- Gottes enge Pforte -

   Nicht hasten - auch rasten
   
   
   
   Vorwort

   Über das Leben der meisten Menschen von heute könnte man das Motto schreiben: TEMPO, TEMPO! Sie sind immer in Eile. Die Eile aber ist vom Teufel. Ein finnisches Sprichwort sagt: "Gott hat uns die Zeit gegeben, von Eile hat er nichts gesagt." Der Geist der Stille, der Geruhsamkeit, der Sammlung, der Selbstbesinnung, des kraftvoll schöpferischen Verweilens ist uns mehr und mehr abhanden gekommen. Der Mensch aber ist ein gottverbundenes Wesen mit seinem eigenen Rhytmus. Wird dieser gestört oder gar zerstört, dann gerät der Mensch leiblich und seelisch aus den Fugen. Er treibt an der Oberfläche des Daseins umher, er hat keinen Tiefgang mehr. Diesem verhängnisvollen Zustand könnte abgeholfen werden, wenn man sich täglich einige Minuten mit einem besinnlichen Gedanken beschäftigen wollte, der Halt gibt für den ganzen Tag und vor dem seelischen Hungertod bewahrt. Das vorliegende Bändchen möchte in dieser Richtung wirken.

   

   Der Weg ins Glück

   Wir können unmöglich beides haben: jetzt die Freuden dieser Erde und dann eine nimmerendende Glückseligkeit. Finden wir uns, je eher desto besser, mit dem Gedanken ab: Dieses Erdenleben ist nun einmal die Zeit des Leidens, der Prüfungen, des Kreuztragens. Lassen wir unsere Seele so recht durchdrungen sein von dem Gedanken: zum Arbeiten, zum Kämpfen, zum Leiden, zum Entsagen, zum Kreuztragen bin ich da, das ist nun einmal meine Aufgabe als Jünger Christi. Erwarten wir nichts anderes, suchen wir nichts anderes und wir werden glücklicher sein als die Genießer aller eitlen Lebensfreuden, denen schließlich nichts bleibt als ein Herz voll Überdruß und Bitterkeit. Es gibt nur diesen einen schweren, doch gesegneten Weg, um das Glück zu finden: den Kreuzweg. Alle anderen Wege sind Irrwege.

   

   Mutiger Einsatz

   Jeder muß mit sich allein fertig werden. Es kann uns ein Führer sagen: das ist dein Weg, so ist in deinem Fall zu handeln, aber gehen, handeln, mit sich selbst ins reine kommen, das muß jeder ganz allein. Das schönste Buch, der beste Freund, die herrlichste Predigt, sie tun nichts für dich, wenn du nicht bereit bist, dich einzusetzen mit unbeugsamer Willenskraft.

   

   Opfer

   Der Begriff "Opfer" soll sich beziehen auf unsere Zeit, unsere Neigungen, unsere Beschäftigungen, unsere persönlichen Wünsche, unseren Geschmack. Wo wir anderen dienen können, müssen die eigenen Interessen zurücktreten.

   

   Wir leben mitten im Wunder

   Es geschehen alle Tage Wunder, nicht nur in der Natur, sondern auch an den Menschenseelen, aber viele aus uns haben das Feinempfinden für Gottes Wunderwalten verloren. Was sie nicht mit Händen greifen können, das glauben sie nicht. Immerfort sind wir von seiner Liebe umgeben. Gibt es ein größeres Wunder?

   

   Wille Gottes

   Hienieden geht alles vorüber wie ein Traum. Es ist, von dorther gesehen, eigentlich gleich, ob unsere Tage ausgefüllt waren mit Wonne oder mit Betrübnis, so lang sie für Gott gelebt sind. Wenn wir Christen sein wollen, nicht nur im Wort, sondern in der Tat, dann müssen wir uns in jedem Fall hineinfinden, hineinbeten in den Willen Gottes, ja hineinweinen, wenn es nicht anders geht. Immer wieder: Herr, dein Wille geschehe, auch wo ich vor Rätseln stehe!

   

   Bereitschaft

   Das wundervolle tiefe Wort der seligsten Jungfrau: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn", das eine Summe von Lebensweisheit in sich schließt, sollten wir uns recht zu eigen machen. Auch unser Herz und unsere Seele sollten jeden Augenblick in dieser demütigen Grundstimmung steter Bereitschaft den Willen des Herrn erwarten, dann würde er auch uns segnen, wie er sie gesegnet hat.

   

   Mein eigener Widersacher

   Herr, laß mich immer das Gegenteil von dem erleben, was meine Natur ersehnt, laß alle meine Hoffnungen und Erwartungen in bezug auf die Menschen und Dinge dieser Erde zuschanden werden. Schlage mir unbarmherzig alles aus den Händen, reiße mir gewaltsam alles aus dem Herzen, was ein Götze sein oder werden könnte, alles, was nicht du bist, alles, was nicht Ewigkeitswerte hat, und achte nicht meiner Seufzer und meiner Tränen.

   

   Opfergedanke

   Ich kann nicht Priester sein, ich kann nicht als Priester opfern, aber ich kann mit dem Priester opfern in jeder heiligen Messe und ich kann mich für die Priester opfern alle Tage meine Lebens.

   

   Gott allein

   Am Leben eines heiligen Menschen läßt sich nachprüfen, was alles durchgekämpft und erlitten werden muß, bis allen Ernstes von ihm gilt: Gott allein, nichts mehr als Gott. Unaussprechliche Leiden, schwerste Kämpfe, Qualen des Leibes und der Seele muß er zu tragen gewillt sein, bis er das Stadium der Losgelöstheit erreicht hat. Erst dann ist er gefügiges Werkzeug in Gottes Händen.

   

   Geborgenheit

   Es liegt viel Tröstliches und Beruhigendes in dem Gedanken: Ich bin in Gottes Hand. Was immer auch geschehen mag, sei es unmittelbar durch Schicksalsschläge oder mittelbar durch menschliche Torheit und selbst Bosheit, es wird unseren Frieden nicht stören, solange wir an dem Gedanken festhalten: der Herr weiß darum, es geschieht durch seine Zulassung. Was er nicht will, wird niemals geschehen. Auch ich bin doch wie Christus gekommen, um den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat. Muß ich nicht mein ganzes Glück darin sehen, ihm dienen und seinen heiligen Willen erfüllen zu dürfen, wie schmerzlich er auch sein mag!

   

   Christliche Freude

   Wir Christen sollten uns eigentlich mehr auf jene heilige, nicht zu erschütternde Freude verstehen, die aus Gott ist, auf jene Kunst des Sich-freuen-Könnens über die vielen Wunderdinge um uns, in uns und über uns. "Himmel und Erde sind erfüllt von seiner Herrlichkeit." Wir Katholiken, beneidenswert glücklich, überreich in Christus, Kinder des Ewigen, sollten nicht aufhören uns zu freuen Tag für Tag und Stunde um Stunde. Unsere Religion ist in Wahrheit eine Religion der Freude. Das Leben des wahren Christen ist der Quelle ähnlich, die aus unversiegbaren Grundwassern gespeist, zum Strome wird, um sich am Tage der Vollendung in das Meer der Freude selbst zu ergießen. Es gibt genug unter uns, die nicht einmal zu ahnen scheinen, wie reich und wie selig sie sind. Gott ist ihnen noch nicht zum Erlebnis geworden. Es kann einer alles entbehren, alles ertragen, alles erleiden und doch unendlich glücklich sein, weil er in Gott ist, und es kann einer alles besitzen, alles genießen und doch in tiefster Seele unglücklich sein, weil er keine Gemeinschaft hat mit ihm. In Gott besitzen wir alles, ohne Gott nichts. Die in Gott gefundene Freude allein ist wahre Freude; was außer ihr als solche bezeichnet wird, ist Selbsttäuschung, fauler Zauber, oft auch Höllenspuk. Es mag ein Nichtverstehender auf den Gekreuzigten zeigen und bitteren Hohnes voll die Frage stellen: Sieht er so aus, der göttliche Inbegriff der Freude? Ja, so sieht er aus! Vielleicht begreifst du nun, was es um den Tiefengehalt einer Freude sein muß, die mit solchen Opfern ins Dasein gerufen wurde. "Selig, wer sich an mir nicht ärgert!" Der Herr sah voraus, daß viele an dem Widerspruch irre werden würden, obwohl dieser Widerspruch nur ein scheinbarer ist. Dem wenig Tiefgründigen scheint unsere Religion gleich mit Lebensverneinung, und doch ist sie das gerade Gegenteil: höchste Lebensbejahung; sie scheint das Joch zu bringen und ist doch die Spenderin königlicher Freiheit. Sie ist die Religion des Kreuzes, aber das Kreuz ist das Zeichen des Sieges, des Triumphes und somit der Freude.

   

   Friede

   Tausend und eine Not muß durchlitten, tausend und eine Seelennacht durchgekämpft werden, bis wir zu jener lichten Höhe gelangen, auf der es heißt: Friede. In einem frühen Stadium des Wandels in Gott mag uns das Wort Christi: "Mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht", unverständlich erscheinen. Zwar tragen wir um Christi willen, aber wir empfinden die Last und stöhnen unter ihrem Drucke; zwar stehen wir beherzt unter dem Kreuze, aber manchmal vermögen wir die Versuchung kaum zu widerstehen, uns davonzumachen. Doch Gott gibt Gnade, überreiche Gnade. Wenn wir treu sind, kommt die Stunde, in der das Joch tatsächlich süß wird und die Bürde leicht, die Stunde, in der die Seele vom Frieden Christi überflutet wird. Ein Friede ist es, der ihr selbst in den schwersten Prüfungen nicht mehr verlorengeht.

   

   Hingabe

   Wir können Kampf und Kreuz nicht mehr fürchten, wenn wir vollkommen davon überzeugt sind, daß Gott nichts zulassen wird, was uns nicht zum ewigen Heile gereicht. Es liegt etwas ungemein Tröstliches in der gänzlichen Hingabe an Gott, in dem stets bereiten: nicht mein Wille, weiß doch nur er ganz allein, was mit uns geschenen muß, damit wir das ewige Leben erlangen. - Was der Herr tut, ist gut. Wie viele qualvolle Kämpfe würden uns erspart bleiben, wenn wir dies beizeiten so recht erfassen wollten! Für jeden aus uns kommen schwarze Stunden des Leides, in denen uns ist, als leuchteten am Himmel für uns keine Sterne, als blühten auf Erden für uns keine Blumen mehr. Wir wundern uns, daß die Sonne noch scheinen mag, und nehmen Ärgernis an der Fröhlichkeit anderer. Wir verweigern Speise und Trank, der Schlaf flieht uns, unsere Tage sind voll Gram und unsere Nächte voll Tränen. Gibt es in solcher Seelenverfassung keine Hilfe, keinen Trost? Man muß demütig niedersinken vor dem Lenker aller Schicksale und ihm sagen: Herr, wie du willst, dein Wille geschehe!

   

   Grundsatztreue

   Es gibt nur wenige Menschen, die es verstehen, der Eigenart eines anderen Rechnung zu tragen. Wir sollten nie versuchen, andere auf unsere eigenen Wege zu drängen. Mein Weg ist nicht der deine und dein Weg ist nicht der meine. Was dem einen zum Heile ist, kann dem anderen zum Schaden gereichen. Da heißt es, sich selbst prüfen und dann dem Zug der Gnade folgen. Man tut gut daran, sich an Grundsätze zu halten, die durch keinen Gegeneinfluß ins Wanken geraten. Lieber eine gesunde Kampfstellung als feiges Nachgeben, das Untreue gegen sich selbst und gegen Gottes Gebot bedeutet. Diese Haltung mag uns vielleicht manche Freundschaft kosten, aber sie wird uns im Glauben und in mannigfacher Tugend bewahren. Selbstständigkeit kann zum Eigensinn führen. Sind wir aber jederzeit bereit, uns einem höheren Willen ohne weiteres zu beugen und zu unterwerfen, dann haben wir den Beweis, daß unsere Selbstständigkeit zu Recht besteht.

   

   Nächstenliebe

   Bittere Erfahrungen an unseren Mitmenschen machen wir wohl alle. Das Geheimnis der Sünde wirkt sich hier aus. Betrachten wir das Verhältnis zwischen Jesus und Judas. Da haben wir die Schwierigkeiten ins Extreme getrieben, wie es nur zwischen einem Sünder und dem Heiligen Gottes denkbar ist. Es gibt Menschen, mit denen selbst ein Engel nicht leben könnte. Was tun? Man darf aus dem Wege gehen. In solchen Fällen besteht die Nächstenliebe im Beten um Gnade für diese Menschen. Durch das Gebet erfüllen wir das Gebot des Herrn bis in seine letzten Forderungen hinein.

   

   Die wahre Tugend

   Außergewöhnliche Schwierigkeiten sind immer besondere Heimsuchungen Gottes, sind Gelegenheiten zu außergewöhnlicher Tugendübung, zur Heiligkeit. Lassen wir uns solche Gelegenheiten nicht entgehen. Seien wir auf der Hut vor mißmutigen Stimmungen, in die wir gerade in solchen Zeiten nur allzuleicht geraten. Sagen wir uns mit Überzeugung vor: So wie es jetzt ist, so ist es gut für mich. Möge der Herr die Dauer und die Schwere der Heimsuchung bestimmen, es soll mir alles recht sein, was er mit mir tut. Jeder hat seine Kämpfe, der eine mehr, der andere weniger, mancher immer. Wie Gott will; er soll tun, was ihm beliebt; er ist doch die Liebe und Güte; bei ihm bin ich geborgen, und wenn ich auch ganz selten einen lichten Augenblick im Innern erleben darf. Gott sei stets angebetet! So soll es nicht sein, daß wir dem Herrn in Freude dienen, solange er uns mit Segnungen überhäuft und unsere Seele im Frieden wohnt, daß aber die Entfremdung Platz greift zwischen ihm und uns, sobald er sich zurückzieht und Finsternis auf uns fällt. Wir sollten nicht allzuviel auf Gefühle und Stimmungen geben. Die Begeisterung ist keine Tugend. Wir suchen die Tugend im Feuer der inneren Glut, aber die Tugend ist nicht gar schwer. Die Tugend aber, die wir in den Zeiten der Heimsuchung üben, ist kostbar und wohlgefällig in den Augen des Herrn, dem wir nie ähnlicher sind als in Zeiten der Gottesferne.

   

   Im Zeichen des Kreuzes

   Glauben wir ja nicht, daß den Heiligen das Leiden eitel Wonne war, daß sie das Leiden nicht als solches empfanden, daß nicht auch in ihnen zuzeiten der Mensch sich auflehnte gegen die Bitterkeit. Es gibt eine seelische Freude, eine Glücksempfindung, die ganz gut neben dem tiefsten Schmerz bestehen kann. Wem das Leid nicht mehr Leid wäre, der lebte in einer anderen Welt, der könnte auf Erden nicht mehr geprüft werden. Vergessen wir nicht, daß dieses Erdenleben das Vorzeichen des Kreuzes trägt, tragen muß, und daß sich jedes einzelne Menschenleben im Zeichen des Kreuzes vollzieht.

   

   Vorsorgende Liebe

   Bei einem Rückblick auf vergangene Jahre sehen wir oft greifbar deutlich, daß Gott uns bei dieser oder jener Gelegenheit vor dem Sturz der Sünde bewahrt hat. Gewiß gibt es viele solcher Gelegenheiten, von denen wir nichts ahnen. Wieviel Grund haben wir da, dem Herrn zu danken und immer wieder zu danken für so viel unverdiente Aufmerksamkeit, für seine wachsam vorsorgende Liebe, die unablässig am Werke ist, auch wo wir nichts davon zu spüren meinen.

   

   Seinen Weg gehen

   "Laß stürzen, Herz, was nicht mehr stehen kann, und bau dir eine neue Welt, bau sie dir tief innen, luftig, stolz und weit, strömen und verrinnen laß die alte Zeit!" Dieser Satz aus Scheffels "Ekkehard" kann in mancher verzweifelten Lage, wenn wir knapp dem Schiffbruch entronnen sind, die Kraft geben, zur Ehre Gottes von neuem zu beginnen, zu retten, was zu retten ist, aus Trümmern wieder aufzubauen, wenn es so sein soll. Es kommt nicht so sehr auf unsere Leistung an als auf den Willen, den Weg zu gehen, den der Herr uns gehen heißt, mag er auch durch noch soviele Enttäuschungen hindurchführen. Ein Leben, das in unseren Augen ein zerbrochenes scheint, kann im Urteil Gottes ein kostbares Leben sein, das ihm eine ungeahnte Ehre einzubringen vermag. Lassen wir uns führen auf seinen Wegen, nach seinen Plänen und Absichten, denen wir uns so vertrauensvoller ausliefern sollten, je unbegreiflicher wir sie finden.

   

   Getreu sein

   Es mag einer im Feuer der Anfängerbegeisterung versichern, daß er mit Freuden bereit sei, sich für Christus martern zu lassen; später ist er froh und dankbar, wenn es ihm nicht gelingt, in den Widerwärtigkeiten des Alltags tapfer seinen Mann zu stellen und gegen die kleinen Stachel des Leidens nicht auszuschlagen. Wir sollten uns bemühen, das, was der Herr uns schickt, geduldig zu tragen und nichts zu wünschen außer dem, was uns zukommt. Wenn wir um Leiden bitten, wozu man in Taborstunden geneigt ist, dann kann uns zur Probe etwas auferlegt werden, das uns wünschen läßt, die Bitte nicht getan zu haben. Wir sind nicht in der Lage zu schätzen, was wir zu leisten imstande sind, wenn es allen Ernstes darauf ankommt, Tragfähigkeit zu beweisen. Bitten wir lieber nicht um Leiden, mag das Motiv noch so edel sein. Überlassen wir das Was und Wieviel ganz dem göttlichen Willen. Wohl kommt mit der schwereren Last auch die größere Kraft, aber es ist dem Herrn angenehmer, wenn wir ihn bitten: Gib Gnade, daß ich geduldig auf mich nehme, was du schickst, und treu bin in meinem täglichen Wandel. Das wahrhaft Große tritt uns häufig in der Gestalt des Unscheinbaren vor Augen, und wir erkennen es nicht. Laßt uns still und treu das Unsrige tun, ungekannt und ungenannt, Ein Nichts in den Augen der Menschen, und laßt uns einzig Wert darauf legen, daß ermit uns zufrieden ist. Verlangen wir nicht in Taborherrlichkeit auf Gipfeln zu stehen, gehen wir demütigen Herzens unseren Kreuzweg weiter und seien wir unverzagt, wenn wir auch schmerzlich an unserem Versagen leiden. Legen wir auch Erfolg und Mißerfolg in seine allmächtigen Hände. Er weiß um uns, und diese kostbare Wahrheit muß uns allzeit genügen.

   

   Der Weisheit letzter Schluss

   Die Sehnsucht nach dem Leiden kann der ersten heißen Liebe entstammen, mit der Gott den Anfänger an sich zieht, oder aber sie entsteigt der ganz abgeklärten, durch alle Höhen und Tiefen des Leidens gewanderten und gewandelten Seele des Heiligen, für die es nichts mehr gibt als Gott, so daß ihr das Kreuz zur Seligkeit werden muß. Zu solcher Erkenntnis kann man vorübergehend emporgehoben werden; es sind Gnadenmomente, die wie Blitzlichter auf das Kommende fallen und eine Ahnung dessen hinterlassen, wozu Gott noch führen wird, wenn wir treu bleiben. Daß wir uns führen lassen, darauf kommt es an. Im Grunde unseres Wesens sind wir eigensinnig und selbstherrlich. Wir setzen uns ein Ziel und möchten es erreichen. Da mag im irdischen Bereich wertvoll sein, auf unserem Weg zu Gott kann es zum Hemmnis werden. Der eigenwillige Mensch ist wie ein Kind, das sich um keinen Preis führen lassen will und sich mit allen Kräften wehrt, wenn man es bei der Hand nimmt. Was soll der Herr mit so einer Seele tun, da es ihm fern liegt, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen? Er wird sie ihren eigensinnigen Willen haben lassen, damit sie von sich aus die Erkenntnis ihrer Torheit gewinne. So kommt sie nach verlorner Zeit und bitterer Enttäuschung eines Tages doch zurück zu ihm, dem sie sich hätte von Anfang an überlassen sollen. Geben wir uns ihm hin und überlassen wir uns seiner Führung, das ist in Wahrheit "der Weisheit letzter Schluß". - Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Er duldet nichts zwischen sich und der Seele. Wenn man einmal angefangen hat, ihn wirklich zu lieben, dann muß man auf jede Trennung, auf jede Loslösung, auf jeden Verlust gefaßt sein, und das, woran man am meisten hängt, wird zuerst weggenommen werden. Das kann durch eine äußere örtliche Trennung geschehen, die man erleiden muß, oder eine vielleicht noch schmerzlichere innere infolge von Mißverständnissen, Enttäuschungen, die frei machen für Gott. Wenn man zittert bei dem Gedanken, diesen oder jenen Menschen verlieren zu müssen, so ist es immer ein Zeichen, daß man ihn nicht in losgelöster Weise liebt, und weil Gott keine Liebe dieser Art gutheißt, werden solche Beziehungen getrübt durch die Vorahnung des kommenden Verlustes. Wenn wir Gott ganz und gar angehören wollen und um seinetwillen zu jedem Opfer bereit sind, dann sollten wir keinem Menschen mehr eine besondere Zuneigung schenken, noch eine solche erwarten, weil sie uns unbedingt zu einer Quelle bitterster Schmerzen werden muß. Teils aus der Erkenntnis der Schwachheit unseres eigenen Herzens und teils aus bitterer Erfahrung heraus kommen wir schließlich aus Klugheit dazu, Distanz zu halten. Von der Stunde an, in der wir um Gottes willen großmütig auf Menschenliebe verzichten, wird er uns als sein alleiniges Eigentum betrachten und uns Wege weisen, die wir ohne ihn nicht zu gehen vermöchten.

   

   Unterscheidung der Werte

   Wir wirken auf andere durch unsere Persönlichkeit. Die Fähigkeit, anderen zu helfen, wird uns zuteil, sobald wir mit Gottes Gnade eine gewisse Reife erlangt haben, und dazu kommt es, wenn wir unseren Egoismus bekämpfen, den Ansprüchen des Herzens entsagen und in bezug auf die Freuden dieser Erde um höherer Güter willen Verzicht leisten. Der Begriff "Verzicht" mag für ein Menschenherz voll heißer Lebenssehnsucht anfangs etwas Abschreckendes haben, aber wer durch Gottes Gnade den wahren Wert von Scheinwerten zu unterscheiden lernte, vermag ohne besondere Schwierigkeiten allen Verlockungen gegenüber nein zu sagen. Erst wenn wir durch dieses Nein über den Dingen stehen lernten, sind wir zur Führung anderer tauglich!

   

   Seine Wege

   Wer in Kampf und Not den Glauben an seinen Herrn und Gott gefunden hat, der wird ihn so leicht nicht wieder verlieren. Vielfach und verschlungen sind die Wege, auf denen die Seelen zu Gott finden. Immer aber sind es Wege der göttlichen Weisheit und Liebe, die wir erst einmal in der Ewigkeit begreifen. Dann werden wir erst so recht fähig sein, dem Herrn für unsere Rettung Dank zu sagen.

   

   ER, nicht ich

   Wir können nicht zum inneren Frieden gelangen, solange wir uns fragen: was will ich, was gefällt mir? Wir müssen die Frage so stellen: Was will Gott von mir, was gefällt ihm?Je mehr wir uns auf ihn einstellen, desto freier werden wir für seine heilige Sache. Wir wachsen unmerklich hinein in seine großen Ziele und in die Aufgaben, die uns zur Erreichung dieser göttlichen Ziele gestellt sind. Wir müssen unseren Willen ganz und gar dem göttlichen Willen angleichen, ja ihn an seine Stelle setzen. Dann gilt auch von uns: "Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir."

   

   Das alleinige Übel

   Der Begriff Sünde an einem Beispiel geklärt: Ein Lehrer verbietet den Schülern, während des Unterrichts mit Papierkugeln zu werfen. Alle haben es gehört. Hans ist ein Tropf und denkt: Ich will den Lehrer ärgern, und er wirft weiter, also vorsätzlich, um Verdruss zu bereiten. Max überlegt: Der Lehrer hat es verboten, aber es ist halt so schön, wenn die Kugeln so fliegen, und so wirft auch er damit, obwohl er weiß, daß er gegen ein Verbot verstößt. Zwar hat er nicht die Absicht zu ärgern, aber sein eigenes Vergnügen ist ihm lieber als der gebietende Wille. Er nimmt den Verdruß mit in Kauf. Ganz frei gibt er der Lockung nach. Kurt wirft nach drei Tagen auch, aber er vergaß vollständig den Befehl. Er ist schuldlos. Anwendung auf die Sünde: Gott verbietet: die vorsätzliche Sünde, die wohl selten ist (das Verhalten von Hans); die freiwillige, nicht vorsätzliche Übertretung (das Verhalten von Max). Kurt ist der Mensch, der sich tatsächlich seines Unrechts nicht bewußt ist. - Es gibt auf sittlichem Gebiet auch Zwangshandlungen, aber bei weitem nicht jedes Vergehen beruht auf Zwang. Entschuldigen wir unseren sündhaften Eigenwillen nicht damit, daß wir belastet seien. Das Wort des Apostels: "Ich vermag alles in dem, der mich stärkt", gilt für jeden Getauften. Betrachten wir Christus am Kreuz in seiner Todesnot, und wir ahnen in etwa, was es um die Sünde ist. Wir werden sie meiden als das schlimmste Übel, ja als das alleinige Übel, das Übel schlechthin, aus dem alle anderen geboren werden. Die Heiligen wußten, was es um die Sünde ist. Darum war ihr oberster Grundsatz: Lieber sterben als sündigen.

   

   Sommer und Winter

   Bei der heiligen Kommunion sollen wir immer in Ekstase der Liebe sein? Wir vergessen, daß diese Wahrheiten für unser Empfinden den Schleier des Glaubens tragen. Sie sind Geheimnisse, die wir nur im Halbdunkel begreifen. Die Sonne scheint im Sommer auf die Erde, aber auch im Winter. Es ist dieselbe Sonne! Und doch hat sie ganz verschiedene Wirkungen. Der Winter ist ein Gleichnis für das irdische Leben, der Sommer für die Ewigkeit. Wir müssen von Grund auf verwandelt werden, um Unfaßbares fassen zu können. Es wäre ein leichtes gewesen für den Herrn, uns hienieden schon jene Fassungskraft und jene unermeßliche Liebesfähigkeit zu verleihen, deren wir im anderen Leben teilhaftig sein werden. Es hat ihm gefallen, uns diese Fähigkeit nur keimhaft in die Seele zu legen. Sie ruhen wie die Pflanzen im Winter. Erst im Sonnenglanz der ewigen Herrlichkeit werden sie sich zu jener Vollkommenheit entfalten, die nicht von dieser Erde sein kann.

   

   Kelch des Vaters

   Wir sollten bei Prüfungen und seelischen Leiden nicht nach allen nur möglichen Ursachen suchen. Nichts trifft uns von ungefähr. Alles ist nach unserer Tragkraft bemessen. In seinen Händen gewogen ist jedes Kreuz, bevor er es uns auferlegt. Glauben wir es nur: Es ist der Herr, der hinter allem steht! Der Heiland hat soviel von Menschen erlitten, Seelennöte ohne Vergleich, und doch ist es "der Kelch, den ihm der Vater bereitet". Bei uns ist es nicht anders. Wir wandeln in seinen Spuren, und auch an uns geschieht der heilige Wille des Vaters.

   

   Demut durch Selbsterkenntnis

   Unsere Vollkommenheit besteht im Kampf gegen die Unvollkommenheit, also nicht darin, daß wir keine Fehler begehen, sondern daß wir ständig in Geduld gegen das Gottwidrige in uns arbeiten. Geben wir den Gedanken, auf dieser Welt zur Vollkommenheit zu gelangen, ruhig auf. Sie ist uns als unser Ziel vor Augen gestellt, damit wir unablässig nach Gottähnlichkeit streben. Der Herr könnte sie uns in einem Augenblick zuteil werden lassen, er tut es nicht, weil wir geprüft werden müssen und weil ihm die Demut, die aus der Selbsterkenntnis wächst, überaus lieb ist. Er will, daß wir wie Kinder seien, die in ihrer Hilflosigkeit alle guten Gaben von ihrem Vater erwarten. Mag er uns geben, was und wieviel ihm beliebt, solange wir nur seiner Ehre dienen!

   

   GEBET

  Himmlischer Vater, ich opfere dir die unendlich kostbaren Verdienste deines geliebten Sohnes, seine heiligen Wundmale, jeden Tropfen seines für uns vergossenen Blutes, ich opfere dir sein liebeglühendes Herz, seine vollkommene Seele, ich opfere dir all seine Schönheit, seinen unermeßlichen Tugendreichtum, ihn, an dem du dein Wohlgefallen hast.

   Himmlischer Vater, ich opfere ihn dir auf für die Sünder, ganz besonders für die Schwerbeladenen, die Ehebrecher, die Diebe, die Mörder. Wie groß auch ihre Zahl sein mag, wie ungeheuer ihre Schuld, Herr, gewähre ihnen kraft meiner unvergleichlichen Gabe die Gnade der Bekehrung. Laß keinen verlorengehen, lehre sie wenigstens auf dem Sterbebett noch die Sünde zu hassen und den Weg zu dir zu finden. - Ich bitte dich für alle Unglaäubigen und Irrgläubigen, für alle Freimaurer und Gotteswortverächter, für alle, die in blindem Haß wider dich eifern; sie verstehen es vielleicht nicht besser, "sie wissen nicht, was sie tun", hat dein Sohn von ihnen gesagt. Wende ab deinen Zorn und gewähre ihnen einen Strahl deines Lichtes, damit sie die Finsternis erkennen und den Irrtum. - Vater, ich bitte dich um Barmherzigkeit für die Verführer und Ärgerniserreger, besonders für jene, die augenblicklich daran sind, durch Verführung zu sündigen. Ich flehe zu dir für alle jene Unglücklichen, die der Verführung zum Opfer gefallen sind und sich nun der Verzweiflung überlassen. - Ich bitte dich für alle, die sich mit Selbstmordgedanken tragen, damit du die innere Bedrängnis von ihnen nehmen oder ihnen eine besondere Kraft verleihst, mit ihren Schwierigkeiten fertig zu werden. - Ich bitte dich für die erblich Belasteten und krankhaft Veranlagten. Für sie flehe ich zu dir um innigstes Erbarmen. Bewahre sie vor dem Falle, um des Ärgernisses willen, das die Gesunden an ihnen nehmen. - Ich bitte dich für alle Trauernden und Traurigen, für alle Schwermütigen und Einsamen, für alle Kummervollen und Leidbeschwerten - gewähre ihnen allen, kraft meiner unvergleichlichen Gabe, wenn nicht die Erlösung vom Leiden, so doch Trost und Stärke. - Ich bitte dich für alle Kranken, Gebrechlichen, Arbeitsunfähigen und Arbeitslosen, für alle, die Mangel leiden jeglicher Art, sei es an Wohnung, Kleidung, Nahrung - für alle, die hungern nach Gerechtigkeit, damit sie gesättigt werden. - Ich bitte dich für unsere Studenten, für die gesamte Jugend, für unsere Kinder. Herr, du weißt es, es gehen so viele Wölfe umher in Schafskleidern! - Ich bitte dich für alle jene, die zwar deinen Ruf vernahmen, aber nicht den Mut haben, ihm zu folgen, sowie für jene, die um schwerer Hindernisse willen noch in der Welt bleiben müssen. Gewähre den einen die Kraft, die Welt zu verachten, Vater und Mutter um deinetwillen zu verlassen, und den anderen ebne den Weg! - Ich bitte dich für alle Ordensleute, damit du sie bewahrest vor dem Geist der Lauheit und Mittelmäßigkeit, damit du ihnen Feuerseelen gebest und den Mut zu sühnender Selbsthinopferung. - Ich bitte dich inständig um unsere Priester, Herr. Einen himmlischen Beruf hast du ihnen gegeben, die auch nur Menschen sind. Wie engelrein müssen die sein, die du zu den Führern deiner Auserwählten bestellt hast! Bedenke, daß auch sie ihre Kämpfe, ihre Schwierigkeiten haben, daß auch für sie die Welt ihre Lockungen bereithält. Gewähre ihnen allen kraft meiner unvergleichlichen Gabe eine nimmerwankende Treue, eine wahre Unüberwindlichkeit, und vor allem eine glühende Gottesliebe. Die Ernte ist reich, aber der Arbeiter sind wenige. Gib uns Priester nach deinem Herzen, wir brauchen sie heute dringender denn je. - Und nun bitte ich dich noch für die Meinen - und für mich selbst, du weißt, was uns allen am meisten nottut. Gewähre mir kraft meiner Gabe die Gnaden, die Drangsale dieses Erdenlebens voll Liebe zu ertragen, dich nie durch eine freiwillige Sünde zu betrüben, in vollkommener Weise deinen heiligsten Willen zu tun und so zum Genusse der ewigen Freuden zu gelangen.  Amen.

   

   (entnommen aus: Nicht hasten - auch rasten!; von Annette di Rocca, Imprimatur: Regensburg, den 4. September 1958) 

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