nur von Ehre und Ansehen, von Ruhm und Grösse, sie sehen sich im Geiste schon auf den Thron gesetzt und hören, wie die Welt ihnen huldigt! Wie viele wälzen sich im Schlamm der Sinnenlust, ihr Auge ist verdunkelt und ihr Herz gefesselt durch die Banden unreiner Liebe! Ist das nicht entsetzlich traurig? Umsonst ertönen für sie vom Turm die Glocken, die in jeder edlen Menschenseele die Sehnsucht nach der himmlischen Heimat wecken. Umsonst ruft für sie der Priester am Altar beim Opfer des Neuen Bundes die Worte: "Sursum corda!"

"Empor die Herzen!"
Umsonst winkt ihnen am einsamen Weg das Kreuz, um sie aus dem Schlaf der Sünde aufzurütteln. Umsonst leuchten für sie am nächtlichen Himmel Millionen funkelnder Sterne, um ihr Auge zu dem Urheber alles Lichtes zu erheben. Umsonst verkünden ihnen die Tagesblätter beinahe auf jeder Seite plötzliche Unglücks- und Todesfälle, um sie an Tod und Ewigkeit zu erinnern. Umsonst mahnt in ihrer eigenen Brust die göttliche Stimme des Gewissens, umsonst tönt an ihr Ohr der liebevolle Weckruf wohlmeinender Freunde und Genossen. Alles ist umsonst, sie sind tot für den Himmel, der Himmel existiert für sie nicht mehr.
Schaut oft den Himmel an und lebt so, dass ihr euren Platz dort oben nicht verliert! Werdet nicht mutlos, wenn hienieden Leiden und Widerwärtigkeiten aller Art, wie einst beim frommen Dulder Job, auf euch hereinstürmen; es dauert nur kurze Zeit, dann wartet euer der Himmel. Ihr seid verachtet und wenig geschätzt, niemand kümmert sich um euch. Seid getrost! Im Himmel werden die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein. Ihr seid krank und leidend, seit Jahren liegt ihr da auf dem Schmerzenslager. Seid getrost! Im Himmel werden eure Wunden wie kostbare Perlen glänzen. Ihr seid arm und elend, kaum findet ihr das nötige Brot für euch und eure Kinder! Seid getrost! Im Himmel werdet ihr überreich gesättigt werden. Schaut auf zum Himmel; "was droben ist, suchet, nicht was auf Erden". Je mehr ihr hienieden leidet und duldet Gott zu Lieb, desto herrlicher wird einst der Lohn sein im Himmel.
Auf dem Grabe der Franzosen, die im Jahre 1870 in der Schlacht auf den Spicherer Bergen fielen und auf dem Soldatenkirchhof in Ehrental bei Saarbrücken begraben liegen, steht ein einfaches, grosses Kreuz, das die kurze Inschrift trägt: "Meliorem patriam appetierunt", "sie verlangten nach einem besseren Vaterlande". Möge man diese Worte einst auch auf unsern Grabstein setzen können! Gewiss, wie lieben das irdische Vaterland; wir lieben die Stätte, wo unsere Wiege stand und froher Kindheit Tage uns umflossen. Aber noch weit mehr lieben wir unser himmlisches Vaterland, jenes Land, wo die Sonne niemals untergeht und keine Tränen mehr fließen, wo "Gott selbst unser überaus grosser Lohn sein wird". Streben wir unablässig nach diesem bessern Vaterlande; keine Anstrengung sei uns zu schwer und keine Mühe zu gross, um das letzte Ziel zu erreichen; denn "unsere gegenwärtige Trübsal, die augenblicklich und leicht ist, bewirkt eine überschwengliche, ewige, alles überwiegende Herrlichkeit".
"Kennst du das Land, wo jedes Leid vergeht,
Wo jeder Wunsch an seinem Ziele steht?
Das Land, wo keine Träne wird geweint,
Wo keine Sünde und kein Tod erscheint?
Kennst du es wohl? Dahin, dahin,
Ins Vaterland lass uns von dannen ziehn.
Kennst du das Haus, es wölbt sich hoch sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Gast an Gast sitzt dort beim Hochzeitsmahl,
Der König selbst dient auf und ab im Saal.
Kennst du es wohl? Dahin, dahin,
Ins Vaterland lass uns zusammen ziehn!
Kennst du den Weg? Nur einer führt hinan,
Der König selbst eröffnet uns die Bahn;
Der Weg des Kreuzes, auch der Königsweg,
So heißt der schwere, aber sichre Steg.
Lass nicht von ihm, bis du das Ziel erreicht,
Dies Joch ist süß und diese Bürde leicht."
Geheiligt werde dein Name.
Ein vierjähriges Mädchen hatte einen bösen, jähzornigen Vater, der dem Trinken nachging und auch Tabak schnupfte. Da schickte nun der Vater das Töchterlein manchmal fort zum Krämer, es solle ihm Tabak holen. Wie es aber die Kinder machen und vergeßlich sind, so blieb es eben zuweilen stehen, um zu schauen, wenn andere Kinder am Wege spielten; so kam es oft später mit dem Tabak nach Haus. Da fluchte dann der Vater und gab dem Kind harte Worte und Schläge, und das Kind erschrak und zitterte sehr und getraute sich kaum zu weinen. Nun wurde es einmal krank, und die Mutter, der es auch übel ging, saß am Bett und sagte: "Weiß du was, Theresele, stirb du und bete dann im Himmel, dass ich auch bald sterbe und zu dir in den Himmel komme." Das kranke Kind antwortete: "Ja, ich will es so machen; ich bet´ dann im Himmel, dass du bald kommst, und dass der Karl kommt, und dass die Marianne kommt." Hierauf sagte die Mutter: "Willst du nicht auch für den Vater beten, dass er zu dir in den Himmel komme?" Da besinnte sich der kleine Schelm und sagte: "Nein, ich müßte ihm sonst wieder Schnupftabak holen und bekäme dann wieder Schläge."
So mancher meint, wie dieses Mädchen, es gehe im Himmel zu wie auf Erden. Doch nein, wer in diesem Tränental Gott treu dient, der wird es im Himmel einst prächtig haben. Darum bitten wir in der ersten Bitte des "Vater unser": "Geheiligt werde dein Name!" Wir bitten darin, dass Gott von uns und allen Menschen erkannt, geliebt und verherrlicht werde.
Das Kind weiß anfangs nichts von Gott. Später hört es seinen Namen, aber es denkt dabei noch nichts. Je mehr es aber an Jahren zunimmt, je öfter es Himmel und Erde betrachtet, je fleißiger es hört und liest, was Vernunft und Offenbarung von Gott verkünden, desto klarer werden seine Begriffe vom höchsten Wesen, und je klarer die Begriffe, desto reiner und tiefer wird seine Liebe zu Gott sein. Mit der Liebe wächst aber auch der Eifer, Gott zu preisen und zu loben und ihm in allem Ehre zu geben. "Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre!"
Aber nicht blos mit Worten, auch durch die Tat müssen wir den Namen Gottes ehren. Oder ist es nicht ein greller Widerspruch, wenn wir mit dem Mund beten: "Geheiligt werde dein Name," durch die Tat aber den hl. Namen Gottes lästern und entweihen: wenn wir die verehrungswürdigen Namen des Herrn und der Heiligen, die Worte "Sakrament" usw. aus Leichtsinn oder im Zorn ungebührlich aussprechen, wenn wir von Gott, von den Heiligen oder von heiligen Dingen Schimpfliches reden oder auch nur freiwillig denken, wenn wir falsch oder im Zweifel und ohne Not schwören, wenn wir jahraus, jahrein in Sünden und Lastern dahinleben, die Sonntage entheiligen, die Fasttage brechen, die Gebote Gottes und der Kirche leichtsinnig übertreten? Wird so nicht der Name Gottes auf die schreckliche Weise entehrt? Muss da nicht Gott auch uns durch den Propheten Malachias sagen: "Wenn ich euer Vater bin, wo ist meine Ehre?" Wird nicht Gott gegen uns strafend einschreiten, vielleicht schon auf dieser Welt?
Am Samstag vor dem 3. Adventssonntag des Jahres 1850 saßen in einem Wirtshaus der Schweiz Gäste und Wirtsleute bis tief in die Nacht beisammen. Man redete über dies und das, auch über das Dasein Gottes. Da erhob sich der Wirt, ein junger, übermütiger Mann, ohne alle Religion, und rief die gotteslästerlichen Worte: "Wer unter uns glaubt, dass es keinen Gott gebe, der hebe seine Hand auf!" Bei diesen Worten hob er hohnlachend drei Finger in die Höhe, zugleich mit der Linken auch die Hand seiner Frau ergreifend und erhebend. Einige Gäste folgten seinem Beispiel und hoben ebenfalls die Hand empor. Die andern saßen schweigend da; niemand redete mehr ein Wort; ein unheimliches Gefühl hatte sich aller bemächtigt. Bald darauf ging man auseinander.
Die Wirtsleute schliefen in einem Zimmer, das durch ein Kohlenbecken erwärmt wurde. Am andern Morgen standen sie nicht auf. Schon kamen die Leute aus der Kirche, noch regte sich nichts in der Kammer.
Da gerieten die übrigen Hausgenossen in grosse Angst. Sie brachen die Türe auf, um nach den Wirtsleuten zu sehen. Sie fanden dieselben im Bett liegend, anscheinend tot. Der herbeigerufene Arzt erklärte, dass hier eine Erstickung durch Kohlendampf stattgefunden habe; er machte die nötigen Belebungsversuche. Die Frau war und blieb tot. Der Mann lebte noch, konnte aber nicht wieder zur Besinnung gebracht werden. Nach acht Tagen war auch er eine Leiche. Bis zum letzten Augenblick hielt er beständig die drei Schwurfinger im Mund und biß darauf. Zwei andere, die auch an der Gotteslästerung teilgenommen, erkrankten bald darauf und starben unversehen. Ein fünfter war von dem Tage an ganz umgewandelt; er betete oft stundenlang allein in der Kirche und war für die ganze Gemeinde das Muster eines Büßers.
"Geheiligt werde dein Name!" Wir wünschen dabei, dass der Name Gottes nicht bloß von uns, sondern auch von andern durch Wort und Tat verherrlicht werde. Wir denken hier zuerst an diejenigen, welche Gott gar nicht kennen. Das sind die Heiden. Wie traurig sind sie daran! Wohl sehen sie die freundliche Sonne, aber den, der die Sonne ans Himmelszelt setzt, kennen sie nicht. Wohl säen und ernten sie, aber den, welcher die Aussaat das Gedeihen und dem Boden die Fruchtbarkeit gibt, kennen sie nicht. Wohl erquicken sie ihren Leib mit Speise und Trank, aber den, von welchem jede gute Gabe kommt, den "Vater der Lichter", kennen sie nicht. Und weil sie Gott nicht kennen, so beten sie ihn auch nicht an, lieben ihn nicht, dienen ihm nicht. Ja sie verüben ungescheut Sünden und Verbrechen aller Art. Wie würde das ganz anders, wenn das Licht des wahren Glaubens hineinleuchtete in ihre Herzen, wenn sie erkennten den wahren Gott und den er gesandt hat, Jesum Christum! Wie würde da der himmlische Vater neue Anbeter finden, wie würden sie durch ein hl. Leben Gott verherrlichen! Könnt ihr nichts hierfür tun? Gewiss. Die Missionäre ziehen hochherzig hinaus in die fremden Länder, sie verkünden das Evangelium, sie setzen sogar ihr Leben daran, damit auch unter den Heiden der Name Gottes verherrlicht werde. Wohlan, unterstützt diese Männer durch Gebet und Geld! Ein hl. Ignatius weinte beim Anblick der Weltkarte. Warum? Noch sitzen achthundert Millionen Heiden in der Nacht des Irrtums und in der Finsternis des Unglaubens! Betet für sie und eure Gaben zu den Füßen der Glaubensboten. So helft ihr mit, dass die erste Bitte des "Vater unsers" an den Heiden sich erfüllt.
Wir denken ferner an diejenigen, welche Gott zwar kennen, aber ihn nicht lieben und verherrlichen. Es gibt leider manche Christen, welche Gott wohl kennen, aber im Herzen ihn nicht lieben, nicht an ihm denken und ihm nicht danken, gleich als wäre er nicht ihr Vater und als hätten sie nicht alles von ihm empfangen. Und sie verherrlichen Gott nicht durch ihr Leben, sondern entehren und beleidigen ihn durch Sünden und Laster, sie sind Christen dem Namen und Heiden der Tat nach. Könnt ihr nicht auch etwas für sie tun? Gewiss. Ihr könnt für sie beten und durch euer gutes Beispiel die Ursache ihrer Bekehrung werden.
Wir denken noch an diejenigen, die Gottes heiligen Namen zum Fluchen missbrauchen, die sogar mit Gotteslästerungen ihre Zunge beflecken und frech ihre Hand gegen Gott erheben. Die Zahl dieser Unglücklichen wird von Tag zu Tag grösser, und darum häufen sich auch die Strafen Gottes. Der hl. Ludwig, König von Frankreich, hatte das Gesetz erlassen, dass die Lippen eines jeden Gotteslästerers mit einem glühenden Eisen gebrannt werden. Als bald darauf ein Offizier sich einer Gotteslästerung schuldig machte und seine Freunde für ihn Fürbitte einlegen wollten, da gab der König die schöne, eines Heiligen würdige Antwort: "Ich verzeihe wohl, wenn jemand meine Person lästert, aber nimmer, wenn die Majestät Gottes öffentlich verunglimpft wird. Ich wollte mir selber die Zunge mit einem glühenden Eisen durchbohren lassen, wenn ich dadurch alle Gotteslästerungen aus meinem Reiche verbannen könnte." Gibt es auch heute keine derartigen Gesetze und keine solchen Könige mehr, so wird doch Gott der Herr die Verunehrung seines Namens nicht ungestraft lassen. "Du sollst den Namen des Herrn nicht vergeblich führen! Denn nicht ungestraft wird der Herr den lassen, der seinen Namen vergeblich führt!" So steht im 20. Kapitel des 2.Buches Moses geschrieben.
An der Ortenberger Landstrasse in der Nähe von Offenburg, steht seit undenklichen Zeiten ein steinernes Kruzifix, welches die französische Inschrift trägt: "Mutilée par un soldat impie. Un général francais l'a fait rétablir. L'an 1807." Im Frühling des Jahres 1799 wurde Offenburg von den Franzosen besetzt. Es war am 23. Juni abends. Da unterhielten sich die Dragoner durch Fechten, Ringen und Tanzen. Einer war nicht dabei. Er schlenderte unterdessen der Ortenberger Landstrasse entlang, und als er zu dem grossen Kruzifix kam, schlug er unter schrecklichen Flüchen dem Bildnisse beide Füße ab. Die Strafe Gottes ließ nicht lange auf sich warten. Drei Tage später war ein Gefecht der Franzosen mit den Österreichern. Da riß eine Kanonenkugel dem gleichen Soldaten beim gleichen Kruzifix beide Füße weg. Das ist die gerechte Strafe für mein Vergehen, bekannte reuig der Soldat; das ist ein Gottesgericht, riefen die Genossen. Ein frazösischer General ließ später das Kruzifix wieder herstellen und die Inschrift setzen, die heute noch dortsteht.
"Alles zur grösseren Ehre Gottes!" So lautet der Wahlspruch der Jesuiten. Das sei auch unsere Parole! So oft wir beten: "Geheiligt werde dein Name," steige aus unseres Herzens tiefstem Grunde der Wunsch zum Himmel: Möchte doch Gottes hl. Name von uns und allen Menschen immer mehr erkannt, geliebt und verherrlicht werden!
Dein Reich komme.
Wohl kaum etwas weckt in der Seele so wehmütige Erinnerungen wie eine alte Burg. Die vormals prächtige Wohnung ist jetzt nur noch zerbrochenes Gestein, woran der Efeu aufrankt und die Eidechse still sich sonnt. Auf der Zinne des Turmes wächst Buschwerk, und ein Tannenbaum ragt empor, wo einst die farbige Standarte aufgepflanzt war. Der Burggraben ist aufgefüllt mit Schutt, und zwischen schweren, herabgestürzten Quadersteinen drängen sich Brombeerhecken hervor; vielleicht war dort der Schlossgarten und gingen einst fröhlich zwischen Blumen und Bäumchen edle Ritterfräulein einher und spielten lachend die Kinder des Burgherrn. Aber ach, jetzt ist es so öd und still; nur ein kurzer Schrei der Weihe, die in der Höhe kreist, trifft bisweilen das Ohr, und Windeshauch zieht leise durch das halbzerfallene Tor, durch die hohen Fenster und die alten Fichten, als wären es Seufzer der längst gestorbenen Burgherren, Seufzer, dass der Sturm der Zeit all die frühere Herrlichkeit zerstäubt.
Ja, so vergeht die Herrlichkeit der Welt! Aber eine Herrlichkeit vergeht niemals, die Herrlichkeit des Himmels. Darum beten wir in der zweiten Bitte des "Vater unsers": "Dein Reich komme!"
Um dem Frankenkönig Chlodwig den Tag seiner Taufe recht feierlich und unvergeßlich zu machen, ließ der hl. Bischof Remigius die Kirche, worin er sie empfing, mit prachtvollen Teppichen, Zierpflanzen und Blumen schmücken. Das war dem Auge des rauhen Kriegers ungewohnt und neu. Darum rief er beim Eintritt in die Kirche voll Staunen aus: "Vater, ist dies das Reich, das du mir versprochen hast, wenn ich an deinen Gott glaube und seinen Willen tue?" "Nein," erwiderte Remigius, "das ist erst der Vorhof, die Vorhalle. Wenn es dir aber in der Vorhalle schon so gut gefällt, welche Freude magst du erst empfinden, wenn du einst wirklich in Gottes himmlisches Reich kommst und seine Herrlichkeit schaust?"
Ja, so ist es. Welche Seligkeit wird einst unser Herz durchströmen, wenn wir in das Reich des Himmels einziehen dürfen! "Was läufst du doch," sagt der heilige Anselm von Canterbury, "alle Länder aus und suchst Glückseligkeit für deine Seele? Suche doch das Reich Gottes, dort findest du, was dein Herz verlangt. Ergötzt dich Schönheit? Dort werden "die Gerechten glänzen wie die Sonne, und die viele zur Gerechtigkeit angeleitet, wie Sterne auf ewige Zeiten". Wünschest du langes Leben und Gesundheit? Dort ist die Gesundheit ewig und das Leben ohne Ende. Hast du Freude an Gesang und Musik? Dort singen die Engelchöre ohne Unterlass ihr dreimal "heilig", die Jungfrauen ihr "neues Lied" und die Harfenspieler greifen wunderbare Weisen auf ihren Harfen. Verlangst du Ehre und Reichtum? Dort wird Gott seine Diener, die in wenigem treu gewesen, über vieles setzen; er wird sie in den Adelsstand des Himmels erheben, und sie werden Miterben Christi sein. Willst du Sicherheit für die Dauer deines Glücks? Dort werden "die Verklärten empfangen aus der Hand des Herrn ein seliges Reich und eine zierliche Krone, die ihnen nimmer sollen genommen werden".
Im Himmel, da wartet unser ein nie getrübtes, ewig dauerndes Glück, aber nicht auf Erden, wie die Sozialdemokraten den armen und geplagten Arbeitern vormalen. Die Erde wird immer ein Tränental sein und bleiben. "Die Erde soll verflucht sein in deinem Werke und in vieler Arbeit wirst du aus ihr dich nähren alle Tage deines Lebens." Durch Kampf und Müh´, Arbeit und Leiden sollen wir den Himmel erkaufen.
Im Jahre 1113 zog ein Edelmann mit seinen vier Brüdern aus dem elterlichen Schloss Fontaines bei Dijon, um in der Einöde von Citeaux ins Kloster einzutreten. Es war Bernhard, der spätere grosse Lehrer der abendländischen Kirche. Als sie das Haus verließen, spielte eben der jüngste Bruder, Nivard, im Schlosshof. "Nun lebe wohl," sprach Guido, der älteste, "sieh, unser ganzes Erbteil gehört nun dir." Worauf dieser: "Also euch der Himmel und mir die Erde, das ist doch keine gleiche Teilung." Und Nivard schloss sich seinen Brüdern an und ging auch ins Kloster, um da einzig Gott zu leben.
Nun das ist allerdings nicht nötig, dass alle ins Kloster gehen, um des Himmels sicher zu sein. Aber das ist gewiss, dass wir nicht bloß beten dürfen: "Dein Reich komme", wir müssen auch so leben, dass wir den Himmel verdienen. Der Herr hat ja selbst gesagt: "Nicht jeder, der zu mir spricht: Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Himmel meines Vaters tut, der im Himmel ist." "Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur diejenigen, die Gewalt brauchen, reißen es an sich." Und St. Paulus sagt dasselbe, wenn er schreibt: "Niemand wird gekrönt, der nicht regelmäßig gekämpft hat." Also Kampf, Gewalt,Anstrengung ist notwendig, um das nicht mehr und seien wir stets treue und eifrige Kinder der Kirche, denn die Kirche ist es, die uns den Weg zum Himmel weist. Und darum beten wir: "Dein Reich komme", d. h. mögen wir und alle Menschen dem Reich der Kirche angehören!
O es ist so schwer, von all den Vorurteilen, in denen man aufgewachsen, sich freizumachen und zur vollen Wahrheit vorzudringen und sie anzunehmen. Leset doch nur die "Konvertitenbilder" von Räß oder Rosenthal, welche Kämpfe, welche Schwierigkeiten und Verfolgungen haben die Konvertiten durchgemacht! "Gott weiß es," sagt Professor Dr. Hugo Lämmer, "wie oft ich die Schriften der katholischen Kirche unter Tränen und mit heißem, innerem Kampfe las. Ich wollte gegen das Gewicht ihrer Beweise protestieren, wurde aber jedesmal überwunden. Und doch wollte ich nicht zugeben, dass Luther und seine Anhänger unrecht gehabt hatten. Die Demut fehlte mir noch; der wissenschaftliche Hochmut machte immer wieder seine falschen Rechte geltend. Nur durch Gebet sollte ich schließlich volle Klarheit und Wahrheit, trotz aller Anfechtungen und Kämpfe, erlangen." Und ein anderer Konvertit, Ludwig Riedt, schreibt: "Ich habe schwer gekämpft und heiß gerungen, bis ich zur vollständigen Überzeugung von der katholischen Wahrheit gelangte. Alles in mir sträubte sich gegen den Gedanken, katholisch zu werden. Ich leistete solch´ unglaublichen Widerstand, dass, wenn ich meine damaligen Gefühle schildern könnte, niemand es für möglich gehalten hätte, dass ich jemals katholisch würde."
Und wie manche, die von der Göttlichkeit der katholischen Lehre überzeugt waren, die mit seltener Aufrichtigkeit die Wahrheit der katholischen Kirche in Wort und Schrift bekannten, wie der berühmte Philosoh Leibnitz, der edle Geschichtschreiber Friedr. Böhmer und der fromme Zürcher Prediger Kaspar Lavater, sie konnten es doch nicht über sich bringen, in das Gebäude, das sie bewunderten, einzutreten, den Glauben, den sie verteidigten, anzunehmen! Und so stehen gewiss auch heute gar manche vor den Toren der Kirche, die an der Wahrheit des Katholizismus keinen Zweifel hegen, aber aus den verschiedensten Ursachen den letzten, entscheidensten Schritt nicht wagen. O beten wir darum mit ganzen Inbrunst unseres Herzens: "Dein Reich komme!" O Gott, gib doch all den Irr- und Ungläubigen die Gnade, die Wahrheit zu erkennen und anzunehmen, auf dass bald ein Schafstall und ein Hirte werde!
Wir können Glieder der Kirche sein, aber wir sind tote Glieder, wenn die heiligmachende Gnade nicht in unseren Herzen wohnt. Darum bitten wir in der zweiten Bitte zugleich, dass die Gnade Gottes unsere Herzen regiere.
Wisst ihr, wie es demjenigen zu Mute ist, in dem das Reich der Gnade verwüstet und zerstört darniederliegt? Clemens Brentano, der grosse Dichter, hat es uns gesagt. "Nachdem ich Gottes Gnade verloren," schreibt er, "kam mir das Leben vor wie eine trostlose, öde Wüste, wo nirgends ein Strauch, nirgends ein Grashalm, nirgends eine erfrischende Quelle sich findet. Ich versank in namenlosen Jammer, Missmut und Trübsinn und sah überall nur Elend." In diesem entsetzlichen Leid drin wandte er sich einmal an Luise Hensel, die damals noch protestantisch war. Die berühmte Dichterin erwiderte dem gottverlassenen Manne, der sein Herz vor ihr ausschüttete; "Was klagen sie mir Ihr Leid? Gehen Sie doch zu einem katholischen Priester und legen Sie eine gute Beichte ab!" So sprach die Protestantin. Und sie hatte recht. Da, in der heiligen Beichte, findet der gottentfremdete und verlassene Sünder die heiligmachende Gnade, und damit kehrt das Reich Gottes, das Reich der Liebe und des Friedens, wieder in seine Seele zurück. Schaut den Tautropfen im Sonnenstrahl, wie er leuchtet und funkelt! Wenn euere Seele die heiligmachende Gnade besitzt, dann trifft sie ein Strahl aus der Sonne des göttlichen Wesens, sie ist ein Abglanz der unendlichen Schönheit und Herrlichkeit Gottes, und nicht bloß die heiligen Engel, Gott selber schaut in innigstem Wohlgefallen, in zärtlichster Liebe auf sie nieder und lässt sie einst zum himmlischen Hochzeitsmahl zu.
"Dein Reich komme!" So kurz ist die Bitte und doch so tief und inhaltsreich. Mache, o Gott, dass ich die heiligmachende Gnade niemals verliere oder die verlorene wieder gewinne! Mache, dass ich immer ein treues Glied der Kirche bleibe, und dass Irr- und Ungläubige zum einen grossen Schafstall sich wenden! Mache, dass wir und alle Menschen in den Himmel kommen! Es komme zu uns das Reich des Himmels, das Reich der Kirche und der Gnade! Es komme zu uns das Reich des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Als im Jahre 1820 zu Wien eine Klosterfrau dem schwerkranken P. Clemens Maria Hofbauer bemerkte: "Wir wollen beten, dass Gott Ihnen noch viele Jahre Leben und Gesundheit schenke," da erwiderte der Diener Gottes: "Nicht unser Wille, sondern der Wille Gottes geschehe!" Die Nonne sagte: "Aber ihr Tod wäre doch für uns und für viele ein grosses Unglück!" Darauf entgegnete Hofbauer: "Die Sünde allein ist ein Unglück."
"Dein Wille geschehe", sagen wir daher in der dritten Bitte. Wie gibt sich der Wille Gottes kund? Er gibt sich kund in den 10 Geboten Gottes und den 5 Geboten der Kirche. "Wie im Himmel, also auch auf Erden." Im Himmel, da erfüllen die Engel den Willen Gottes ganz vollkommen, sie tun alles, was Gott ihnen aufträgt, sie tun es schnell, sie tun es gerne und genau. So soll auch auf Erden der Wille Gottes erfüllt werden. Wir müssen die Gebote Gottes und der Kirche beobachten: schnell, ohne Zögern, ohne zu warten, gerne, mit freudigem und bereitwilligem Herzen, genau, pünktlich bis ins kleinste hinein. Wie schön wäre es auf Erden, wenn alle Menschen so den Willen Gottes erfüllten! Da würde die Welt zum halben Paradiese.
Aber gar viele lehnen sich auf gegen Gottes heiligen Willen durch Ungehorsam. "Non serviam", so sprechen sie mit den aufrührerischen Engeln im Himmel, "ich mag nicht dienen, ich will nicht gehorchen."
Doch muss der Wille Gottes nicht bloß von uns, sondern auch an uns geschehen. Was will das sagen?
"Man zählte das Jahr 1349," so sagt eine alte Chronik, "da war das grösste Sterben, das je war; das Sterben ging von einem Ende der Welt bis an das andere und jenseits und diesseits des Meeres. Manches Land starb ganz aus, dass niemand mehr da war. Man fand auch manche Schiffe auf dem Meere mit Kaufmannsschatz, darin die Leute alle tot waren, und niemand die Schiffe führte. Wovon dieses sterben komme, das konnten alle weisen Meister oder Ärzte nicht anders sagen, denn das es Gottes Wille wäre."
Gott gibt uns seinen Willen kund durch die Gebote, und diesen müssen wir erfüllen; aber er offenbart uns seinen Willen auch durch seine Schickungen und Zulassungen und diesem Willen müssen wir uns unterwerfen, wir müssen uns drein fügen oder ergeben.
Gott ordnet und leitet alles in der Welt; aus seiner Hand kommen Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, Armut und Reichtum, Glück und Unglück; er schickt Sonnenschein oder Regen, Hitze oder Kälte, freundliches Wetter oder Sturm und Ungewitter; ohne seinen Willen fällt kein Sperling vom Dach, kein Haar von unserem Haupte; ohne seine Zulassung kann niemand uns ein Leid antun. "Wo die Weisheit unendlich ist, bleibt kein Platz übrig für den Zufall", sagt Bossuett. In allem also, was uns widerfährt, mag es bitter und hart sein und noch so wehe tun, in allem müssen wir Gottes väterliche Hand, seinen heiligen Willen erblicken, und diesem unendlich weisen und gütigen Willen müssen wir allezeit und überall uns unterwerfen; bei allem, was über uns kommt, sollen wir beten: "Herr, dein Wille geschehe!" "Nicht wie ich will, sondern wie du willst, o Herr."
So betete Job. Als er fast mit einem Schlag seine Habe einbüßte, da fiel er zur Erde nieder, betete Gott an und sprach: "Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!" Und da sogar sein eigenes Weib ihn irre machen wollte in seiner demütigen Ergebung, gab er die schöne Antwort: "Wir haben das Gute angenommen von der Hand Gottes, warum sollten wir nicht auch das Schlimme annehmen?"
So betete Johannes Chrysostomus. Er war Bischof von Konstantinopel. Weil er in seinen Predigten unerschrocken die Wahrheit verkündete, so hatte er viele Feinde. Besonders war ihm die Kaiserin Eudoxia übel gesinnt. Sie brachte es durch ihre Umtriebe dahin, dass Johannes in die Verbannung geschickt wurde. Beim Abschied sprach er zum Volk: "Der Name des Herrn sei gelobt in Ewigkeit!" Und als der mutige Bischof durch dieselbe Kaiserin Eudoxia wieder aus der Verbannung zurückgerufen wurde, da war das erste Wort, das er an seine Herde richtete: "Der Name des Herrn sei gelobt in Ewigkeit! Ist etwas Gutes geschehen, so lobet Gott, und das Gute bleibt; ist etwas Schlimmes geschehen, lobet Gott, und das Schlimme geht vorüber!" Und noch vor dem Sterben lautete sein letztes Wort: "Der Name so des Herrn sei gelobt in Ewigkeit!"
So betete Martinus, Bischof von Tours. Priester und Gläubige umstanden weinend sein Krankenbett. Voll Kummer und Besorgnis fragten sie den sterbenden Bischof: "Warum, o Vater, verläßt du uns? Raubgierige Wölfe werden hereinbrechen und die Herde verzehren, die du bis jetzt beschützt und geleitet hast." Da faltete der 80jährige Greis die Hände und betete: O Herr, wenn ich deinem Volke noch notwendig bin, so weigere ich mich nicht, die Bürde noch länger zu tragen. Fiat voluntas tua! Dein Wille geschehe!"
So betete jener Bettler, dem Tauler, der berühmte Predigermönch, einen "guten Tag" wünschte. "Ich habe noch nie einen schlimmen Tag gehabt," erwiderte der Bettler. "Wie meint ihr das" fragte Tauler, "Ihr seid doch alt und verlassen, schlecht gekleidet und arm." Der Bettler sprach: "Jeden Tag, den ich lebe, schickt mir Gott. Gott ist aber allgütig, er kann und will mir nichts Schlimmes geben. Darum habe ich bis heute lauter gute Tage und keinen einzigen schlimmen gehabt."
"Dein Wille geschehe!" So wollen auch wir allzeit beten. Mag uns der Herr Glück oder Unglück, Ehre oder Verachtung, Reichtum oder Armut, Freud oder Leid schicken, immerdar wollen wir sprechen: "Dein Wille geschehe!" Dann werden auch wir mit dem christlichen Dichter in des "Bettlers Testament" singen können:
"Nicht eine Stund´, nicht eine
War ich nicht froh und reich,
Sein Wille und der meine,
Sie waren immer gleich.
In seinem heil´gen Namen
Ist all mein Reden stumm,
Ich sagte stets nur Amen,
Und fragte nie Warum."
Wollet ihr aber auch wissen, wie es gehen kann, wenn man den Willen Gottes nicht erfüllt? Kurze Zeit vor der französischen Revolution von 1789 stellte sich eines Tages dem Obern eines Kapuzinerklosters ein junger Mann vor, aus einer guten Familie des Mittelstandes, und bat um Aufnahme ins Kloster. Der gute Vater prüfte allseitig die Gesinnung des Jünglings; er fand ihn von Gott zum Ordensleben berufen und gab ihm schließlich einen Brief mit an den Vorsteher des Noviziates.
Freudig bewegt verließ der junge Mann die Klosterpforte, machte jedoch, ehe er das Schreiben ablieferte, noch einige Besuche bei seinen Verwandten. Diese redete die Idee, Kapuziner zu werden, ganz aus. Er werde sich doch nicht für sein ganzes Leben innert vier Mauern einschließen wollen, sagten sie; das sei viel zu beschwerlich für ihn und zu langweilig. Und der Jüngling ließ sich überreden; anstatt ins Kloster, ging er nach Paris und studierte die Rechte und wurde ein einflußreicher Advokat.
Was ist später aus ihm geworden? Das sagt uns die Weltgeschichte, und wenn ich nur den Namen des Blutmannes nenne, der an jenen Ereignissen, die Frankreich in ein Meer von Blut und Tränen versenkten, einen ganz hervorragenden Anteil nahm, so empfindet jeder Grausen und Abscheu; es ist der berüchtigte Robespierre. Sich selbst überlassen, geriet er in die furchtbarsten Verirrungen; hätte er dem Willen Gottes gefolgt, so wäre er wohl zu einem der bedeutendsten und glücklichsten Männer Frankreichs geworden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Es war eine Hungersnot in Athen. Da gingen Boten nach Sparta, versehen mit leeren Mehlsäcken, und sie setzten lang und breit auseinander, in welch´ grosser Not Athen sich befinde. Die Spartaner aber hielten wenig auf viele Worte; sie erwiderten: "Über euren langen Reden haben wir den Sinn eurer Bitte ganz vergessen, sagt kurz, was euer Begehr!" Da schlugen die Athener auf ihre leeren Mehlsäcke, um zu zeigen, dass sie nicht einmal mehr staubten. Das war für die Spartaner genug; sie füllten die Mehlsäcke und schickten damit die Athener nach Hause.
Noch weniger braucht´s beim lieben Gott, um ihn über unsere Nöten in Kenntnis zu setzen, ein einziges Wörtchen genügt: "Brot!" "Gib uns heute unser tägliches Brot!" Wir unterscheiden aber ein doppeltes Leben, das Leben des Leibes und das Leben der Seele, oder das natürliche und übernatürliche Leben, und bedürfen deshalb auch eines doppelten Brotes. Wir reden zuerst vom Brot des Leibes.
"Unser tägliches Brot gib uns heute!" Jedes Wort ist voll Bedeutung. "Gib!" Also ist das tägliche Brot und alles, was wir zum Leben brauchen, eine Gabe Gottes. Wie leicht vergessen wir das! Weil Gott nicht aufhört, uns Tag für Tag mit dem Nötigen zu versorgen, so meinen wir, es verstehe sich von selbst, wir danken ihm nicht einmal dafür. In so vielen Häusern wird vor und nach Tisch nicht mehr gebetet. Könnte es nicht geschehen, dass Gott solchen Leuten das Brot einmal gänzlich entzöge? Auch der Reiche hat alles, was er besitzt, von Gott, und der gleiche Gott kann ihm auch mit einem Male alles wieder nehmen. Wie oft habe ich in Paris vornehm gekleidete Leute gesehen, wie sie an irgend einer Strassenecke aus einem grossen Kessel sich Suppe geben ließen, die sie dann hastig verzehrten, um nicht beobachtet zu werden. Alles wies darauf hin, dass sie vorher reich, sehr reich gewesen waren. Jetzt sind sie arm, sie haben nichts mehr als den Rock, den sie am Leibe tragen, und die Glacéhandschuhe, die sie in der Hand halten. Durch ein Unglück, durch einen Bankkrach, durch eine verfehlte Spekulation sind sie mit einem Schlag um ihr ganzes Vermögen gekommen. Wie viele haben sich schon in dieser Lage drin selbst den Tod gegeben! Die grossen Städte wissen jedes Jahr von solch entsetzlichen Katastrophen zu berichten.
Und dann auch: Was nützt einem Reichen Geld und Gut, wenn er krank wird und keine Speise zu sich nehmen oder die genossene nicht mehr verdauen kann? In Baden-Baden starb vor längeren Jahren ein Fürst den Hungerstod. Er verfügte über Millionen; aber es war ihm die Schlingröhre zugewachsen, so dass er gar nichts mehr genießen konnte; er musste bei all seinen Reichtümern verhungern.
"Uns". Gib uns, nicht mir! Die wahre Liebe verlangt, dass wir an unsere Mitmenschen denken und auch für sie um Brot bitten, ja dass wir, wenn sie keines haben, ihnen solches verabreichen. "Gib Almosen von deinem Vermögen und wende von keinem Armen dein Angesicht ab, denn also wird es geschehen, dass des Herrn Antlitz auch von dir nicht abgewendet werde."
Erzherzog Karl, der Besieger Napoleons, berichtet: Als man einen der grössten Helden des vorigen Jahrhunderts auf dem Todesbett mit dem Andenken an seine vielen erfochtenen Siege trösten wollte, antwortete er: "O hätte ich doch lieber einem Armen einen Becher Wasser gereicht." Darum sparte eine Kaiserin Mutter von Österreich, Karolina Augusta, lieber an ihrem eigenen Munde, um den Armen mehr geben zu können. Der Hofzuckerbäcker wird abbestellt mit den Worten: "So habe ich etwas mehr für meine Armen." Der Arzt verordnet eine Mineralwasserkur. Das Wasser bekommt der Kaiserin gut. Kaum fühlt sie sich besser, bestellt sie es ab: "Das ist nicht mehr nötig, so habe ich etwas mehr für meine Armen."
"Heute". Wir denken bloß an den heutigen Tag, wir beten nicht um das tägliche Brot fürs ganze Leben. Wohl sollen wir sparen, und wenn möglich, einen Notpfennig auf die Seite legen, nur dürfen wir nicht ängstlich für die Zukunft sorgen; wir müssen das Unsrige tun und dann kindlich auf die göttliche Vorsehung vertrauen. "Sorget nicht für den morgigen Tag," hat der Herr selber gesagt. Wir wissen ja nicht, ob wir morgen noch leben. Es war ein reicher Mann, und seine Äcker trugen viele Früchte. Da dachte er bei sich nach und sprach: Was soll ich tun? Denn ich habe keinen Platz, wo ich meine Früchte unterbringen kann. Ich will meine Scheunen niederreißen und größere bauen, und dann will ich zu meiner Seele sagen: "Nun hast du Vorrat auf sehr viele Jahre, ruhe aus, iß und trink, und lass dir wohl sein!" Gott aber sprach zu ihm: "Du Tor, noch diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern."
Noch etwas will das Wörtchen "heute" sagen. Jeden Tag bedürfen wir des täglichen Brotes, und doch bitten wir nur für heute darum. Dadurch gibt uns der Herr zu verstehen, dass wir eben jeden Tag das "Vater unser" beten sollen, auch dann, wenn wir scheinbar nicht erhört werden. Vor Jahren verlor ein Mann seine Anstellung. Er war verleumdet worden, daher tat es ihm um so mehr weh. Seine Familie kam in grosse Not. Aber er verlor den Mut nicht, er schimpfte und murrte nicht gegen Gott, sondern fuhr fort, alle Tage mit Frau und Kindern zu beten. Dabei war er nicht untätig. Er sah sich nach einem anderen Posten um und sandte an mehrere Orte, wo Stellen offen waren, seine Offerte ein. Von keiner Seite kam eine Antwort. Wir müssen noch mehr beten, sagte der bekümmerte Vater, morgen wollen wir eine 9tägige Andacht anfangen. Es geschah, und zwar mit jener Innigkeit, welche die Not einflößt. Aber jetzt kam doch gewiss Hilfe? Nein, nirgends leuchtete ein Strahl der Hoffnung, und hätte der arme Mann nicht festes Gottvertrauen und echt religiösen Sinn gehabt, so wäre er, gleich tausend anderen, in die verzweifelten Worte ausgebrochen: "So, jetzt ist´s fertig. Wenn das geschehen kann in der Welt, dass ein rechtlicher Mann und eine brave Frau und vier unschuldige Kinder neun Tage auf den Knien liegen und um Hilfe bitten und alles umsonst ist, so kümmert sich entweder der liebe Gott um die armen Leute nicht, oder es gibt keinen Gott."
Aber solche gotteslästerliche Worte kamen nicht über seine Lippen. Er wandte sich vielmehr noch dringender an Gott und sprach: "Wir haben noch nicht genug gebetet, wir müssen noch eine 9tägige Andacht machen, und gleich heute fangen wir an."
Gesagt getan. Am folgenden Morgen kam der Bote ins Haus und brachte einen Brief mit fünf Siegeln. Ein Geldbrief! Woher haben wir denn Geld zu erwarten? Der Brief kam von einem alten Bekannten, dem Karl Schmülling - so hieß der Bedrängte - einmal mit einem bedeutenden Anlehen aus der Not geholfen. Es war schon lange her, nie hatte er mehr an Rückerstattung des Geldes gedacht. Jetzt aber sah er es für eine liebevolle Fügung der göttlichen Vorsehung an, dass er gerade in diesem Augenblick der Not sein Geld zurückerhielt.
Am 4. Tage kam der Briefbote wieder ins Haus, diesmal mit einem Brief, versehen mit Amtssiegel. Er enthielt die Einladung, sofort an einen bestimmten Ort zu kommen, um wegen einer Anstellung zu unterhandeln. Schmülling ging. Man war bald eins, und am letzten Tage der 9tägigen Andacht bekam er die schriftliche Ausfertigung seiner neuen Anstellung in die Hand.
"Unser". Das Wort "unser" verpflichtet jedermann, das eigene und nicht fremdes Brot zu essen. Das eigene Brot ist jenes, das man sich redlich verdient oder erworben, und dieses rechtmäßig erworbene Brot macht am glücklichsten. Jene aber, die ungerechtes Brot essen, die Betrüger, die Wucherer, die Diebe und Müßiggänger, die werden an sich die Wahrheit des Sprichwortes erfahren: "Das Lügenbrot ist dem Menschen süß, nachher aber wird sein Mund mit einem Steine erfüllt."
"Tägliches". Nicht Reichtum und Überfluss erbitten wir uns; denn "die reich werden wollen, fallen in Versuchungen und Fallstricke des Teufels und viele unnütze und schädliche Begierden, welche die Menschen in Untergang und Verderben stürzen".
"Brot". Darunter verstehen wir alles, was wir für den Lebensunterhalt nötig haben, also Nahrung, Kleidung, Obdach. Es sind nicht ausgesuchte Speisen und seltene Weine gemeint, nicht Kleider von Seide und kostbaren Stoffen, nicht Paläste aus Marmor und Zedernholz, sondern einfache, gesunde Nahrung und starke, schützende Kleidung und bescheidene, freundliche Wohnung. Das sagt das Wörtchen "Brot". Es liegt darin eine ernste und kräftige Nahrung an die Reichen und Wohlhabenden, nicht allzuviel auf Kleiderstaat, auf Leckerbissen und kostspielige Hauseinrichtung zu verwenden, sondern von dem Überfluss die Armen und Hungrigen zu speisen.
Viel wichtiger als das leibliche Brot ist das Brot der Seele. Das ist einmal das Wort Gottes. "Wer aus Gott ist, der hört Gottes Wort; darum hört ihr es nicht, weil ihr nicht aus Gott seid." "Selig sind, die das Wort Gottes hören und dasselbe beobachten." Liegt in diesen Worten nicht ein sehr deutliches Verdammungsurteil aller derjenigen, die höchst selten einer Predigt oder Christenlehre beiwohnen, es also verschmähen, das Wort Gottes zu hören? Mag einer noch so gescheit sein, mag er noch so viele Kenntnisse besitzen und verschiedene gelehrte Bücher geschrieben haben, so ist er doch ein Tor, wenn er die höchste Wissenschaft, die Lehre des Heiles, nicht kennt.
Brot der Seele ist ferner die Gnade Gottes, durch die der Herr uns Tag für Tag stärkt und uns hilft zu allem Guten. Ganz besonders ist der Seele Brot - das allerheiligste Sakrament des Altars. Bartolomeo Saluzzo lehnte sich eines Tages zur Winterzeit an einem Baum, von welchem die Früchte längst gepflückt und die Blätter abgefallen waren. Und siehe, da fing der Baum plötzlich wie im Frühling, zu sprossen an; er trieb Blätter und Blüten, wie der Bischof des Ortes, wo es geschehen, selber als Augenzeuge berichtet. Das Volk fiel über den wundersamen Baum her, schnitt Blätter und Blüten ab und nahm sie als Andenken mit sich nach Hause.
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Ein Mann betete jahrelang das "Vater unser" nicht mehr. Er machte das Kreuzzeichen und begann dann sofort das "Gegrüßet seist du Maria". Denn so oft er im "Vater unser" zur fünften Bitte kam, konnte er nicht weiter beten. Von da unterließ er es ganz.
Wie heißt denn die fünfte Bitte: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern."
Sobald der Mensch sündigt, wird er ein Schuldner der göttlichen Gerechtigkeit, und zwar ein solcher Schuldner, der mit eigenen Mitteln, aus eigener Kraft seine Schuld in alle Ewigkeit nicht abtragen kann. Die Schuld des Sünders - wir reden von der Todsünde - ist unendlich, denn er beleidigt die unendliche Majestät und Heiligkeit Gottes. Eine unendliche Schuld fordert aber eine unendliche Genugtuung, und diese kann der Mensch, ein armes, schwaches endliches Geschöpf, niemals leisten. Darum erfolgt für eine jede schwere Sünde von Seite der beleidigten Majestät eine ewige Strafe, es sei denn, dass Gott sich unser erbarmt und die Schuld aus Gnade uns nachlässt. Darum bitten wir nun, wenn wir beten: "Vergib uns unsere Schuld!" Wir sind ganz arm und hilflos. Nicht den geringsten Teil unserer Schulden können wir bezahlen. Deswegen ist unsere einzige Hoffnung gegründet auf deine Barmherzigkeit, auf dein Vaterherz, und wir können nur rufen: "Vergib uns unsere Schuld!"
Oder glaubt etwa jemand, es stehe nicht so schlimm. So denkt doch ein wenig nach über alle Gedanken, Worte und Werke, die seit dem ersten Tag des Vernunftgebrauches bis heute in eurem Schuldenbuch verzeichnet stehen; zählt sie zusammen, wenn ihr könnt, alle Vergehen und Fehltritte, die ihr bis auf diese Stunde begangen. Müssen wir nicht zittern beim Gedanken an die Sünden unserer Kindheit, unserer Jugend, unseres reiferen Alters, unseres Greisenalters? Müssen wir nicht schmerzbewegt und voll Reue ausrufen: "Vergib uns unsere Schuld!"
Aber das ist nicht einmal genug. Um wirklichen Nachlass unserer Sünden zu erhalten, müssen wir dieselben auch beichten. So will es Gott der Herr; denn umsonst hat er das Bußsakrament nicht eingesetzt. Das Beichten ist aber ein schweres Geschäft. Wie versteht es die Eigenliebe so gut, das Auge zu blenden, dass der Mensch seine Sünden nicht sieht oder Todsünden nur für Kleinigkeiten hält! Wie hart und kalt ist oft das Herz, dass es keine Reue empfindet, selbst über die schwersten Sünden! Und welche Überwindung, welchen Kampf kostet es manchmal, seine geheimsten Vergehen dem Priester offen zu gestehen! Alles das ist nur möglich mit der Gnade von oben. Darum beten wir mit inniger Andacht: "Vergib uns unsere Schuld!" O Gott, gib uns die Gnade, unsere Sünden recht zu erkennen, herzlich zu bereuen und aufrichtig zu beichten!
"Vergib uns", heißt es. Vergib mir, aber auch allen andern, die dich beleidigt haben, allen, die in deinem Dienste nachlässig gewesen, die dich vielleicht ganz vergessen und sich nicht mehr um dich kümmern, allen, die sogar voll Hass und Ingrimm gegen dich sind und duch Wort und Schrift dein Reich auf Erden zu zerstören suchen, vergib uns und allen Sündern und lass uns den rechten Weg zum Himmel wieder finden! Da zeigt sich so recht die wahre, alle umfassende Nächstenliebe.
"Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern." "Verzeihe deinen Nächsten, wenn er dich beleidigt hat; dann werden auch dir, wenn du bittest, deine Sünden nachgelassen." "Wenn ihr den Menschen ihre Sünden vergebt, so wird auch euch euer himmlischer Vater auch eure Sünden vergeben." Daran also ist die Erhörung der fünften Bitte geknüpft, dass wir vorerst unserm Nächsten von Herzen verzeihen. Denn Gott kann uns doch nicht vergeben, so lange wir in der Sünde verharren, so lange wir Hass und Feindschaft gegen den Mitbruder, die Mitschwester im Herzen tragen. Wir müssen sprechen können wie der edle Präsident der Republik Equador, Garcia Moreno. Er starb am 6. August 1875, aus zweiundzwanzig Wunden blutend. Als man ihn vor dem Tode fragte, ob er seinen Meuchelmörder verzeihe, antwortete er: ""Ich habe ihm schon verziehen." Wir müssen sprechen können wie Ludwig XVI. von Frankreich, der am 21. Januar 1793 auf dem Schafott starb. "Franzosen! Ich sterbe unschuldig! Ich verzeihe den Urhebern meines Todes. Möge mein Blut nicht auf Frankreich zurückfallen!" Das waren seine letzten Worte.
Da lebte vor Jahren in einem Flecken Spaniens eine arme Witwe, die nur einen Sohn hatte. Eines Abends stürzt ihre Nachbarin ganz aufgeregt ins Haus und ruft: "Tia Manuela, ein Streit ist ausgebrochen unter jungen Leuten, wobei einer tot blieb, und dieser Tote ist - euer Sohn." Das war wie ein Blitzschlag ins Herz der armen Mutter. Sie reißt wie wahnsinnig die Türe auf und will forteilen, um ihren toten Sohn zu sehen. Da versperrt ihr ein junger Mann den Weg, sein Antlitz ist bleich und verstört, seine Kleidung mit Blut befleckt, er hält die Frau zurück und stammelt: "Tia Manuela, man verfolgt mich, man sucht mich, ich hab´s getan; aber um Jesu willen verzeiht mir, rettet mich, verbergt mich in Eurem Hause, hier sucht mich niemand." Welche Zumutung an die arme, unglückliche Mutter! Und was tut sie? Sie spricht kein Wort, sie führt den Mörder in ihre Kammer und winkt ihm, sich unter der Bettstelle zu verstecken. In demselben Augenblick öffnet sich die Tür: man bringt der Mutter den Leichnam ihres Sohnes und legt ihn auf dasselbe Bett, unter welchem der Mörder sich verborgen hält. Das war für die Mutter doch zu viel! Sie wirft sich in namenlosem Schmerz auf ihren Sohn und bricht in untröstliches Weinen aus. Als sie wieder etwas zu sich gekommen, trat der Untersuchungsrichter ins Zimmer und sprach: "Man sagt, der Mörder habe sich in dieses Haus geflüchtet, ist das wahr?" Die schwergebeugte Frau erinnert sich an die flehentliche Bitte des Mörders und spricht: "Wie können Sie so etwas denken?" Der Beamte erwiderte: "Ich sagte gleich, es könne nicht sein," und verließ das Haus. In der folgenden Nacht aber gibt die Mutter dem Mörder Kleider von den Kleidern ihres ermorderten Sohnes und entläßt ihn mit den Worten: "Verzeihe dir Gott, wie ich dir verzeihe! Geh hin und tue Buße für dein Verbrechen!"
Johannes Gualbertus, von Geburt ein vornehmer Florentiner, war Offizier. Er hatte einen einzigen Bruder, Hugo. Dieser wurde von einem Blutsverwandten getötet. Johannes schwor dem Mörder blutige Rache. Eines Tages - es war Karfreitag - traf er ganz unerwartet mit demselben zusammen. Johannes war bewaffnet, der andere wehrlos. Da wirft sich der Mörder auf die Knie und fleht: "Um Jesu Christi willen, der heute für uns alle verzeihend am Kreuze gestorben, verzeihe auch mir!" Und Johannes steckt sein Schwert in die Scheide, reicht dem Mörder seines Bruders die Hand und spricht: "Um des Gekreuzigten willen verzeihe ich dir." Ja, er nehm sogar den Mörder an Bruders Statt an, hängte seine Waffenrüstung in der nächsten Kirche neben dem Altar auf, trat in das Kloster bei San Miniato und wurde ein grosser Heiliger.
Nicht verziehen aber hat Sapricius, der in der ersten christlichen Zeit lebte. Er war inniger befreundet mit Nicephorus. Eines Tages gerieten die besten Freunde in heftigen Wortwechsel. Von da war es aus mit der Freundschaft. Sie grüßten und besuchten sich nicht mehr. Aber eines Abends, als Nicephorus im "Vater unser" zu der Bitte kam: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern", da wurde ihm auf einmal klar, dass er zuerst seinem Feind verzeihen müsse, ehe Gott ihm vergeben könne.
Am anderen Tage ging er hin, so schwer es ihm auch fiel, und bat den Sapricius um Verzeihung. Umsonst, dieser weist ihm zurück.
Sapricius war Priester. Da wartet Nicephorus, bis Sapricius in die Kirche geht, die heilige Messe darzubringen. Dann wirft er sich ihm zu Füßen und bittet um Verzeihung bei der Liebe des göttlichen Heilandes, der sich auf dem Altare für alle Menschen opfert. Umsonst, Sapricius weist ihn abermals zurück.
Bald darauf bricht eine Christenverfolgung aus. Sapricius wird - einer der ersten - als Christ verklagt, in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt. Es kommt der Tag der Hinrichtung. Nicephorus stellt sich am Wege zum Richtplatze auf, und als Sapricius herbeigeführt wird, drängt er sich durch die Menge, küßt des Priesters Ketten und ruft: "Vergiß nicht, mir zu verzeihen, ehe du stirbst!" Sapricius weist ihn zum dritten Male zurück, er will nichts von Aussöhnung wissen. Schon erhebt der Henker das Schwert zum Streiche, nochmals bittet Nicephorus um Verzeihung, und was geschieht? Anstatt zu sagen: "Ich verzeihe", öffnet Sapricius den Mund und spricht: "Ich opfere den Göttern!" Er fällt vom Glauben ab, er wird Apostat. Da tritt Nicephorus vor und ruft: "Auch ich bin ein Christ; es ist Verrat an Christus, den Göttern zu opfern; tötet mich! Auch ich bin ein Christ. Und Nicephorus stirbt den Martyrertod.
So weit verlässt die Gnade Gottes den Menschen, der nicht verzeihen will. Darum vergebt, nur dann kann Gott auch euch vergeben, nur dann könnt ihr von Herzen beten: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern."
"Oft muss ich weinen, wenn ich denke,
Es häuft sich täglich meine Schuld,
Und du, den ich so häufig kränke,
Trägst mich noch immer mit Geduld.
O lass in deinen Liebesarmen
Erweichen dieses Herz von Stein,
Und wie ich hoffe auf Erbarmen
Lass mich den Nächsten auch verzeihn!"
Führe uns nicht in Versuchung.
Im Rheintal, zwischen der alten Bischofsstadt Chur und dem Bodensee, gerade mittenwegs, liegt auf Schweizerboden eine Ortschaft, die auffälligerweise ganz katholisch ist, während die umliegenden Orte sich zum Protestantismus bekennen. Die Ortschaft heißt Gams. Wie ist es nun geschehen, dass Gams den katholischen Glauben treu blieb?
Die Gamser hatten aus dem Nachbarort, der zuerst abgefallen war, die freundnachbarliche Einladung erhalten, hin zu kommen und abzuschwören. Es war gerade das Fest Christi Himmelfahrt, als sie der Einladung folgen wollten. Wie in Prozession zogen sie an Wiesen und Büschen vorbei, dem Nachbarort zu. Als die Waller an eine Stelle kamen, wo neben dem Weg der Wuzelstumpf eines abgehauenen Baumes emporstand, stellte sich ein ehrwürdiger Greis auf diesem Stock und winkte mit den Armen zum Stillstehen. Dann hub er an: "Ihr lieben Landsleute, hört mich! Ihr habt ein wichtiges Werk vor, ihr wollte den Glauben abschwören, in welchem unsere Väter und Vorväter glücklich gelebt und zuversichtlich gestorben sind. Habt ihr die Sache auch schon mit dem lieben Gott überlegt?" Da stutzten die Leute. Nein, gebetet hatten sie noch nicht. "So lasst uns jetzt beten," fuhr der Sprecher fort. Die Leute knieten nieder und fingen an zu beten - das "Vater unser". Sie beteten mehrere. Und nachdem sie gebetet, kehrten sie wieder um und überwanden die Versuchung und blieben katholisch. So können auch wir alle Versuchungen überwinden. Woher kommen sie denn?
Nicht von Gott. Heilig und gerecht wie er ist, kann er niemanden zur Sünde reizen. Sie kommen also von der bösen Lust, von der Welt und dem Teufel.
Zunächst geht der Satan, nach den Worten des hl. Petrus, "umher wie ein brüllender Löwe, suchend, wen er verschlingen könne". Stets beobachtet er uns, fort und fort wartet er auf den günstigen Augenblick, um uns zu überfallen. Er lässt uns keine Ruhe weder bei Tag noch bei der Nacht, weder in der Einsamkeit noch in der Gesellschaft, weder in gesunden noch in kranken Tagen. Nichts hält ihn ab, keine Würde der Person, keine Höhe der Tugend; nichts schreckt ihn zurück, kein misslungener Versuch, keine erlittene Niederlage. Haben wir ihn auch 99mal besiegt, so versucht er es zum hundertsten Male, ob er uns endlich zum Falle bringe.
Sieht jedoch der böse Feind sein Unvermögen ein, sich des Christen zu bemächtigen, so rechnet er auf die kräftige Unterstützung seiner Getreuen, derjenigen, die ihm bereits angehören.
Der Böse, von seinem schuldbeladenen Gewissen gefoltert, wirbt Genossen. Er flieht die Einsamkeit, denn da treten seine Sünden und Frevel mahnend vor seine Seele. Er trachtet daher auf alle mögliche Weise auch andere in sein Sündenleben hineinzuziehen, um in Gesellschaft Gleichgesinnter sein Gewissen zu beschwichtigen, die warnende Stimme in seinem Innern zu ersticken. Mit der unschuldigsten Miene von der Welt treten die Verführer an den Guten heran. Sie sprechen anfänglich von gleichgültigen Dingen, lenken allmählich das Gespräch auf anderes, beobachten genau den Eindruck, den ihre verführerischen Reden hervorrufen, und wissen es durch ihre scheinbare Unbefangenheit und täuschende Heuchelei bald dahin zu bringen, dass der Arme in ihren Netzen gefangen liegt. Insbesondere ist der Spott über religiöse Dinge, über Priester und Fromme in den Händen der Gottlosen eine der mächtigsten Waffen, um den Guten und eifrig Gesinnten nach und nach wankend zu machen und zum Abfall von Gott zu bewegen. Bezeugen nicht die Erscheinungen eines jeden Tages diese traurige Wahrheit?
Ja, wie ein reißender Strom ergießt sich die Verführung über Stadt und Land, bald ist die letzte Hütte im Gebirge vor ihren verpesteten Wassern nicht mehr sicher. Jünglinge und Jungfrauen, die heute noch das Gewand der Unschuld schmückt, - morgen schon stehen ihre Namen im Buch des Todes geschrieben. Wie zahlreich und wie mächtig sind die Reize der Verführung! Wie viele verwünschen in der andern Welt ihre Verführer! - Doch das sind noch nicht alle Gefahren unseres Heiles, die grössten bergen wir in unserm eigenen Innern.
Seit dem verhängnisvollen Tagen der ersten Sünde unserer Stammeltern ist des Menschen Herz der Herd unzähliger böser Neigungen und Leidenschaften, die oft zum hellen Brande aufflackern. Wer fühlt nicht diesen beständigen Kampf in seinem Innern zwischen den zwei Menschen, dem guten und dem bösen, wie schon die alten Heiden sich ausdrückten? Wer fühlt nicht in seinem Herzen die Regungen des Zornes, der Sinnlichkeit, des Stolzes, der Habsucht?
Aber warum lässt denn Gott zu, dass wir versucht werden? Das geschieht aus den weisesten Absichten. Er will uns einmal prüfen in der Demut. Nur zu leicht schleicht sich der Stolz ins Menschenherz ein. Wenn wir auf dem Weg der Tugend nur einige Schritte vorwärts getan, so regt sich in uns die Selbstgefälligkeit. Wir bilden uns ein, schon etwas wie ein Heiliger zu sein. Wir bauen auf unsere eigene Kraft und meinen, es drohe uns keine Gefahr mehr. Aber das ist ein gefährlicher Seelenzustand. Hochmut kommt vor dem Fall, sagt das Sprichwort, und in der heiligen Schrift heißt es: "Gott widersteht den Hoffärtigen". Darum ist es gut, wenn Gott Versuchungen über uns kommen lässt. Sie öffnen uns die Augen, wir erkennen unsere Armseligkeit, es verfliegt der eitle Dunst der Einbildung, und wir sehen ein, dass wir ohne Gottes Gnade nichts vermögen.
Gott will 2. durch die Versuchungen unsere Treue erproben. Den treuen Freund erkennt man in der Not, den tapferen Soldaten im Kampfe, und ob der Mensch Gott wahrhaft liebt, das zeigt sich in der Versuchung. Da muss seine Treue die Feuerprobe bestehen; da sieht man, ob seine Frömmigkeit und Tugend nicht bloßer Schein, bloße Angewöhnung oder natürliche Neigung ist, sondern echtes reines Gold. "Im Sturme", sagt darum Basilius, der grosse Kirchenlehrer, "erprobt sich die Tüchtigkeit des Steuermanns, im Kampfe die Tapferkeit des Kriegers und in der Versuchung die Treue des Christen."
Die Versuchungen sollen 3. unsere Verdienste mehren. "Unser irdisches Pilgerleben", schreibt der hl. Augustinus, "kann der Versuchungen nicht entbehren. Niemand kann gekrönt werden, er habe denn gesiegt; niemand kann siegen, er habe denn gekämpft; niemand kann kämpfen, er habe denn Feinde und Anfechtungen." Also ist es gut, wenn Gott Versuchungen über uns kommen lässt. Jede Versuchung, die wir glücklich bestehen, ist ein Sieg über die Feinde unseres Heiles, und jeder Sieg wird als ein Edelstein glänzen in der Krone der Herrlichkeit, die Gott im Himmel uns aufbewahrt. Darum heißt es in der heiligen Schrift: "Selig der Mann, der die Anfechtungen aushält; denn wenn er ist bewährt worden, wird er die Krone des Lebens empfangen." Und darum sagt Vianney, der Pfarrer von Ars: "Die grösste der Versuchungen ist die, wenn man keine hat. Man kann sagen, dass jeder glücklich ist, wenn er Versuchungen hat; die Versuchung ist der Zeitpunkt der geistlichen Ernte, wo wir einsammeln für den Himmel. Zur Zeit der Ernte steht man früh auf und gibt sich viele Mühe; aber man klagt nicht, weil man ja erntet."
Wie wir daher die Versuchungen ohne murren hinnehmen sollen, so dürfen wir uns doch nie selber freiwillig und freventlich in die Versuchung stürzen. Wie oft kommt das vor!
Endlich müssen wir auch die Mittel gegen die Versuchungen fleißig anwenden. Das Hauptmittel besteht darin, dass wir sofort Widerstand leisten. Wer mit dem Teufel spielt, der ist in der Regel schon verloren. Widersteht daher sofort, schlagt den bösen Gedanken aus dem Sinn, lenkt den Geist auf andere Dinge. Und weil wir aus uns selber so schwach sind, so müssen wir Gott um seinen Beistand bitten. Beten wir von Herzen: "Herr hilf mir, sonst gehe ich zu Grunde!" Besonders wirksam ist die Anrufung der heiligsten Namen Jesu und Mariä. In diesen Namen liegt eine geheimnisvolle Kraft gegen alles Böse, sie sind den höllischen Geistern ein Schrecken. Auch das heilige Kreuzzeichen ist ein mächtiges Schutzmittel gegen die Einflüsse der Hölle. Noch andere Mittel sind die Erinnerung an die Gegenwart Gottes und an die letzten Dinge.
Wenden wir diese Mittel an, wenn Versuchungen kommen, dann werden wir den Sieg davontragen. Denn "Gott ist getreu; er wird euch nicht über eure Kräfte versuchen lassen, sondern bei der Versuchung auch den Ausgang geben, dass ihr ausharren könnt."
Erlöse uns von dem Übel.
In Japan bildet der Sack eine Strafe, wozu schwere Verbrecher verurteilt werden. Die Japaner hielten in früheren Jahrhunderten auch die Christen für grosse Verbrecher, und zwar gerde deshalb, weil sie Christen waren. Daher wurde denn auch über sie die furchtbare Strafe des Sackes verhängt. In den Sack bis an den Hals eingebunden, mussten sie Tag und Nacht unter freiem Himmel stehen, dem Hunger und Durst, der Hitze und Kälte ausgesetzt, bis sie den Leiden erlagen.
Doch mehr oder weniger stecken wir alle im Sack drin, d. h. wir sind von allen Seiten von Übeln umgeben. Denn es gibt der Übel gar viele; denkt an die verschiedenen Krankheiten, an Pest und Krieg, an Feuerbrunst und Überschwemmung, an Misswachs und Hungersnot. Übel gibt es allenthalben. Haltet Umschau in allen fünf Erdteilen: überall trefft ihr Not und Elend, überall betrübte Herzen und weinende Augen. Übel gibt es nicht bloß bei den Armen, sondern auch bei den Reichen; hinter den kostbaren Vorhängen der fürstlichen Gemächer wohnt oft entsetzlich viel Jammer und Elend; "auf das Kleid einer Königin fallen mehr Tränen als auf die Schürze einer Bauersfrau," sagt einst die Königin von Piemont zu Kardinal Mermillod, der die hohe Frau mit verweinten Augen im königlichen Palaste traf. Übel gibt es alle Tage; jeder Tag hat seine Plage. "Es hat der hellste Tag oft sein Gewölk," sagt Shakespeare. O Gott, erlöse uns von all diesem Übel! Behüte uns vor Krankheit und Armut, vor Misswachs und Teurung, vor Pest, Hunger und Krieg.
Aber nicht immer sind diese Dinge wirkliche Übel, oft sind sie uns zum grössten Nutzen. Manasses war ein Bösewicht, Jerusalem konnte von seinen Lastern erzählen. Da strafte ihn Gott. Er wurde in Ketten geschlagen und nach Babylon geschleppt. Erst da ging er in sich, erkannte seine Sünden und bereute sie und söhnte sich mit Gott aus. Wie Manasses, so der verlorene Sohn. So lange sein Vermögen ausreichte, lebte er in Saus und Braus. Als aber das väterliche Erbe, wie der Schnee im Frühling zusammenschmolz, und der Hunger in seinen Eingeweiden nagte, da ging er in sich, beweinte sein sündiges Leben und kehrte reuig ins Vaterhaus zurück. Wie der verlorene Sohn, so der Schächer. Als er noch bei seinen ruchlosen Genossen war, sah er nicht ein, wie weit er von Gott abgekommen sei. Aber angebunden auf dem Kreuzesholz, ging er in sich und flehte zum Herrn um Gnade und Barmherzigkeit. Wie der rechte Schächer, so Saulus. Wie ein reißender Wolf die Herde, so verfolgte er die christliche Gemeinde. Als ihn aber Jesus niederwarf und des Augenlichtes beraubte, da rief er aus: "Herr, was willst du, dass ich tun soll?"
Auch den Guten und Frommen sind die Leiden nur nützlich, wenn sie dieselben mit Geduld und Ergebung tragen. Per crucem ad lucem! Es war der Kreuzweg, auf dem die meisten Heiligen eine so hohe Stufe der Vollkommenheit erreichten.
"Erlöse uns von dem Übel!" das heißt also: Bewahre uns vor dem Übel, soweit es uns zum Verderben gereichen könnte; aber besonders behüte uns vor der Sünde und der ewigen Verdammnis, denn das sind Übel, die uns immer und allezeit den grössten Schaden bringen.
Schon die lässliche Sünde ist ein grosses Übel. Sie ist eine Beleidigung Gottes, sie bringt uns um viele Gnaden, die Gott sonst geben würde, sie zieht uns mancherlei Strafen zu und führt nach und nach zu schweren Sünden. Wie winzig sind die Sandkörner, und doch vermögen sie, in Masse aufgehäuft, ein Schiff zu versenken! Wie klein sind die Regentropfen, und doch bewirken sie, dass die Flüsse anschwellen und ganze Häuser mit sich fortreißen. So ist´s auch mit den kleinen Sünden, sie führen nach und nach zu schweren Vergehen. Das schrecklichste Übel ist aber die Todsünde.
So lange der Mensch die heiligmachende Gnade besitzt, steht er in der Liebe und Freundschaft Gottes. Durch die Todsünde geht diese Freundschaft verloren, und die Gunst des höchsten Königs wird verscherzt.
Und damit werden auch eingebüßt alle Verdienste. Für jedes gute Werk, das der Christ im Stande der Gnade vollbringt, hat er einen Lohn im Himmel zu erwarten. Aber dieser Lohn ist nun dahin. Mag er sich noch so viele Schätze im Himmel angesammelt haben, - die Todsünde raubt ihm alle in einem Augenblick. Und nicht bloß das. Er kann jetzt auch, so lang er in der Todsünde lebt, kein einziges Verdienst sich erwerben. Die guten Werke, die er verrichtet, sind zwar nicht ganz unnütz, aber für den Himmel haben sie keinen Wert. Nur wenn der Todsünder sich bekehrt und die heiligmachende Gnade wieder gewinnt, dann leben auch all die Verdienste wieder auf, die er sich früher erworben.
Die Todsünde zieht uns Gottes Strafgerichte und zuletzt die ewige Verdammnis zu. Gott straft den Sünder. Eine Strafe ist schon das böse Gewissen. "Die Gottlosen haben keinen Frieden." Das hat erfahren Kain, der überall herumirrte, ohne Ruhe zu finden. Das hat erfahren Judas, den die Gewissensqual zum Selbstmord trieb. Gott schickt aber auch noch andere Strafen: Unglück, Krankheit, Schande, jähen Tod. "Siehe, ich will Unglück über dieses Volk bringen, denn sie hören nicht auf meine Worte und verwerfen mein Gesetz."
Freilich nicht jeder Todsünde folgt auch die Strafe auf dem Fuße nach. Aber darum darf sich doch niemand in falsche Sicherheit einwiegen. "Sprich nicht: Ich habe gesündigt und was ist mir leidßs widerfahren?" Der Allerhöchste ist ein langmütiger Vergelter. Er wartet oft lange, er sieht zu, ob der Sünder sich nicht bekehre, und wenn alles nichts hilft, dann tritt plötzlich eine Strafe ein.
Die schrecklichste Strafe aber ist - die ewige Verdammnis. Der grosse Völkerlehrer sagt von den Freuden des Himmels: "Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und kein Menschenherz hat es empfunden, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben." So groß die Freude des Himmels, so schrecklich ist die Strafe der Verdammten, und man kann auch da sagen: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und kein Menschenherz hat es empfunden, was Gott denen bereitet hat, die ob ihrer Sünden verloren gehen. Kein Auge hat es gesehen. Was das Menschenauge nicht schon Schreckliches gesehen? Noe und die Seinen sahen die Sündflut, den Untergang der Menschen und Tiere. Aber es ist das nicht, was Gott denen bereitet hat, die in die Hölle kommen, denn kein Auge hat es gesehen. Kein Ohr hat es gehört. Was hat das Menschenohr nicht schon Entsetzliches gehört? Lot und seine Tochter hörten das Prasseln des Schwefelfeuers, das auf Sodoma und Gomorrha niederfiel, und das Jammergeheul der Sünder, die im Feuer umkamen. Aber es ist das nicht, was Gott denen bereitet hat, die verworfen werden, denn kein Ohr hat es gehört. Kein Menschenherz hat es empfunden. Was hat das Menschenherz nicht schon Qualvolles und Bitteres empfunden? Welch´ ein Leid war für das Mutterherz der Kindermord zu Bethlehem, welche Angst und Verzweiflung herrschte bei der Zerstörung Jerusalems, beim Untergang der Stadt Lissabon! Aber es ist das nicht, was Gott denen bereitet hat, die verloren gehen, denn kein Menschenherz hat es empfunden. Kann es also etwas Schrecklicheres geben, als die ewige Verdammnis? Ewige! "Auch die entsetzlichsten Qualen der Hölle," sagt Augustinus, wären erträglich, wenn ein Wort nicht wäre, das Wort ewig. Das aber ist es, was die Verzweiflung erzeugt: die Ewigkeit der Verwerfung, die Ewigkeit der Hölle." "Weichet von mir, ihr Verfluchten in das ewige Feuer!" Darum beten wir doch jeden Tag aus tiefstem Herzensgrunde: "Erlöse uns von dem Übel!" Bewahre uns vor der Sünde und der ewigen Verdammnis!"
"Amen" setzen wir noch hinzu, d. h. es geschehe, um damit anzudeuten, wie sehr wir verlangen und hoffen, von Gott erhört zu werden.
(entnommen aus: Der Weg zum Glück, von Franz Xaver Wetzel, Approbation 1922)