Der in der Gottesdienstfeier liegende Geist kirchlicher Gemeinschaft
Eine überrragende, gleichsam königliche Stellung nimmt das hl. Messopfer in der grossen Heilsanstalt der Kirche ein. Es ist kaum eine Festlichkeit von Bedeutung zu denken, bei der sie nicht in den Vordergrund tritt. Es soll nun auf dieselbe durch die Messfeier nicht nur ein äusserer Glanz und Pomp geworfen werden, es soll vielmehr auf die versammelte Gemeinde der Geist dieses zentralen Opfers überströmen.
Wenn das gläubige Volk sich bei der Opferfeier zusammenfindet, so tritt es in Verbindung mit Christus, dem Herrn und seinem Opferdienst. Christus, das Haupt, und wir, die Glieder, werden aufs schönste und engste untereinander zusammengeschlossen. Als öffentlicher Gottesdienst bedeutet das Messopfer ein Opfern und Beten Christi und der Gläubigen, der lebenden und der schon verklärten. Die Gläubigen bilden da einen fest geschlossenen Organismus, dessen Lebensgrund Christus ist. Erhebend ist das Bewusstsein, sich sagen zu können, auch ich bin eine Zelle dieser Lebenseinheit, auch ich bin ein Glied dieses geheiligten Organismus. Beim Opfer stehe ich nicht als Einzelwesen da, opfere und bete nicht allein, sondern mit mir opfert und betet die ganze Gesamtheit, die geeint ist im ewigen Hohen Priester und Haupte Jesus Christus.
Hieraus ergeben sich für den einzelnen auch hohe und wichtige Verpflichtungen, vor allem die, dass er sich als Glied der Gesamtheit wisse und fühle, und sich stets bewusst bleibe, er opfere und bete und handle bei der Feier der hl. Geheimnisse als Glied derselben und diese in ihm und für ihn. Nur dann wird er den hl. Gottesdienst in gottgefälliger und fruchtbringender Weise mitfeiern. Schon ist dem Christen ein deutlicher Hinweis auf den Gemeinschaftsgeist des Messopfers darin gegeben, dass die Kirche durchweg in der Mehrzahl "wir" betet, nicht in der Einzahl "ich", und überaus lehrreich ist nach dieser Seite hin der Inhalt ihrer Gebete. Wohl ist ihr nichts wahrhaft Menschliches fremd und hat sei beinahe für alle nur denkbaren Anlässe, Bedürfnisse und Nöten des Erdendaseins Gebete bzw. Messformularien bereit, so steigt sie dabei noch niemals ganz ins Einzelpersönliche "Individuelle" herab, fasst alles von der höheren Warte ihrer Glaubenswelt auf, vermeidet das allzu Menschliche, das Kleinliche, Erdhafte, insbesondere alle Sentimentalitäten in der Welt der Gefühle.
Beachten wir wohl diesen weitausholenden Zug des hl. Opfers. Wohl darf jeder Christ zum Gottesdienst "sich selber" mitbringen mit seiner ganzen Eigenart und ihrem besonderen Denken, Streben, Fühlen und Wollen. Er darf wie ein Kind an der Opferstätte selbst kleinlich erscheinende Sorgen abwerfen und ein übervolles Herz ausschütten, aber der Geist der gottesdienstlichen Gemeinschaft verlangt von ihm noch etwas dazu. Er verlangt, dass jeder einzelne immer mehr aus sich und seinen persönlichen Zwecken heraustritt und in die grossen Zwecke und Ziele der Gesamtheit, in ihre viel reichere und umfassendere Ideen- und Geisteswelt einfühlt und diese sich allmählich zum tief erfassten und innerlich erlebten Eigentum macht. So werden einerseits seine eigenen Anliegen und Interessen von der Gesamtheit aufgenommen und vor Gott vertreten, und andererseits wird auch er sich um solche annehmen, die ihm persönlich fern liegen, und die anderen oder der Gesamtheit wichtig sind. Auch wird er, wenn er diesen Geist der Gemeinschaft erfasst hat, volles Verständnis bekommen für die hl. Handlungen und einzelnen Zermonien, zu denen er sich oft weniger hingezogen fühlt. Die Tätigkeit des Christen bei der Opferfeier ist also ein Mitbeten, ein Folgen den Gedanken und Zielen des Gottesdienstes, ein Sicheinfügen in die Feier. Seine Andacht darf nicht isoliert sein und sein Geist nicht ferne stehen von dem, was auf dem Altar geschieht. Leib und Seele muss in Beziehung zum Opfer treten.
Was hier von den Teilnehmern des Gottesdienstes gefordert wird, ist nicht ganz leicht und doppelt schwierig für den Durchschnittsmenschen der Gegenwart, der sich leichter in die Schranken und Bindungen des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens einfindet, als dass er irgendwelche Eingriffe in die Eigenart und Selbstständigkeit seines innersten religiösen Empfindens, Bedürfens und sich Betätigens gefallen lassen möchte. Ohne wahre Demut wird er sich zu solchem Verzicht und Opfer und williger Hinnahme eines über den kleinen Kreis seiner Gefühle und Interessen hinausgehenden religiösen Lebensinhalts kaum verstehen. Andererseits wird gerade diese Grundtugend bei oftmaliger frommer Teilnahme am hl. Opfer und Gastmahl des Herrn mächtig gefördert.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der anderen hohen Tugend, welche der Geist des Gottesdienstes zur Voraussetzung hat, mit der echten und wahren Liebe. Sie ist unentbehrlich, wo es gilt - wie eben bei der Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst - das Leben der anderen Glieder des Leibes Christi mitzuleben, ihre Interessen und Bedürfnisse als die eigenen mitzufühlen und ihre Bitten in die eigenen miteinzuschließen, überhaupt jene bekannte Forderung jeder größeren Gemeinschaft in die Tat umzusetzen: "Einer für alle, alle für einen". Eben die Liebe zu Christus, dem in höchster Opferliebe für alle sich hingebenden Haupte der Kirche, wird durch den Gottesdienst, durch die eifrige und fromme Teilnahme an demselben und am Opfermahl auch den Gliedern offenbar und in ihnen entzündet. Die sich selbstvergessende, dienende und tätige Liebe Christi für die Brüder wird das Geheimnis der Liebe auch diesen mitteilen und in ihnen eine alle umschließende Liebe erwecken. Auch für den Geist der Gemeinschaft im Gottesdienst gilt das Dichterwort: "Immer strebe zum Ganzen und kannst du selber kein Ganzes werden, als ein dienendes Glied schließ an das Ganze dich an."
(entnommen aus: Das Hl. Messopfer, von Pfarrer Dr. K. Josef Merk 1921)
