- Gottes enge Pforte -

Das Gericht



Es geht eine ernste, erschütternde Botschaft durch die Welt, die da verkündet: "Dem Menschen ist gesetzt, einmal zu sterben und danach folgt das Gericht." Das Gericht ist aber zweifach, das allgemeine Gericht, das am Ende der Zeiten über alle Menschen zugleich abgehalten wird, und das besondere Gericht, das über einen jeden sogleich nach seinem Tode ergeht. In dem besonderen Gericht, da fällt die Entscheidung, und zwar unwiderruflich, für die ganze Ewigkeit. Das allgemeine Gericht ist nur die öffentliche, feierliche Verkündigung und Bestätigung des Urteils, das im besonderen Gericht über uns ergangen ist. Danach kommt also für uns alles auf das besondere Gericht an: ist das zu unseren Gunsten ausgefallen, so haben wir das allgemeine Gericht nicht mehr zu fürchten, sondern nur mit Freuden zu begrüßen. Das besondere Gericht aber kann jeden Augenblick über uns ergehen. Der Bote, der uns vor den Richterstuhl Gottes ladet, ist der Tod, der aber liebt Überraschung, er kommt wie der Dieb in der Nacht und heißt uns mitgehen, heißt uns zum Gerichte erscheinen. Es gibt darum nichts, was heilsamer für uns wäre, als mit Job die Frage an uns zu richten: "Was werde ich tun, wenn Gott sich zum Gerichte erheben wird?" Diese Frage soll uns alle Tage, jahraus, jahrein, beschäftigen, besonders aber beim Beginn des Kirchenjahres, wo die heilige Kirche uns das Gericht verkünden lässt, um uns zu ermuntern, da sollen wir uns bewusst werden, jetzt ist es die Stunde, vom Schlafe zu erwachen.
Was ist es denn aber um das Gericht Gottes für eine ernste, beherzigenswerte Sache? - es ist ein Gericht nach der Gerechtigkeit, es ist ein Gericht nach der Wahrheit.
Ein unchristlicher Tod, ein Tod in der schweren Sünde ist ein Unglück, für das es kein Heilmittel gibt, das nicht mehr gut gemacht werden kann. Der Mensch, der als Feind Gottes stirbt, bleibt ewig, was er im Tode ist; da gilt das Wort: "Wohin der Baum fällt, da bleibt er liegen." Wodurch wird denn aber dieses Unglück so groß, dass es nicht mehr gut gemacht werden kann? Durch Gottes Gericht. Das Unglück wäre nicht zu fürchten, wenn wir nach den falschen Grundsätzen der Welt gerichtet würden, um unsere Leidenschaften zu begünstigen, unsere Sünden als Schwächen, als Fehler unseres Charakters zu entschuldigen. Aber Gott richtet nicht nach den Gewohnheiten und Sitten der Welt, sondern nach der Wahrheit, er nimmt keine Rücksicht auf hohe Stellung, er nimmt einzig und allein Rücksicht auf sein Gesetz. Nun werden wir aber nicht einwenden, uns nicht damit ausreden können, wir hätten sein Gesetz nicht gekannt, wir kennen es von Kindheit an; wir haben es gelernt in seinen zehn Geboten; es wurde uns schon am ersten großen Feiertag unseres Lebens, am Tage der Taufe, aufs Gewissen gebunden und gesagt: Wenn du zum Leben eingehen willst, so halte die Gebote; wir sind also gewarnt. Zudem haben wir Moses und die Propheten, wir haben das Evangelium und die Kirche, wir haben Predigt und Christenlehre, und diese dringen immer auf Beobachtung der Gebote Gottes. Darum wird es am Tage des Gerichtes für den Sünder keine Ausflucht geben: er wird nichts zu seiner Rechtfertigung vorzubringen wissen, er wird sich selbst verurteilen, sich selbst verdammen müssen. Darum gilt uns vor allem: Fürchte Gottes Gericht, denn es ist ein Gericht nach der Wahrheit.
Beim irdischen Gericht erhofft mancher Angeklagte oft trotz schwerer Schuld doch ein mildes Urteil. Es kommt auf die Aussage der Zeugen an. Diese aber entspricht gar oft einer wohlwollenden Stimmung, die zugunsten des Angeklagten zeugt. Daher fällt manchmal das Urteil milder aus, als der Angeschuldigte selbst erwartet hatte.
Aber im Gerichte Gottes ist das anders: "Ich bin Richter und Zeuge", spricht der Herr durch den Mund des Propheten Jeremias. Dieser Zeuge aber hat ein Auge, das alles sieht, auch die gehimsten Gedanken in tiefster Brust, dieser Zeuge hat ein Ohr, das alles hört, dieser Zeuge hat eine Hand, die alles aufschreibt, dieser Zeuge hat ein Gedächtnis, das sich alles merkt und nichts vergißt. Dieser Zeuge ist allgegenwärtig: das macht ihn zum Augen- und Ohrenzeugen all unserer Gedanken, all unserer Worte, all unserer Werke, all unserer Unterlassungen. Es gelingt also nicht, ihn zu täuschen, ihn zu hintergehen. Dieser Zeuge aber ist zugleich Richter. "Ich bin Richter und Zeuge, so spricht der Herr." Darum fürchtet Gottes Gericht, denn es ist ein Gericht nach der Wahrheit.
Im weltlichen Gesetz gibt es ein Recht der Verjährung; nach einer gewissen Anzahl von Jahren hören sogar schwere Verbrechen auf, strafbar zu sein; der Schuldige kann frei umhergehen, ohne fürchten zu müssen, wegen einer alten Schuld, wegen Brandstiftung und noch schwereren Verbrechen verfolgt zu werden. Man sagt, die Zeit heilt und vergisst. Meinetwegen. Aber eins weiß ich, dieses Recht, das Recht der Verjährung, vor Gottes Gericht gilt das nicht! Viele wähnen, weil sie ihre Sünden vergessen, habe sie auch Gott vergessen. Unsere Sünden, die nicht durch wahre Reue beweint, nicht durch gültige Beichte bekannt, nicht durch aufrichtige Buße gesühnt, sondern nur vergessen, nur verjährt sind, sie alle werden uns zum Richterstuhl Gottes folgen, um uns zu verklagen. Was wird aber das für manchen Sünder ein schreckliches Ereignis werden! Er wird meinen, sein Leben gleiche einem großen, weiten Leichenfeld, worauf alle seine Sünden und Missetaten erschlagen liegen und nur noch dürren Gebeinen gleichen, von denen er nichts mehr zu befürchten habe. Aber zu seinem Schrecken wird der Richter die dürren Gebeine anblasen, und es wird auf dem Leichenfelde sich regen und bewegen, und alle Sünden werden lebendig werden und sich aufrichten, ein großes, großes, schwarzes Heer, die Sünden der Kindheit, die Sünden der Jugendzeit, die Sünden des ledigen Standes, die Sünden des Ehestandes, die Sünden des reiferen Alters, die Sünden des Greisenalters - ein großes, großes, schwarzes Heer. Und dieses Sündenheer wird sich in Bewegung setzen und wird dem Sünder auf dem Fuße nacheilen, hin vor dem Richterstuhl Gottes; die Sünden werden rufen und schreien, wie der heilige Bernardus bezeugt: "Kennst du uns, wir sind deine Werke; du hast uns vollbracht, wir werden dich nicht verlassen, wir werden dir nachfolgen." Was wird aber das für so manchen Sünder einen Schrecken absetzen, wenn er alle Sünden seines Lebens in langen Reihen an sich vorbeidefilieren, an sich vorüberziehen sieht, um ihn vor dem Richterstuhl Gottes als Missetäter zu verklagen, die Sünden der Hoffart, die Sünden des Geizes, die Sünden der Unkeuschheit, die Sünden des Neides, die Sünden der Unmässigkeit, die Sünden des Zornes und der Rachsucht, die Sünden der Trägheit und religiösen Gleichgültigkeit! Fürchte also ernstlich Gottes Gericht, denn es ist ein Gericht nach der Wahrheit!
Ein frommer Geisteslehrer ruft bei der Betrachtung über das Gericht aus: "Wo kann ich mich verbergen, wenn Du mich zum Gerichte rufest, was kann ich antworten, wenn Du mich ob meiner Sünden befragest, wo werde ich hinkommen, wenn Du das Urteil fällst, was will ich sagen, wenn Du mich verdammst? "Kommt her, ihr Gebenedeiten", welch beglückender Richterspruch! "Weichet von mir, ihr Verfluchten", welch entsetzliches Urteil! Durch meinen Lebenswandel aber unterschreibe ich schon jetzt eines dieser beiden Urteile, das einmal über mich ergehen wird: "Kreuzige also mit Deiner Furcht mein Fleisch, denn ich fürchte Dein Gericht." Was dieser heiligmässige Mann von sich sagt, das gilt jedem von uns: auch unsere Lebensweise bildet die Unterschrift eines der beiden Urteile, das Gott über uns fällen wird. Dass es doch nicht lauten möge: Weichet von mir, ihr Verfluchten! Lasst uns darum heute recht nachdenken über die Antwort, die wir auf die Frage geben wollen: "Was werde ich tun, wenn Gott zum Gerichte sich erheben wird?" Lasset uns antworten: ich werde in meinem Glauben nicht wanken, ich werde gern und aufrichtig zur Beichte gehen. Gottes Gericht ist aber nicht bloß ein Gericht nach der Wahrheit, sondern auch nach der Gerechtigkeit.
Es ist eine Botschaft vom Himmel, die Isaias verkündet: "Saget dem Gerechten, es wird ihm wohlergehen, denn er wird die Früchte seiner Anschläge ernten; wehe aber dem Gottlosen: ihm gehts übel, denn nach den Werken seiner Hände wird ihm vergolten." (Is. 3,20). Wer ist denn gerecht? Derjenige, der jedem lässt und jedem gibt, was sein ist, was ihm gebührt, was er ihm schuldig ist. Einem solchen also, der dies tut, gilt die Botschaft: es wird ihm wohlergehen; demjenigen aber, der es nicht tut, ergeht es übel. Wem sind wir denn aber etwas schuldig? Dem Nächsten, der eigenen Seele, und am meisten sind wir Gott schuldig. Gerecht also ist, wer Gott gibt, was er Gott, dem Nächsten, was er dem Nächsten, und seiner Seele, was er seiner Seele schuldig ist. Heutzutage klagen aber so viele, sie würden um ihr Recht gebracht oder in ihrem Recht verkürzt: die Eltern klagen es von den Kindern, die Kinder von den Eltern, die Brüder von den Schwestern, die Schwestern von den Brüdern, die Untertanen von den Vorgesetzten, die Vorgesetzten von den Untertanen: jeder klagt um sein Recht. Es tut also ein Gericht not, das jedem sein Recht ganz und voll verschafft. Dieses Gericht aber, vor dem keiner zu kurz kommt, ist das Gericht Gottes. Aber vergessen wir nicht: für gar manchen heißt das Recht auf der Waage der göttlichen Gerechtigkeit Lohn, für gar viele aber heißt es Strafe: denn Gottes Gericht ist gerecht und vergilt jedem nach seinen Werken, vergilt jedem, wie er es verdient. Darum sehe jeder wohl zu, was er von Gottes Gericht zu erwarten hat: Lohn oder Strafe, oder beides zugleich.
Wie wird es denn aber um das Recht der meisten von uns vor Gottes Gericht bestellt sein? Wehe dir, wenn deine Sünden aufgedeckt und dein schwarzbeschriebenes Gewissen ausgestellt wird! Pilatus ließ einst den Gerechten, den göttlichen Erlöser, den Richter der Lebendigen und der Toten, geisseln, mit Dornen krönen, mit Purpurlappen verspotten und verhöhnen, dann aber seinen Feinden vorstellen mit dem Worte: "Sehet diesen Menschen!" um ihr Mitleid zu erregen. Aber umsonst, sie schrieen nur immer: "Ans Kreuz mit ihm! ans Kreuz!" Jede Sünde ist aber in gewissem Sinne die Zustimmung zu diesem Rufe gegen unsern göttlichen Erlöser, gegen unsern Richter: Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz! Denn jeder, der Sünde tut, sagt der heilige Völkerlehrer, kreuzigt, soviel an ihm ist, Jesus Christus aufs neue. Wir könen also beim Gerichte nicht beklagen, wenn er nun Gleiches mit Gleichem vergilt und uns vor aller Welt, vor Himmel und Erde, vor Engel und Menschen an den Schandpfahl ausstellt und spricht: sehet da diesen Menschen, den ich mit den reichsten Gaben der Natur, mit den reichsten Gaben der Gnade ausgerüstet und über und über beschenkt habe, sehet einen Menschen, dem ich Verstand verliehen, um meine Gebote zu beachten; ein Herz, um mich zu lieben; sehet diesen Menschen und die Armee von schwarzen, schändlichen Sünden, womit er mich verspottet, verhöhnt, gegeisselt und gekreuzigt hat; sehet da diesen Menschen, der meine Gebote übertreten, der Sonn- und Feiertage entheiligt hat, der den pflichtmässigen Gottesdienst versäumte, der Unzucht übte in Gedanken, Worten und Werken.
Was wird aber da für ein Urteil herauskommen? Ein Bild vom besonderen Gericht stellt den göttlichen Richter dar, auf dem Richterstuhl thronend, vor ihm die zu richtende Seele, zu ihrer Rechten der heilige Schutzengel, zu ihrer Linken der Satan mit dem großen Schuldbuch, das er über ihr Leben geführt hat. Was will denn der Teufel beim Gerichte? Der heilige Ignatius von Loyola sagt: Er wird am Richterstuhl Gottes uns unser Taufgelübde vorhalten und dem Richter anzeigen, wie oft und schnöde wir diesen großen heiligen Eidschwur gebrochen. Dann wird er uns weiter verklagen und fortfahren: "Ich habe für ihn nicht Blut geschwitzt und dennoch hat er nicht Dir, sondern mir gedient: das ist die Frucht Deines Blutes; ich habe für ihn nicht die Kirche gegründet, ich habe kein Sakrament für ihn eingesetzt, ich habe ihm nicht durch die Taufe die heiligmachende Gnade gespendet, in der Firmung nicht den Heiligen Geist verliehen und dennoch hat er nicht Dir, sondern mir gedient: siehe das ist die Frucht Deiner Liebe." Was also werden wir antworten?
Ach, was werd ich Armer sagen,
Wo mir Schutz und Rat erfragen,
Da Gerechte selbst verzagen?
Milder Jesu, denk in Gnade,
Dass ich Ziel war Deiner Pfade,
Wend an jenem Tag den Schaden.
Bist, mich suchend, müd gegangen,
Mir zulieb am Kreuz gehangen,
Lass solch Mühen Lohn empfangen,
Lass mich dafür Gnad empfangen.
Gerechter Richter unsrer Sünden,
Lass uns vor Dir Vergebung finden,
Dann magst das Urteil Du verkünden.
 
 
Maria Joseph von Geramb war österreichischer General, kämpfte gegen den ersten Napoleon, wurde gefangen und in das Staatsgefängnis St. Vincennes in Paris gebracht. Da flüchtete er aber, - und nicht ohne Grund - erschossen zu werden. Daher kamen ihm in dieser schrecklichen Lage schon von selbst ernste Gedanken, Gedanken an die letzten Dinge, Gedanken an die Ewigkeit: er hatte bis dahin ein wildes, stürmisches Leben vollbracht, den größeren Teil desselben, wie er sagt, verschleudert. Sollte er auch noch den Rest desselben der Eitelkeit der Welt hinwerfen? Nein, so verblendet war er doch nicht. Daher rief er sich zu: "Die Ewigkeit naht heran, bedenke es wohl!" - Er bekam seine Freiheit wieder: aber er kehrte nicht zu seiner Familie zurück, sondern begab sich in das strenge Kloster La Trappe, wurde Trappist, um täglich an die letzten Dinge und die Ewigkeit erinnert zu werden durch den Gruss: "Denk ans Sterben."
Nun wusste er aber, dass noch viele so leben, wie er bis zu seiner Bekehrung gelebt, ohne Glauben, ohne Hoffnung, ohne Liebe, ohne Religion, ohne Gedanken an die letzten Dinge. Daher schrieb er in seiner Klosterzelle ein kleines Büchlein mit dem Titel: "Die Ewigkeit naht heran; bedenket es wohl!" Dain spricht er allen Gleichgültigen und Nachlässigen so manches ernste Wort ans Herz, z.B.: "Der erste Schritt, den der Mensch ins Leben tut, ist auch schon der erste Schritt zum Grabe: sobald seine Augen sich dem Lichte öffnen, wird ihm das Todesurteil verkündet: du musst sterben; das war anfangs nicht unsere Bestimmung: Gott, der Urheber unseres Daseins, beseelte den Lehm, aus dem er den Leib des Menschen gebildet, mit einem Hauch der Unsterblichkeit. Den Tod aber machte Gott nicht: erst als Adam ein Sünder wurde, wurde er sterblich. Daher sagt der heilige Paulus: "Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen." Die Sünde aber untersteht dem Gericht Gottes; denn sie ist Beleidigung des dreimal heiligen Gottes, Beleidigung Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, sie ist Beleidigung Gottes in allen seinen Vollkommenheiten, allen seinen Eigenschaften, in allen seinen Rechten. Daher sitzt Gott darüber zu Gericht: "Dem Menschen ist gesetzt, einmal zu sterben, und danach folgt das Gericht. Aber gerade die Sünde ist es, die wir als Erbstück von dem Stammvater mitbekommen; und wir haben auch am besten von ihm erlernt, Sünde zu begehen, Gott zu beleidigen. Daher ist nichts so sicher als das, dass auch über uns Gottes Gericht ergeht.
Das nun aber ist es, wovon soviele nichts hören mögen, das Gericht. Denn es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Darum lässt uns unsere heilige Kirche an zwei Sonntagen hintereinander, am Schluss des alten und am Anfang des neuen Kirchenjahres, das erste Evangelium vom Weltgericht samt seinen Zermonien vorlesen, damit wir es uns zu Herzen nehmen. Wird denn aber dieser Mahnruf nicht an tauben Ohren verhallen? O, das könnte für uns sehr verhängnisvoll werden, das könnte uns unsere Seele und Seligkeit kosten. Darum lasst uns das Wort erwägen: "Der Tod, das Gericht, die Ewigkeit naht heran, bedenket es wohl!" Vom Gericht aber gelten zwei Dinge: dem, der geraden und aufrichtigen Herzens ist, bringt es Licht und Trost; dem aber, der gegen Gott und seine Gebote frevelt, bringt es Strafe, Beschämung, Schmach. Kaiser Rudolf von Habsburg ließ nach Bezwinung der aufrührerischen Großen im römisch-deutschen Reich und nach Besiegung des Königs Ottokar von Böhmen einen vergoldeten Schild anfertigen, darauf eine Hand, bewaffnet mit einem Schwerte, von dem Blitz ausgehen, und geziert mit einem grünen Ölzweig, dazu die Inschrift: welches von beiden euch beliebt: Blitz oder Friede. Das ist es aber, was der göttliche Richter in der Hand trägt, wenn er zum Gericht kommt: Blitz und Ölzweig. Denn schrecklicher, als jeder natürliche Blitz wird der sein, der sich in dem Urteilsspruch kundgibt: Hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Anhängern bereitet ist. Aber über alles trostreich und friedlich wird der Ausspruch für die Guten lauten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters...
Welchen Urteilsspruch werden wir einmal zu hören bekommen? - Setzen wir den Fall: heute schon wäre der große Tag, der Tag des Weltgerichts, und heute schon sähen wir den Weltrichter auf den Wolken des Himmels kommen, was brächte er uns: Blitz oder Ölzweig? O stände nicht zu befürchten, für viele von uns hätte er das Verdammungsurteil im Munde: "Weichet, ihr Verfluchten!" Darum höret: "Das Gericht, die Ewigkeit naht heran, bedenket es wohl!"
Aber was ist es, das wir wohl bedenken sollen? - Moses, nachdem er allen Segen, den Gott auf die Erfüllung seiner Gebote gelegt, und alle Flüche, die er auf die Übertretung derselben gesetzt, aufgezählt, fügte das ernste Wort bei: "Zu Zeugen rufe ich heute Himmel und Erde, dass ich euch vorgelegt Leben und Tod, Segen und Fluch; so wähle denn das Leben, dass du lebest, du und die Nachkommen, und den Herrn deinen Gott liebest und ihm gehorchest und anhängest." Allen aber, die Gottes Gebote treu und gewissenhaft beobachten, ihm dienen, seinen Namen nicht eitel nennen, den Sabbat heiligen, Vater und Mutter ehren usw. bringt das Gericht Segen und Licht und Trost. Allen aber, die sie übertreten, Fluch und Schande und Schmach.
Vom Gericht sind es hauptsächlich drei Dinge, die besonderer Betrachtung würdig sind: Der Richter, der uns richtet, wir, die gerichtet werden, und die Dinge, worüber wir gerichtet werden. Daher sagt der heilige Apostel Paulus, der Herr ist es, der uns richtet, und zwar nicht der Vater, sondern der Sohn. Das ist für die einen von besonderem Troste, für die anderen von besonderem Schrecken. Diejenigen, die da an ihn geglaubt und seine Gebote gehalten und ihn geliebt haben, und aus Liebe zu ihm arm, sanftmütig, barmherzig, trauernd waren, sie werden sich überzeugen, dass er keinen Atemzug, den sie für ihn getan, vergessen, dass er ihnen alles gutgeschrieben, jeden Pulsschlag, jedes Gebet, jeden Gang zur Kirche usw. Und jene, die ihn verkannt, sie werden zittern, wenn er ihnen alles vor Augen hält, was er getan hat, um sie selig zu machen.
Ja, er ist jetzt dein Richter; - jener göttliche Lehrer, der dir den Weg zum Himmel zeigte und dir warnend zurief: "O wie breit ist die Strasse, die zum Verderben führt, wandle nicht darauf; - er ist jetzt dein Richter; jener barmherzige Erlöser, der im hochheiligen Sakrament des Altares sein Fleisch und Blut dir gegeben, der am Ölberg...am Kreuz sein Leben geopfert, er ist jetzt dein Richter; - jener fürsorgende Gott, der dir zum Heile die Sakramente eingesetzt, die heilige katholische Kirche gestiftet, um dich von Sünden rein zu waschen und zur ewigen Seligkeit zu führen, - er ist jetzt dein Richter. Wie also wird es uns da zumute sein, wenn all sein heiliges Blut, alle Mühe und Sorge und Arbeiten und Opfer und Gnaden umsonst gewesen und an uns verloren sind, ja wie wird es uns zumute werden:
Ach, was werd ich Armer sagen,
Welchen Schutz und Rat erfragen,
Da Gerechte selber zagen?

 

Worüber wird der Herr uns richten? Er wird zwei Bücher hervorholen, das Buch des Lebens, worin die guten Werk geschrieben stehen, und das Buch des Todes, worin die Sünden verzeichnet sind. Nun wird er uns alles Gute, das wir unterlassen, und alles Böse, das wir verübt, vorhalten und uns alle Schuldfragen vorlegen.

Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Da ist alles eingetragen,
Um uns Sünder zu verklagen.

 

Er wird uns vorhalten alle Gaben der Natur, des Leibes und der Seele, alle Wohltaten des Lebens, alle Gnaden, um uns selig zu machen, und uns sagen: komm und antworte geschwind! Du sollst damit dein Heil wirken, aber was hast du damit angefangen? - Er wird uns vorhalten jeden leichtfertigen Gedanken, jede böse Begierde, jedes zweideutige Wort, jedes sündhafte Werk von jedem Tage, von jeder Woche, von jedem Monat, von jedem Jahr, vom ganzen Leben, alle die Ärgernisse, die einer angerichtet, den schrecklichen Mühlstein, den sich so mancher an den Hals gehängt, die Übertretung der Gebote Gottes, die Verletzung der Gebote der Kirche, die Verleugnung des Glaubens. Du solltest in Gottes Gegenwart wandeln, was hast du getan?

Sitzt der Richter dann und richtet,
Wird, was dunkel ist, gelichtet,
Keine Schuld bleibt ungeschlichtet.

 

Wie also wird uns da zumute werden? Der gottlose König Antiochus rief aus: "Es stellt sich vor den Augen meines Gemütes alles Böse dar, was ich zu Jerusalem getan, d.h. am heiligen Ort, vor dem Angesicht Gottes." (1. Mach. 6,12). Die Todesstunde wird manchem noch schrecklicher aufs Gewissen drücken, als dem Heiden, der nicht die religiöse Erkenntnis hatte, die wir haben. So sprechen wir denn mit zerknirschtem Herzen:

O Jesus, mein Erlöser;
Ach, wenn mir einst am bängsten
Ums arme Herz wird sein,
Dann reiss mich aus den Ängsten
Kraft Deiner Todespein.

 

Merkwürdig ist das Gesicht, von dem der heilige Johannes in seiner geheimen Offenbarung berichtet: "Und ich sah einen großen, weißen Thron und den, der darauf saß....Und ich sah die Toten, groß und klein, stehend vor dem Throne. Und die Bücher wurden aufgeschlagen, und noch ein Buch wurde aufgeschlagen, das Buch des Lebens, und die Toten wurden gerichtet aus dem, was in den Büchern geschrieben stand nach ihren Werken. Und das Meer gab heraus die Toten, die darin waren, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken...Und wer nicht erfunden ward eingeschrieben im Buch des Lebens, der ward in den Feuerpfuhl geworfen." (20, 12-15.)

Was sind das für Bücher, wonach die Toten gerichtet werden? - Der heilige Bonaventura sagt: es ist das Buch des Kreuzes, das Buch des Gewissens, und das Buch des Lebens. - Das Buch des Kreuzes: darin stehen alle Gnaden geschrieben, die uns Gott um des Blutes Christi willen zu unserm Heil verliehen hat; - das Buch des Gewissens: darin stehen alle Sünden geschrieben, die wir trotz dieser Gnaden in Gedanken, Worten und Werken verübt haben; und das Buch des Lebens: darin stehen die Freuden des Himmels, die Wonnen der ewigen Seligkeit geschrieben, die jene empfangen, welche Gott lieben und seine Gebote halten, und jene verschmerzen, die ihn hassen und seine Gebote übertreten.

Nach diesen drei Büchern also werden auch wir einmal, sowohl im besonderen, als im allgemeinen Gericht, gerichtet werden. Darum lasst sie uns miteinander betrachten und daraus die Frucht ziehen, dass wir endlich anfangen, mit Furcht und Zittern unser Heil zu wirken.

Wir werden gerichtet werden, nach dem Buch des Kreuzes. Unsere heilige Kirche hält so oft in dem ersten Lied, das sie in jeder Totenmesse und am Grabe singen lässt, folgende Strophen vor die Augen unseres Geistes:

Tod und Leben werden beben,
Wenn die Toten sich erheben,
Antwort vor dem Herrn zu geben.
Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Da steht alles eingetragen,
Um die Welt dann zu verklagen.

 

Dieses Buch aber ist, wie gesagt, in seinem ersten Teil das Buch des Kreuzes, worin alle jene Gnaden verzeichnet stehen, die wir erhalten haben, um ewig selig zu werden. Gehen wir uns also diese Gnaden einmal an, lassen wir sie an unserm Geiste vorüberziehen, wir werden uns über ihren Gebrauch und Missbrauch einmal verantworten müssen, und zwar vor demjenigen, der sie uns verdient, der sie uns durch sein bitteres Leiden und Sterben erworben hat.

Welches sind denn aber diese Gnaden?

Wir hören so oft den Ausspruch des Herrn: Viele sind berufen, wenige sind auserwählt. Wir hören ihn nur mit heiligem Ernst, mit einer geheimen Furcht und bangen Frage: werde auch ich bei den wenigen Auserwählten sein? So viel ist gewiss, dass wir zu den Berufenen gehören; er hat zu uns gesprochen:

Mit ewiger Liebe hab ich dich geliebt,
Erbarmend hab ich dich an mich gezogen,
Komm aus dem Nichts,
Nimm was Gott dir gibt,
Und trinke Seligkeit aus seines Lebens Wogen.

 

Beweis hierfür ist die heilige Taufe, die wir erhalten haben: denn durch sie wurden wir, Kinder des Zorns, wiedergeboren als Kinder des Lebens, als Kinder Gottes, als Erben des Himmelreichs; durch sie wurden wir von der Erbschuld und ewigen Strafe abgewaschen und gereinigt, durch sie wurden wir auf den Baum des Lebens, Jesus Christus, den wahren Weinstock, gepfropft, durch sie in die streitende Kirche aufgenommen, um einst der triumphierenden anzugehören. Ach, welche Gnade! - So viele Millionen sitzen noch in der Finsternis des Todes; uns aber hat er gesagt: Mit ewiger Liebe... Welchen Dank also schulden wir Gott dafür?

Er hat uns in der Buße das rettende Brett im Schiffbruch gegeben: Verzeihung der Sünde. Mit den uns angebotenen Gnaden brauchen wir bloß treu mitzuwirken, und wir gehören zu den Auserwählten.

Aber was haben wir denn mit so vielen Gnaden angefangen? Haben wir sie zu unserem Heil benutzt, oder gilt das Wort, das der Prophet Isaias erhebt: Höret, ihr Himmel, und nimm es zu Ohren, o Erde, ich habe Söhne aufgezogen, sie aber haben mich verachtet.

(entnommen aus: Das dreifache Reich Gottes, von Pfarrer Joseph Reiter, 1911)

 


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